BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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[153]

Zwanzigstes Kapitel.

 

Eines Tages kam Merlin zum Könige und sprach: Mein König wisse, daß, nachdem unser Heiland war gekreuzigt worden, kam ein frommer Ritter, mit Namen Joseph von Arimathia, und kaufte den Leichnam Christi von Pilato, und ließ in begraben. Dieser Ritter liebte Christus so sehr, daß die Juden ihn deshalb verfolgten, und ihm viel Leid anthaten. Nachdem Christus auferstanden, zog Joseph von Arimathia nach einer Wüste, nebst den meisten von seiner Familie, und mehreren anderen Menschen. Dort litten sie viel Hungersnoth, so daß viele von ihnen Hungers starben. Da murrten sie gegen den Ritter, der ihr Meister war. Der Ritter sah die Noth seines Volks, und betete voll Inbrunst zu unserm Herrn Christus, daß es ihm gefiele, dieser Hungersnoth seines Volks ein Ende zu machen. Unser [154] Herr befahl ihm darauf eine Tafel zu errichten, so wie die war, an welcher er mit den Aposteln das Abendmahl genoß. Diese Tafel solle er wohl ausschmücken, und mit weißen, feinen Tüchern bedecken; darauf solle er einen goldenen Kelch stellen, den er ihm selber sandte; und daß er dieses Gefäß wohl bedecke und in Acht nehme. Wisse ferner, mein König, daß dieser Kelch von Gott gesandt, die Gemeinschaft der Guten und der Bösen bedeutet; die Guten aber, welche an dieser Tafel zugelassen wurden, erhielten die Erfüllung aller ihrer Wünsche. Ein Platz blieb immer leer an dieser Tafel, das bedeutete den Judas, der unsern Herrn verrieth, und sich mit den Aposteln zum Abendmahle setzte. Und als unser Heiland sagte: wahrlich ich sage euch, einer unter euch wird mich verrathen; der mit der Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verrathen, stand Judas auf von der Tafel, schämte sich und ging hinaus. Und die Stelle an der Tafel blieb leer, bis Christus einen andern, mit Namen Matthias, hinsetzen [155] ließ. So mußte auch ein Platz an Josephs von Arimathias Tafel leer bleiben. Diese Tafel ward von allen denen, welche dazu gelassen wurden, sehr in Ehren gehalten, und sie nannten sie Graal. Nach ihr wurde noch eine ähnliche Tafel errichtet; willst du mir also folgen mein König, so errichte du die dritte im Namen der Dreyfaltigkeit. Ich will dir in diesem Werke helfen; es wird ein Werk werden, wofür du die Gnade Gottes dir erwirbst, und alle diejenigen, die an der Tafel Platz nehmen, läßt du daran Theil nehmen. Jenes Gefäß aber und seine Hüter sind gegen den Occident hingezogen, die Hüter wissen aber jetzt selber nicht mehr, wo es eigentlich hingerathen ist, sondern sie sind ihm nur in jene Gegend nachgezogen. Du aber thue so wie ich dir sagte, du wirst dessen noch einst dich sehr erfreuen. Uterpendragon erwiederte: mit Freuden will ich thun, was du mir räthst, denn deine Worte sind Weisheit; aber ich selber bin nicht im Stande solches Werk einzurichten, sondern dir, Merlin, trage ich die Sache auf, richte [156] in meinem Namen alles so ein, wie es seyn muß. Und wo, fragte Merlin, befiehlst du, daß diese dritte Tafel errichtet werde? – Wo es dir beliebt, und wo Gott der Herr will, daß sie errichtet werde. – Nun so will ich sie zu Kardueil in Wales errichten. Laß dein Volk sich zum Pfingstfest allda versammeln, und halte dann allda offenen Hof, ich aber werde voran gehen und die Tafel vorher errichten. Gib mir Leute, damit sie thun was ich ihnen sage, und wenn du verlangt, so werde ich denjenigen, die herum sitzen sollen, Platz anweisen.

Am Pfingstfest, als der König und alle seine Barone, und die edlen Damen und Fräulein seines Reichs nach Kardueil kamen, fanden sie die Tafel von Merlin schon errichtet. Der König hielt offenen Hof für alle Edlen und Ritter, und für ein ganzes Volk, dann fragte er den Merlin, wer nun an dieser Tafel sitzen solle? – Morgen, antwortete Merlin, werde ich funfzig Ritter erwählen, die herum sitzen sollen, niemahls aber werden diese [157] wieder fort in ihr Land, oder in ihr Haus zurückgehen wollen.

 

Ein Platz an der Tafel wurde leer gelassen, niemand als Merlin wußte warum.

 

Des andern Tages wurden funfzig Ritter erwählt, und Merlin bat sie sich an die Tafel zu setzen, zu essen und zu trinken und fröhlich zu seyn, welche Bitte sie auch gern erfüllten. Eine Stelle wurde leer gelassen, niemand aber als Merlin wußte warum. Nachdem sie während acht Tagen an dieser Tafel gesessen, und fröhlich und gutes Muths mit Essen und Trinken gewesen waren, und der König den edlen Botschaftern nebst allen Damen und Fräulein reiche Geschenke gegeben, fragte er die würdigen Ritter der Tafel, wie sie sich befänden, und wie ihnen zu Muthe sey? Sire, sagten sie, wir können nimmermehr diesen Ort nunmehr verlassen, und nie soll diese Tafel ohne dreye von uns zum wenigsten seyn. Wir wollen unsere Frauen und unsere Kinder herkommen lassen, und hier nach des Herrn Willen leben. – Ist dieß euer aller Wille? fragte der König; und sie bejaheten es. Wir sind, setzten sie hinzu, alle selber verwundert, wie dieß zugehen [158] mag, denn nie haben wir zuvor uns gesehen, oder uns gekannt, und doch lieben wir uns jetzt einander wie Vater und Sohn einander lieben; nie können wir von einander scheiden, wenn der Tod uns nicht scheidet. – Der König und alle die zugegen waren und dieß hörten, waren voller Erstaunen über dieses Wunder; auch befahl der König hierauf, daß ihnen alle Ehre wiederfahre, und daß man ihnen gehorche, und sie bediene, so wie den König selber.

So ward diese Tafel von Uterpendragon nach dem Willen und nach dem Rath Merlins errichtet.

Wohl hast du mir Wahrheit gesagt, sprach der König zu Merlin, und wohl sehe ich jetzt ein, daß es Gottes Wille ist, diese Tafel zu errichten. Jetzt aber bitte ich dich, mir zu sagen, wer auf den leeren Platz kommen soll? – Ich sage dir, daß er zu deinen Lebzeiten nicht besetzt wird, erwiederte Merlin, doch ist derjenige schon geboren, der auf diesem Platze wird sitzen. Zu der Zeit des Königs, welcher [159] nach dir regieren wird, soll er besetzt werden; noch weiß sein Erzeuger nichts davon, ihn erzeugt zu haben. Jetzt ersuche ich dich noch, daß du, so lange du lebst, alle deine großen Feste an diesem Orte feyerst, auch daß du dreymahl im Jahre offenen Hof hier hältst. Als der König ihm dieß zu halten geschworen, sprach Merlin: jetzt muß ich dich verlassen, du wirst mich in langer Zeit nicht wieder sehen. Und warum gehst du fort? fragte der König, wo willst du hingehen? wirst du nicht jedesmal hier seyn, wenn ich Hof halte? – Nein, ich werde nicht zugegen sein, denn ich will, daß die Leute an das glauben, was sie sehen werden, und nicht, daß ich die Dinge, die geschehen sollen, verrichte.

Merlin empfahl sich dem Könige und ging zum Meister Blasius nach Northumberland, dem er alles sagte, was geschehen war, der es dann in dieß Buch niederschrieb. Zwei Jahre blieb Merlin bey dem Meister Blasius, ohne daß Uterpendragon etwas von ihm hörte.

 

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