BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adalbert Stifter

1805 - 1868

 

Der Nachsommer

 

Erster Band

 

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5. Der Abschied

 

Ich saß noch eine geraume Zeit unter dem Baume und legte mir zurecht, was ich gesehen und vernommen. Die Bienen summten in dem Baume, und die Vögel sangen in dem Garten. Das Haus, in welches der alte Mann gegangen war, blickte mit einzelnen Theilen, sei es von der weißen Wand, sei es von dem Ziegeldache durch das Grün der Bäume herüber, und zu meiner Rechten ging jenseits der Gebüsche, in der Gegend, in welcher ich das Schreinerhaus vermuthete, ein dünner Rauch in die Luft empor. Das Singen der Vögel und das Summen der Bienen war mir beinahe eine Stille, da ich durch meine Gebirgswanderungen an solche andauernde Laute gewohnt war. Die Stille wurde unterbrochen durch einzelne Laute, welche von den Arbeitern im Garten herrührten, entweder daß man das Quieken einer Pumpe hörte, mit der man Wasser pumpte, und mittelst Rinnen in eine Tonne leitete, um es abends zum Begießen zu verwenden, oder daß eine menschliche Rede ferner oder näher erscholl, die einen Befehl oder eine Auskunft enthielt. Die verschiedenen Flecke des Himmels, welche durch das Grün der Bäume hereinsahen, waren ganz blau und zeigten, wie sehr mein Gastfreund mit seiner Voraussage des schönen Wetters Recht gehabt hatte.

Ich riß mich endlich aus meinen Gedanken und ging in dem Garten empor.

Ich ging zu dem großen Kirschbaume. Ich suchte das Freie, weil ich in dem Garten wegen der beschränkten Aussicht doch nicht einen genauen Überblick in Hinsicht der Witterungsverhältnisse machen konnte. Hier oben stand der Himmel als eine große, ausgedehnte Glocke über mir, und in der ganzen Glocke war kein einziges Wölklein. Das Hochgebirge, welches wir gestern nicht hatten sehen können, stand heute in seiner ganzen Klarheit an der Länge des südlichen Himmels dahin. Vor ihm waren die Vorlande mit manchen weißen Punkten von Kirchen und Dörfern, näher zu mir zeigte sich mancher Thurm von einer Ortschaft, die ich kannte, und unter meinen Füßen ruhten der Garten und das Haus, in welchem ich gestern so freundlich aufgenommen worden war. Die Getreide, welche nicht weit von mir hinter der Planke des Gartens standen, und die gestern ganz ruhig gewesen waren, befanden sich heute in einem zwar schwachen, aber fröhlichen Wogen. Ich mußte denken, daß das Wetter nicht nur jezt so schön sei, sondern daß es noch lange so schön bleiben werde.

Von dem großen Kirschbaume ging ich wieder in den Garten zurück und betrachtete verschiedene Gegenstände.

Ich ging auch noch einmal in das Gewächshaus. Ich konnte nun Manches genauer ansehen, als es mir früher möglich gewesen war, da ich mit meinem Begleiter das Haus gleichsam nur durchschritten hatte. Der weiße Gärtner gesellte sich zu mir, erläuterte mir Manches, gab mir über Verschiedenes Auskunft und beantwortete bereitwillig alle meine Fragen, wie weit seine Kenntnisse und seine Übersicht es zuließen. Als ich das Gebäude verlassen wollte, sagte er mir, er wolle mir noch etwas zeigen, was der Herr mir zu zeigen vergessen habe. Er führte mich auf einen Plaz, der mit Sand bedeckt war, der von allen Seiten der Sonne zugänglich und doch durch Bäume und Gebüsche, die ihn in einer gewissen Entfernung umgaben, vor heftigen Winden geschüzt war. Mitten auf dem Plaze stand ein kleines gläsernes Haus, welches zum Theile in der Erde steckte. Dieser Umstand und dann der, daß es von Bäumen umringt war, machten, daß ich es früher nicht wahrgenommen hatte. Als wir näher kamen, sah ich, daß es ganz von Glas sei und nur so viel Gerippe habe, als sich zur Festigkeit der Tafeln nothwendig zeige. Es war auch mit einem starken eisernen Gitter, wahrscheinlich des Hagels wegen, umspannt. Als wir die einigen Stufen von der Fläche des Gartens in das Innere hinabgestiegen waren, sah ich, daß sich Pflanzen in dem Hause befanden, und zwar nur eine einzige Gattung, nehmlich lauter Cactus. Mehr als hundert Arten standen in Tausenden von kleinen Töpfen da. Die niederen und runden standen frei, die langen, welche Luftwurzeln treiben, hatten Wände von Baumrinden neben sich, die mit Erde eingerieben waren, damit die Pflanzen die Luftwurzeln in sie schlagen konnten. Alle Glastafeln über unseren Häuptern waren geöffnet, daß die freie Luft den ganzen Raum durchdringen konnte und doch die Wirkung der Sonnenstrahlen nicht beirrt war. Die Töpfe standen in Reihen auf hölzernen Gestellen, die Gestelle aber waren wieder unterbrochen, so daß man in allen Richtungen herum gehen und alles betrachten konnte. Der Gärtner führte mich herum und zeigte mir die Abtheilungen und Unterabtheilungen, in welchen die Gewächse beisammenstanden.

Ich sagte, daß ich mich freue, daß mein Gastfreund auf die Familie dieser Pflanzen eine solche Sorgfalt wende, da sie gewiß besonders und merkwürdig wären.

«Wenn man sie länger betrachtet und länger mit ihnen umgeht, werden sie immer merkwürdiger», antwortete mein Nachbar. «Die Stellung ihrer Bildungen ist so mannigfaltig, die Stacheln können zu einer wahren Zierde und zu einer Bewaffnung dienen, und die Blüthen sind verwunderlich wie Märchen. In einem Monate würdet ihr sehr schöne sehen, jezt sind sie noch zu wenig entwickelt.»

Ich sagte ihm, daß ich schon Blüthen gesehen habe, nicht blos solche, die, wie schön sie seien, doch überall wachsen, sondern auch andere, die selten sind, und solche, die mit der Schönheit den lieblichen Duft vereinen. Ich sagte ihm, daß ich in früheren Zeiten Pflanzenkunde getrieben habe, zwar nicht in Bezug auf Gartenpflege, sondern zu meiner Belehrung und Erheiterung, und daß die Cactus nicht das Lezte gewesen wären, dem ich eine Aufmerksamkeit geschenkt habe.

«Wenn der Herr alte Sachen sammelt», sagte er, «so wäre es wohl auch recht, wenn er dies auch mit alten Pflanzen thäte. Im Inghofe ist in dem Gewächshause ein Cereus, der stärker als ein Mannesarm sammt seiner Bekleidung ist. Er geht an der Wand empor, biegt sich um und wächst an der Decke des Hauses hin, an welcher er mit Bändern befestigt ist. Der untere Theil ist schon Holz geworden, daß man Namen eingeschnitten hat. Ich glaube, es ist ein Cereus peruvianus. Sie schäzen ihn nicht so hoch, und der Herr sollte den Cereus kaufen, wenn man auch wegen seiner Länge drei Wägen aneinander binden müßte, um ihn herüber bringen zu können. Er ist gewiß schon zweihundert Jahre alt.»

Ich antwortete auf diese Rede nicht, um ihm seine Zeitrechnung in Hinsicht der Cactuspflege in Europa nicht zu stören.

Ich dankte ihm, da ich endlich alles gesehen hatte, für seine Mühe und verließ das kleine Haus. Er verabschiedete sieh sehr freundlich und mit vielen Verbeugungen.

Ich ging nun zu dem Eingangsgitter, durch welches mein Gastfreund mich gestern hereingelassen hatte, weil ich auch außerhalb des Gartens ein wenig herumsehen wollte. Ein Arbeiter, welcher in der Nähe beschäftigt war, öffnete mir die Thür, weil ich die Einrichtung des Schlosses nicht kannte, und ich trat in das Freie. Ich ging auf der Seite des Hügels, auf welcher ich gestern heraufgekommen war, in mehreren Richtungen herum. Wenn ich auch die Gegend des Landes, in der ich mich befand, im Allgemeinen sehr wohl kannte, so hatte ich mich doch nie so lange in ihr aufgehalten, um in das Einzelne eindringen zu können. Ich sah jezt, daß es ein sehr fruchtbarer, schöner Theil sei, der mich aufgenommen hatte, daß sich anmuthige Stellen zwischen die Krümmungen der Hügel hineinziehen und daß ein dichtes Bewohntsein der Gegend etwas sehr Heiteres ertheile. Der Tag wurde nach und nach immer wärmer, ohne heiß zu sein, und es war jene Stille, die zur Zeit der Rosenblüthe weit mehr als zu einer anderen auf den Feldern ist. In dieser Zeit sind alle Feldgewächse grün, sie sind im Wachsen begriffen, und wenn nicht viele Wiesen in der Gegend sind, auf welchen zu jener Zeit die Heuernte vorkömmt, so haben die Leute keine Arbeit auf den Feldern und lassen sie allein unter der befruchtenden Sonne.

Die Stille war wie in dem Hochgebirge; aber sie war nicht so einsam, weil man überall von der Geselligkeit der Nährpflanzen umgeben war.

Der Klang einer fernen Dorfglocke und meine Uhr, die ich herauszog, erinnerte mich daran, daß es Mittag sei.

Ich ging dem Hause zu, das Gitter wurde mir auf einen Zug an der Glockenstange geöffnet, und ich ging in das Speisezimmer. Dort fand ich meinen Gastfreund und Gustav, und wir sezten uns zu Tische. Wir drei waren allein bei dem Mahle.

Während des Essens sagte mein Gastfreund: «Ihr werdet euch wundern, daß wir so allein unsere Speisen verzehren. Es ist in der That sehr zu bedauern, daß die alte Sitte abgekommen ist, daß der Herr des Hauses zugleich mit den Seinigen und seinem Gesinde beim Mahle sizt. Die Dienstleute gehören auf diese Weise zu der Familie, sie dienen oft lebenslang in demselben Hause, der Herr lebt mit ihnen ein angenehmes gemeinschaftliches Leben, und weil alles, was im Staate und in der Menschlichkeit gut ist, von der Familie kömmt, so werden sie nicht blos gute Dienstleute, die den Dienst lieben, sondern leicht auch gute Menschen, die in einfacher Frömmigkeit an dem Hause wie an einer unverrückbaren Kirche hängen und denen der Herr ein zuverlässiger Freund ist. Seit sie aber von ihm getrennt sind, für die Arbeit bezahlt werden und abgesondert ihre Nahrung erhalten, gehören sie nicht zu ihm, nicht zu seinem Kinde, haben andere Zwecke, widerstreben ihm, verlassen ihn leicht und fallen, da sie familienlos und ohne Bildung sind, leicht dem Laster anheim. Die Kluft zwischen den sogenannten Gebildeten und Ungebildeten wird immer größer; wenn noch erst auch der Landmann seine Speisen in seinem abgesonderten Stübchen verzehrt, wird dort eine unnatürliche Unterscheidung, wo eine natürliche nicht vorhanden gewesen wäre.»

«Ich habe», fuhr er nach einer Weile fort, «diese Sitte in unserem hiesigen Hause einführen wollen; allein die Leute waren auf eine andere Weise herangewachsen, waren in sich selber hineingewachsen, konnten sich an ein Fremdes nicht anschließen und hätten nur die Freiheit ihres Wesens verloren. Es ist kein Zweifel, daß sie sich nach und nach in das Verhältniß würden eingelebt haben, besonders die Jüngeren, bei denen die Erziehung noch wirkt; allein ich bin so alt, daß das Unternehmen weit über den Rest meiner Jahre hinausgeht. Ich befreite daher meine Dienstleute von dem Zwange, und jüngere Nachfolger mögen den Versuch wieder erneuern, wenn sie meine Meinung theilen.»

Mir fiel bei dieser Rede mein Elternhaus ein, in welchem es wohltuend ist, daß wenigstens die Handlungsdiener meines Vaters mit uns an dem Mittagstische essen.

Die Zeit nach dem Mittagsessen ward dazu bestimmt, den Meierhof zu besuchen, und Gustav durfte uns begleiten.

Wir gingen nicht den Weg, der an dem großen Kirschbaume vorüber und auf der Höhe der Felder dahin führt. Dieser Weg, sagte mein Gastfreund, sei mir schon bekannt; sondern wir gingen in der Nähe der Bienenhütte durch ein Pförtchen in das Freie und gingen auf einem Pfade über den sanften Abhang hinab, der noch mit hohen Obstbäumen, die die besseren Arten des Landes trugen und von dem Meierhofgarten übrig geblieben waren, bedeckt war. Die Wiesen, über die wir wandelten, waren so gut, wie ich sie selten angetroffen habe.

Da wir zu dem Gebäude gekommen waren, sah ich, daß es ein weitläufiges Viereck war wie die größeren Landhöfe der Gegend, daß man aber hie und da daran gebessert und daß man es durch Zubauten erweitert hatte. Der Hofraum war an den Gebäuden herum mit breiten Steinen gepflastert, der übrige Theil desselben war mit grobem Quarzsande bedeckt, der öfter umgearbeitet wurde. Die Gebäude, welche diesen Raum umgaben, enthielten die Ställe, Scheunen, Wagengewölbe und Wohnungen. Das Vorrathshaus stand weiter entfernt in dem Garten. Wir besahen die Thiere, welche eben zu Hause waren, von den Pferden und Rindern angefangen bis zu den Schweinen und dem Federvieh hinunter. Für die Rinder war hinter dem Hause ein schöner Plaz eingefangen, auf welchem sie in freie Luft gelassen werden konnten. Es strömte frisches Wasser in einer tiefen Steinrinne durch den Plaz, von welchem sie trinken konnten. Ich hatte diese Einrichtung nie gesehen, und sie gefiel mir sehr.

Ein ähnlicher Plaz war für das Federvieh eingefangen, und nicht weit davon war ein Anger, auf welchem sich die Füllen tummeln konnten. Wir besuchten auch die Wohnungen der Leute. Hier fielen mir die großen, schönen Steinrahmen auf, die an den Fenstern gesezt waren, auch konnte man leicht die bedeutende Vergrößerung der Fenster sehen. In der Wagenhalle waren nicht blos die Wägen und anderen Fahrzeuge, sondern auch die übrigen Landwirthschaftsgeräthe in Vorrathe vorhanden. Die Düngerstätte, welche auch hier wie in den meisten Wirthschaftshäusern unseres Landes in dem Hofe gewesen war, ist auf einen Plaz hinter dem Hause verwiesen worden, den ringsum hohe Gebüsche umfingen.

«Es ist hier noch Vieles im Entstehen und Werden begriffen», sagte mein Gastfreund, «aber es geht langsam vorwärts. Man muß die Vorurtheile der Leute schonen, die unter anderen Umgebungen herangewachsen und sie gewohnt sind, damit sie nicht durch das Neue beirrt werden und ihre Liebe zur Arbeit verlieren. Wir müssen uns beruhigen, daß schon so Vieles geschehen ist, und auf das Weitere hoffen.»

Die Leute, welche dieses Haus bewohnten, waren damit beschäftigt, das Heu, welches gestern gemäht worden war, einzubringen oder, wo es noth that, vollkommen zu trocknen. Mein Gastfreund redete mit Manchem und fragte um Verschiedenes, das sich auf die täglichen Geschäfte bezog.

Als wir von der entgegengesezten Seite des Hauses fortgingen, sahen wir auch den Garten, in welchem die Gemüse und andere Dinge für den Gebrauch des Hofes gezogen wurden.

Auf dem Rückwege schlugen wir eine andere Richtung ein, als auf der wir gekommen waren. Hatten wir auf unserem Herwege den großen Kirschbaum nördlich gelassen, so ließen wir ihn jezt südlich, so daß es schien, daß wir den ganzen Garten des Hauses umgehen würden. Wir stiegen gegen jene Wiese hinan, von der mir mein Gastfreund gestern gesagt hatte, daß sie die nördliche Grenze seines Besizthums sei und daß er sie nicht nach seinem Willen habe verbessern können. Der Weg führte sachte aufwärts, und in der Tiefe der Wiese kam uns in vielen Windungen ein Bächlein, das mit Schilf und Gestrippe eingefaßt war, entgegen. Als wir eine Strecke gegangen waren, sagte mein Begleiter: «Das ist die Wiese, die ich euch gestern von dem Hügel herab gezeigt habe und von der ich gesagt habe, daß bis dahin unser Eigenthum gehe und daß ich sie nicht habe einrichten können, wie ich gewollt hätte. Ihr seht, daß die Stellen an dem Bache versumpft sind und saures Gras tragen. Dem wäre leicht abzuhelfen und das mildeste Gras zu erzielen, wenn man dem Bache einen geraden Lauf gäbe, daß er schneller abflösse, die Wände hie und da mit Steinen ausmauerte und die Niederungen mit trockener Erde anfüllte. Ich kann euch jezt den Grund zeigen, weßhalb dieses nicht geschieht. Ihr seht an beiden Seiten des Baches Erlenschößlinge wachsen. Wenn ihr näher herzutretet, so werdet ihr sehen, daß diese Schößlinge aus dicken Blöcken, gleichsam aus Knollen und Höckern von Holz hervorwachsen, welches Holz theils über der Erde ist, theils in dem feuchten Boden derselben steckt.»

Wir waren bei diesen Worten zu dem Bache hinzugegangen, und ich sah, daß es so war.

«Diese ungestalteten Anhäufungen von Holz», fuhr er fort, «aus denen die dünnen Ruten oder krüppelhafte Äste hervorragen, bilden sich hier in sumpfigem Boden, sie entstehen aber auch im Sande oder in Steinen und sind ein Aftererzeugniß des sonst recht schön emporwachsenden Erlenbaumes. In dem vieltheiligen Streben des Holzes, eine Menge Ruten oder zwieträchtige Äste anzusezen und sich selber dabei zu vergrößern, entsteht ein solches Verwinden und Drehen der Fasern und Rinden, daß, wenn man einen solchen Block auseinandersägt und die Sägefläche glättet, sich die schönste Gestaltung von Farbe und Zeichnung in Ringen, Flammen und allerlei Schlangenzügen darstellt, so daß diese Gattung Erlenholz sehr gesucht für Schreinerarbeiten und sehr kostbar ist. Als ich das Anwesen hier gekauft, die Wiese besehen und die Erlenblöcke entdeckt hatte, ließ ich einen ausgraben, auseinandersägen und untersuchte ihn dann. Da fand ich, der ich damals im Erkennen des Holzes schon mehrere Übung hatte, daß diese Blöcke zu den schönsten gehören, die bestehen, und daß die feurige Farbe und der weiche, seidenartige Glanz des Holzes, auf welche Dinge man besonders das Augenmerk richtet, kaum ihresgleichen haben dürften. Ich ließ mehrere Blöcke ausgraben und Blätter aus ihnen schneiden. Ihr werdet die Verwendung derselben in unserer Nachbarschaft sehen, wenn ihr uns wieder besuchen wollt und uns Zeit gebt, euch dorthin zu führen, wo sie sind. Die übrigen Blöcke ließ ich in dem Boden als einen Schaz, der da bleiben und sich vermehren sollte. Nur wenn einer derselben nicht mehr zu treiben, sondern vielmehr abzusterben beginnt, wird er herausgenommen und wird zu Blättern geschnitten, welche ich dann zu künftigen Arbeiten aufbewahre oder verkaufe. An seiner Stelle bildet sich dann leicht ein anderer. Zu dem Entschlusse, diesen Anwuchs zu pflegen, kam ich, nachdem ich einerseits vorher nach und nach die Gegend um unser Haus immer näher kennen gelernt, alle Thalmulden und Bachrinnen erforscht und nirgends auch nur annähernd so brauchbares Erlenholz gefunden hatte, und nachdem anderseits auch das, was mir auf mein Verlangen aus mehreren Orten eingesendet worden war, sich dem unseren als nicht gleichkommend gezeigt hatte. Ich ließ oberhalb des Erlenwuchses einen Wasserbau aufführen, um die Pflanzung vor Überschwemmung und Überkiesung zu sichern und das zu sehr anschwellende Wasser in ein anderes Rinnsal zu leiten.

Meine Nachbarn sahen das Zweckdienliche der Sache ein, und zwei derselben legten sogar in öden Gründen, die nicht zu entwässern waren, solche Erlenpflanzungen an. Mit welchem Erfolge dies geschah, läßt sich noch nicht ermitteln, da die Pflanzen noch zu jung sind.»

Wir betrachteten die Reihen dieser Gewächse und gingen dann weiter.

Wir gingen die Wiese entlang, streiften an einem Gehölze hin, überschritten den Wasserbau, von dem mein Gastfreund gesprochen hatte, und begannen nicht nur den Garten, sondern den ganzen Getreidehügel, auf dem das Haus steht, zu umgehen.

Da die Sonne immer wärmer, wenn auch nicht gar heiß schien, wunderte ich mich, daß keiner von meinen zwei Begleitern eine Bedeckung auf dem Haupte trug. Sie waren ohne einer solchen von dem Hause fortgegangen. Der alte Mann breitete dem Glanz der Sonne die Fülle seiner weißen Haare unter, und der Zögling trug auf seinem Scheitel die dichten, glänzenden braunen Locken. Ich wußte nicht, kamen mir die beiden ohne Kopfbedeckung sonderbar vor oder ich neben ihnen mit meinem Reisehute auf dem Haupte. Der Jüngling hatte wenigstens den Vortheil, daß ihm die Sonne die Wangen noch mehr röthete und noch schöner färbte, als sie sonst waren.

Ich betrachtete ihn überhaupt gerne. Sein leichter Gang war ein heiterer Frühlingstag gegen den zwar auch noch kräftigen, aber bestimmten und abgemessenen Schritt seines Begleiters, seine schlanke Gestalt war der fröhliche Anfang, die seines Erziehers das Hinneigen zum Ende. Was sein Benehmen anbelangt, so war er zurückgezogen und bescheiden und mischte sich nicht in die Gespräche, außer wenn er gefragt wurde. Ich wendete mich häufig an ihn und fragte ihn um verschiedene Dinge, besonders um solche, die die Gegend umher betrafen und deren Kenntniß ich bei ihm voraussezen mußte. Er antwortete sicher und mit einer gewissen Ehrerbietung gegen mich, obwohl ich ihm an Jahren nicht so ferne stand als sein Erzieher. Er ging meistens, auch wenn der Weg breit genug gewesen wäre, hinter uns.

Als wir den Hügel vollends umgangen hatten und an mehreren ländlichen Wohnungen vorbeigekommen waren, stiegen wir auf der nehmlichen Seite und auf dem nehmlichen Wege gegen das Haus empor, auf welchem ich gestern gegen dasselbe hinangekommen war. Da wir es erreicht hatten, traten uns die Rosen entgegen, wie sie mir gestern entgegengetreten waren. Ich nahm von diesem Anblicke Gelegenheit, meinen Gastfreund der Rosen wegen zu fragen, da ich überhaupt gesonnen war, dieser Blumen willen einmal eine Frage zu thun. Ich bath ihn, ob wir denn zu besserer Betrachtung nicht näher auf den großen Sandplaz treten wollten. Wir thaten es und standen vor der ganzen Wand von Blumen, die den unteren Theil des weißen Hauses deckte.

Ich sagte, er müsse ein besonderer Freund dieser Blumen sein, da er so viele Arten hege, und da die Pflanzen hier in einer Vollkommenheit zu sehen seien wie sonst nirgends.

«Ich liebe diese Blume allerdings sehr», antwortete er, «halte sie auch für die schönste und weiß wirklich nicht mehr, welche von diesen beiden Empfindungen aus der andern hervorgegangen ist.»

«Ich wäre auch geneigt», sagte ich, «die Rose für die schönste Blume zu halten. Die Camellia steht ihr nahe, dieselbe ist zart, klar und rein, oft ist sie voll von Pracht; aber sie hat immer für uns etwas Fremdes, sie steht immer mit einem gewissen vornehmen Anstande da: das Weiche, ich möchte den Ausdruck gebrauchen, das Süße der Rose hat sie nicht. Wir wollen von dem Geruche gar nicht einmal reden; denn der gehört nicht hieher.»

«Nein», sagte er, «der gehört nicht hieher, wenn wir von der Schönheit sprechen; aber gehen wir über die Schönheit hinaus und sprechen wir von dem Geruche, so dürfte keiner sein, der dem Rosengeruche an Lieblichkeit gleichkommt.»

«Darüber könnte nach einzelner Vorliebe gestritten werden», antwortete ich, «aber gewiß wird die Rose weit mehr Freunde als Gegner haben. Sie wird sowohl jezt geehrt, als sie in der Vergangenheit geehrt wurde. Ihr Bild ist zu Vergleichen das gebräuchlichste, mit ihrer Farbe wird die Jugend und Schönheit geschmückt, man umringt Wohnungen mit ihr, ihr Geruch wird für ein Kleinod gehalten und als etwas Köstliches versendet, und es hat Völker gegeben, die die Rosenpflege besonders schäzten, wie ja die waffenkundigen Römer sich mit Rosen kränzten. Besonders liebenswerth ist sie, wenn sie so zur Anschauung gebracht wird wie hier, wenn sie durch eigenthümliche Mannigfaltigkeit und Zusammenstellung erhöht und ihr gleichsam geschmeichelt wird. Erstens ist hier eine wahre Gewalt von Rosen, dann sind sie an der großen weißen Fläche des Hauses vertheilt, von der sie sich abheben; vor ihnen ist die weiße Fläche des Sandes, und diese wird wieder durch das grüne Rasenband und die Hecke, wie durch ein grünes Samtband und eine grüne Verzierung, von dem Getreidefelde getrennt.»

«Ich habe auf diesen Umstand nicht eigens gedacht», sagte er, «als ich sie pflanzte, obwohl ich darauf sah, daß sie sich auch so schön als möglich darstellten.»

«Aber ich begreife nicht, wie sie hier so gut gedeihen können», entgegnete ich. «Sie haben hier eigentlich die ungünstigsten Bedingungen. Da ist das hölzerne Gitter, an das sie mit Zwang gebunden sind, die weiße Wand, an der sich die brennenden Sonnenstrahlen fangen, das Überdach, welches dem Regen, Taue und dem Einwirken des Himmelsgewölbes hinderlich ist, und endlich hält das Haus ja selber den freien Lufzug ab.»

«Wir haben dieses Gedeihen nur nach und nach hervorrufen können», antwortete er, «und es sind viele Fehlgriffe gethan worden. Wir lernten aber und griffen die Sache dann der Ordnung nach an. Es wurde die Erde, welche die Rosen vorzüglich lieben, theils von anderen Orten verschrieben, theils nach Angabe von Büchern, die ich hiezu anschaffte, im Garten bereitet.

Ich bin wohl nicht ganz unerfahren hieher gekommen, ich hatte auch vorher schon Rosen gezogen und habe hier meine Erfahrungen angewendet. Als die Erde bereit war, wurde ein tiefer, breiter Graben vor dem Hause gemacht und mit der Erde gefüllt. Hierauf wurde das hölzerne Gitter, welches reichlich mit Ölfarbe bestrichen war, daß es von Wasser nicht in Fäulniß gesezt werden konnte, aufgerichtet, und eines Frühlings wurden die Rosenpflanzen, die ich entweder selbst gezogen oder von Blumenzüchtern eingesendet erhalten hatte, in die lockere Erde gesezt. Da sie wuchsen, wurden sie angebunden, im Laufe der Jahre versezt, verwechselt, beschnitten und dergleichen, bis sich die Wand allgemach erfüllte. In dem Garten sind die Vorrathsbeete angelegt worden, gleichsam die Schule, in welcher die gezogen werden, die einmal hieher kommen sollen. Wir haben gegen die Sonne eine Rolle Leinwand unter dem Dache anbringen lassen, die durch einige leichte Züge mit Schnüren in ein Dach über die Rosen verwandelt werden kann, das nur gedämpfte Strahlen durchläßt. So werden die Pflanzen vor der zu heißen Sommersonne und die Blumen vor derjenigen Sonne geschüzt, die ihnen schaden könnte. Die heutige ist ihnen nicht zu heiß, ihr seht, daß sie sie fröhlich aushalten. Was ihr von Tau und Regen sagt, so steht das Gitter nicht so nahe an dem Hause, daß die Einflüsse des freien Himmels ganz abgehalten werden. Tau sammelt sich auf den Rosen und selbst Regen träufelt auf sie herunter. Damit wir aber doch nachhelfen und zu jener Zeit Wasser geben können, wo es der Himmel versagt, haben wir eine hohle Walze unter der Dachrinne, die mit äußerst feinen Löchern versehen ist und aus Tonnen, die unter dem Dache stehen, mit Wasser gefüllt werden kann. Durch einen leichten Druck werden die Löcher geöffnet, und das Wasser fällt wie Tau auf die Rosen nieder. Es ist wirklich ein angenehmer Anblick, zu sehen, wie in Zeiten hoher Noth das Wasser von Blättern und Zweigen rieselt und dieselben sich daran erfrischen. Und damit es endlich nicht an Luft gebricht, wie ihr fürchtet, gibt es ein leichtes Mittel. Zuerst ist auf diesem Hügel ein schwacher Lufzug ohnehin immer vorhanden und streicht an der Wand des Hauses. Sollten aber die Blumen an ganz stillen Tagen doch einer Luft bedürfen, so werden alle Fenster des Erdgeschosses geöffnet, und zwar sowohl an dieser Wand als auch an der entgegengesezten. Da nun die entgegengesezte Seite die nördliche ist und dort die Luft durch den Schatten abgekühlt wird, so strömt sie bei jenen Fenstern herein und bei denen der Rosen heraus. Ihr könnt da an den windstillsten Tagen ein sanftes Fächeln der Blätter sehen.»

«Das sind bedeutende Anstalten», erwiederte ich, «und beweisen eure Liebe zu diesen Blumen; aber aus ihnen allein erklärt sich doch noch nicht die besondere Vollkommenheit dieser Gewächse, die ich nirgends gesehen habe, so daß keine unvollkommene Blume, kein dürrer Zweig, kein unregelmäßiges Blatt vorkommt.»

«Zum Theile erklärt sich die Thatsache doch wohl aus diesen Anstalten», sagte er. «Luft, Sonne und Regen sind durch die südliche Lage des Standortes und die Vorrichtungen so weit verbessert, als sie hier verbessert werden können. Noch mehr ist an der Erde gethan worden. Da wir nicht wissen, welches denn der lezte Grund des Gedeihens lebendiger Wesen überhaupt ist, so schloß ich, daß den Rosen am meisten gut thun müsse, was von Rosen kömmt. Wir ließen daher seit jeher alle Rosenabfälle sammeln, besonders die Blätter und selbst die Zweige der wilden Rosen, welche sich in der ganzen Gegend befinden. Diese Abfälle werden zu Hügeln in einem abgelegenen Theile unseres Gartens zusammengethan, den Einflüssen von Luft und Regen ausgesezt, und so bereitet sich die Rosenerde. Wenn in einem Hügel sich keine Spur mehr von Pflanzenthum zeigt und nichts als milde Erde vor die Augen tritt, so wird diese den Rosen gegeben. Die Pflanzen, welche neu gesezt werden, erhalten in ihrem Graben gleich so viel Erde, daß sie auf mehrere Jahre versorgt sind. Ältere Rosen, welche von ihrem Standboden längere Zeit gezehrt haben, werden mit einer Erneuerung betheilt. Entweder wird die Erde oberhalb ihrer Wurzeln weggethan und ihnen neue gegeben, oder sie werden ganz ausgehoben und ihr Standpunkt durchaus mit frischer Erde erfüllt. Es ist auffällig sichtbar, wie sich Blatt und Blume an dieser Gabe erfreuen. Aber troz der Erde und der Luft und der Sonne und der Feuchtigkeit würdet ihr die Rosen hier nicht so schön sehen, als ihr sie seht, wenn nicht noch andre Sorgfalt angewendet würde; denn immer entstehen manche Übel aus Ursachen, die wir nicht ergründen können oder die, wenn sie auch ergründet sind, wir nicht zu vereiteln vermögen. Endlich trifft ja die Gewächse wie alles Lebende der natürliche Tod. Kranke Pflanzen werden nun bei uns sogleich ausgehoben, in den Garten, gleichsam in das Rosenhospital gethan und durch andere aus der Schule ersezt. Abgestorbene Bäumchen kommen hier nicht leicht vor, weil sie schon in der Zeit des Absterbens weggethan werden. Tötet aber eine Ursache eines schnell, so wird es ohne Verzug entfernt. Eben so werden Theile, die erkranken oder zu Grunde gehen, von dem Gitter getrennt. Die beste Zeit ist der Frühling, wo die Zweige blos liegen. Da werden Winkelleitern, die uns den Zugang zu allen Theilen gestatten, angelegt, und es wird das ganze Gitter untersucht.

Man reinigt die Rinde, pflegt sie, verbindet ihre Wunden, knüpft die Zweige an und schneidet das Untaugliche weg. Aber auch im Sommer entfernen wir gleich jedes fehlerhafte Blatt und jede unvollständige Blume. Es haben nach und nach alle im Hause eine Neigung zu den Rosen bekommen, sehen gerne nach und zeigen es sogleich an, wenn sich etwas Unrechtes bemerken läßt. Auch in der Umgegend hat man Wohlgefallen an diesen Blumen gefunden, man sezt sie in Gärten und pflegt sie, ich schenke den Leuten die Pflanzen aus meinen Vermehrungsbeeten und unterrichte sie in der Behandlung. Zwei Wegestunden von hier ist ein Bauer, der wie ich eine ganze Wand seines Hauses mit Rosen bepflanzt hat.»

«Je mehr es mir wichtig erscheint, wie ihr mit euren Rosen umgeht», antwortete ich, «und für je wichtiger ihr sie selbst betrachtet, desto mehr muß ich doch die Frage thun, warum ihr denn gerade vorzugsweise an dieser Wand eures Hauses die Rosen zieht, wo ihr Standort doch nicht so ersprießlich ist, und wo man solche Anstalten machen muß, um ihr völliges Gedeihen zu sichern. Es ist zwar sehr schön, wie sie sich hier ausbreiten und darstellen; aber sollte man sie denn im Garten nicht auch in Stellungen und Gruppen bringen können, die eben so schön oder schöner wären als diese hier, und noch den Vortheil hätten, daß ihre Pflege viel leichter wäre?»

«Ich habe die Rosen an die Wand des Hauses gesezt», erwiederte er, «weil sich eine Jugenderinnerung an diese Blume knüpft und mir die Art, sie so zu ziehen, lieb macht. Ich glaube, daß mir einzig darum die Rose so schön erscheint und daß ich darum die große Mühe für diese Art ihrer Pflege verwende.»

«Ihr habt nichts von Ungeziefer gesagt», entgegnete ich. «Nun weiß ich aber aus Erfahrung, daß kaum eine Pflanzengattung, etwa die Pappel ausgenommen, so gerne von Ungeziefer heimgesucht wird als die Rose, die in verschiedenen Arten und Geschlechtern von demselben bewohnt und entstellt wird. Hier sehe ich von dieser Plage gar nichts, als wäre sie nicht vorhanden oder als würde die Rose von ihr durch irgendein künstliches Mittel befreit. Ihr werdet doch nicht so wie jedes kranke Blatt auch jeden Blattwickler, jede Spinne, jede Blattlaus abnehmen lassen?

Dieses bringt mich sogar noch auf einen weiteren Umstand, über den ich mir eine Frage an euch zu thun vorgenommen habe, welche ich gewiß noch vor meiner Abreise bei einer schicklichen Gelegenheit gethan hätte, welche ich mir aber jezt erlaube, da ihr mit solcher Güte und Bereitwilligkeit mir die Einsicht in die Dinge dieses Landsizes gestattet habt. Bei meiner Wanderung durch das flache Land hatte ich mehrfach Gelegenheit zu bemerken, daß Obstbäume häufig kahle Äste haben oder daß überhaupt das Laub zerstört oder verunstaltet war, was von Raupenfraß herrührte. Mir fiel die Sache nicht weiter auf, da ich sie von Jugend an zu sehen gewohnt war und da sie sich nicht in einem ungewöhnlichen Grade zeigte; aber das fiel mir auf, daß so wie an diesen Rosen auch in eurem ganzen Garten nichts von dem Übel zu sehen ist, kein dürres Reis, kein kahles Zweiglein, kein Stengel eines abgefressenen Blattes, ja nicht einmal ein verleztes Blatt des Kohles, dem doch sonst der Weißling so gerne Schaden thut. Im Angesichte dieses Wohlbefindens kamen mir die Zerstörungen wieder zu Sinne, die ich in dem Lande gesehen hatte, und ich beschloß, in dieser Hinsicht eine Frage an euch zu thun, ob ihr denn da eigenthümliche Vorkehrungen habt; denn das Ablesen der Raupen und Insekten hat sich ja überall als unzulänglich gezeigt.»

«Wir würden allerdings durch Ablesen des Ungeziefers weder unsere Rosen noch die Bäume und Gesträuche im Garten vor Verunglimpfung frei halten können», antwortete er. «Wir haben nun in der That andere Einrichtungen dagegen. Ich muß euch sagen, daß es mich freut, daß ihr in meinem Garten die Abwesenheit des Raupenfraßes bemerkt habt, und ich werde euch recht gerne darüber Aufklärung geben, und besonders darum, daß es sich auch ausbreiten könne. Die Beantwortung eurer Frage kann aber am besten in dem Garten geschehen, weil ich euch zur Bekräftigung gleich manche Vorrichtungen zeigen und die Beweise dartun kann. Wenn es euch genehm ist, so gehen wir in den Garten, in welchem auch eine kleine Ruhe auf irgend einem Bänkchen nach dem Gange von dem Meierhofe herauf nicht unangenehm sein wird.»

«Einen Augenblick laßt mich noch diese Rosen betrachten», sagte ich.

«Thut nach eurem Gefallen», antwortete er.

Ich trat zuerst näher an das Gitter, um Einzelnes zu betrachten. Ich sah nun wirklich die reinliche Erde, in welcher die Stämmchen standen und die nicht von einem einzigen Gräschen bewachsen war. Ich sah das gutbestrichene Holzgitter, an welchem die Bäumchen angebunden und an welchem ihre Zweige ausgebreitet waren, daß sich keine leere Stelle an der Wand des Hauses zeigte. An jedem Stämmchen hing der Name der Blume auf Papier geschrieben und in einer gläsernen Hülse hernieder. Diese gläsernen Hülsen waren gegen den Regen geschüzt, indem sie oben geschlossen, unten umgestülpt und mit einer kleinen Abflußrinne versehen waren. Nach dieser Betrachtung in der Nähe trat ich wieder zurück und besah noch einmal die ganze Wand der Blumen durch mehrere Augenblicke. Nachdem ich dieses gethan hatte, sagte ich, daß wir jezt in den Garten gehen könnten.

Wir näherten uns dem Thorgitter, der alte Mann that einen Druck wie gestern, da er mich eingelassen hatte, das Thor öffnete sich und wir gingen in den Garten.

Dort näherten wir uns einer Bank, die in angenehmem nachmittägigem Schatten stand. Als wir uns auf ihr niedergesezt hatten, sagte mein Gastfreund: «Unsere Mittel, die Bäume, Gesträuche und kleineren Pflanzen vor Kahlheit zu bewahren, sind so einfach und in der Natur gegründet, daß es eine Schande wäre, sie aufzuzählen, wenn es andererseits nicht auch wahr wäre, daß sie nicht überall angewendet werden, besonders das lezte. Was nun das Kahlwerden von Bäumen und Ästen anlangt, so entsteht es nicht immer durch Raupen, sondern oft auch auf andern Wegen nach und nach. Gegen ein endliches Sterben und also Entlaubtwerden des ganzen Baumes gibt es so wenig ein Mittel als gegen den Tod des Menschen; aber so weit darf man es bei einem Baume im Garten nicht kommen lassen, daß er todt in demselben dasteht, sondern wenn man ihm durch Zurückschneiden seiner Äste öfter Verjüngungskräfte gegeben hat; wenn aber nach und nach dieses Mittel anfängt, seine Wirkung nicht mehr zu bewähren, so thut man dem Baume und dem Garten eine Wohlthat, wenn man beide trennt. Ein solcher Baum steht also in einem nur einiger Maßen gut besorgten Garten oder auf anderem Grunde gar nicht. Damit aber auch nicht Theile eines Baumes kahl dastehen, haben wir mehrere Mittel. Sie bestehen aber darin, dem Baume zu geben, was ihm noth thut, und ihm zu nehmen, was ihm schadet. Darum gilt als Oberstes, daß man nie einen Baum an eine Stelle seze, auf der er nicht leben kann. Auf Stellen, die Bäumen überhaupt das Leben versagen, sezt wohl kein vernünftiger Mensch einen. Aber es gibt auch Stellen, die nur darum nicht taugen, weil sie nicht bearbeitet sind, oder weil ihnen etwas mangelt, was einem bestimmten Gewächse nothwendig ist. Um nun die Stelle gut zu bearbeiten, haben wir, ehe wir einen Baum sezten, eine so tiefe Grube gegraben und mit gelockerter Erde gefüllt, daß der Baum bedeutend alt werden konnte, ehe er genöthigt war, seine Wurzeln in unbearbeiteten Boden zu treiben. Selbst alte Stämme, die ich hier gefunden hatte und deren Zustand mir nicht gefiel, habe ich durch Herausnehmen, Lockern ihres Standortes und Wiedereinsezen zu vortrefflichem Gedeihen gebracht. Aber ehe wir die Grube gegraben haben, ehe wir den Baum in dieselbe gesezt haben, haben wir auch durch Erfahrung oder Bücher herauszubringen gesucht, was ihm auch nebst der Erde noch noth thue und welchen Plaz er haben müsse. Für welchen Baum ein geeigneter Plaz im Garten nicht ist, der soll auch im Garten gar nicht sein. Welche Bäume viele Luft brauchen, sezten wir in die Luft, die das Licht lieben, in das Licht, die den Schatten, in den Schatten. In den Schuz der größeren oder windwiderstandsfähigeren sezten wir diejenigen, welche des Schuzes bedurften. Die Frost und Reif scheuen, stehen an Wänden oder warmen Orten. Und auf diese Weise gedeihen nun alle durch ihre Lebenskraft und natürliche Nahrung. Im Frühlinge wird jeder Stamm und seine stärkeren Äste durch eine Bürste und gutes Seifenwasser gewaschen und gereinigt. Durch die Bürste werden die fremden Stoffe, die dem Baume schaden könnten, entfernt, und das Waschen ist ein nüzliches Bad für die Rinde, die wie die Haut der Thiere von dem höchsten Belange für das Leben ist, und endlich werden die Stämme dadurch auch schön. Unsere Bäume haben kein Moos, die Rinde ist klar und bei den Kirschbäumen fast so fein wie graue Seide.»

Ich hatte wohl gesehen, daß alle Bäume eine sehr gesunde Rinde haben; aber ich hatte dieses mit ihren schönen Blättern und mit ihrem guten Gedeihen überhaupt als eine notwendige Folge in Zusammenhang gebracht.

«Wenn nun troz aller Vorsichten doch einzelne Theile der Bäume durch Winde, Kälte oder dergleichen kahl werden», fuhr mein Gastfreund fort, «so werden dieselben bei dem Beschneiden der Bäume im Frühlinge entfernt. Der Schnitt wird mit gutem Kitte verstrichen, daß keine Nässe in das Holz dringen und in dem noch gesunden Theile eine Krankheit erzeugen kann. Und so würde in einem Garten nie eine Kahlheit zu erblicken sein, wenn nicht äußere Feinde kämen, die eine solche zu bewirken trachteten. Derlei Feinde sind Hagel, Wolkenbrüche und ähnliche Naturerscheinungen, gegen die es keine Mittel gibt. Sie schaden aber auch nicht so sehr. In unseren Gegenden sind sie selten, und ihre Wirkungen können auch leicht durch schnelles Beseitigen des Zerstörten, durch Nachwuchs und Nachpflanzungen unbemerkbar gemacht werden. Aber gefährlichere Gegner sind die Insekten, diese können die Güte eines Gartens zerstören, können seine Schönheit entstellen und ihm in manchen Jahren einen wahrhaft traurigen Anblick geben. Dies ist der Umstand, von dem ich sagte, daß ich seiner zulezt Erwähnung thun werde. Ihr seht, daß unser Garten von der Insektenplage, die ihr, wie ihr sagt, auf eurer Wanderung an anderen Bäumen bemerkt habt, in diesem Jahre frei ist.»

«Ich habe Äpfelbäume an warmen und stillen Orten fast ganz entlaubt gesehen», antwortete ich. «Es sind mir mehrere Fälle dieser Art vorgekommen. Aber daß einzelne Äste entlaubt waren, daß das Laub von ganzen Bäumen entstellt war, habe ich oft gesehen. Allein ich habe es für kein großes Übel gehalten, und habe auf kein schlechtes Jahr geschlossen, weil ich wußte, daß diese Zerstörungen immer vorkommen und daß ihr Schaden, wenn sie nicht im Übermaße auftreten, nicht erheblich ist. Ich betrachtete die Erscheinung als ein Ding, das so sein muß.»

«Daran möchtet ihr Unrecht gethan haben», sagte mein Gastfreund, «einen Schaden bringt diese Erscheinung immer, und wenn man ihn nach ganzen Länderstrichen berechnete, so könnte er ein sehr beträchtlicher sein, zu dem noch der andere kömmt, daß man den entlaubten Baum anschauen muß. Auch ist das Ding keine Erscheinung, die so sein muß. Es gibt ein Mittel dagegen, und zwar ein Mittel, das außer seiner Wirksamkeit auch noch sehr schön ist und also zum Nuzen einen Genuß beschert, durch den uns die Natur gleichsam zu seiner Anwendung leiten will. Aber dennoch, wie ich früher sagte, wird dieses Mittel unter allen am wenigsten gebraucht, ja man beeifert sich sogar an vielen Orten, es zu zerstören. Ihr solltet das Mittel schon wahrgenommen haben.»

Ich sah ihn fragend an.

«Habt ihr nicht etwas in unserem Garten gehört, das euch besonders auffallend war?» fragte er.

«Den Vogelsang», sagte ich plözlich.

«Ihr habt richtig bemerkt», erwiederte er. «Die Vögel sind in diesem Garten unser Mittel gegen Raupen und schädliches Ungeziefer. Diese sind es, welche die Bäume, Gesträuche, die kleinen Pflanzen und natürlich auch die Rosen weit besser reinigen, als es Menschenhände oder was immer für Mittel zu bewerkstelligen im Stande wären. Seit diese angenehmen Arbeiter uns Hilfe leisten, hat sich in unserm Garten so wie im heurigen Jahre auch sonst nie mehr ein Raupenfraß eingefunden, der nur im Geringsten bemerkbar gewesen wäre.»

«Aber Vögel sind ja an allen Orten», entgegnete ich. «Sollten sie in eurem Garten mehr sein, um ihn mehr schüzen zu können?»

«Sie sind auch mehr in unserem Garten», erwiederte er, «weit mehr als an jeder Stelle dieses Landes und vielleicht auch anderer Länder.»

«Und wie ist denn diese Mehrheit hieher gebracht worden?» fragte ich.

«Es ist so, wie ich früher von den Bäumen gesagt habe, man muß ihnen die Bedingungen ihres Gedeihens geben, wenn man sie an einem Orte haben will; nur daß man die Thiere nicht erst an den Ort sezen muß wie die Bäume, sie kommen selber, besonders die Vögel, denen das Übersiedeln so leicht ist.»

«Und welche sind denn die Bedingungen ihres Gedeihens?» fragte ich.

«Hauptsächlich Schuz und Nahrung», erwiederte er.

«Wie kann man denn einen Vogel schüzen?» fragte ich.

«Ihn kann man nicht schüzen», sagte mein Gastfreund, «er schüzt sich selber; aber die Gelegenheit zum Schuze kann man ihm geben. Die Singvögel, welche sich nicht mit Waffen verteidigen können, suchen gegen Feinde und Wetter Höhlungen in Bäumen, Felsen, Mauern oder dergleichen auf, die so enge sind, daß ihnen ihr meistens größerer Feind in dieselben nicht folgen kann, und so tief, daß er auch nicht mit einem Schnabel oder einer Taze bis auf den Grund zu langen vermag - einige, wie die Spechte, machen sich selber die Höhlungen in die Bäume -, oder sie gehen in solche Dickichte, daß Raubvögel, Wiesel und ähnliche Verfolger nicht durchzudringen vermögen. Hiebei ist es ihnen noch mehr um den Schuz ihrer Jungen, die sie in solchen Orten haben, als um ihren eigenen zu thun. Erst, wenn so gesicherte Stellen nicht zu finden sind und die Zeit drängt, begnügt sich der Singvogel zum Wohnen und Brüten mit schlechteren Pläzen. Hat eine Gegend häufige solche Zufluchtsorte, so darf man sicher schließen, daß sie auch, wenn die andern Bedingungen nicht fehlen, viele Vögel hat. Denkt nur an ein altes löcheriges Thurmdach, wie ist es von Dohlen und Mauerschwalben umschwärmt. Will man Vögel in eine Gegend ziehen, so muß man solche Zufluchtsorte schaffen, und zwar so gut als möglich. Wir können, wie ihr seht, nicht Felsen und Baumstämme aushöhlen, aber aus Holz gemachte Höhlungen können wir überall auf die Bäume aufhängen. Und dies thun wir auch. Wir machen diese Höhlungen tief genug, richten das Schlupfloch von der Wetterseite weg meistens gegen Mittag und machen es gerade so weit, daß der Vogel, für den es bestimmt ist, ein und aus kann.

Ihr müßt ja derlei in den Bäumen unseres Gartens gesehen haben?»

«Ich habe sie gesehen», erwiederte ich, «habe dunkel vermuthet, wozu sie dienen könnten, habe aber die Vorstellung in Folge anderer Eindrücke wieder aus dem Haupte verloren.»

«Wenn wir etwa noch einmal ein wenig in dem Garten herumgehn», sagte mein Gastfreund, «so werden wir mehrere solche Vogelbehälter sehen. Den Heckennistern bauen wir ein so dichtes Geflechte von Dornzweigen und Dornästen in unsere Büsche, daß man meinen sollte, es könne kaum eine Hummel ein- und ausschlüpfen; aber der Vogel findet doch einen Eingang und baut sich sein Nest. Solcher Nester könnt ihr mehrere sehen, wenn ihr wollt. Sie haben das Angenehme, daß man diese Federfamilien in ihrem Haushalte sieht, was bei den Höhlennistern nicht angeht. Auf diese Weise schüzen wir die kleineren Vögel, die wir in unserem Garten brauchen. Die großen, welche sich mit Schnabel, Krallen und Flügeln verteidigen können, sind bei uns eher Feinde als Freunde und werden nicht geduldet.»

«Außer dem Schuze», fuhr er nach einer Weile fort, «brauchen die Vögel auch Nahrung. Sie meiden die nahrungsarmen Orte und unterscheiden sich hierdurch von den Menschen, welche zuweilen große Strecken weit gerade dahin wandern, wo sie ihren Unterhalt nicht finden. Die Vögel, die für unseren Garten passen, ernähren sich meistens von Gewürmen und Insekten; aber wenn an einem Plaze, der zum Nisten geeignet ist, die Zahl der Vögel so groß wird, daß sie ihre Nahrung nicht mehr finden, so wandert ein Theil aus und sucht den Unterhalt des Lebens anderswo. Will man daher an einem Orte eine so große Zahl von Vögeln zurückhalten, daß man vollkommen sicher ist, daß sie auch in den ungezieferreichsten Jahren hinlänglich sind, um Schaden zu verhüten, so muß man ihnen außer ihrer von der Natur gegebenen Nahrung auch künstliche mit den eigenen Händen spenden. Thut man das, so kann man so viele Vögel an einem Plaze erziehen, als man will. Es kömmt nur darauf an, daß man, um seinen Zweck nicht aus den Augen zu verlieren, nur so viel Almosen gibt, als nothwendig ist, einen Nahrungsmangel zu verhindern. Es ist wohl in dieser Hinsicht im allgemeinen nicht zu befürchten, daß in der künstlichen Nahrung ein Übermaß eintrete, da den Thieren ohnehin die Insekten am liebsten sind. Nur wenn diese Nahrung gar zu reizend für sie gemacht würde, könnte ein solches Übermaß erfolgen, was leicht an der Vermehrung des Ungeziefers erkannt werden würde. Einige Erfahrung läßt einen schon den rechten Weg einhalten. Im Winter, in welchem einige Arten dableiben, und in Zeiten, wo ihre natürliche Kost ganz mangelt, muß man sie vollständig ernähren, um sie an den Plaz zu fesseln. Durch unsere Anstalten sind Vögel, die im Frühlinge nach Pläzen suchten, wo sie sich anbauen könnten, in unserem Garten geblieben, sie sind, da sie die Bequemlichkeit sahen und Nahrung wußten, im nächsten Jahre wieder gekommen oder, wenn sie Wintervögel waren, gar nicht fortgegangen. Weil aber auch die Jungen ein Heimathsgefühl haben und gerne an Stellen bleiben, wo sie zuerst die Welt erblickten, so erkoren sich auch diese den Garten zu ihrem künftigen Aufenthaltsorte. Zu den vorhandenen kamen von Zeit zu Zeit auch neue Einwanderer, und so vermehrt sich die Zahl der Vögel in dem Garten und sogar in der nächsten Umgebung von Jahr zu Jahr. Selbst solche Vögel, die sonst nicht gewöhnlich in Gärten sind, sondern mehr in Wäldern und abgelegenen Gebüschen, sind gelegentlich gekommen, und da es ihnen gefiel, dageblieben, wenn ihnen auch manche Dinge, die sonst der Wald und die Einsamkeit gewähren, hier abgehen mochten. Zur Nahrung rechnen wir auch Licht, Luft und Wärme. Diese Dinge geben wir nach Bedarf dadurch, daß wir die Baupläze zu den Nestern an den verschiedensten Stellen des Gartens anbringen, damit sich die Paare die wärmeren oder kühleren, luftigeren oder sonnigeren aussuchen können. Für welche keine taugliche Stelle möglich ist, die sind nicht hier. Es sind das nur solche Vögel, für welche die hiesigen Landstriche überhaupt nicht passen, und diese Vögel sind dann auch für unsere Landstriche nicht nöthig. Zu den geeigneten Zeiten besuchen uns auch Wanderer und Durchzügler, die auf der Jahresreise begriffen sind.

Sie hätten eigentlich keinen Anspruch auf eine Gabe, allein da sie sich unter die Einwohner mischen, so essen sie auch an ihrer Schüssel und gehen dann weiter.»

«Auf welche Weise gebt ihr denn den Thieren die nöthige Nahrung?» fragte ich.

«Dazu haben wir verschiedene Einrichtungen», sagte er. «Manche von den Vögeln haben bei ihrem Speisen festen Boden unter den Füßen, wie die Spechte, die an den Bäumen hacken, und solche, die ihre Nahrung auf der platten Erde suchen; andere, besonders die Waldvögel, lieben das Schwanken der Zweige, wenn sie essen, da sie ihr Mahl in eben diesen Zweigen suchen. Für die ersten streut man das Futter auf was immer für Pläze, sie wissen dieselben schon zu finden. Den anderen gibt man Gitter, die an Schnüren hängen, und in denen, in kleine Tröge gefüllt oder auf Stifte gesteckt, die Speise ist. Sie fliegen herzu und wiegen sich essend in dem Gitter. Die Vögel werden auch nach und nach zutraulich, nehmen es endlich nicht mehr so genau mit dem Tische, und es tummeln sich Festfüßler und Schaukler auf der Fütterungstenne, die neben dem Gewächshause ist, wo ihr mich heute morgen gesehen habt.»

«Ich habe das von heute morgen mehr für zufällig als absichtlich gehalten», sagte ich.

«Ich thue es gerne, wenn ich anwesend bin», erwiederte er, «obwohl es auch andere thun können. Für die ganz schüchternen, wie meistens die neuen Ankömmlinge und die ganz und gar eingefleischten Waldvögel sind, haben wir abgelegene Pläze, an die wir ihnen die Nahrung thun. Für die vertraulicheren und umgänglicheren bin ich sogar auf eine sehr bequeme und annehmliche Verfahrungsweise gekommen. Ich habe in dem Hause ein Zimmer, vor dessen Fenster Brettchen befestigt sind, auf welche ich das Futter gebe. Die Federgäste kommen schon herzu und speisen vor meinen Augen. Ich habe dann auch das Zimmer gleich zur Speisekammer eingerichtet und bewahre dort in Kästen, deren kleine Fächer mit Aufschriften versehen sind, dasjenige Futter, das entweder in Sämereien besteht oder dem schnellen Verderben nicht ausgesezt ist.»

«Das ist das Eckzimmer», sagte ich, «das ich nicht begriff, und dessen Brettchen ich für Blumenbrettchen ansah und doch für solche nicht zweckmäßig fand.»

«Warum habt ihr denn nicht gefragt?» erwiederte er.

«Ich nahm es mir vor und habe wieder darauf vergessen», antwortete ich.

«Da die meisten Sänger von lebendigen Thierchen leben», sezte er seine Erzählung fort, «so ist es nicht ganz leicht, die Nahrung für alle zu bereiten. Da aber doch ein großer Theil nebst dem Ungeziefer auch Sämereien nicht verschmäht, so sind in der Speisekammer alle Sämereien, welche auf unseren Fluren und in unseren Wäldern reifen und werden, wenn sie ausgehen oder veralten, durch frische ersezt. Für solche, welche die Körner nicht lieben, wird der Abgang durch Theile unseres Mahles, zartes Fleisch, Obst, Eierstückchen, Gemüse und dergleichen, ersezt, was unter die Körner gemischt wird. Die Kohlmeise erhält sehr gerne, wenn sie thätig ist, und besonders, wenn sie um ihre Jungen sich gut annimmt, ein Stückchen Speck zur Belohnung, den sie außerordentlich liebt. Auch Zucker wird zuweilen gestreut. Für den Trank ist im Garten reichlich gesorgt. In jede Wassertonne geht schief ein befestigter Holzsteg, an welchem sie zu dem Wasser hinabklettern können. In den Gebüschen sind Steinnäpfe, in die Wasser gegossen wird, und in dem Dickichte an der Abendseite des Gartens ist ein kleines Quellchen, das wir mit steinernen Rändern eingefaßt haben.»

«Da habt ihr ja Arbeit und Sorge in Fülle mit diesen Gartenbewohnern». sagte ich.

«Es übt sich leicht ein», antwortete er, «und der Lohn dafür ist sehr groß. Es ist kaum glaublich, zu welchen Erfahrungen man gelangt, wenn man durch mehrere Jahre diese gefiederten Thiere hegt und gelegentlich die Augen auf ihre Geschäftigkeit richtet. Alle Mittel, welche die Menschen ersonnen haben, um die Gewächse vor Ungeziefer zu bewahren, so trefflich sie auch sein mögen, so fleißig sie auch angewendet werden, reichen nicht aus, wie es ja in der Lage der Sache gegründet ist. Wie viele Hände von Menschen müßten thätig sein, um die unzählbaren Stellen, an deren sich Ungeziefer erzeugt, zu entdecken und die Mittel auf sie anzuwenden. Ja, die ganz gereinigten Stellen geben auf die Dauer keine Sicherheit und müssen stets von neuem untersucht worden. In den verschiedensten Zeiten und unbeachtet entwickeln sich die Insekten auf Stengeln, Blättern, Blüthen, unter der Rinde und breiten sich unversehens und schnell aus. Wie könnte man da die Keime entdecken und vor ihrer Entwicklung vernichten? Oft sind die schädlichen Thierchen so klein, daß wir sie mit unseren Augen kaum zu entdecken vermögen, oft sind sie an Orten, die uns schwer zugänglich sind, zum Beispiele in den äußersten Spizen der feinsten Zweige der Bäume. Oft ist der Schaden in größter Schnelligkeit entstanden, wenn man auch glaubt, daß man seine Augen an allen Stellen des Gartens gehabt, daß man keine unbeachtet gelassen und daß man seine Leute zur genauesten Untersuchung angeeifert hat. Zu dieser Arbeit ist von Gott das Vogelgeschlecht bestimmt worden und insbesondere das der kleinen und singenden, und zu dieser Arbeit reicht auch nur das Vogelgeschlecht vollkommen aus. Alle Eigenschaften der Insekten, von denen ich gesprochen habe, ihre Menge, ihre Kleinheit, ihre Verborgenheit und endlich ihre schnelle und plözliche Entwicklung schüzen sie gegen die Vögel nicht. Sprechen wir von der Menge. Alle Singvögel, wenn sie auch später Sämereien fressen, nähren doch ihre Jungen von Raupen, Insekten, Würmern, und da diese Jungen so schnell wachsen und so zu sagen unaufhörlich essen, so bringt ein einziges Paar in einem einzigen Tage eine erkleckliche Menge von solchen Thierchen in das Nest, was erst hundert Paare in zehn, vierzehn, zwanzig Tagen! So lange brauchen ungefähr die Jungen zum Flüggewerden. Und alle Stellen, wie zahlreich sie auch sein können, werden von den geschäftigen Eltern durchsucht. Sprechen wir von der Kleinheit der Thierchen. Sie oder ihre Larven und Eier mögen noch so klein sein, von den scharfen, spähenden Augen eines Vogels werden sie entdeckt. Ja manche Vögel, wie das Goldhähnchen, der Zaunkönig, dürfen ihren Jungen nur die kleinsten Nahrungsstückchen bringen, weil dieselben, wenn sie dem Ei entschlüpft sind, selber kaum so groß wie eine Fliege oder eine kleine Spinne sind. Gehen wir endlich auf die Abgelegenheit und Unerreichbarkeit der Aufenthaltsorte der Insekten über, so sind sie dadurch nicht vor dem Schnabel der Vögel geschüzt, wenn sie für ihre Jungen oder sich Nahrung brauchen. Was wäre einem Vogel leicht unzugänglich? In die höchsten Zweige schwingt er sich empor, an der Rinde hält er sich und bohrt in sie, durch die dichtesten Hecken dringt er, auf der Erde läuft er, und selbst unter Blöcke und Steingerölle dringt er. Ja, einmal sah ich einen Buntspecht im Winter, da die Äste zu Stein gefroren schienen, auf einen solchen mit Gewalt loshämmeren und sich aus dessen Innern die Nahrung holen. Die Spechte zeigen auf diese Weise - ich sage es hier nebenbei - auch die Äste an, die morsch und vom Gewürme ergriffen sind, und daher weggeschafft werden müssen.

Was zulezt den unvorhergesehenen und plözlichen Raupenfraß anlangt, den der Mensch zu spät entdeckt, so kann er sich nicht einstellen, da die Vögel überall nachsehen und bei Zeiten abhelfen.»

«Wie sehr diese Thiere für das Ungeziefer geschaffen sind», sagte er nach einer Weile, «zeigt sich aus der Beobachtung, daß sie die Arbeit unter sich theilen. Die Blaumeise und die Tannenmeise entdeckt die Brut der Ringelraupe und anderer Raupengattungen an den äußersten Spizen der Zweige, wo sie unter der Rinde verborgen ist, indem sie, sich an die Zweige hängend, dieselben absucht, die Kohlmeise durchsucht fleißig das Innere der Baumkrone, die Spechtmeise klettert Stamm auf Stamm ab und holt die versteckten Eier hervor, der Finke, der gerne in den Nadelbäumen nistet, weßhalb auch solche Bäume in dem Garten sind, geht gleichwohl gerne von ihnen herab und läuft den Gängen der Käfer und der gleichen nach, und ihn unterstüzen oder übertreffen vielmehr die Ammerlinge, die Grasmücken, die Rothkehlchen, die auf der Erde unter Kohlpflanzen und in Hecken ihre Nahrung suchen und finden. Sie beirren sich wechselseitig nicht und lassen in ihrer unglaublichen Thätigkeit nicht nach, ja sie scheinen sich eher darin einander anzueifern. Ich habe nicht eigens Beobachtungen angestellt; aber wenn man mehrere Jahre unter den Thieren lebt, so gibt sich die Betrachtung von selber.»

«Auch einen eigenthümlichen Gedanken», fuhr er fort, «hat das Walten dieser Thiere in mir erweckt oder vielmehr bestärkt; denn ich hatte ihn schon längst. Allen Thatsachen, die wichtig sind, hat Gott außer unserem Bewußtsein ihres Werthes auch noch einen Reiz für uns beigesellt, der sie annehmlich in unser Wesen gehen läßt.

Diesen Thierchen nun, die so nüzlich sind, hat er, ich möchte sagen, die goldene Stimme mitgegeben, gegen die der verhärtetste Mensch nicht verhärtet genug ist. Ich habe in unserem Garten mehr Vergnügen gehabt als manchmal in Sälen, in denen die kunstreichste Musik aufgeführt wurde, die selten zu hören ist. Zwar singt ein Vogel in einem Käfige auch; denn der Vogel ist leichtsinnig, er erschrickt zwar heftig, er fürchtet sich; aber bald ist der Schrecken und die Furcht vergessen, er hüpft auf einen Halt für seine Füße und trällert dort das Lied, das er gelernt hat und das er immer wiederholt. Wenn er jung und sogar auch alt gefangen wird, vergißt er sich und sein Leid, wird ein Hin- und Widerhüpfer in kleinem Raume, da er sonst einen großen brauchte, und singt seine Weise; aber dieser Gesang ist ein Gesang der Gewohnheit, nicht der Lust. Wir haben an unserm Garten einen ungeheueren Käfig ohne Draht, Stangen und Vogeltürchen, in welchem der Vogel vor außerordentlicher Freude, der er sich so leicht hingibt, singt, in welchem wir das Zusammentönen vieler Stimmen hören können, das in einem Zimmer beisammen nur ein Geschrei wäre, und in welchem wir endlich die häusliche Wirthschaft der Vögel und ihre Gebärden sehen können, die so verschieden sind und oft dem tiefsten Ernste ein Lächeln abgewinnen können. Man hat uns in diesem Hegen von Vögeln in einem Garten nicht nachgeahmt. Die Leute sind nicht verhärtet gegen die Schönheit des Vogels und gegen seinen Gesang, ja diese beiden Eigenschaften sind das Unglück des Vogels. Sie wollen dieselben genießen, sie wollen sie recht nahe genießen, und da sie keinen Käfig mit unsichtbaren Drähten und Stangen machen können wie wir, in dem sie das eigentliche Wesen des Vogels wahrnehmen könnten, so machen sie einen mit sichtbaren, in welchem der Vogel eingesperrt ist und seinem zu frühen Tode entgegen singt. Sie sind auf diese Weise nicht unfühlsam für die Stimme des Vogels, aber sie sind unfühlsam für sein Leiden. Dazu kommt noch, daß es der Schwäche und Eitelkeit des Menschen, besonders der Kinder, angenehm ist, eines Vogels, der durch seine Schwingen und seine Schnelligkeit gleichsam aus dem Bereiche menschlicher Kraft gezogen ist, Herr zu werden und ihn durch Wiz und Geschicklichkeit in seine Gewalt zu bringen. Darum ist seit alten Zeiten der Vogelfang ein Vergnügen gewesen, besonders für junge Leute; aber wir müssen sagen, daß es ein sehr rohes Vergnügen ist, das man eigentlich verachten sollte. Freilich ist es noch schlechter und muß ohne weiteres verabscheut werden, wenn man Singvögel nicht des Gesanges wegen fängt, sondern sie fängt und tötet, um sie zu essen. Die unschuldigsten und mitunter schönsten Thiere, die durch ihren einschmeichelnden Gesang und ihr liebliches Benehmen ohnehin unser Vergnügen sind, die uns nichts anders thun als lauter Wohlthaten, werden wie Verbrecher verfolgt, werden meistens, wenn sie ihrem Triebe der Geselligkeit folgen, erschossen, oder, wenn sie ihren nagenden Hunger stillen wollen, erhängt. Und dies geschieht nicht, um ein unabweisliches Bedürfniß zu erfüllen, sondern einer Lust und Laune willen. Es wäre unglaublich, wenn man nicht wüßte, daß es aus Mangel an Nachdenken oder aus Gewohnheit so geschieht. Aber das zeigt eben, wie weit wir noch von wahrer Gesittung entfernt sind. Darum haben weise Menschen bei wilden Völkern und bei solchen, die ihre Gierde nicht zu zähmen wußten oder einen höheren Gebrauch von ihren Kräften noch nicht machen konnten, den Aberglauben aufgeregt, um einen Vogel seiner Schönheit oder Nüzlichkeit willen zu retten. So ist die Schwalbe ein heiliger Vogel geworden, der dem Hause Segen bringt, das er besucht, und den zu töten Sünde ist. Und selten dürfte es ein Vogel mehr verdienen als die Schwalbe, die so wunderschön ist und so unberechenbaren Nuzen bringt. So ist der Storch unter göttlichen Schuz gestellt, und den Staren hängen wir hölzerne Häuser in unsere Bäume. Ich hoffe, daß, wenn unseren Nachbarn die Augen über den Erfolg und den Nuzen des Hegens von Singvögeln aufgehen, sie vielleicht auch dazu schreiten werden, uns nachzuahmen; denn für Erfolg und Nuzen sind sie am empfänglichsten. Ich glaube aber auch, daß unsere Obrigkeiten das Ding nicht gering achten sollten, daß ein strenges Gesez gegen das Fangen und Töten der Singvögel zu geben wäre und daß das Gesez auch mit Umsicht und Strenge aufrecht erhalten werden sollte. Dann würde dem menschlichen Geschlechte ein heiligendes Vergnügen aufbewahrt bleiben, wir würden durch die Länder wie durch schöne Gärten gehen, und die wirklichen Gärten würden erquickend dastehen, in keinem Jahre leiden und in besonders unglücklichen nicht den Anblick der gänzlichen Kahlheit und der traurigen Verödung zeigen. Wollt ihr nicht auch ein wenig unsere gefiederten Freunde ansehen?»

«Sehr gerne», sagte ich.

Wir standen von dem Size auf und gingen mehr in die Tiefe den Gartens zurück.

Das vielstimmige Vogelgezwitscher durch den Garten und das helle Singen in unserer Nähe, welches mir gestern nachmittags da ich es in das Zimmer hinein gehört hatte, seltsam gewesen war, erschien mir nun sehr lieblich, ja ehrwürdig, und wenn ich einen Vogel durch einen Baum huschen sah oder über einen Sandweg laufen, so erfüllte es mich mit einer Gattung Freude. Mein Begleiter führte mich zu einer Hecke, wies mit dem Finger hinein und sagte: «Seht!»

Ich antwortete, daß ich nichts sähe.

«Schaut nur genauer», sagte er, indem er mit dem Finger neuerdings die Richtung wies.

Ich sah nun unter einem äußerst dichten Dornengeflechte, welches in die Hecke gemacht worden war, ein Nest. In dem Neste saß ein Rothkehlchen, wenigstens dem Rücken nach zu urtheilen. Es flog nicht auf, sondern wendete nur ein wenig den Kopf gegen uns und sah mit den schwarzen, glänzenden Augen unerschrocken und vertraulich zu uns herauf.

«Dieses Rothkehlchen sizt auf seinen Eiern», sagte mein Begleiter, «es ist eine Spätehe, wie sie öfter vorkommen. Ich besuche es schon mehrere Tage und lege ihm die Larve des Mehlkäfers in die Nähe. Das weiß der Schelm, darum frägt er mich schon darnach und fürchtet den Fremden nicht, der bei mir ist.»

In der That, das Thierchen blieb ruhig in seinem Neste und ließ sich durch unser Reden und durch unsere Augen nicht beirren.

«Man muß eigentlich ehrlich gegen sie sein», sagte mein Gastfreund; «aber ich habe keine Larve in der Hand, darum bitte ich dich, Gustav, gehe in das Haus und hole mir eine.»

Der Jüngling wendete sich schnell um und eilte in das Haus.

Indessen führte mich mein Begleiter eine Strecke vorwärts und zeigte mir neuerdings in einer Hecke unter Dornen ein Nest, in welchem eine Ammer saß. «Diese sizt auf ihren Jungen, die noch kaum die ersten Härchen haben, und erwärmt sie», sagte mein Begleiter. «Sie kann nicht viel von ihnen weg, darum bringt den meisten Theil der Nahrung der Vater herbei. Nach einigen Tagen aber werden sie schon so stark, daß sie der Mutter überall hervor sehen, wenn sie sich auch zeitweilig auf sie sezt.»

Auch die Ammer flog bei unserer Annäherung nicht auf, sondern sah uns ruhig an.

So zeigte mir mein Begleiter noch ein paar Nester, in denen Junge waren, die, wenn sie sich allein befanden, auf das Geräusch unserer Annäherung die gelben Schnäbel aufsperrten und Nahrung erwarteten. In zwei anderen waren Mütter, die bei unserem Herannahen nicht aufflogen. Da wir im Vorbeigehen noch eins trafen, bei welchem die Eltern äzten, ließen sich diese nicht von ihrem Geschäfte abhalten, flogen herzu und nährten in unserer Gegenwart die Kinder.

«Ich habe euch jezt Nester gezeigt, die noch bevölkert sind», sagte mein Gastfreund, «die meisten sind schon leer, die Jugend flattert bereits in dem Garten herum und übt sich zur Herbstreise. Die Nester sind zahlreicher als man vermuthet, wir besuchen nur die, die uns bei der Hand sind.»

Indessen war Gustav mit der verlangten Larve gekommen und gab sie dem alten Manne in die Hand. Dieser ging zu der Hecke, in welcher das Nest des Rothkehlchens war, und legte die Larve auf den Weg daneben. Kaum hatte er sich entfernt und war zu uns getreten, die wir in der Nähe standen, so schlüpfte das Rothkehlchen unter den untersten Ästen der Hecke heraus, rannte zu der Larve, nahm sie und lief wieder in die Hecke zurück.

Ich weiß nicht, welche tiefe Rührung mich bei diesem Vorfalle überkam. Mein Gastfreund erschien mir wie ein weiser Mann, der sich zu einem niedreren Geschöpfe herabläßt.

Auch der Jüngling Gustav war sehr heiter und zeigte Freude, wenn er in die Büsche blickte, in denen eine Wohnung war. Es war mir dies ein Beweis, daß das Zerstören der Vogelnester durch Wegnahme der Eier oder der Jungen und das Fangen der Vögel überhaupt den Kindern nicht angeboren ist, sondern daß dieser Zerstörungstrieb, wenn er da ist, von Eltern oder Erziehern hervorgerufen und in diese Bahn geleitet wurde, und daß er durch eine bessere Erziehung sein Gegentheil wird.

Wir schritten weiter. In einer kleinen Fichte, die am Rande des Gartens stand, zeigten sie mir noch eine Finkenwohnung, die an dem Stamme in das Geflechte theils hervorgewachsener, theils künstlich eingefugter Äste und Zweige gebaut war. An anderen Bäumen sahen wir auch in die aufgehängten Behälter Vögel aus- und einschlüpfen. Mein Begleiter sagte, daß, wenn ich nur länger hier wäre, mir selbst die Sitten der Vögel verständlicher werden würden.

Ich erwiederte, daß ich schon Mehreres aus meinen Reisen im Gebirge und aus meinen früheren Beschäftigungen in den Naturwissenschaften kenne.

«Das ist doch immer weniger», sagte mein Gastfreund, «als was man durch das lebendige Beisammenleben inne wird.»

Es wurden einige Behälter, die mit aus Ruten geflochtenen Seilen an Bäumen befestigt waren und von denen man wußte, daß sie nicht mehr bewohnt seien, herabgenommen und auseinander gelegt, damit ich ihre Einrichtung sähe. Es war nur eine einfache Höhlung, die aus zwei halbhohlen Stücken bestand, die man mittelst Ringen, die enger zu schrauben waren, aneinanderpressen konnte.

«Kein Singvogel», sagte mein Begleiter, «geht in ein fertiges Nest, es mag nun dasselbe in einer früheren Zeit von ihm selber oder einem anderen Vogel gebaut worden sein, sondern er verfertigt sich sein Nest in jedem Frühlinge neu. Deßhalb haben wir die Behälter aus zwei Theilen machen lassen, daß wir sie leicht auseinander nehmen und die veralteten Nester heraustun können. Auch zum Reinigen der Behälter ist diese Einrichtung sehr tauglich; denn wenn sie unbewohnt sind, nimmt allerlei Ungeziefer seine Zuflucht zu diesen Höhlungen, und der Vogel scheut Unrath und verdorbene Luft und würde eine unreine Höhlung nicht besuchen. Im lezten Theile des Winters, wenn der Frühling schon in Aussicht steht, werden alle diese Behälter herabgenommen, auf das Sorgfältigste gescheuert und in Stand gesezt. Im Winter sind sie darum auf den Bäumen, weil doch mancher Vogel, der nicht abreist, Schuz in ihnen sucht. Die alten Nester werden zerfasert und gegen den Frühling ihre Bestandtheile mit neuen vermehrt in dem Garten ausgestreut, damit die Familien Stoff für ihre Häuser finden.»

Ich sah im Vorübergehen auch die Kletterstäbchen in den Wassertonnen, und im Gebüsche fanden wir das kleine rieselnde Wässerlein.

Als wir uns auf dem Rückwege zum Hause befanden, sagte mein Begleiter: «Ich habe noch eine Art Gäste, die ich füttere, nicht daß sie mir nüzen, sondern daß sie mir nicht schaden. Gleich in der ersten Zeit meines Hierseins, da ich eine sogenannte Baumschule anlegte, nehmlich ein Gärtchen, in welchem die zur Veredlung tauglichen Stämmchen gezogen wurden, habe ich die Bemerkung gemacht, daß mir im Winter die Rinde an Stämmchen abgefressen wurde, und gerade die beste und zarteste Rinde an den besten Stämmchen. Die Übeltäter wiesen sich theils durch ihre Spuren im Schnee, theils, weil sie auch auf frischer That ertappt wurden, als Hasen aus. Das Verjagen half nicht, weil sie wieder kamen und doch nicht Tag und Nacht jemand in der Baumschule Wache stehen konnte. Da dachte ich: die armen Diebe fressen die Rinde nur, weil sie nichts Besseres haben, hätten sie es, so ließen sie die Rinde stehen. Ich sammelte nun alle Abfälle von Kohl und ähnlichen Pflanzen, die im Garten und auf den Feldern übrig blieben, bewahrte sie im Keller auf und legte sie bei Frost und hohem Schnee theilweise auf die Felder außerhalb des Gartens. Meine Absicht wurde belohnt: die Hasen fraßen von den Dingen und ließen unsere Baumschule in Ruhe. Endlich wurde die Zahl der Gäste immer mehr, da sie die wohleingerichtete Tafel entdeckten; aber weil sie mit dem Schlechtesten, selbst mit den dicken Strünken des Kohles, zufrieden waren und ich mir solche von unseren Feldern und von Nachbarn leicht erwerben konnte, so fragte ich nichts darnach und fütterte. Ich sah ihnen oft aus dem Dachfenster mit dem Fernrohre zu. Es ist possierlich, wenn sie von der Ferne herzulaufen, dem bequem daliegenden Fraße mißtrauen, Männchen machen, hüpfen, dann aber sich doch nicht helfen können, herzustürzen und von dem Zeuge hastig fressen, das sie im Sommer nicht anschauen würden. Manche Leute legten Schlingen, da sie wußten, daß hier Hasen zusammenkamen. Aber da wir sehr sorgfältig nachspürten und die Schlingen wegnehmen ließen, da ich auch verbot, über unsere Felder zu gehen, und die Betroffenen zur Verantwortung zog, verlor sich die Sache wieder. Auch den Vögeln legten Buben in unserer Nähe Schlingen; aber das half sehr wenig, da die Vögel in unserem Garten sehr gute Kost hatten und nach der fremden Lockspeise nicht ausgingen. Die Beute an Vögeln war daher nie groß, und mit einiger Aufsicht und Wachsamkeit, die wir in den ersten Jahren einleiteten, geschah es, daß dieser Unfug auch bald wieder aufhörte.»

Der alte Mann lud mich ein, in das Haus zu gehen und die Fütterungskammer anzusehen.

Auf dem Wege dahin sagte er: «Unter die Feinde der Sänger gehören auch die Kazen, Hunde, Iltisse, Wiesel, Raubvögel. Gegen lezte schüzen die Dornen und die Nestbehälter, und Hunde und Kazen werden in unserm Hause so erzogen, daß sie nicht in den Garten gehen, oder sie werden ganz von dem Hause entfernt.»

Wir waren indessen in das Haus gekommen und gingen in das Eckzimmer, in welchem ich die vielen Fächer gesehen hatte. Mein Begleiter zeigte mir die Vorräthe, indem er die Fächer herauszog und mir die Sämereien wies. Die Speisen, welche eben nicht in Sämereien bestehen, wie Eier, Brod, Speck, werden beim Bedarfe aus der Speisekammer des Hauses genommen.

«Meine Nachbaren äußerten schon», sagte mein Begleiter, «daß außer der Mühe, die das Erhalten der Singvögel macht, auch die Kosten zu ihrer Ernährung in keinem Verhältnisse zu ihrem Nuzen stehen. Aber das ist unrichtig. Die Mühe ist ein Vergnügen, das wird der, welcher einmal anfängt, bald inne werden; so wie der Blumenfreund keine Mühe, sondern nur Pflege kennt, welche zudem bei den Blumen viel mehr Thätigkeit in Anspruch nimmt als das Ziehen der Gesangvögel im Freien; die Kosten aber sind in der That nicht ganz unbedeutend; allein wenn ich die edlen Früchte eines einzigen Pflaumenbaumes, welchen mir die Raupen der Vögel wegen nicht abgefressen haben, verkaufe, so deckt der Kaufschilling die Nahrungskosten der Sänger ganz und gar. Freilich ist der Nuzen desto größer, je edler das Obst ist, welches in dem Garten gezogen wird, und dazu, daß sie edles Obst in dieser Gegend ziehen, sind sie schwer zu bewegen, weil sie meinen, es gehe nicht. Wir müssen ihnen aber zeigen, daß es geht, indem wir ihnen die Früchte weisen und zu kosten geben, und wir müssen ihnen zeigen, daß es nüzt, indem wir ihnen Briefe unserer Handelsfreunde weisen, die uns das Obst abgekauft haben. Von den Stämmchen, die in unserer Obstschule wachsen, geben wir ihnen ab und unterrichten sie, wie und auf welchen Plaz sie gesezt werden sollen.»

«Wenn wieder einmal ein Jahr kommen sollte wie das, welches wir vor fünf Jahren hatten», fuhr er fort, «es war ein schlimmes Jahr, heiß mit wenig Regen und ungeheurem Raupenfraß. Die Bäume in Rohrberg, in Regau, in Landegg und Pludern standen wie Fegebesen in die Höhe, und die grauen Fahnen der Raupennester hingen von den entwürdigten Ästen herab. Unser Garten war unverlezt und dunkelgrün, sogar jedes Blatt hatte seine natürliche Ränderung und Ausspizung. Wenn noch einmal ein solches Jahr käme, was Gott verhüte, so würden sie wieder ein Stückchen Erfahrung machen, das sie das erste Mal nicht gemacht haben.»

Ich sah unterdessen die Sämereien und die Anstalten an, fragte Manches und ließ mir Manches erklären.

Wir verließen hierauf das Zimmer, und da wir auf dem Gange waren und gegen Gustavs Zimmer gingen, sagte er: «Daß auch unnüze Glieder herbeikommen, Müßiggänger, Störefriede, das begreift sich. Ein großer Händelmacher ist der Sperling. Er geht in fremde Wohnungen, balgt sich mit Freund und Feind, ist zudringlich zu unsern Sämereien und Kirschen. Wenn die Gesellschaft nicht groß ist, lasse ich sie gelten und streue ihnen sogar Getreide. Sollten sie hier aber doch zu viel werden, so hilft die Windbüchse, und sie werden in den Meierhof hinabgescheucht. Als einen bösen Feind zeigte sich der Rothschwanz. Er flog zu dem Bienenhause und schnappte die Thierchen weg. Da half nichts, als ihn ohne Gnade mit der Windbüchse zu töten. Wir ließen beinahe in Ordnung Wache halten und die Verfolgung fortsezen, bis dieses Geschlecht ausblieb. Sie waren so klug, zu wissen, wo Gefahr ist, und gingen in die Scheunen, in die Holzhütte des Meierhofes und die Ziegelhütte, wo die großen Wespennester unter dem Dache sind. Wir lassen auch darum im Meierhofe und anderen entfernteren Orten die grauen Kugeln solcher Nester, die sich unter den Latten und Sparren der Dächer oder Dachvorsprünge ansiedeln, nicht zerstören, damit sie diese Vögel hinziehen.»

Während dieses Gespräches waren wir in dem Gange der Gaszimmer zu der Thür gekommen, die in Gustavs Wohnung führte. Mein Gastfreund fragte, ob ich diese Wohnung nicht jezt besehen wollte, und wir traten ein.

Die Wohnung bestand aus zwei Zimmern, einem Arbeitszimmer und einem Schlafzimmer. Beide waren, wie es bei solchen Zimmern selten der Fall ist, sehr in Ordnung. Sonst war ihr Geräthe sehr einfach. Bücherkästen, Schreib- und Zeichnungsgeräthe, ein Tisch, Schreine für die Kleider, Stühle und das Bett. Der Jüngling stand fast erröthend da, da ein Fremder in seiner Wohnung war. Wir entfernten uns bald, und der Bewohner machte uns die leichte, feine Verbeugung, die ich gestern schon an ihm bemerkt hatte, weil er uns nicht mehr begleiten, sondern in den Zimmern zurückbleiben wollte, in welchen er noch Arbeit zu verrichten hatte.

«Ihr könnt nun auch die Gaszimmer besuchen», sagte mein Begleiter, «dann habt ihr alle Räume unseres Hauses gesehen.»

Ich willigte ein. Er nahm ein kleines silbernes Glöcklein aus seiner Tasche und läutete.

Es erschien in kurzem eine Magd, von welcher er die Schlüssel der Zimmer verlangte. Sie holte dieselben und brachte sie an einem Ringe, von welchem einzelne los zu lösen waren. Jeder trug die Zahl seines Zimmers auf sich eingegraben. Nachdem mein Beberberger die Magd verabschiedet hatte, schloß er mir die einzelnen Zimmer auf. Sie waren einander vollkommen gleich. Sie waren gleich groß, jedes hatte zwei Fenster, und jedes hatte ähnliche Geräthe wie das meine.

«Ihr seht», sagte er, «daß wir in unserem Hause nicht so ungesellig sind und bei dessen Anlegung schon auf Gäste gerechnet haben. Es können im äußersten Nothfalle noch mehr untergebracht werden als die Zimmer anzeigen, wenn wir zwei in ein Gemach thun und noch andere Zimmer, namentlich die im Erdgeschosse, in Anspruch nehmen. Es ist aber in der Zeit, seit welcher dieses Haus besteht, der Nothfall noch nicht eingetreten.»

Als wir an die östliche Seite des Hauses gekommen waren, an die Seite, die seiner Wohnung gerade entgegengesezt lag, öffnete er eine Thür, und wir traten nicht in ein Zimmer wie bisher, sondern in drei, welche sehr schön eingerichtet waren und zu lieblichem Wohnen einluden. Das erste war ein Zimmer für einen Diener oder eigentlich eine Dienerin; denn es sah ganz aus wie das Zimmer, in welchem die Mädchen meiner Mutter wohnten. Es standen große Kleiderkästen da, mit grünem Ziz verhängte Betten, und es lagen Dinge herum wie in dem Mädchenzimmer meiner Mutter. Die zwei anderen Gemächer zeigten zwar nicht solche Dinge, im Gegentheile, sie waren in der musterhaftesten Ordnung; aber sie wiesen doch eine solche Gestalt, daß man schließen mußte, daß sie zu Wohnungen für Frauen bestimmt sind. Die Geräthe des ersten waren von Mahagoniholz, die des zweiten von Cedern. Überall standen weichgepolsterte Size und schöne Tische herum. Auf dem Fußboden lagen weiche Teppiche, die Pfeiler hatten hohe Spiegel, außerdem stand in jedem Zimmer noch ein beweglicher Ankleidespiegel, an den Fenstern waren Arbeitstischchen, und in der Ecke jedes Zimmers stand, von weißen Vorhängen dicht und undurchdringlich umgeben, ein Bett. Jedes Gemach hatte ein Blumentischchen, und an den Wänden hingen einige Gemälde.

Als ich diese Zimmer eine Weile betrachtet hatte, öffnete mein Begleiter im dritten Zimmer mittelst eines Drückers eine Tapetentür, die sich den Blicken nicht gezeigt hatte, und führte mich noch in ein viertes, kleines Zimmer mit einem einzigen Fenster. Das Zimmerchen war sehr schön. Es war ganz in sanft rosenfarbener Seide ausgeschlagen, welche Zeichnungen in derselben, nur etwas dunkleren Farbe hatte. An dieser schwach rosenrothen Seide lief eine Polsterbank von lichtgrauer Seide hin, die mit mattgrünen Bändern gerändert war. Sessel von gleicher Art standen herum. Die Seide, grau in Grau gezeichnet, hob sich licht und lieblich von dem Roth der Wände ab, es machte fast einen Eindruck, wie wenn weiße Rosen neben rothen sind. Die grünen Streifen erinnerten an das grüne Laubblatt der Rosen. In einer der hinteren Ecken des Zimmers war ein Kamin von ebenfalls grauer, nur dunklerer Farbe mit grünen Streifen in den Simsen und sehr schmalen Goldleisten. Vor der Polsterbank und den Sesseln stand ein Tisch, dessen Platte grauer Marmor von derselben Farbe wie der Kamin war. Die Füße des Tisches und der Sessel so wie die Fassungen an der Polsterbank und den anderen Dingen waren von dem schönen veilchenblauen Amarantholze; aber so leicht gearbeitet, daß dieses Holz nirgends herrschte. An dem mit grauen Seidenvorhängen gesäumten Fenster, welches zwischen grünen Baumwölbungen auf die Landschaft und das Gebirge hinaussah, stand ein Tischchen von demselben Holze und ein reichgepolsterter Sessel und Schemel, wie wenn hier der Plaz für eine Frau zum Ruhen wäre. An den Wänden hingen nur vier kleine, an Größe und Rahmen vollkommen gleiche Ölgemälde. Der Fußboden war mit einem feinen grünen Teppiche überspannt, dessen einfache Farbe sich nur ein wenig von dem Grün der Bänder abhob. Es war gleichsam der Rasenteppich, über dem die Farben der Rosen schwebten. Die Schürzange und die anderen Geräthe an dem Kamine hatten vergoldete Griffe, auf dem Tische stand ein goldenes Glöcklein.

Kein Merkmal in dem Gemache zeigte an, daß es bewohnt sei. Kein Geräthe war verrückt, an dem Teppiche zeigte sich keine Falte und an den Fenstervorhängen keine Verknitterung.

Als ich eine Zeit diese Dinge mit Staunen betrachtet hatte, öffnete mein Begleiter wieder die Tapetentür, die man auch im Innern dieses Zimmers nicht sehen konnte, und führte mich hinaus. Er hatte in dem Rosenzimmerchen nicht ein Wort gesprochen, und ich auch nicht. Als wir durch die anderen Zimmer gegangen waren und er sie hinter uns zugeschlossen hatte, sagte er mir ebenfalls über den Zweck dieser Wohnung nichts, und ich konnte natürlich nicht darum fragen.

Als wir auf den Gang hinausgekommen waren, sagte er: «Nun habt ihr mein ganzes Haus gesehen; wenn ihr wieder einmal in der Zukunft vorüberkommt oder euch gar in der Ferne desselben erinnert, so könnt ihr euch gleich vorstellen, wie es im Inneren aussieht.»

Bei diesen Worten nestelte er den Ring mit den Schlüsseln in irgend eine Tasche seines seltsamen Obergewandes.

«Es ist ein Bild», erwiederte ich auf seine Rede, «das sich mir tief eingeprägt hat und das ich nicht so bald vergessen werde.»

«Ich habe mir das beinahe gedacht», antwortete er.

Da wir in die Nähe meines Zimmers gekommen waren, verabschiedete er sich, indem er sagte, daß er nun einen großen Theil meiner Zeit in Anspruch genommen habe und daß er, um mich nicht noch mehr einzuengen, mir nichts weiter davon enziehen wolle.

Ich dankte ihm für seine Gefälligkeit und Freundlichkeit, mit welcher er mir einen Theil des Tages gewidmet und mir seine Häuslichkeit gezeigt habe, und wir trennten uns. Ich nahm den Schlüssel aus meiner Tasche und öffnete mein Zimmer, um einzutreten; ihn aber hörte ich die Treppe hinabgehen.

Ich blieb nun bis gegen Abend in meinem Gastgemache, theils weil ich ermüdet war und wirklich einige Ruhe nöthig hatte, theils weil ich meinem Gastfreunde nicht weiter lästig sein wollte.

Am Abende ging ich wieder ein wenig auf die Felder außerhalb des Gartens hinaus und kam erst zur Speisestunde zurück. Ich hatte bei dieser Gelegenheit gelernt, mir selber das Gitter zu öffnen und zu schließen.

Es war kein Gast da, und beim Abendessen wie beim Mittagessen waren nur mein Gastfreund, Gustav und ich. Die Gespräche waren über verschiedene gleichgültige Dinge, wir trennten uns bald, ich verfügte mich auf mein Zimmer, las noch, schrieb, entkleidete mich endlich, löschte das Licht und begab mich zur Ruhe.

Der nächste Morgen war wieder herrlich und heiter. Ich öffnete die Fenster, ließ Duft und Luft hereinströmen, kleidete mich an, erfrischte mich mit reichlichem Wasser zum Waschen, und ehe die Sonne nur einen einzigen Tautropfen hatte aufsaugen können, stand ich schon mit meinem Ränzlein auf dem Rücken und mit meinem Hute und dem Schwarzdornstocke in der Hand im Speisezimmer. Der alte Mann und Gustav warteten meiner bereits.

Nachdem das Frühmahl verzehrt worden war, wobei ich troz der Forderung mein Ränzlein nicht abgelegt hatte, dankte ich noch einmal für die große Freundlichkeit und Offenheit, mit welcher ich hier aufgenommen worden war, verabschiedete mich und begab mich auf meinen Weg.

Der alte Mann und Gustav begleiteten mich bis zum Gitterthore des Gartens. Der Alte öffnete, um mich hinauszulassen, so wie er vorgestern geöffnet hatte, um mir den Eingang zu gestatten. Beide gingen mit mir durch das geöffnete Thor hinaus. Als wir auf dem Sandplaze vor dem Hause, angeweht von dem Dufte der Rosen, standen, sagte mein Beherberger: «Nun lebt wohl und geht glücklich eures Weges. Wir kehren durch unser Gitter wieder in unseren Landaufenthalt und zu unseren Beschäftigungen zurück. Wenn ihr in einer anderen Zeit wieder in die Nähe kommt und es euch gefällt, uns zu besuchen, so werdet ihr mit Freundlichkeit aufgenommen werden. Wenn ihr aber gar, ohne daß euch euer Weg hier vorüberführt, freiwillig zu uns kommt, um uns zu besuchen, so wird es uns besonders freuen. Es ist keine Redensart, wenn ich sage, daß es uns freuen würde, ich gebrauche diese Redensarten nicht, sondern es ist wirklich so. Wenn ihr das einmal wollt, so lebt in diesem Hause, so lange es euch zusagt, und lebt so ungebunden als ihr wollt, so wie auch wir so ungebunden leben werden als wir wollen. Wenn ihr uns die Zeit vorher etwa durch einen Boten wissen machen könntet, wäre es gut, weil wir, wenn auch nicht oft, doch manchmal abwesend sind.»

«Ich glaube, daß ihr mich freundlich aufnehmen werdet, wenn ich wieder komme», antwortete ich, «weil ihr es sagt und euer Wesen mir so erscheint, daß ihr nicht eine unwahre Höflichkeit aussprechen würdet. Ich begreife zwar den Grund nicht, weßhalb ihr mich einladet, aber da ihr es thut, nehme ich es mit vieler Freude an und sage euch, daß ich im nächsten Sommer, wenn mich auch mein gewöhnlicher Weg nicht hieher führt, freiwillig in diese Gegend und in dieses Haus kommen werde, um eine kleine Zeit da zu bleiben.»

«Thut es, und ihr werdet sehen, daß ihr nicht unwillkommen seid», sagte er, «wenn ihr auch die Zeit ausdehnt.»

«Ich werde vielleicht das Leztere thun», antwortete ich, «und so lebet wohl.»

«Lebt wohl.»

Bei diesen Worten reichte er mir die Hand und drückte sie.

Ich reichte meine Hand, da er sie losgelassen hatte, auch an den Knaben Gustav, welcher sie annahm, aber nichts sprach, sondern mich blos mit seinen Augen freundlich ansah.

Hierauf schieden wir, indem sie durch das Gitter zurückgingen, ich aber den Hut auf dem Haupte den Weg hinabwandelte, den ich vor zwei Tagen heraufgegangen war.

Ich fragte mich nun, bei wem ich denn diesen Tag und die zwei Nächte zugebracht habe. Er hat um meinen Namen nicht gefragt und hat mir den seinigen nicht genannt. Ich konnte mir auf meine Frage keine Antwort geben.

Und so ging ich denn nun weiter. Die grünen Ähren gaben jezt in der Morgensonne feurige Strahlen, während sie bei meinem Heraufgehen im Schatten des herandrohenden Gewitters gestanden waren.

Ich sah mich noch einmal um, da ich zwischen den Feldern hinabging, und sah das weiße Haus im Sonnenscheine stehen, wie ich es schon öfter hatte stehen gesehen, ich konnte noch den Rosenschimmer unterscheiden und glaubte, noch das Singen der zahlreichen Vögel im Garten vernehmen zu können.

Hierauf wendete ich mich wieder um und ging abwärts, bis ich zu der Hecke und der Einfriedigung der Felder kam, bei der ich vorgestern von der Straße abgebogen hatte. Ich konnte mich nicht enthalten, noch einmal umzusehen. Das Haus stand jezt nur mehr weiß da, wie ich es öfter bei meinen Wanderungen gesehen hatte.

Ich ging nun auf der Landstraße in meiner Richtung vorwärts.

Den ersten Mann, welcher mir begegnete, fragte ich, wem das weiße Haus auf dem Hügel gehöre und wie es hieße.

«Es ist der Aspermeier, dem es gehört», antwortete der Mann, «ihr seid ja gestern selber in dem Asperhofe gewesen und seid mit dem Aspermeier herumgegangen.»

«Aber der Besizer jenes Hauses ist doch unmöglich ein Meier?» fragte ich; denn mir war wohlbekannt, daß man in der Gegend jeden größeren Bauern einen Meier nannte.

«Er ist anfangs nicht der Aspermeier gewesen», antwortete der Mann, «aber er hat von dem alten Aspermeier den Asperhof gekauft, und das Haus hat er gebaut, welches in dem Garten steht und zu dem Asperhof gehört, und jezt ist er der Aspermeier; denn der alte ist längst gestorben.»

«Hat er denn nicht auch einen andern Namen?» fragte ich.

«Nein, wir heißen ihn den Aspermeier», antwortete er.

Ich sah, daß der Mann nichts Weiteres von meinem Gastfreunde wisse und sich nicht um denselben gekümmert habe, ich gab daher bei ihm jedes weitere Forschen auf.

Es begegneten mir noch mehrere Menschen, von denen ich dieselbe Antwort erhielt. Alle kehrten das Verhältniß um und sagten, das Haus im Garten gehöre zu dem Asperhofe. Ich beschloß daher, vorläufig jedes Forschen zu unterlassen, bis ich zu einem Menschen gekommen sein würde, von dem ich berechtigt war, eine bessere Auskunft zu erwarten.

Da mir aber der Name Aspermeier und Asperhof nicht gefiel, nannte ich das Haus, in welchem ein solcher Rosendienst getrieben wurde, in meinem Haupte vorläufig daß Rosenhaus.

Es begegnete mir aber niemand, den ich noch einmal hätte fragen können.

Ich ließ, da ich so meines Weges weiter wandelte, die Dinge des lezten Tages in mir vorübergehen. Mich freute es, daß ich in dem Hause eine so große Reinlichkeit und Ordnung getroffen hatte, wie ich sie bisher nur in dem Hause meiner Eltern gesehen hatte. Ich wiederholte, was der alte Mann mir gezeigt und gesagt hatte, und es fiel mir ein, wie ich mich viel besser hätte benehmen können, wie ich auf manche Reden bessere Antworten geben und überhaupt viel bessere Dinge hätte sagen können.

In diesen Betrachtungen wurde ich unterbrochen. Als ich ungefähr eine Stunde auf dem Wege gewandert war, kam ich an die Ecke des Buchenwaldes, von dem wir vorgestern abends gesprochen hatten, der zu den Besizungen meines Gastfreundes gehört und in welchem ich einmal eine Gabelbuche gezeichnet hatte. Der Weg geht an dem Walde etwas steiler hinan und biegt um die Ecke desselben herum. Da ich bis zu der Biegung gelangt war, kam mir ein Wagen entgegen, welcher mit eingelegtem Radschuhe langsam die Straße herabfuhr. Er mochte darum langsamer als gewöhnlich fahren, weil sich diejenigen, welche in ihm saßen, Vorsicht zum Geseze gemacht haben konnten. Es saßen nehmlich in dem offenen und des schönen Wetters willen ganz zurückgelegten Wagen zwei Frauengestalten, eine ältere und eine jüngere. Beide hatten Schleier, welche von den Hüten über die Schultern niedergingen. Die ältere hatte den Schleier über das Angesicht gezogen, welches aber doch, da der Schleier weiß war, ein wenig gesehen werden konnte. Die jüngere hatte den Schleier zu beiden Seiten des Angesichts zurückgethan und zeigte dieses Angesicht der Luft. Ich sah sie beide an und zog endlich zu einer höflichen Begrüßung meinen Hut. Sie dankten freundlich, und der Wagen fuhr vorüber. Ich dachte mir, da der Wagen immer tiefer über den Berg hinabging, ob denn nicht eigentlich das menschliche Angesicht der schönste Gegenstand zum Zeichnen wäre.

Ich sah dem Wagen noch nach, bis er durch die Biegung des Weges unsichtbar geworden war. Dann ging ich an dem Waldrande vorwärts und aufwärts.

Nach drei Stunden kam ich auf einen Hügel, von welchem ich in die Gegend zurücksehen konnte, aus der ich gekommen war. Ich sah mit meinem Fernrohre, das ich aus dem Ränzlein genommen hatte, deutlich den weißen Punkt des Hauses, in welchem ich die lezten zwei Nächte zugebracht hatte, und hinter dem Hause sah ich die duftigen Berge. Wie war nun der Punkt so klein in der großen Welt.

Ich kam bald in den Ort, in welchem ich, da ich bisher nirgends angehalten hatte, mein Mittagsmahl einzunehmen gesonnen war, obwohl die Sonne bis zum Scheitel noch einen kleinen Bogen zurückzulegen hatte.

Ich fragte in dem Orte wieder um den Besizer des weißen Hauses und beschrieb dasselbe und seine Lage, so gut ich konnte. Man nannte mir einen Mann, der einmal in hohen Staatsämtern gestanden war; man nannte mir aber zwei Namen, den Freiherrn von Risach und einen Herrn Morgan. Ich war nun wieder ungewiß wie vorher.

Am andern Tage morgens kam ich in den Gebirgszug, welcher das Ziel meiner Wanderung war und in welchen ich von dem anderen Gebirgszuge durch einen Theil des flachen Landes überzusiedeln beschlossen hatte. Am Mittage kam ich in dem Gasthofe an, den ich mir zur Wohnung ausgewählt hatte. Mein Koffer war bereits da, und man sagte mir, daß man mich früher erwartet habe. Ich erzählte die Ursache meiner verspäteten Ankunft, richtete mich in dem Zimmer, das ich mir bestellt hatte, ein und begab mich an die Geschäfte, welche in diesem Gebirgstheile zu betreiben ich mir vorgesezt hatte.