BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Zwölftes Kapitel.

 

König Vortigern ging hierauf mit Merlin grade auf den Platz, wo der Thurm gebaut werden sollte, und ließ die gefangnen Astronomen vor sich kommen. Merlin ließ sie durch einen der Boten fragen, warum der Thurm immer wieder einfiele? – Die Astronomen sagten: wir wissen nicht, warum er einfällt, aber dem Könige haben wir gesagt, was geschehen müsse, damit er stehen bleibe. Ihr habt, sagte Merlin, den König für einen Narren gehalten, daß ihr ihm auftrugt, einen Menschen zu suchen, der ohne Vater geboren sey; aber ihr Herren thatet das um eurer selbst, und nicht um des [90] Königs willen. Denn so viel habt ihr wohl herausgebracht durch eure Bezauberungen, daß ihr wißt, ein solcher Mensch würde die Ursach eures Todes seyn, darum ließt ihr den König diesen Menschen suchen und trugt ihm auf, sein Blut auf den Grund des Thurmes zu gießen, damit, wenn er todt sey, ihr nicht durch ihn umkommen könnet. – Die Astrologen waren so erschrocken, da Merlin ihre geheimen Absichten wußte, daß sie nicht ein einzig Wort vorbringen konnten. Nun sehe mein Herr König, fuhr Merlin fort, daß diese Männer mein Blut blos um ihrentwillen forderten, und gar nicht weil es zum Bau des Thurms nothwendig war; Ew. Majestät frage sie, ob ich wahr geredet, sie werden nicht die Frechheit haben, mich Lügen zu strafen. – Die Astrologen gestanden, daß Merlin die Wahrheit geredet, baten aber den König, sie leben zu lassen, bis sie gesehen, ob Merlin wisse, warum der Thurm nicht stehen wolle. Ihr werdet nicht eher sterben, sagte Merlin, bis ihr es mit euren Augen gesehen. – Nachdem die [91] Astrologen für diese Gnade gedankt, wandte Merlin sich wieder zum König Vortigern: Jetzt höre, warum der Thurm nicht sehen will, und thue, was ich dir sage, so wirst du es selber sehen. Nicht sehr tief unter der Erde, auf dem Fleck, wo der Bau angefangen worden, ist ein großer Fluß ; unter dem Bett dieses Flusses liegen zwey Drachen, die sich einander nicht sehen, der eine ist weiß, der andre roth; sie liegen unter zwey sehr großen wunderbaren Felsen; diese Drachen nun fühlten die Last des Gebäudes zu schwer auf sich, darum bewegten sie sich und schüttelten die Last, die sie drückte, von sich. Der König lasse nachgraben, und wenn sich nicht alles Wort für Wort so befindet, als ich gesagt, so will ich sterben; findet es sich aber so, so müssen die Astrologen für mich sterben. – Ist es so, als du sagst, erwiederte König Vortigern, so bist du der weiseste aller Menschen; aber sage mir, wie muß ich es anfangen, um die Erde fortbringen zu lassen? – Auf Wagen und mit Pferden, antwortete Merlin, und mit Hülfe [92] vieler Menschen, die sie weit fortführen. Der König ließ nun alles, was arbeiten wollte, zusammenkommen, worauf sich viele Menschen versammelten, die alle das Tagelohn verdienen wollten, und man fing an, den hohen Berg, worauf der Thurmbau angefangen war, abzutragen; die Leute hielten ihren König für thöricht, daß er den Worten eines Kindes Glauben beymesse, jedoch durften sie dem Könige nicht ihre Meinung sagen. Nachdem lange gearbeitet und die Erde alle weit fortgeführt worden, entdeckten die Arbeiter den großen Fluß und meldeten es sogleich dem Könige. Dieser, sehr erfreut, nahm den Merlin mit hinaus, wo sie denn wirklich den Fluß so fanden, wie Merlin es vorher gesagt. Wie sollen wir es aber nun anfangen, fragte ihn König Vortigern, um unter den Fluß zu sehen? – Merlin ließ sogleich sehr große Graben und Kanäle machen, und leitete so den Fluß weit hinaus in das Feld. Während man daran arbeitete, sprach Merlin zum Könige: wissen sollst du auch, daß, sobald die Drachen unter den großen Steinen [93] hervorgekommen, sie miteinander kämpfen werden. Berufe also der König die Angesehensten und Geehrtesten seines Landes zusammen her, damit sie diesen Kampf ansehen, der von großer Bedeutung ist. – Sogleich gab der König Befehl, daß man die adlichsten Herren, die achtbaren Männer und Bürger sammt den Gelehrten und Geistlichen aller Orden aus seinem Lande zusammenrufen solle. Diese versammelten sich auch sogleich nach des Königs Befehl, und waren sehr verwundert und erfreut, als der König ihnen die Ursach verkündigte, warum sie zusammenberufen wären. Dieser Kampf wird ein sehr schöner Anblick seyn, sagten sie; einige aber erkundigten sich bei dem Könige, ob Merlin prophezeiht habe, welcher von den beiden Drachen den Sieg davon tragen würde? Dieß hat er nicht, antwortete Vortigern.

Da nun der Fluß abgeleitet war und man die beyden Felsen, unter welchen die Drachen lagen, erblickte, fragte der König den Merlin, auf welche Art man nun diese ungeheuern Steine wegschaffen müsse? Merlin sprach: sobald [94] die Drachen die äußere Luft empfinden, werden sie von selber hervorkommen, der König lasse also die beyden Felsen durchbohren, damit die äußere Luft hinzu kann. Es geschah, so wie Merlin es angab; die Felsen wurden einer nach dem andern durchbohrt, und sogleich kamen die Drachen hervor. Sie waren entsetzlich anzusehen, furchtbar groß und von scheußlicher Gestalt, so daß alle Anwesende Furcht und Abscheu vor ihnen hatten. Der König selber erschrak sehr bey ihrem Anblick und fragte den Merlin, welcher von den beyden den andern besiegen würde? Merlin sprach: dieß will ich dem Könige und seinem geheimen Rath besonders vertrauen; ging darauf mit ihnen bey Seite, wo er ihnen folgendes entdeckte: der weiße Drache wird den rothen nach schrecklichem Kampf und nach großer Mühe und Anstrengung besiegen. Dieser Sieg ist von fernerer großen Bedeutung, die Ihr aber erst nach dem Kampfe und dem errungenen Siege erfahren sollt, vorher kann ich Euch nichts mehr sagen. Nun gingen sie wieder hin zum Platze, wo die Edlen [95] und das Volk versammelt waren, dem Kampfe zuzusehen. Die Drachen waren blind und sahen einander nicht, wie Merlin auch prophezeyt hatte; sobald sie sich aber rochen, fielen sie übereinander her, verschlungen ihren Leib in vielfachen Ringen und Knoten, und bissen sich. Sie hatten auch Klauen, mit diesen zerrten sie sich, so daß es schien, als wenn sie spitze eiserne Haken gebrauchten und sich damit von einander reißen würden. Niemals hatten Löwen sich härter und reißender angefallen, als diese zwey Drachen. So wie reißende Thiere kämpften sie wüthend den ganzen Tag und die folgende Nacht durch. Keiner von den Anwesenden entfernte sich, sondern alle sahen mit großem Eifer dem mächtigen Kampfe zu. Der weiße Drache schien dem Volke schwächer als der rothe, denn dieser setzte ihm hart zu, und er litt gar viel von dem rothen, auch meinte das Volk allgemein, da es den weißen so leiden und schon sehr ermattet sah, daß er unterliegen würde. Auf einmal aber strömte ihm flammendes Feuer aus dem Rachen und aus [96] den Nasenlöchern, so daß der rothe Drache davon verbrannte und todt auf dem Platze liegen blieb. Darauf legte der siegende weiße Drache sich neben dem rothen, und nach drey Tagen starb er gleichfalls. – Nun, sprach Merlin zu Vortigern , magst du deinen Thurm aufbauen lassen, und sicher seyn, daß er nicht wieder einfällt, wenn er anders nach der Wissenschaft eingerichtet und gut ausgeführt wird. König Vortigern ließ die vortrefflichsten und kunstvollsten Baumeister seines Landes zusammenkommen, und befahl ihnen, den Thurm so fest und stark zu errichten, als sie zu thun vermöchten, welches auch die Baumeister zu thun versprachen.

 

Merlin und die Astrologen

 

Darauf wurden die Astrologen herzugeführt, um ihren Urtheils­spruch von Merlin zu empfangen, so wie der König es ihm zugesagt. Ihr seht nun, sprach Merlin, wie schlecht ihr euch auf eure Kunst verstanden, ihr wolltet den Grund finden, warum der Bau einfiel, und da ihr nichts finden konntet, als meine Geburt, und daß ihr selber durch mich in Todesgefahr wäret, so habt ihr fälschlich angegeben, [97] mein Blut müsse auf den Grundstein vergossen werden, damit der Thurm stehen bleibe. Als dann wäre freylich Euer Leben nicht mehr in meiner Hand gewesen; aber wäre denn der Bau wohl besser bestanden? Ihr habt also, anstatt das Wohl des Königs zu betrachten, nur Euer eignes beherzigt; aber eben darum, weil Ihr nur dieß vor Augen hattet, und große Sünder seyd, konntet Ihr auch nicht die Wahrheit in den Gestirnen durch die Wissenschaft finden. Ihr habt mein Blut vergießen wollen, und dafür steht Euer Leben jetzt in meiner Hand, ich will euch dieses aber schenken, und Ihr sollt frey ausgehen, wofern Ihr mir nur Eines versprechen wollt. – Die Astrologen, als sie hörten, daß Merlin ihnen das Leben schenken wolle, versprachen alles gern zu thun, was er ihnen gebieten würde. Nun, sprach Merlin, so versprecht und schwöret mir, Eure Kunst nicht mehr zu treiben, an welcher Ihr Euch versündigt habt; geht, bereuet es und thut Buße Euer Leben lang, versöhnt Euch mit Gott, damit die Seele in Euch noch Rettung [98] hoffen dürfe, und somit seyd Ihr entlassen und dürft frey ausgehen. Die Astrologen schwuren voll Freuden alles, was Merlin von ihnen verlangte, und entfernten sich. Da der König und die Edlen des Volks sahen, wie sanftmüthig Merlin den Astrologen verziehen, und welche Worte der Weisheit er zu ihnen geredet hatte, bekamen sie eine noch höhere Meinung von ihm. Er ist der weiseste, der beste Mensch auf Erden, sagten alle einstimmig, und ehrten den Merlin, und hielten ihn sehr hoch.

 

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