BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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[160]

Ein und zwanzigstes Kapitel.

 

Einsmals als der König und sein Hof zu Kardueil war, und die Ritter an der Tafel saßen, kam einer der Großen des Reichs, der dem Merlin im Herzen übel wollte, zum Könige; Sire, fing er an, billig muß ich mich wundern, daß ihr den leeren Platz an der Tafel nicht besetzen laßt, damit sie vollständig sey. – Merlin hat mir gesagt, antwortete der König, daß dieser Platz nicht während meiner Lebzeit besetzt werden kann, sondern daß der noch geboren werden soll, der darauf sitzen wird. Da fing der falsche verrätherische Mann an zu lachen und sprach: Sire, glaubt ihr wohl, daß es nach Euch Leute geben wird, welche mehr werth sind als Ihr? – Das weiß ich nicht, sagte der König, Merlin aber hat mir jenes gesagt. – Sire, nie wird ein Mensch mehr gelten als was er werth ist; Ihr seyd kühn [161] genug, es zu versuchen. – Nein, ich werde es sicher nicht versuchen, ich fürchte, daß Merlin darüber erzürnt. – Sire, wenn ihr also meint, daß Merlin alles weiß, so weiß er auch sicher, was wir jetzt von ihm sprechen, und alsdann kommt er sicher, wofern er noch lebt, zum künftigen Fest. Kommt er aber nicht, so bitte ich euch, Sire, um die Erlaubniß, den Platz besetzen zu dürfen, um euch von der Lüge zu überzeugen, die er euch vorgesagt; ihr werdet dann sehen, daß ich so gut als ein anderer diesen Platz ausfülle. – Ich würde es euch gern erlauben, wenn mir nicht bange wäre, den Merlin zu erzürnen. – Lebt Merlin, so kommt er sicher noch ehe ich es versuche, kommt er aber nicht, so bitte ich euch, ertheilt mir die Erlaubniß dazu. Der König gab sie ihm, und der Ritter meinte etwas großes mit dieser Erlaubniß erreicht zu haben.

Als nun das Pfingstfest kam, begab der König sich wieder mit allen Edeln, Rittern und dem ganzen Volk nach Kardueil. Merlin wußte sehr genau was vorging, sagte es auch [162] dem Meister Blasius. Ich werde nicht zur Hofhaltung hingehen, sagte er, sondern sie versuchen lassen, was sie wollen, damit sie selber die Wichtigkeit und Würde des leeren Platzes und meiner Worte inne werden. Denn was sie nicht sehen, das glauben sie nicht, und komme ich hin, so meinen sie durch mich gestört zu seyn, und glauben, ich sey Schuld an dem, was sich ereignen wird. Funfzehn Tage nach dem Pfingstfeste aber will ich zum Könige gehen.

Der Ritter, welcher versuchen wollte, sich auf den leergelassenen Platz zu setzen, sprengte das Gerücht aus, Merlin sey todt, ein Bauer habe ihn im Walde erschlagen, weil er ihn für einen Wilden gehalten. Der König glaubte endlich dem Gerücht, weil Merlin so lange ausblieb; auch hielten die andern dafür, daß er wohl todt seyn müsse, weil man sonst dergleichen Proben nicht anstellen dürfe.

Die funfzig Ritter saßen nunmehr um die Tafel, in Gegenwart einer großen Menge Fürsten, Herren, Damen und Fräulein, als der Ritter kam, der sich auf den leeren Platz setzen [163] wollte, und mit keckem Muthe rief: Ihr Herren, ich komme, um euch Gesellschaft zu leisten! Die Ritter an der Tafel antworteten ihm nicht, sondern sahen demüthig und still jeder vor sich nieder; auch der König sagte ihm nichts, sondern alle waren erwartungsvoll, was geschehen würde. Der Ritter setzte sich, und streckte beyde Beine unter die Tafel; in dem Augenblick versank er unter die Erde, wie ein Stück Bley, das ins Wasser fällt und nicht wieder zum Vorschein kommt. Voll Entsetzen sah der König und alles Volk dieses Wunder! Man durchsuchte jeden Fleck unter dem Tisch, aber man fand nicht die mindeste Spur, weder von dem Ritter, noch von der Art, wie er untersank. Der Hof und das ganze Volk gerieth in Schrecken, besonders war der König in Leid versenkt, daß er solche Probe zugegeben und sich dazu verführen lassen, da doch Merlin ihm gesagt, der sey noch nicht geboren, dem dieser Platz bestimmt worden.

 

Merlin machte dem König Vorwürfe

 

Am funfzehnten Tage nach Pfingsten kam Merlin an den Hof, und der König ging ihm [164] entgegen. Merlin machte ihm Vorwürfe wegen dessen, was er hatte geschehen lassen. – Er hat mich betrogen, entgegnete der König. – So geht es vielen, antwortete Merlin, sie meynen andre zu betrügen, und betrügen am meisten sich selber. Du sieht nun ein, daß du betrogen bist, weil du es sieht; aber warum glaubtest du ihm? deßwegen wurdest du mit Recht bestraft. Hüte dich ferner, daß du diesen Versuch nicht anstellst und auch nicht anstellen läßt, denn ich sage dir, viel Uebel würde daraus entstehen. Denn dieser Platz an der Tafel ist von sehr großer Bedeutung; es ist ein würdiger Platz, und ein hohes Gut für das ganze Königreich. – Der König fragte ihn nachher, ob er ihm nicht sagen könne, was aus dem Ritter geworden und wo er hingekommen sey? Darum bekümmere dich nicht, antwortete Merlin, es geht dich nichts an, und du wirst um nichts besser, wenn du es weißt. Laß es nur deine Sorge seyn, die, welche an der Tafel sitzen, recht zu ehren und hochzuhalten, wie auch die vier Feste jährlich daselbst zu [165] feiern, und alles so zu halten und nichts zu verändern, wie ich es eingesetzt habe. Der König versprach ihm, von nun an alles unverrückt zu erhalten bis an seinen Tod. Darauf nahm Merlin wieder von ihm Abschied, und ging zum Meister Blasius zurück.

 

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