BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Fünftes Abenteuer

 

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Wie Siegfried Kriemhilden zuerst ersah.

 

270

Man sah die Helden täglich | nun reiten an den Rhein,

Die bei dem Hofgelage | gerne wollten sein

Und den Königen zu Liebe | kamen in das Land.

Man gab ihrer Vielen | beides, Ross und Gewand.

271

Es war auch das Gestühle | allen schon bereit,

Den Höchsten und den Besten, | so hörten wir Bescheid,

Zweiunddreißig Fürsten | zu dem Hofgelag:

Da zierten um die Wette | sich die Frauen für den Tag.

272

Gar geschäftig sah man | Geiselher das Kind.

Die Heimischen und Fremden | empfieng er holdgesinnt

Mit Gernot seinem Bruder | und beider Mannen da.

Wohl grüßten sie die Degen, | wie es nach Ehren geschah.

273

Viel goldrother Sättel | führten sie ins Land,

Zierliche Schilde | und herrlich Gewand

Brachten sie zu Rheine | bei dem Hofgelag.

Mancher Ungesunde | hieng der Freude wieder nach.

274

Die wund zu Bette liegend | vordem gelitten Noth,

Die durften nun vergeßen, | wie bitter sei der Tod;

Die Siechen und die Kranken | vergaß man zu beklagen.

Es freute sich ein Jeder | entgegen festlichen Tagen:

275

Wie sie da leben wollten | in gastlichem Genuß!

Wonnen ohne Maßen, | der Freuden Ueberfluß

Hatten alle Leute, | so viel man immer fand:

Da hub sich große Wonne | über Gunthers ganzes Land.

276

An einem Pfingstmorgen | sah man sie alle gehn

Wonniglich gekleidet, | viel Degen ausersehn,

Fünftausend oder drüber, | dem Hofgelag entgegen.

Da hub um die Wette | sich viel Kurzweil allerwegen.

277

Der Wirth hatt im Sinne, | was er schon längst erkannt,

Wie von ganzem Herzen | der Held von Niederland

Seine Schwester liebe, | sah er sie gleich noch nie,

Der man das Lob der Schönheit | vor allen Jungfrauen lieh.

278

Er sprach: «Nun rathet Alle, | Freund oder Unterthan,

Wie wir das Hofgelage | am besten stellen an,

Daß man uns nicht schelte | darum nach dieser Zeit;

Zuletzt doch an den Werken | liegt das Lob, das man uns beut.»

279

Da sprach zu dem Könige | von Metz Herr Ortewein:

«Soll dieß Hofgelage | mit vollen Ehren sein,

So laßt eure Gäste | die schönen Kinder sehn,

Denen so viel Ehren | in Burgundenland geschehn.

280

«Was wäre Mannes Wonne, | was freut' er sich zu schaun,

Wenn nicht schöne Mägdelein | und herrliche Fraun?

Drum laßt eure Schwester | vor die Gäste gehn.»

Der Rath war manchem Helden | zu hoher Freude geschehn.

281

«Dem will ich gerne folgen,» | der König sprach da so.

Alle, die's erfuhren, | waren darüber froh.

Er entbot es Frauen Uten | und ihrer Tochter schön,

Daß sie mit ihren Maiden | hin zu Hofe sollten gehn.

282

Da ward aus den Schreinen | gesucht gut Gewand,

So viel man eingeschlagen | der lichten Kleider fand,

Der Borten und der Spangen; | des lag genug bereit.

Da zierte sich gar minniglich | manche waidliche Maid.

283

Mancher junge Recke | wünschte heut so sehr,

Daß er wohlgefallen | möchte den Frauen hehr,

Das er dafür nicht nähme | ein reiches Königsland:

Sie sahen die gar gerne, | die sie nie zuvor gekannt.

284

Da ließ der reiche König | mit seiner Schwester gehn

Hundert seiner Recken, | zu ihrem Dienst ersehn

Und dem ihrer Mutter, | die Schwerter in der Hand:

Das war das Hofgesinde | in der Burgunden Land.

285

Ute die reiche | sah man mit ihr kommen,

Die hatte schöner Frauen | sich zum Geleit genommen

Hundert oder drüber, | geschmückt mit reichem Kleid.

Auch folgte Kriemhilden | manche waidliche Maid.

286

Aus einer Kemenate | sah man sie alle gehn:

Da muste heftig Drängen | von Helden bald geschehn,

Die alle harrend standen, | ob es möchte sein,

Daß sie da fröhlich sähen | dieses edle Mägdelein.

287

Da kam die Minnigliche, | wie das Morgenroth

Tritt aus trüben Wolken. | Da schied von mancher Noth,

Der sie im Herzen hegte, | was lange war geschehn.

Er sah die Minnigliche | nun gar herrlich vor sich stehn.

288

Von ihrem Kleide leuchtete | mancher edle Stein;

Ihre rosenrothe Farbe | gab wonniglichen Schein.

Was Jemand wünschen mochte, | er muste doch gestehn,

Daß er hier auf Erden | noch nicht so Schönes gesehn.

289

Wie der lichte Vollmond | vor den Sternen schwebt,

Des Schein so hell und lauter | sich aus den Wolken hebt,

So glänzte sie in Wahrheit | vor andern Frauen gut:

Das mochte wohl erhöhen | den zieren Helden den Muth.

290

Die reichen Kämmerlinge | schritten vor ihr her;

Die hochgemuthen Degen | ließen es nicht mehr:

Sie drängten, daß sie sähen | die minnigliche Maid.

Siegfried dem Degen | war es lieb und wieder leid.

291

Er sann in seinem Sinne: | «Wie dacht ich je daran,

Daß ich dich minnen sollte? | das ist ein eitler Wahn;

Soll ich dich aber meiden, | so wär ich sanfter todt.»

Er ward von Gedanken | oft bleich und oft wieder roth.

292

Da sah man den Sigelindensohn | so minniglich da stehn,

Als wär er entworfen | auf einem Pergamen

Von guten Meisters Händen: | gern man ihm zugestand,

Daß man nie im Leben | so schönen Helden noch fand.

293

Die mit Kriemhilden giengen, | die hießen aus den Wegen

Allenthalben weichen: | dem folgte mancher Degen.

Die hochgetragnen Herzen | freute man sich zu schaun:

Man sah in hohen Züchten | viel der herrlichen Fraun.

294

Da sprach von Burgunden | der König Gernot:

«Dem Helden, der so gütlich | euch seine Dienste bot,

Gunther, lieber Bruder, | dem bietet hier den Lohn

Vor allen diesen Recken: | des Rathes spricht man mir nicht Hohn.

295

«Heißet Siegfrieden | zu meiner Schwester kommen,

Daß ihn das Mägdlein grüße: | das bringt uns immer Frommen:

Die niemals Recken grüßte, | soll sein mit Grüßen pflegen,

Daß wir uns so gewinnen | diesen zierlichen Degen.»

296

Des Wirthes Freunde giengen dahin, | wo man ihn fand;

Sie sprachen zu dem Recken | aus dem Niederland:

«Der König will erlauben, | ihr sollt zu Hofe gehn,

Seine Schwester soll euch grüßen: | die Ehre soll euch geschehn.»

297

Der Rede ward der Degen | in seinem Muth erfreut:

Er trug in seinem Herzen | Freude sonder Leid,

Daß er der schönen Ute | Tochter sollte sehn.

In minniglichen Züchten | empfieng sie Siegfrieden schön.

298

Als sie den Hochgemuthen | vor sich stehen sah,

Ihre Farbe ward entzündet; | die Schöne sagte da:

«Willkommen, Herr Siegfried, | ein edler Ritter gut.»

Da ward ihm von dem Gruße | gar wohl erhoben der Muth.

299

Er neigte sich ihr minniglich, | als er den Dank ihr bot.

Da zwang sie zu einander | sehnender Minne Noth;

Mit liebem Blick der Augen | sahn einander an

Der Held und auch das Mägdelein; | das ward verstohlen gethan.

300

Ward da mit sanftem Drucke | geliebkost weiße Hand

In herzlicher Minne, | das ist mir unbekannt.

Doch kann ich auch nicht glauben, | sie hättens nicht gethan.

Liebebedürftige Herzen | thäten Unrecht daran.

301

Zu des Sommers Zeiten | und in des Maien Tagen

Durft er in seinem Herzen | nimmer wieder tragen

So viel hoher Wonne, | als er da gewann,

Da die ihm an der Hand gieng, | die der Held zu minnen sann.

302

Da gedachte mancher Recke: | «Hei! wär mir so geschehn,

Daß ich so bei ihr gienge, | wie ich ihn gesehn,

Oder bei ihr läge! | das nähm ich willig hin.»

Es diente nie ein Recke | so gut noch einer Königin.

303

Aus welchen Königs Landen | ein Gast gekommen war,

Er nahm im ganzen Saale | nur dieser beiden wahr.

Ihr ward erlaubt zu küssen | den waidlichen Mann:

Ihm ward in seinem Leben | nie so Liebes gethan.

304

Von Dänemark der König | hub an und sprach zur Stund:

«Des hohen Grußes willen | liegt gar Mancher wund,

Wie ich wohl hier gewahre, | von Siegfriedens Hand:

Gott laß ihn nimmer wieder | kommen in der Dänen Land.»

305

Da hieß man allenthalben | weichen aus den Wegen

Kriemhild der Schönen; | manchen kühnen Degen

Sah man wohlgezogen | mit ihr zur Kirche gehn.

Bald ward von ihr geschieden | dieser Degen ausersehn.

306

Da gieng sie zu dem Münster | und mit ihr viel der Fraun.

Da war in solcher Zierde | die Königin zu schaun,

Daß da hoher Wünsche | mancher ward verloren;

Sie war zur Augenweide | viel der Recken auserkoren.

307

Kaum erharrte Siegfried, | bis schloß der Messgesang;

Er mochte seinem Heile | des immer sagen Dank,

Daß ihm so gewogen war, | die er im Herzen trug:

Auch war er der Schönen | nach Verdiensten hold genug.

308

Als sie aus dem Münster | nach der Messe kam,

Lud man wieder zu ihr | den Helden lobesam.

Da begann ihm erst zu danken | die minnigliche Maid,

Daß er vor allen Recken | so kühn gefochten im Streit.

309

«Nun lohn euch Gott, Herr Siegfried,» | sprach das schöne Kind,

«Daß ihr das verdientet, | daß euch die Recken sind

So hold mit ganzer Treue, | wie sie zumal gestehn.»

Da begann er Frau Kriemhilden | minniglich anzusehn.

310

«Stäts will ich ihnen dienen,» | sprach Stegfried der Degen,

«Und will mein Haupt nicht eher | zur Ruhe niederlegen,

Bis ihr Wunsch geschehen, | so lang mein Leben währt:

Das thu ich, Frau Kriemhild, | daß ihr mir Minne gewährt.»

311

Innerhalb zwölf Tagen, | so oft es neu getagt,

Sah man bei dem Degen | die wonnigliche Magd,

So sie zu Hofe durfte | vor ihren Freunden gehn.

Der Dienst war dem Recken | aus großer Liebe geschehn.

312

Freude und Wonne | und lauten Schwerterschall

Vernahm man alle Tage | vor König Gunthers Saal,

Davor und darinnen | von manchem kühnen Mann.

Von Ortwein und Hagen | wurden Wunder viel gethan.

313

Was man zu üben wünschte, | dazu sah man bereit

In völligem Maße | die Degen kühn im Streit.

Da machten vor den Gästen | die Recken sich bekannt;

Es war eine Zierde | König Gunthers ganzem Land.

314

Die lange wund gelegen, | wagten sich an den Wind:

Sie wollten kurzweilen | mit des Königs Ingesind,

Schirmen mit den Schilden | und schießen manchen Schaft.

Des halfen ihnen Viele; | sie hatten größliche Kraft.

315

Bei dem Hofgelage | ließ sie der Wirth verpflegen

Mit der besten Speise; | es durfte sich nicht regen

Nur der kleinste Tadel, | der Fürsten mag entstehn;

Man sah ihn jetzo freundlich | hin zu seinen Gästen gehn.

316

Er sprach: «Ihr guten Recken, | bevor ihr reitet hin,

So nehmt meine Gaben: | also fleht mein Sinn,

Ich will euch immer danken; | verschmäht nicht mein Gut:

Es unter euch zu theilen | hab ich willigen Muth.»

317

Die vom Dänenlande | sprachen gleich zur Hand:

«Bevor wir wieder reiten | heim in unser Land,

Gewährt uns stäten Frieden: | das ist uns Recken noth;

Uns sind von euern Degen | viel der lieben Freunde todt.»

318

Genesen von den Wunden | war Lüdegast derweil;

Der Vogt des Sachsenlandes | war bald vom Kampfe heil.

Etliche Todte | ließen sie im Land.

Da gieng der König Gunther | hin, wo er Siegfrieden fand.

319

Er sprach zu dem Recken: | «Nun rath mir, wie ich thu.

Unsre Gäste wollen | reiten morgen fruh

Und gehn um stäte Sühne | mich und die Meinen an:

Nun rath, kühner Degen, | was dich dünke wohlgethan.

320

«Was mir die Herrn bieten, | das will ich dir sagen:

Was fünfhundert Mähren | an Gold mögen tragen,

Das bieten sie mir gerne | für ihre Freiheit an.»

Da sprach aber Siegfried: | «Das wär übel gethan.

321

«Ihr sollt sie beide ledig | von hinnen laßen ziehn;

Nur daß die edeln Recken | sich hüten fürderhin

Vor feindlichem Reiten | her in euer Land,

Laßt euch zu Pfande geben | der beiden Könige Hand.»

322

«Dem Rathe will ich folgen.» | So giengen sie hindann.

Seinen Widersachern | ward es kundgethan,

Des Golds begehre Niemand, | das sie geboten eh.

Daheim den lieben Freunden | war nach den heermüden weh.

323

Viel Schilde schatzbeladen | trug man da herbei:

Das theilt' er ungewogen | seinen Freunden frei,

An fünfhundert Marken | und Manchem wohl noch mehr;

Gernot rieth es Gunthern, | dieser Degen kühn und hehr.

324

Um Urlaub baten alle, | sie wollten nun hindann.

Da kamen die Gäste | vor Kriemhild heran

Und dahin auch, wo Frau Ute | saß, die Königin.

Es zogen nie mehr Degen | so wohl beurlaubt dahin.

325

Die Herbergen leerten sich, | als sie von dannen ritten. |

Doch verblieb im Lande | mit herrlichen Sitten

Der König mit den Seinen | und mancher edle Mann:

Die giengen alle Tage | zu Frau Kriemhild heran.

326

Da wollt auch Urlaub nehmen | Siegfried der gute Held,

Verzweifelnd zu erwerben, | worauf sein Sinn gestellt.

Der König hörte sagen, | er wolle nun hindann:

Geiselher der junge | ihn von der Reise gewann.

327

«Wohin, edler Siegfried, | wohin reitet ihr?

Hört meine Bitte, | bleibt bei den Recken hier,

Bei Gunther dem König | und bei seinem Lehn:

Hier sind viel schöne Frauen, | die läßt man euch gerne sehn.»

328

Da sprach der starke Siegfried: | «So laßt die Rosse stehn.

Von hinnen wollt ich reiten, | das laß ich mir vergehn.

Tragt auch hinweg die Schilde: | wohl wollt ich in mein Land:

Davon hat mich Herr Geiselher | mit großen Treuen gewandt.»

329

So verblieb der Kühne | dem Freund zu Liebe dort.

Auch wär ihm in den Landen | an keinem andern Ort

So wohl als hier geworden: | daher es nun geschah,

Daß er alle Tage | die schöne Kriemhild ersah.

330

Ihrer hohen Schönheit willen | der Degen da verblieb.

Mit mancher Kurzweile | man nun die Zeit vertrieb;

Nur zwang ihn ihre Minne, | die schuf ihm oftmals Noth;

Darum hernach der Kühne | lag zu großem Jammer todt.