BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Vierunddreißigstes Abenteuer

 

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Wie sie die Todten aus dem Saale warfen.

 

2116

Da setzten sich aus Müdigkeit | die Herrn und ruhten aus.

Volker und Hagen | die giengen vor das Haus

Ueber den Schild sich lehnend | in ihrem Uebermuth:

Da pflagen launger Reden | diese beiden Helden gut.

2117

Da sprach von Burgunden | Geiselher der Degen:

«Noch dürft ihr, lieben Freunde, | nicht der Ruhe pflegen:

Ihr sollt erst die Todten | aus dem Hause tragen.

Wir werden noch bestanden, das will ich wahrlich euch sagen.

2118

«Sie sollen untern Füßen | uns hier nicht länger liegen,

bevor im Sturm die Heunen | mögen uns besiegen,

Wir haun noch manche Wunde, | die gar sanft mir thut.

Des hab ich,» sprach da Geiselher, | «einen willigen Muth.»

2119

«O wohl mir solches Herren,» | sprach Hagen entgegen.

«Der Rath geziemte Niemand | als einem solchen Degen,

Wie unsern jungen Herren | wir heute hier gesehn:

Ihr Burgunden möget | all darob in Freuden stehn.

2120

Da folgten sie dem Rathe | und trugen vor die Thür

Siebentausend Todte, | die warfen sie dafür.

Vor des Saales Stiege | fielen sie zu Thal:

Da erhoben ihre Freunde | mit Jammern kläglichen Schall.

2121

Auch war darunter Mancher | nur so mäßig wund,

Käm ihm sanftre Pflege, | er würde noch gesund;

Doch von dem hohen Falle | fand er nun den Tod.

Das klagten ihre Freunde; | es zwang sie wahrhafte Noth.

2122

Da sprach der Fiedelspieler, | der Degen unverzagt:

«Nun seh ich wohl, sie haben | mir Wahrheit gesagt:

Die Heunen sind feige, | sie klagen wie ein Weib,

Da sie nun pflegen sollten | der Schwerverwundeten Leib.»

2123

Da mocht ein Markgraf wähnen, | er meint es ernst und gut:

Ihm war der Vettern Einer | gefallen in das Blut;

Den dacht' er wegzutragen | und wollt ihn schon umfahn:

Da schoß ob ihm zu Tode | den der kühne Spielmann.

2124

Als das die Andern sahen, | sie flohen von dem Saal.

Dem Spielmann zu fluchen | begannen sie zumal.

Einen Sper hob Volker | vom Boden, scharf und hart,

Der von einem Heunen | zu ihm hinauf geschoßen ward.

2125

Den schoß er durch den Burghof | zurück kräftiglich

Ueber ihre Häupter. | Das Volk Etzels wich

Erschreckt von dem Wurfe | weiter von dem Haus.

Vor seinen Kräften hatten | alle Leute Schreck und Graus,

2126

Da stand vor dem Hause | Etzel mit manchem Mann.

Volker und Hagen | huben zu reden an

Mit dem Heunenkönig | nach ihrem Uebermuth.

Das schuf bald große Sorge | diesen Helden kühn und gut.

2127

«Wohl wär es,» sprach da Hagen, | «des Volkes Trost im Leid,

Wenn die Herren föchten | allen voran im Streit,

Wie von meinen Herren | hier Jeglicher thut:

Die hauen durch die Helme,|daß von den Schwertern fließt das Blut.»

2128

So kühn war König Etzel, | er faßte seinen Schild.

«Nun hütet eures Lebens,» | sprach da Kriemhild,

«Und bietet Gold den Recken | auf dem Schildesrand,

Denn erreicht euch Hagen, | ihr habt den Tod an der Hand.»

2129

So kühn war der König, | er ließ nicht vom Streit,

Wozu so mächtge Fürsten | nun selten sind bereit.

Man must ihn bei den Riemen | des Schildes ziehn hindann.

Hagen der grimme | ihn mehr zu höhnen begann:

2130

«Eine nahe Sippe war es,» | sprach Hagen gleich zur Hand,

«Die Etzeln zusammen | und Siegfried verband:

Er minnte Kriemhilden, | eh sie gesehen dich:

Feiger König Etzel, | warum räthst du wider mich?»

2131

Diese Rede hörte | die edle Königin,

Darüber ward unmuthig | Kriemhild in ihrem Sinn,

Daß er sie schelten durfte | vor manchem Etzelsmann.

Wider die Gäste | hub sie aufs Neu zu werben an.

2132

Sie sprach: «Wer von Tronje | den Hagen mir schlüge

Und sein Haupt als Gabe | her vor mich trüge,

Mit rothem Golde füllt' ich | ihm Etzels Schildesrand;

Auch gäb ich ihm zum Lohne | viel gute Burgen und Land.»

2133

«Ich weiß nicht, was sie zaudern,» | sprach der Fiedelmann.

«Nie sah ich, daß Helden | so verzagt gethan,

Wo man bieten hörte | also reichen Sold.

Wohl sollt ihnen Etzel | nimmer wieder werden hold.

2134

«Die hier mit Schimpf und Schanden | eßen des Königs Brot

Und jetzt im Stich ihn laßen | in der größten Noth,

Deren seh ich Manchen | so recht verzagt da stehn

Und thun doch so verwegen: | sie können nie der Schmach entgehn.»

2135

Der mächtige Etzel hatte | Jammer und Noth:

Er beklagte seiner Mannen | und Freunde bittern Tod.

Von manchen Landen standen | ihm Recken viel zur Seit

Und weinten mit dem König | sein gewaltiges Leid.

2136

Darob begann zu spotten | der kühne Volker:

«Ich seh hier übel weinen | gar manchen Recken hehr.

Sie helfen schlecht dem König | in seiner großen Noth.

Wohl eßen sie mit Schanden | nun schon lange hier sein Brot.»

2137

Da gedachten wohl die Besten: | «Wahr ists, was Volker sagt.»

Von Niemand doch von allen | ward es so schwer beklagt

Als von Markgraf Iring, | dem Herrn aus Dänenland,

Was sich nach kurzer Weite | wohl nach der Wahrheit befand.