BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Gotthilf Heinrich Schubert

1780 - 1860

 

Fragmente aus einer Vorlesung

 

Erschienen in Kleists «Phöbus»,

Viertes und Fünftes Stück, S. 67-68, 1808

Quelle: Faksimileausgabe des Phoebus

(Universitätsbibliothek Bielefeld)

 

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Fragmente aus einer Vorlesung.

 

– – Unter die merkwürdigsten Fälle von sogenannten Menschen-Versteinerungen gehört wohl der, dessen Hülpher, Cronstädt und die schwedischen gelehrten Tagebücher gedenken. Auch hier zerfiel ein dem Anscheine nach in festen Stein verwandelter Leichnam nach wenig Jahren in eine Art von Asche, obgleich man ihn unter einem Glasschrank vor dem Zutritt der Luft zu verwahren gesucht. Man fand diesen ehemaligen Bergmann, in der schwedischen Eisengrube zu Falun, als zwischen zween Schachten ein Durchschlag versucht wurde. Der Leichnam, ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, war anfangs weich, wurde aber, sobald man ihn an die Luft gebracht, so hart wie Stein. Funfzig Jahre hatte derselbe in einer Tiefe von mehr als 200 Ellen, in dem Vitriolwasser jener Grube gelegen, und niemand hätte die noch unveränderten Gesichtszüge des verunglückten Jünglings erkannt, niemand die Zeit, seit welcher er in dem Schachte gelegen, gewußt, hätte nicht das Andenken der ehemals geliebten Züge, eine alte treue Liebe bewahrt. Denn als um den kaum hervorgezogenen Leichnam das Volk, die unbekannten jugendlichen Gesichtszüge betrach-{68}tend, steht, da kömmt an Krücken und mit grauem Haar ein altes Mütterchen, mit Thränen über den geliebten Todten, der ihr verlobter Bräutigam gewesen, hinsinkend, die Stunde segnend, da ihr noch an den Pforten des Grabes ein solches Wiedersehen gegönnt war, und das Volk sahe mit Verwunderung die Wiedervereinigung dieses seltnen Paares, davon das Eine, im Tode und in tiefer Gruft, das jugendliche Aussehen; das Andre, bei dem Verwelken und Veralten des Leibes die jugendliche Liebe, treu und unverändert erhalten hatte, und wie bei der funfzig-jährigen goldnen Hochzeit, der noch jugendliche Bräutigam starr und kalt, die alte und graue Braut voll warmer Liebe gefunden wurde. – –

 

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– – Nicht allein die nördliche Welt wie besonders von Sibirien, dem nördlichsten America und Island bekannt ist, verbirgt unter ihren obersten Gebirgsschichten die Überreste einer ungemein üppigen Thier- und Pflanzenwelt, deren Geschlechter jetzt zwischen den Wendekreisen leben, sondern auch nach dem Südpol hin muß vor Zeiten das Land von üppiger Vegetazion und einer reichen Thierwelt geschmückt gewesen sein. Zwar kennt man die Versteinerungen des Feuerlandes und der angränzenden Gegenden noch nicht, man hat aber fast auf jeder Seereise in dieses Klima, die schwarzen und kahlen Klippen jener Wildniß, von häufigem vulcanischen Feuer rauchen sehen, und das zerspaltene, jähe Aussehen der Felsen, spricht von einer langen Arbeit der Vulcane. Dieses Eyland scheint mithin an Brennmaterialien und an Fülle der Vorräthe, die aus einer frühern Vegetazion erhalten sind, Island mit seinen unterirdischen Palmenwäldern nichts nachzugeben. So wetteiferten einst Gegenden, in denen jetzt kaum Zwerggebüsche aus dem fast immer gefrornen Boden hervorwachsen, an Üppigkeit mit den fruchtbarsten Ländern der Wendekreise.

Der Mensch allein, wenn die Wesen aller Art der veränderten Welt entfliehen, und die ganze lebendige Natur sich zum Hinwegziehen rüstet, bleibt noch zuletzt auf den einsamen Trümmern zurück, weil die Liebe und alte Anhänglichkeit des Gemüths, die starren Felsen verschönern. Andre Wesen sehen die Welt nur in ihrem natürlichen Reiz, der Geist des Menschen fügt diesem noch einen neuen Schimmer hinzu. So ist jetzt jene nordische Nachtigall, deren einfach klagende Töne die Reisenden früherer Jahrhunderte beschrieben, sammt den dunkelgrünen Wäldern und den Rosenlauben aus Island verschwunden. Auf ödem Gebirge, welchem der Sommer jetzt kein grünes Laub, sondern nur Gras und Blumen zurück bringt, singt der Mensch, noch immer fröhlich, den allgemeinen Verfall nicht bemerkend, die alten Lieder seiner Väter, von jenen anjetzt verschwundenen Lauben, dem tiefen Grün und dem Gesang der Nachtigall.

 

Dr. G. H. Schubert.