BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Vier und zwanzigstes Kapitel.

 

Der König zog mit seinem Heere nach dem Lande des Herzogs von Tintayol

 

Der König zog mit seinem Heere nach dem Lande des Herzogs von Tintayol, und nahm alle Städte, Dörfer und Burgen, wo er durchzog, ohne Widerstand ein. Hier erfuhr er, daß Dame Yguerne zu Tintayol geblieben, der Herzog aber zur Vertheidigung einer andern Burg gezogen sey; er versammelte also seinen Rath und fragte, ob er besser thäte erst Tintayol zu erobern, und alsdann das andre Schloß, oder ob er erst den Herzog daselbst belagern solle? Seine Räthe waren alle der Meinung, er müsse erst den Herzog in seinem [183] festen Schlossse belagern; wenn er ihn selber erst in seiner Gewalt habe, so würde alles übrige von selbst kommen. Der König mußte diesen Gründen nachgeben, zog mit seinem Heere vor das feste Schloß, und belagerte den Herzog. Als er nun vor dem Schloße lag, sagte er heimlich zu Ulsius: was wird aus mir, so ich nicht Yguerne sehe? – Sire, erwiederte Ulsius, ihr müßt jetzt Geduld haben: denkt darauf den Herzog zu bezwingen, so sind dann alle eure Wünsche erfüllt. Ihr würdet eure Gesinnungen zu früh verrathen haben, wenn ihr gleich zuerst nach Tintayol gezogen wäret, ohne erst den Herzog zu belagern, also faßt euch, und seyd gutes Muthes. – Die Belagerung ward mit großer Hitze betrieben, und mancher Sturm auf das feste Schloß gelaufen; der Herzog aber vertheidigte sich tapfer, so daß die Belagerung sehr lange dauerte, worüber der König sehr mißmuthig war, denn er erkrankte ganz in Sehnsucht nach Yguerne.

Als er eines Tages traurig in einem Zelte saß, überfiel ihn eine solche Schwermuth, daß [184] er heftig anfing zu weinen; und da seine Leute ihn so weinen sahen, entfernten sie sich erschrocken aus seinem Zelte, und ließen ihn allein mit Ulsius. – Warum weint mein König? fragte er ihn mitleidig. – Ach! Ulsius, sprach der König, ich sterbe vor Sehnsucht nach Yguerne! Ja der Tod ist mir gewiß, schon habe ich Eßlust und Trinklust verloren, und in der Nacht finde ich keine Ruhe mehr, weil der Schlaf mich flieht; und kein Mittel sehe ich, wie mir Heilung würde! – Faßt Muth, mein König, ihr sterbt sicherlich nicht aus Liebe für eine Frau! Wenn ihr doch den Merlin haben könntet, fuhr er fort, laßt ihn aufsuchen, vielleicht gibt er euch guten Rath. – Gewiß weiß Merlin, was ich leide, sprach der König, aber ich habe ihn erzürnt, als ich den leeren Platz an der Tafelrunde versuchen ließ, und nun läßt er mich nichts von sich hören; auch glaube ich, findet er es wohl übel von mir gethan, daß ich für Dame Yguerne in Liebe entbrannt bin, denn ich sollte wohl nicht begehren das Weib meines Unterthanen, meines [185] Lehnsmannes. Es ist Sünde, das weiß ich wohl; und dennoch muß ich sie begehren, ich bin nicht Schuld daran, kann mich dessen doch nicht erwehren. – Ich bin gewiß, sagte Ulsius, Merlin liebt euch so sehr, daß er nicht ausbleiben wird, wofern ihm euer Leid und euer Schmerz bekannt ist, sondern er kommt gewiß, und bringt Trost für euch. Faßt nur Muth, mein König, habt nur noch Geduld, seyd etwas fröhlicher, versucht euch mit guten Speisen und Getränken zu stärken, laßt eure Barone oft um euch seyn, und vertreibt euch in ihrer Gesellschaft auf eine ergötzliche Weise die Zeit, damit ihr in etwas euer Leid vergessen möget! – Gern thue ich, was du mir sagst, antwortete ihm der König, doch werde ich nicht meine Liebe, und nicht mein Leiden vergessen können.

 

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