BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Zweytes Kapitel.

 

Es lebte nicht weit von dem Orte, wo die Jungfrauen wohnten, ein Einsiedler, der einen überaus frommen Wandel führte und sehr verständig war. Als dieser nun die wunderbare Begebenheit erfuhr, daß die eine der Jungfrauen lebendig begraben worden sey, ging er hin zu den beiden andern Schwestern, um ihnen mit seinem Rathe beyzustehen. Zuerst fragte er sie, auf welche Weise sie Vater, Mutter und alle Güter verloren hätten. Das Schicksal, sagten sie, hat es so gewollt; wir werden von Gott gehaßt, und er hat uns zu solcher Betrübniß bestimmt.

Gott haßt keinen Menschen, sagte der fromme Einsiedler, vielmehr geht ihm alles, [10] was ihr Böses thut, sehr nahe; durch die Einwirkung des Teufels ist eure Schwester zu solcher Schande verführt worden. Da ihr aber nichts davon wißt, und bis jetzt noch befreyt davon seyd, so hütet euch ferner nur vor der schlechten Gesellschaft und bösen Eingebungen. Der fromme Mann gab ihnen darauf noch viele vortreffliche Lehren. Er unterrichtete sie im Glauben, lehrte sie die göttlichen Gebote und die Tugenden des Heilands. Der ältesten Tochter gefielen diese Lehren wohl, und sie nahm sie sehr zu Herzen, gab sich auch große Mühe, alles zu erlernen, und alles das jeden Tag zu thun, was der fromme Einsiedler ihr zu thun gebot. Wirst du, sagte er darauf zu ihr, meinem Rathe immer so folgen, meine Tochter, und pünktlich so thun, wie ich es dir heiße, so wirst du zu vielen Ehren und großem Gute kommen; also folge meinem Rathe. Komme immer zu mir, so oft du über etwas in Zweifel bist, oder in Versuchung geräthst, damit ich dich wieder auf den rechten Weg führe, mit Hülfe Gottes. Laß dich nur von nichts [11] bestürzt machen, sondern vertraue auf Gott. Nachdem der fromme Mann die beiden Jungfrauen so gestärkt und unterrichtet hatte, ging er wieder in seine Einsiedeley, sagte ihnen aber vorher noch einmal, daß sie zu ihm kommen und ihn um Rath fragen sollten, so oft ihnen etwas begegnen würde.

Dem Satan war der Zuspruch des frommen Mannes nicht lieb, er fürchtete sehr die beyden Jungfrauen zu verlieren; sah auch ein, daß er sie nie würde betrügen können, außer mit Hülfe eines andern von ihm besessenen Weibes. Er kannte eine, die schon oft seinen Willen gethan, und deren er ganz mächtig war. Diese schickte er zu den Jungfrauen; sie wandte sich sogleich an die Jüngste, denn mit der Aeltesten zu reden, wagte sie nicht, weil sie zu fromm war, und sich so demüthig und bescheiden betrug, daß es ein Wunder war. Das Weib nahm also die Jüngste auf die Seite, und fragte sie, wie sie lebte, und wie sie sich mit ihrer Schwester stände? Meine Schwester, antwortete das junge Mädchen, ist über die [12] vielen Begebenheiten, die wir in so kurzer Zeit hintereinander erlebt haben, so nachdenklich geworden, daß sie Essen und Trinken vergißt, und weder mir noch andern ein freundliches Gesicht zeigt. Ein guter frommer Mann hat ihr Gemüth ganz zu Gott gewendet, sie glaubt und thut nichts, als was dieser Mann ihr sagt.

Schade, sagte nun das Weib darauf, daß ein so schönes Mädchen, als du bist, unter einer solchen Vormundschaft steht; denn niemals wirst du dich bey deiner Schwester deiner Schönheit erfreuen können. Ey mein süßes Töchterchen, fuhr sie fort, wenn du wüßtest, welche Freude und welches Wohlleben die andern Frauen genießen, du würdest alles, was du bey deiner Schwester hast, für nichts achten. Trocknes Brod in Gesellschaft von Männern, ist angenehmer, als alle Güter der Welt bey deiner Schwester. Wie kannst du es nur so allein aushalten; eine Frau, die keinen Mann kennt, und mit keinem umgeht, weiß gar nicht was Freude ist. Ich sage es dir, schönes [13] Kind, du wirst niemals die Liebe eines Mannes genießen, deine Schwester wird sie eher genießen als du, denn sie ist die älteste, und wird heirathen; dann wird sie sich aber gar nicht mehr um dich bekümmern, und du wirst die Freuden deines schönen Leibes nicht kennen lernen. – Diese Reden machten das junge Mädchen ganz nachdenklich.

Wie dürfte ich das wohl thun, fing sie wieder an, man würde mich lebendig begraben, wie meine Schwester. Deine Schwester, sagte das Weib, war eine Thörin, und hat es sehr übel angefangen; wenn du mir folgen willst, so sollst du alle Lust deines Leibes genießen, und kein Mensch soll dir etwas anhaben können. Jetzt darf ich nicht länger mit euch reden, sagte das junge Mädchen, meine Schwester möchte es gewahr werden; entfernt euch jetzt, und kommt einen andern Tag wieder. Das Weib ging fort, und Satan freute sich des guten Anfangs.

Als das Mädchen nun allein geblieben war, überlegte sie unaufhörlich die Reden des Weibes, und sprach immer mit sich selber davon; dadurch wuchs die Lüsternheit in ihr immer mehr, die der Teufel durch jene Reden in ihr entzündete; so daß als sie des Abends ihre Kleider abgelegt hatte, betrachtete sie ihren schönen Leib und freuete sich dessen; in Wahrheit, sagte sie, die kluge Frau hat Recht, ich wäre ohne den Genuß eines Mannes ganz verloren. Sie ließ auch bald darauf jenes Weib wieder zu sich rufen, und fragte sie, wie sie es machen müßte, einen Mann zu lieben, und nicht verrathen und getödtet zu werden, wie ihre Schwester? Du darfst nur, sagte jene, dich einem jeden öffentlich Preis geben. Zu dem Ende fliehe wie erzürnt hier aus dem Hause, und sage, daß du es nicht länger mit deiner Schwester zusammen aushalten kannst; nachher kannst du thun, was dir gefällt, und niemand darf dich vor Gericht fordern, oder dich verurtheilen. Wenn du dann einst des wilden Lebens müde bist, so kannst du immer noch einen [15] Mann finden, der dich heirathet, um deiner vielen Reichthümer willen; so wirst du alsdenn aller Freuden dieser Welt froh.

Die Jungfrau folgte wirklich dem verderblichen Rathe des verfluchten Weibes, entfloh aus dem Hause ihrer Schwester, und gab sich öffentlich jedem Preis.

 

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