BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adalbert Stifter

1805 - 1868

 

Der Nachsommer

 

Erster Band

 

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7. Die Begegnung

 

Auf der Reise nach dem Orte meiner Bestimmung zeichnete ich ein schönes Standbild, welches ich in der Nische einer Mauertrümmer fand. Ich hatte dazu mein Zeichnungsbuch aus dem Ränzlein genommen, in welchem ich es jezt immer trug. Dies war die einzige Unterbrechung und der einzige Aufenthalt auf dieser Reise gewesen.

Als ich an meinem Bestimmungsorte angelangt war, war das erste, was ich that, daß ich meine Zeit besser zu Rathe hielt als früher. Ich mußte mir bekennen, daß die Art, wie in dem Rosenhause das Tagewerk betrieben wurde, auf mich von großem Einflusse sein solle. Da dort der Werth der Zeit sehr hoch angeschlagen und dieses Gut sehr sorgfältig angewendet wurde, so fing ich, wenn ich mir auch bisher einen großen Vorwurf nicht hatte machen können, dennoch an, mit viel mehr Ordnung als bisher nach einem einzigen Ziele während einer bestimmten Zeit hinzuarbeiten, während ich früher, durch augenblickliche Eindrücke bestimmt, mit den Zielen öfter wechselte und, obwohl ich eifrig strebte, doch eine dem Streben entsprechende Wirkung nicht jederzeit erreichte. Ich machte mir nun zur Aufgabe, eine bestimmte Strecke zu durchforschen und im Verlaufe überhaupt nichts liegen zu lassen, was von Wesenheit wäre, aber auch nichts auf eine gelegenere Zukunft zu verschieben, so daß, sollte ich bis zur Rosenzeit mit der vorgesezten Strecke nicht fertig werden, wenigstens der Theil, den ich vollendete, wirklich fertig wäre und ich auf genau umschriebene Ergebnisse zu deuten im Stande wäre. Das sah ich nach dem Beginne der Arbeiten sehr bald, daß ich mir den Raum zu groß ausgesteckt hatte; aber auch das sah ich sehr bald, daß der kleinere Raum, den ich überwinden würde, mir mehr an Erfolg sicherte, als wenn ich wie in meiner Vergangenheit durch geraume Zeit den Blick so ziemlich auf Alles gespannt hätte. Hiezu kam auch eine gewisse Zufriedenheit, die ich fühlte, wenn ich sah, daß sich Glied an Glied zu einer Ordnung aneinander reihte, während früher mehr ein ansprechender Stoff durcheinander lag, als daß eine aus dem Stoffe hervorgehende Gestaltung sich entwickelt hätte.

Meine Kisten füllten sich und stellten sich an einander.

Meine Führer und meine Träger gewannen auch einen Halt in der neuen Ordnung und es wuchs ihnen ein Zutrauen zu mir. Ich bekam eine Neigung zu ihnen, die sie erwiederten, so daß sich ein fröhliches Zusammenleben immer mehr gestaltete und die Arbeit heiter und darum auch zweckmäßig wurde. Oft, wenn wir abends in der Wirthsstube um den großen viereckigen Ahorntisch oder, da die Tage endlich heißer wurden, statt an den todten Brettern des Tisches draußen unter den lebenden und rauschenden Ahornen saßen, um welche ein fichtener Tisch zusammen gezimmert war und auf welche das vielfenstrige Gasthaus heraus sah, rechneten sie sich vor, was heute, was seit vierzehn Tagen geschehen sei, wie viel wir, wie sie sich ausdrückten, abgethan haben, und wie viel Gebirge zusammen gestellt worden sei. Sie fingen auch bald an, die Sache nach ihrer Art zu begreifen, über Vorkommnisse in den Gebirgszügen zu reden und zu streiten und mir zuzumuthen, daß, wenn ich mir merken könnte, woher alle die gesammelten Stücke seien, und wenn ich die Höhe und die Mächtigkeit der Gebirge zu messen im Stande wäre, ich das Gebirge im Kleinen auf einer Wiese oder auf einem Felde aufstellen könnte. Ich sagte ihnen, daß das ein Theil meines Zweckes sei, und wenn gleich das Gebirge nicht auf einer Wiese oder auf einem Felde zusammengestellt werde, so werde es doch auf dem Papiere gezeichnet und werde mit solchen Farben bemalt, daß jeder, der sich auf diese Dinge verstände, das Gebirge mit allem, woraus es bestehe, vor Augen habe. Deßhalb merke ich mir nicht nur, woher die Stücke seien und unter welchen Verhältnissen sie in den Bergen bestehen, sondern schreibe es auch auf, damit es nicht vergessen werde, und beklebe auch die Stücke mit Zetteln, auf denen alles Nothwendige stehe. Diese Stücke, in ihrer Ordnung aufgestellt, seien dann der Beweis dessen, was auf dem Papiere oder der Karte, wie man das Ding nenne, aufgemalt sei. Sie meinten, daß dieses sehr klug gethan sei, um, wenn einer einen Stein oder sonst etwas zu einem Baue oder dergleichen bedürfe, gleich aus der Karte heraus lesen zu können, wo er zu finden sei. Ich sagte ihnen, daß ein anderer Zweck auch darin bestehe, aus dem, was man in den Gebirgen finde, schließen zu können, wie sie entstanden seien.

Die Gebirge seien gar nicht entstanden, meinte einer, sondern seien seit Erschaffung der Welt schon dagewesen.

«Sie wachsen auch», sagte ein anderer, «jeder Stein wächst, jeder Berg wächst wie die anderen Geschöpfe. Nur», sezte er hinzu, weil er gerne ein wenig schalkhaft war, «wachsen sie nicht so schnell wie die Schwämme.»

So stritten sie länger und öfter über diesen Gegenstand, und so besprachen wir uns über unsere Arbeiten. Sie lernten durch den bloßen Umgang mit den Dingen des Gebirges und durch das öftere Anschauen derselben nach und nach ein Weiteres und Richtigeres, und lächelten oft über eine irrige Ansicht und Meinung, die sie früher gehabt hatten.

Mein Tagebuch der Aufzeichnungen zur Festhaltung der Ordnung dehnte sich aus, die Blätter mehrten sich und gaben Aussicht zu einer umfassenden und regelmäßigen Zusammenstellung des Stoffes, wenn die Wintertage oder sonst Tage der Muße gekommen sein würden.

An Sonntagen oder zu anderen Zeiten, wo die Arbeit minder drängte, gab es noch Gelegenheit zu manchen angenehmen Freuden und zu stärkender Erholung.

Eines Tages fanden wir ein Stück Marmor, von dem ich dachte, daß ihn mein Gastfreund in seinem Rosenhause noch gar nicht habe. Er war von dem reinsten Weiß, Rosenroth und Strohgelb in kleiner und lieblicher Mischung. Seine Art ist eine der seltensten, und hier war sie in einem so großen Stücke vorhanden, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Ich beschloß, diesen Marmor meinem Gastfreunde zum Geschenke zu machen. Ich versuchte, mir ein Eigenthumsrecht darüber zu erwerben, und als mir dieses gelungen war, ging ich daran, das Stück, soweit seine Festigkeit ununterbrochen war, heraus nehmen und in eine Gestalt schneiden zu lassen, deren es fähig war. Es zeigte sich, daß eine schöne Tischplatte aus diesem Stoffe zu verfertigen wäre. Von den losen Schuttstücken nahm ich mehrere der besseren mit, um allerlei Dinge der Erinnerung daraus machen zu lassen. Eines ließ ich zu einer Tafel schleifen und dieselbe glätten, daß mein Gastfreund die Zeichnung und die Farbe des Marmors auf das beste sehen könne.

So war eine Strecke abgethan, als in den Thälern sich die kleinen Knospen der Rosen zu zeigen anfingen und selbst an dem Hagedorn, der in Feldgehegen oder an Gebirgssteinen wuchs, die Bällchen zu der schönen, aber einfachen Blume sich entwickelten, die die Ahnfrau unserer Rosen ist. Ich beschloß daher, meine Reise in das Rosenhaus anzutreten. Ich habe mich kaum mit größerem Vergnügen nach einem langen Sommer zur Heimreise vorbereitet, als ich mich jezt nach einer wohlgeordneten Arbeit zu dem Besuche im Rosenhause anschickte, um dort eine Weile einen angenehmen Landaufenthalt zu genießen.

Eines Nachmittages stieg ich zu dem Hause empor und fand die Rosen zwar nicht blühend, aber so überfüllt mit Knospen, daß in nicht mehr fernen Tagen eine reiche Blüthe zu erwarten war.

«Wie hat sich alles verändert», sagte ich zu dem Besizer, nachdem ich ihn begrüßt hatte, «da ich im Frühlinge von hier fortging, war noch alles öde, und nun blättert, blüht und duftet alles hier beinahe in solcher Fülle wie im vorigen Jahre zu der Zeit, da ich zum ersten Male in dieses Haus heraufkam.»

«Ja», erwiederte er, «wir sind wie der reiche Mann, der seine Schäze nicht zählen kann. Im Frühlinge kennt man jedes Gräschen persönlich, das sich unter den ersten aus dem Boden hervor wagt, und beachtet sorgsam sein Gedeihen, bis ihrer so viele sind, daß man nicht mehr nach ihnen sieht, daß man nicht mehr daran denkt, wie mühevoll sie hervor gekommen sind, ja daß man Heu aus ihnen macht und gar nicht darauf achtet, daß sie in diesem Jahre erst geworden sind, sondern thut, als ständen sie von jeher auf dem Plaze.»

Man hatte mir eine eigene Wohnung machen lassen und führte mich in dieselbe ein. Es waren zwei Zimmer am Anfange des Ganges der Gaszimmer, welche man durch eine neugebrochene Thür zu einer einzigen Wohnung gemacht hatte. Das eine war bedeutend groß und hatte ursprünglich die Bestimmung gehabt, mehrere Personen zugleich zu beherbergen. Es war jezt ausgeleert, an seinen Wänden standen Tische und Gestelle herum, sowie in seiner Mitte ein langer Tisch angebracht war, damit ich meine Sachen, die ich etwa von dem Gebirge brächte, ausbreiten könnte. Das zweite Zimmer war kleiner und war zu meinem Schlaf- und Wohngemache hergerichtet. Der alte Mann reichte mir die Schlüssel zu dieser Wohnung. Auch zeigte man mir in der leichten gemauerten Hütte, die nicht weit hinter der Schreinerei an der westlichen Grenze des Gartens lag und in früheren Zeiten zu den Steinarbeiten benuzt worden war, einen Raum, den man ausgeleert hatte und in welchen ich Gegenstände, die ich gesammelt hätte, bis auf weitere Verfügung niederlegen könnte. Sollte ich mehr brauchen, so könne noch mehr geräumt werden, da jezt die Arbeiten mit den Steinen fast beendigt seien und selten etwas gesägt, geschliffen oder geglättet werde. Ich war über diese Aufmerksamkeiten so gerührt, daß ich fast keinen Dank dafür zu sagen vermochte. Ich begriff nicht, was ich mir denn für Verdienste um den Mann oder seine Umgebung erworben habe, daß man solche Anstalten mache. Das Eine gereichte zu meiner Beruhigung, daß ich aus diesen Vorrichtungen sah, daß ich in dem Hause nicht unwillkommen sei, denn sonst wäre man nicht auf den Gedanken derselben gerathen. Dieses Bewußtsein versprach meinen Bewegungen in den hiesigen Verhältnissen viel mehr Freiheit zu geben. Ich stattete endlich doch meinen Dank ab und man nahm ihn mit Vergnügen auf.

Da ich in meiner Wohnung meine Wandersachen abgelegt hatte und die ersten allgemeinen Gespräche vorüber waren, wollte ich einen übersichtlichen Gang durch den Garten machen. Ich ging bei der Seitentür des Hauses hinaus, und da ich auf den kleinen Raum kam, der hier eingefaßt ist, kam der große Hofhund auf mich zu und wedelte. Als ich sah, daß der alte Hilan mich erkenne und begrüße, war ich so kindisch, mich darüber zu freuen, weil es mir war, als sei ich kein Fremder, sondern gehöre gewissermaßen zur Familie.

Am nächsten Tage nach meiner Ankunft erschien der Wagen mit meinem Gepäcke und mit der Marmorplatte. Ich ließ abladen und übergab die Platte meinem Gastfreunde mit dem Bedeuten, daß ich ihm in derselben eine Erinnerung aus dem Gebirge bringe. Zugleich händigte ich ihm das kleinere geschliffene Stück zur genaueren Einsicht in die Natur des Marmors ein. Er besah das Stück und dann auch die Platte sehr sorgfältig. Hierauf sagte er: «Dieser Marmor ist außerordentlich schön, ich habe ihn noch gar nicht in meiner Sammlung, auch scheint die Platte dicht und ohne Unterbrechung zu sein, so daß ein reiner Schliff auf ihr möglich sein wird, ich bin sehr erfreut, in dem Besize dieses Stückes zu sein und danke euch sehr dafür. Allein in meinem Hause kann er als Bestandtheil desselben nicht verwendet werden, weil dort nur solche Stücke angebracht sind, welche ich selber gesammelt habe, und weil ich an dieser Art der Sammlung und an der Verbuchung darüber eine solche Freude habe, daß ich auch in der Zukunft nicht von diesem Grundsaze abgehe. Es wird aber ganz gewiß aus diesem Marmor etwas gemacht werden, das seiner nicht unwerth ist, ich hege die Hoffnung, daß es euch gefallen wird, und ich wünsche, daß die Gelegenheit seiner Verwendung euch und mir zur Freude gereiche.»

Ich hatte ohnehin ungefähr so etwas erwartet und war beruhigt.

Der Marmor wurde in die Steinhütte gebracht, um dort zu liegen, bis man über ihn verfügen würde. Meine übrigen Dinge aber ließ ich in meine Wohnung bringen.

Ich ging im Sommer immer sehr leicht gekleidet, entweder in ungebleichtem oder gestreiftem Linnen. Den Kopf bedeckte meistens ein leichter Strohhut. Um nun hier nicht aufzufallen und um weniger von der einfachen Kleidung der Hausbewohner abzustechen, nahm ich ein paar solcher Anzüge sammt einem Strohhute aus dem Koffer, kleidete mich in einen und legte dafür meinen Reiseanzug für eine künftige Wanderung zurück.

Mein Gastfreund hatte auf seiner Besizung eine etwas eigenthümliche Tracht theils eingeführt, theils nahmen sie die Leute selber an. Die Dienerinnen des Hauses waren in die Landestracht gekleidet, nur dort, wo diese, wie namentlich in unserem Gebirge, ungefällig war oder in das Häßliche ging, wurde sie durch den Einfluß des Hausbesizers gemildert und mit kleinen Zuthaten versehen, die mir schön erschienen. Diese Zuthaten fanden im Anfange Widerstand, aber da sie von dem alten Herrn geschenkt wurden und man ihn nicht kränken wollte, wurden sie angenommen und später von den Umwohnerinnen nicht nur beneidet, sondern auch nachgeahmt. Die Männer, welche in dem Hause dienten oder in dem Meierhofe arbeiteten oder in dem Garten beschäftigt waren, trugen gefärbtes Linnen, nur war dasselbe nicht so dunkel, als es bei uns im Gebirge gebräuchlich ist. Eine Jacke oder eine andere Art Überrock hatten sie im Sommer nicht, sondern sie gingen in lediglichen Hemdärmeln, und um den Hals hatten sie ein loses Tuch geschlungen. Auf dem Haupte trugen einige wie der Hausherr nichts, andere hatten den gewöhnlichen Strohhut. Eustach schien in seiner Kleidung niemanden nachzuahmen, sondern sie selbst zu wählen. Er ging auch in gestreiftem Linnen, meistens rostbraun mit grau oder weiß; aber die Streifen waren fast handbreit, oder es hatte der ganze Stoff nur zwei Farben, die Hälfte des Längenblattes braun, die Hälfte weiß. Oft hatte er einen Strohhut, oft gar nichts auf dem Haupte. Seine Arbeiter hatten ähnliche Anzüge, auf denen selten ein Schmuzfleck zu sehen war; denn bei der Arbeit hatten sie große grüne Schürzen um. Unter allen diesen Leuten hoben sich der Gärtner und die Gärtnerin heraus, welche blos schneeweiß gingen.

Ich zeigte meinem Gastfreunde und Eustach die Zeichnung, welche ich von dem Standbilde in der Mauernische gemacht hatte. Sie freuten sich, daß ich auf derlei Dinge aufmerksam sei, und sagten, daß sie dasselbe Bild auch unter ihren Zeichnungen hätten, nur daß es jezt mit mehreren anderen Blättern außer Hause sei.

Ich betrachtete nun alles, was mir in dem Garten und auf dem Felde im vorigen Jahre in derselben Jahreszeit merkwürdig gewesen war. Die Blätter der Bäume, die Blätter des Kohles und die von anderen Gewächsen waren vom Raupenfraße frei, und nicht nur die im Garten, sondern auch die in der nächsten und in der in ziemliche Ferne reichenden Umgebung. Ich hatte bei meiner Herreise eigens auf diesen Umstand mein Augenmerk gerichtet. Dennoch entbehrte der Garten nicht des schönen Schmuckes der Faltern; denn einerseits konnten die Vögel doch nicht alle und jede Raupen verzehren und andererseits wehte der Wind diese schönen lebendigen Blumen in unsern Garten oder sie kamen auf ihren Wanderungen, die sie manchmal in große Entfernungen antreten, selber hieher. Der Gesang der Vögel war mir wieder wie im vorigen Jahre eigenthümlich, und er war mir wieder ganz besonders schmelzend.

Dadurch, daß sie in verschiedenen Fernen sind, die Laute also mit ungleicher Stärke an das Ohr schlagen, dadurch, daß sie sich gelegenheitlich unterbrechen, da sie inzwischen allerlei zu thun haben, eine Speise zu haschen, auf ein Junges zu merken, wird ein reizender Schmelz veranlaßt wie in einem Walde, während die besten Singvögel in vielen Käfigen nahe bei einander nur ein Geschrei machen, und dadurch, daß sie in dem Garten sich doch wieder näher sind als im Walde, wird der Schmelz kräftiger, während er im Walde zuweilen dünn und einsam ist. Ich sah die Nester, besuchte sie und lernte die Gebräuche dieser Thiere kennen.

In meinen Zimmern richtete ich mich ein, ich that die Bücher und Papiere, die ich mitgebracht hatte, heraus, um zu lesen, einzuzeichnen und zu ordnen. Ich legte auch auf den großen Tisch und auf die Gestelle an den Wänden kleinere Gegenstände, die ich mitgebracht hatte, besonders Versteinerungen oder andere deutlichere Überreste, um sie zu benuzen.

Gustav kam häufig zu mir, er nahm Antheil an diesen Dingen, ich erklärte ihm Manches, und mein Gastfreund sah es nicht ungern, wenn ich mit ihm, entweder ein Buch in der Hand unter den schattigen Linden des Gartens oder ohne Buch auf großen Spaziergängen - denn der alte Mann liebte die Bewegung noch sehr - von meiner Wissenschaft sprach. Er erzählte mir dagegen von der seinigen, und ich hörte ihm freundlich zu, wenn er auch Dinge brachte, die mir schon besser bekannt waren. Zeiten, in denen ich ohne Beschäftigung und allein war, brachte ich auf Gängen in den Feldern oder auf einem Besuche in dem Schreinerhause oder in dem Gewächshause oder bei den Cactus zu.

Die wogenden Felder, die ich im vorigen Jahre um dieses Anwesen getroffen hatte, waren auch heuer wogende und wurden mit jedem Tage schöner, dichter und segensreicher, der Garten hüllte sich in die Menge seiner Blätter und der nach und nach schwellenden Früchte, der Gesang der Vögel wurde mir immer noch lieblicher und schien die Zweige immer mehr zu erfüllen, die scheuen Thiere lernten mich kennen, nahmen von mir Futter und fürchteten mich nicht mehr. Ich lernte nach und nach alle Dienstleute kennen und nennen, sie waren freundlich mit mir, und ich glaube, sie wurden mir gut, weil sie den Herrn mich mit Wohlwollen behandeln sahen. Die Rosen gediehen sehr, Tausende harrten des Augenblicks, in dem sie aufbrechen würden. Ich half oft an den Beschäftigungen, die diesen Blumen gewidmet wurden, und war dabei, wenn die Rosenarbeiten besichtigt wurden und ausgemittelt ward, ob alles an ihnen in gutem Stande sei. Ebenso ging ich gerne zum Besehen anderer Dinge mit, wenn auf Wiesen oder im Walde gearbeitet wurde, in welch lezterem man jezt daran war, das im Winter geschlagene Holz zu verkleinern oder zum Baue oder zu Schreinerarbeiten herzurichten. Ich trug oft meinen Strohhut, wenn der alte Mann und Gustav neben mir barhäuptig gingen, in der Hand, und ich mußte bekennen, daß die Luft viel angenehmer durch die Haare strich, als wenn sie durch einen Hut auf dem Haupte zurück gehalten wurde, und daß die Hize durch die Locken so gut wie durch einen Hut von dem bloßen Haupte abgehalten wurde.

Eines Tages, da ich in meinem Zimmer saß, hörte ich einen Wagen zu dem Hause herzufahren. Ich weiß nicht, weßhalb ich hinabging, den Wagen ankommen zu sehen. Da ich an das Gitter gelangte, stand er schon außerhalb desselben. Er war von zwei braunen Pferden herbeigezogen worden, der Kutscher saß noch auf dem Bocke und mußte eben angehalten haben. Vor der Wagentür, mit dem Rücken gegen mich gekehrt, stand mein Gastfreund, neben ihm Gustav und neben diesem Katharina und zwei Mägde. Der Wagen war noch gar nicht geöffnet, er war ein geschlossener Gläserwagen und hatte an der innern Seite seiner Fenster grüne zugezogene Seidenvorhänge. Einen Augenblick nach meiner Ankunft öffnete mein Gastfreund die Wagentür. Er geleitete an seiner Hand eine Frauengestalt aus dem Wagen. Sie hatte einen Schleier auf dem Hute, hatte aber den Schleier zurückgeschlagen und zeigte uns ihr Angesicht. Sie war eine alte Frau.

Augenblicklich, da ich sie sah, fiel mir das Bild ein, welches mein Gastfreund einmal über manche alternde Frauen von verblühenden Rosen hergenommen hatte. «Sie gleichen diesen verwelkenden Rosen. Wenn sie schon Falten in ihrem Angesichte haben, so ist doch noch zwischen den Falten eine sehr schöne, liebe Farbe», hatte er gesagt, und so war es bei dieser Frau. Über die vielen feinen Fältchen war ein so sanftes und zartes Roth, daß man sie lieben mußte und daß sie wie eine Rose dieses Hauses war, die im Verblühen noch schöner sind als andere Rosen in ihrer vollen Blüthe. Sie hatte unter der Stirne zwei sehr große schwarze Augen, unter dem Hute sahen zwei sehr schmale Silberstreifen des Haares hervor, und der Mund war sehr lieb und schön. Sie stieg von dem Wagentritte herab und sagte die Worte: «Gott grüße dich, Gustav!»

Hiebei neigte sich der alte Mann gegen sie, sie neigte ihr Angesicht gegen ihn und die beiderseitigen Lippen küßten sich zum Willkommensgruße.

Nach dieser Frau kam eine zweite Frauengestalt aus dem Wagen. Sie hatte auch einen Schleier um den Hut und hatte ihn auch zurückgeschlagen. Unter dem Hute sahen braune Locken hervor, das Antliz war glatt und fein, sie war noch ein Mädchen. Unter der Stirne waren gleichfalls große schwarze Augen, der Mund war hold und unsäglich gütig, sie schien mir unermeßlich schön. Mehr konnte ich nicht denken; denn mir fiel plözlich ein, daß es gegen die Sitte sei, daß ich hinter dem Gitter stehe und die Aussteigenden anschaue, während die, die sie empfangen, mir den Rücken zuwenden und von meiner Anwesenheit nichts wissen. Ich ging um die Ecke des Hauses zurück und begab mich wieder in mein Wohnzimmer.

Dort hörte ich nach einiger Zeit an Tritten und Gesprächen, daß die ganze Gesellschaft an meinem Zimmer vorbei den ganzen Gang entlang wahrscheinlich in die schönen Gemächer an der östlichen Seite des Hauses gehe.

Was weiter an dem Wagen geschehen sei, ob noch eine oder zwei Personen aus demselben gestiegen seien, konnte ich nicht wissen; denn auch nicht einmal beim Fenster wollte ich nun hinabsehen. Daß aber Gegenstände von demselben abgepackt und in das Haus gebracht wurden, konnte ich an dem Reden und Rufen der Leute erkennen. Auch den Wagen hörte ich endlich fortfahren, wahrscheinlich wurde er in den Meierhof gebracht.

Ich blieb immer in der Tiefe des Zimmers sizen. Ich ging weder zu dem Fenster, noch ging ich in den Garten, noch verließ ich überhaupt das Zimmer, obwohl eine ziemlich lange Zeit ruhig und still verfloß. Ich wollte lesen oder schreiben und that es dann doch wieder nicht.

Endlich, da vielleicht ein paar Stunden vergangen waren, kam Katharina und sagte, der alte Herr lasse mich recht schön bitten, daß ich in das Speisezimmer kommen möge, man erwarte mich dort.

Ich ging hinab.

Als ich eingetreten war, sah ich, daß mein Gastfreund in einem Lehnsessel an dem Tische saß, neben ihm saß Gustav. An der entgegengesezten Seite saß die Frau. Ihr Sessel war aber ein wenig von dem Tische abgewendet und der Thür, durch welche ich eintrat, zugekehrt. Hinter ihr und um eine Sesselhälfte seitwärts saß das Mädchen.

Sie waren nun ganz anders gekleidet, als da ich sie aus dem Wagen steigen gesehen hatte. Statt des städtischen Hutes, den sie da getragen hatten, deckte jezt ein Strohhut mit nicht gar breiten Flügeln, so daß sie eben genug Schatten gaben, das Haupt, die übrigen Kleider bestanden aus einem einfachen, lichten, mattfärbigen Stoffe und waren ohne alle besonderen Verzierungen verfertigt, so wie der Schnitt nichts Auffälliges hatte, weder eine zur Schau getragene Ländlichkeit noch ein zu strenge festgehaltenes städtisches Wesen.

Es standen mehrere Diener herum, so wie Katharina, die mich geholt hatte, auch wieder hinter mir in das Zimmer gegangen war und sich zu den dastehenden Mägden gesellt hatte. Selbst der Gärtner Simon war zugegen.

Als ich in die Nähe des Tisches gekommen war, stand mein Gastfreund auf, umging den Tisch, führte mich vor die Frau und sagte: «Erlaube, daß ich dir den jungen Mann vorstelle, von dem ich dir erzählt habe.» Hierauf wandte er sich gegen mich und sagte: «Diese Frau ist Gustavs Mutter, Mathildis.»

Die Frau sagte in dem ersten Augenblicke nichts, sondern richtete ein Weilchen die dunkeln Augen auf mich.

Dann wies er mit der Hand auf das Mädchen und sagte: «Diese ist Gustavs Schwester Natalie.»

Ich wußte nicht, waren die Wangen des Mädchens überhaupt so roth oder war es erröthet. Ich war sehr befangen und konnte kein Wort hervor bringen. Es war mir äußerst auffallend, daß er jezt, wo er den Namen beinahe mit Nothwendigkeit brauchte, weder um den meinigen gefragt noch den der Frauen genannt hatte. Ehe ich recht mit mir zu Rathe gehen konnte, ob zu der Verbeugung, welche ich gemacht hatte, etwas gesagt werden solle oder nicht, fuhr er in seiner Rede fort und sagte: «Er ist ein freundlicher Hausgenosse von uns geworden und schenkt uns einige Zeit in unserer ländlichen Einsamkeit. Er strebt die Berge und das Land zu erforschen und zur Kenntniß des Bestehenden und zur Herstellung der Geschichte des Gewordenen etwas beizutragen. Wenn auch die Thaten und die Förderung der Welt mehr das Geschäft des Mannes und des Greises sind, so ziert ein ernstes Wollen auch den Jüngling, selbst wo es nicht so klar und so bestimmt ist wie hier.»

«Mein Freund hat mir von euch erzählt», sagte die Frau zu mir, indem sie mich wieder mit den dunkeln glänzenden Augen ansah, «er hat mir gesagt, daß ihr im vergangenen Jahre bei ihm waret, daß ihr ihn im Frühlinge besucht habt und daß ihr versprochen habt, zur Zeit der Rosenblüthe wieder eine Weile in diesem Hause zuzubringen. Mein Sohn hat auch sehr oft von euch gesprochen.»

«Er scheint nicht ganz ungerne hier zu sein», sagte mein Gastfreund; «denn sein Angesicht wenigstens hat noch nicht, bei dem früheren so wie bei dein jezigen Besuche, die Heiterkeit verloren.»

Ich hatte mich während dieser Reden gesammelt und sagte: «Wenn ich auch aus der großen Stadt komme, so bin ich doch wenig mit fremden Menschen in Verkehr getreten und weiß daher nicht, wie mit ihnen um zugehen ist. In diesem Hause bin ich, da ich irrthümlich ein Gewitter fürchtete und um einen Unterstand herauf ging, sehr freundlich aufgenommen worden, ich bin wohlwollend eingeladen worden, wieder zu kommen und habe es gethan. Es ist mir hier in Kurzem so lieb geworden wie bei meinen theuren Eltern, bei welchen auch eine Regelmäßigkeit und Ordnung herrscht wie hier. Wenn ich nicht ungelegen bin und die Umgebung mir nicht abgeneigt ist, so sage ich gerne, wenn ich auch nicht weiß, ob man es sagen darf, daß ich immer mit Freuden kommen werde, wenn man mich einladet.»

«Ihr seid eingeladen», erwiederte mein Gastfreund, «und ihr müßt aus unsern Handlungen erkennen, daß ihr uns sehr willkommen seid. Nun werden auch Gustavs Mutter und Schwester eine Weile in diesem Hause zubringen, und wir werden erwarten, wie sich unser Leben entwickeln wird. Wollt ihr euch nicht ein wenig zu mir sezen und abwarten, bis der Willkommensgruß von allen, die da stehen, vorüber ist?»

Er ging wieder um den Tisch herum zurück, und ich folgte ihm. Gustav machte mir Plaz neben seinem Ziehvater und sah mich mit der Freude an, welche ein Sohn empfindet, der in der Fremde den Besuch der Mutter empfängt.

Natalie hatte kein Wort gesprochen.

Ich konnte jezt, da ich ein wenig gegen die Frauen hin zu blicken vermochte, recht deutlich sehen, daß hier Gustavs Mutter und Schwester zugegen seien; denn beide hatten dieselben großen schwarzen Augen wie Gustav, beide dieselben Züge des Angesichtes, und Natalie hatte auch die braunen Locken Gustavs, während die der Mutter die Silberfarbe des Alters trugen. Sie gingen nun, recht schön geordnet, in einem viel breiteren Bande an beiden Seiten der Stirne herab, als sie es unter dem Reisestrohhute gethan hatten.

Vor Mathilde war, während wir unsere Size eingenommen hatten, die Haushälterin Katharina getreten.

Die Frau sagte: «Sei mir vielmal gegrüßt, Katharina, ich danke dir, du hast deinen Herrn und meinen Sohn in deiner besonderen Obhut und übst viele Sorgfalt an ihnen aus. Ich danke dir sehr. Ich habe dir etwas gebracht, nur als eine kleine Erinnerung, ich werde es dir schon geben.»

Als Katharina zurück getreten war, als sich die anderen insgesammt näherten, sich verbeugten und mehrere Mädchen der Frau die Hand küßten, sägte sie: «Seid mir alle von Herzen gegrüßt, ihr sorgt alle für den Herrn und seinen Ziehsohn. Sei gegrüßt, Simon, sei gegrüßt, Klara, ich danke euch allen und habe allen etwas gebracht, damit ihr seht, daß ich keines in meiner Zuneigung vergessen habe; denn sonst ist es freilich nur eine Kleinigkeit.»

Die Leute wiederholten ihre Verbeugung, manche auch den Handkuß, und entfernten sich. Sie hatten sich auch vor Natalie geneigt, welche den Gruß recht freundlich erwiederte.

Als alle fort waren, sagte die Frau zu Gustav: «Ich habe auch dir etwas gebracht, das dir Freude machen soll, ich sage noch nicht was; allein ich habe es nur vorläufig gebracht, und wir müssen erst den Ziehvater fragen, ob du es schon ganz oder nur theilweise oder noch gar nicht gebrauchen darfst.»

«Ich danke dir, Mutter», erwiederte der Sohn, «du bist recht gut, liebe Mutter, ich weiß jezt schon, was es ist, und wie der Ziehvater ausspricht, werde ich genau thun.»

«So wird es gut sein», antwortete sie. Nach dieser Rede waren alle aufgestanden.

«Du bist heuer zu sehr guter Zeit gekommen, Mathilde», sagte mein Gastfreund, «keine einzige der Rosen ist noch aufgebrochen; aber alle sind bereit dazu.»

Wir hatten uns während dieser Rede der Thür genähert, und mein Gastfreund hatte mich gebeten, bei der Gesellschaft zu bleiben.

Wir gingen bei dem grünen Gitter hinaus und gingen auf den Sandplaz vor dem Hause. Die Leute mußten von diesem Vorgange schon unterrichtet sein; denn ihrer zwei brachten einen geräumigen Lehnsessel und stellten ihn in einer gewissen Entfernung mit seiner Vorderseite gegen die Rosen.

Die Frau sezte sich in den Sessel, legte die Hände in den Schoß und betrachtete die Rosen.

Wir standen um sie. Natalie stand zu ihrer Linken, neben dieser Gustav, mein Gastfreund stand hinter dem Stuhle und ich stellte mich, um nicht zu nahe an Natalie zu sein, an die rechte Seite und etwas weiter zurück.

Nachdem die Frau eine ziemliche Zeit gesessen war, stand sie schweigend auf, und wir verließen den Plaz. Wir gingen nun in das Schreinerhaus. Eustach war nicht bei der allgemeinen Bewillkommnung im Speisezimmer gewesen. Er mußte wohl als Künstler betrachtet worden, dem man einen Besuch zudenke. Ich erkannte aus dem ganzen Benehmen, daß das Verhältniß in der That so sei und als das richtigste empfunden werde. Eustach mußte das gewußt haben; denn er stand mit seinen Leuten ohne die grünen Schürzen vor der Thür, um die Angekommenen zu begrüßen. Die Frau dankte freundlich für den Gruß aller, redete Eustach herzlich an, fragte ihn um sein und seiner Leute Wohlbefinden, um ihre Arbeiten und Bestrebungen, und sprach von vergangenen Leistungen, was ich, da mir diese fremd waren, nicht ganz verstand. Hierauf gingen wir in die Werkstätte, wo die Frau jede der einzelnen Arbeiterstellen besah. In dem Zimmer Eustachs sprach sie die Bitte aus, daß er ihr bei ihrem längeren Aufenthalte manches Einzelne zeigen und näher erklären möge.

Von dem Schreinerhause gingen wir in die Gärtnerwohnung, wo die Frau ein Weilchen mit den alten Gärtnerleuten sprach.

Hierauf begaben wir uns in das Gewächshaus, zu den Ananas, zu den Cacteen und in den Garten.

Die Frau schien alle Stellen genau zu kennen; sie blickte mit Neugierde auf die Pläze, auf denen sie gewisse Blumen zu finden hoffte, sie suchte bekannte Vorrichtungen auf und blickte sogar in Büsche, in denen etwa noch das Nest eines Vogels zu erwarten war. Wo sich etwas seit früher verändert hatte, bemerkte sie es und fragte um die Ursache. So waren wir durch den ganzen Garten bis zu dem großen Kirschbaume und zu der Felderrast gekommen. Dort sprach sie noch etwas mit meinem Gastfreunde über die Ernte und über die Verhältnisse der Nachbarn.

Natalie sprach äußerst wenig.

Als wir in das Haus zurück gekommen waren, begaben wir uns, da das Mittagsmahl nahe war, auf unsere Zimmer. Mein Gastfreund sagte mir noch vorher, ich möge mich zum Mittagessen nicht umkleiden; es sei dieses in seinem Hause selbst bei Besuchen von Fremden nicht Sitte, und ich würde nur auffallen.

Ich dankte ihm für die Erinnerung.

Als ich, da die Hausglocke zwölf Uhr geschlagen hatte, in das Speisezimmer hinunter gegangen war, fand ich in der That die Gesellschaft nicht umgekleidet. Mein Gastfreund war in den Kleidern, wie er sie alle Tage hatte, und die Frauen trugen die nehmlichen Gewänder, in denen sie den Spaziergang gemacht hatten. Gustav und ich waren wie gewöhnlich.

Am oberen Ende des Tisches stand ein etwas größerer Stuhl und vor ihm auf dem Tische ein Stoß von Tellern. Mein Gastfreund führte, da ein stummes Gebet verrichtet worden war, die Frau zu diesem Stuhle, den sie sofort einnahm. Links von ihr saß mein Gastfreund, rechts ich, neben meinem Gastfreunde Natalie und neben ihr Gustav. Mir fiel es auf, daß er die Frau als ersten Gast zu dem Plaze mit den Tellern geführt hatte, den in meiner Eltern Hause meine Mutter einnahm und von dem aus sie vorlegte. Es mußte aber hier so eingeführt sein; denn wirklich begann die Frau sofort die Teller der Reihe nach mit Suppe zu füllen, die ein junges Aufwartemädchen an die Pläze trug.

Mich erfüllte das mit großer Behaglichkeit. Es war mir, als wenn das immer bisher gefehlt hätte. Es war nun etwas wie eine Familie in dieses Haus gekommen, welcher Umstand mir die Wohnung meiner Eltern immer so lieb und angenehm gemacht hatte.

Das Essen war so einfach, wie es in allen Tagen gewesen war, die ich in dem Rosenhause zugebracht hatte.

Die Gespräche waren klar und ernst, und mein Gastfreund führte sie mit einer offenen Heiterkeit und Ruhe.

Nach dem Essen kam ein großer Korb, welchen Arabella, das Dienstmädchen Mathildens, welches mit den Frauen gekommen war, welches ich aber nicht mehr hatte aussteigen gesehen, herein gebracht hatte. Außer dem Korbe wurde auch ein Pack in grauem Papiere und mit schönen Schnüren zugeschnürt gebracht und auf zwei Sessel gelegt, die an der Wand standen. In dem Korbe befanden sich die Geschenke, welche Mathilde den Leuten mitgebracht hatte und welche jezt ausgepackt waren. Ich sah, daß diese Geschenkaustheilung gebräuchlich war und öfter vorkommen mußte. Das Gesinde kam herein, und jede der Personen erhielt etwas Geeignetes, sei es ein schwarzes seidnes Tuch für ein Mädchen oder eine Schürze oder ein Stoff auf ein Kleid, oder sei es für einen Mann eine Reihe Silberknöpfe auf eine Weste oder eine glänzende Schnalle auf das Hutband oder eine zierliche Geldtasche. Der Gärtner empfing etwas, das in sehr feine Metallblätter gewickelt war. Ich vermuthete, daß es eine besondere Art von Schnupftabak sein müsse.

Als schon alles ausgetheilt war, als sich schon alle auf das beste bedankt und aus dem Zimmer entfernt hatten, wies Mathilde auf den Pack, der noch immer auf den Sesseln lag, und sagte: «Gustav, komme her zu mir.»

Der Jüngling stand auf und ging um den Tisch herum zu ihr. Sie nahm ihn freundlich bei der Hand und sagte: «Was noch da liegt, gehört dir. Du hast mich schon lange darum gebeten, und ich habe es dir lange versagen müssen, weil es noch nicht für dich war. Es sind Goethes Werke. Sie sind dein Eigenthum. Vieles ist für das reifere Alter, ja für das reifste. Du kannst die Wahl nicht treffen, nach welcher du diese Bücher zur Hand nehmen oder auf spätere Tage aufsparen sollst. Dein Ziehvater wird zu den vielen Wohlthaten, die er dir erwies, auch noch die fügen, daß er für dich wählt, und du wirst ihm in diesen Dingen ebenso folgen, wie du ihm bisher gefolgt hast.»

«Gewiß, liebe Mutter, werde ich es thun, gewiß», sagte Gustav.

«Die Bücher sind nicht neue und schön eingebundene, wie du vielleicht erwartest», fuhr sie fort. «Es sind dieselben Bücher Goethes, in welchen ich in so mancher Nachtstunde und in so mancher Tagesstunde mit Freude und mit Schmerzen gelesen habe und die mir oft Trost und Ruhe zuzuführen geeignet waren. Es sind meine Bücher Goethes, die ich dir gebe. Ich dachte, sie könnten dir lieber sein, wenn du außer dem Inhalte die Hand deiner Mutter daran fändest, als etwa nur die des Buchbinders und Druckers.»

«O lieber, viel lieber, theure Mutter, sind sie mir», antwortete Gustav, «ich kenne ja die Bücher, die mit dem feinen braunen Leder gebunden sind, die feine Goldverzierung auf dem Rücken haben und in der Goldverzierung die niedlichen Buchstaben tragen, die Bücher, in denen ich dich so oft habe lesen gesehen, weßhalb es auch kam, daß ich dich schon wiederholt um solche Bücher gebeten habe.»

«Ich dachte es, daß sie dir lieber sind», sagte die Frau, «und darum habe ich sie dir gegeben. Da ich aber auch wohl noch gerne für den Überrest meines Lebens ein Wort von diesem merkwürdigen Manne vernehmen möchte, werde ich mir die Bücher neu kaufen, für mich haben die neuen die Bedeutung wie die alten. Du aber nimm die deinigen in Empfang und bringe sie an den Ort, der dir dafür eingeräumt ist.»

Gustav küßte ihr die Hand und legte seinen Arm wie in unbeholfener Zärtlichkeit auf die Schulter ihres Gewandes. Er sprach aber kein Wort, sondern ging zu den Büchern und begann, ihre Schnur zu lösen.

Als ihm dies gelungen war, als er die Bücher aus den Umschlagpapieren gelöst und in mehreren geblättert hatte, kam er plözlich mit einem in der Hand zu uns und sagte: «Aber siehst du, Mutter, da sind manche Zeilen mit einem feinen Bleistifte unterstrichen und mit demselben feingespizten Stifte sind Worte an den Rand geschrieben, die von deiner Hand sind. Diese Dinge sind dein Eigenthum, sie sind in den neugekauften Büchern nicht enthalten, und ich darf dir dein Eigenthum nicht enziehen.»

«Ich gebe es dir aber», antwortete sie, «ich gebe es dir am liebsten, der du jezt schon von mir entfernt bist und in Zukunft wahrscheinlich noch viel weiter von mir entfernt leben wirst. Wenn du in den Büchern liesest, so liesest du das Herz des Dichters und das Herz deiner Mutter, welches, wenn es auch an Werthe tief unter dem des Dichters steht, für dich den unvergleichlichen Vorzug hat, daß es dein Mutterherz ist. Wenn ich an Stellen lesen werde, die ich unterstrichen habe, werde ich denken, hier erinnert er sich an seine Mutter, und wenn meine Augen über Blätter gehen werden, auf welche ich Randbemerkungen niedergeschrieben habe, wird mir dein Auge vorschweben, welches hier von dem Gedruckten zu dem Geschriebenen sehen und die Schrifzüge von Einer vor sich haben wird, die deine beste Freundin auf der Erde ist. So werden die Bücher immer ein Band zwischen uns sein, wo wir uns auch befinden. Deine Schwester Natalie ist bei mir, sie hört öfter als du meine Worte, und ich höre auch oft ihre liebe Stimme und sehe ihr freundliches Angesicht.»

«Nein, nein, Mutter», sagte Gustav, «ich kann die Bücher nicht nehmen, ich beraube dich und Natalie.»

«Natalie wird schon etwas anderes bekommen», antwortete die Mutter. «Daß du mich nicht beraubst, habe ich dir schon erklärt, und es war seit längerer Zeit mein wohldurchdachter Wille, daß ich dir diese Bücher geben werde.»

Gustav machte keine Einwendungen mehr. Er nahm ihre Rechte in seine beiden Hände, drückte sie, küßte sie und ging dann wieder zu den Büchern.

Als er alle ausgepackt hatte, holte er einen Diener und ließ sie durch ihn in seine Wohnung tragen.

Nach dem Essen war es im Plane, daß wir uns zerstreuen sollten und jeder sich nach seinem Sinne beschäftige.

Ich hatte es während des Vorganges mit den Büchern nicht vermocht, auf das Angesicht Nataliens zu schauen, was etwa in ihr vorgehen möge und was sich in den Zügen spiegle. Ich mußte mir nur denken, sie werde von dem höchsten Beifalle über die Handlung ihrer Mutter durchdrungen sein. Als wir uns aber von dem Tische erhoben, als wir das stumme Gebet gesprochen und uns wechselweise verneigt hatten, wobei ich meine Augen immer nur auf meinen alten Gastfreund und auf die Frau gerichtet hatte, und als wir uns jezt anschickten, das Zimmer zu verlassen, und Natalie den Arm Gustavs nahm und beide Geschwister sich umkehrten, um der Thür zuzugehen, wagte ich es, den Blick zu dem Spiegel zu erheben, in dem ich sie sehen mußte. Ich sah aber fast nichts mehr als die vier ganz gleichen schwarzen Augen sich in dem Spiegel umwenden.

Wir traten alle in das Freie.

Mein Gastfreund und die Frau begaben sich in eine Wirthschaftstube.

Natalie und Gustav gingen in den Garten, er zeigte ihr Verschiedenes, das ihm etwa an dem Herzen lag oder worüber er sich freute, und sie nahm gewiß den Antheil, den die Schwester an den Bestrebungen des Bruders hat, den sie liebt, auch wenn sie die Bestrebungen nicht ganz verstehen sollte und sie, wenn es auf sie allein ankäme, nicht zu den ihrigen machen würde. So thut es ja auch Klotilde mit mir in meiner Eltern Hause.

Ich stand an dem Eingange des Hauses und sah den beiden Geschwistern nach, so lange ich sie sehen konnte. Einmal erblickte ich sie, wie sie vorsichtig in ein Gebüsch schauten. Ich dachte mir, er werde ihr ein Vogelnest gezeigt haben und sie sehe mit Theilnahme auf die winzige befiederte Familie. Ein anderes Mal standen sie bei Blumen und schauten sie an. Endlich sah ich nichts mehr. Das lichte Gewand der Schwester war unter den Bäumen und Gesträuchen verschwunden, manche schimmernde Stellen wurden zuweilen noch sichtbar und dann nichts mehr. Ich ging hierauf in meine Zimmer.

Mir war, als müsse ich dieses Mädchen schon irgendwo gesehen haben; aber da ich mich bisher viel mehr mit leblosen Gegenständen oder mit Pflanzen beschäftigt hatte als mit Menschen, so hatte ich keine Geschicklichkeit, Menschen zu beurtheilen, ich konnte mir die Gesichtszüge derselben nicht zurecht legen, sie mir nicht einprägen und sie nicht vergleichen; daher konnte ich auch nicht ergründen, wo ich Natalie schon einmal gesehen haben könnte.

Ich blieb den ganzen Nachmittag in meiner Wohnung.

Als die Hize des Tages, welcher ganz heiter war, sich ein wenig gemildert hatte, wurde ich aufgefordert, einen Spaziergang mit zu machen. An demselben nahmen mein Gastfreund, Mathilde, Natalie, Gustav und ich Theil. Wir gingen durch eine Strecke des Gartens. Mein Gastfreund, Mathilde und ich bildeten eine Gruppe, da sie mich in ihr Gespräch gezogen hatten, und wir gingen, wo es die Breite des Sandweges zuließ, neben einander. Die andere Gruppe bildeten Natalie und Gustav, und sie gingen eine ziemliche Anzahl Schritte vor uns. Unser Gespräch betraf den Garten und seine verschiedenen Bestandtheile, die sich zu einem angenehmen Aufenthalte wohltuend ablösten, es betraf das Haus und manche Verzierungen darin, es erweiterte sich auf die Fluren, auf denen wieder der Segen stand, der den Menschen abermals um ein Jahr weiter helfen sollte, und es ging auf das Land über, auf manche gute Verhältnisse desselben und auf anderes, was der Verbesserung bedürfte. Ich sah den zwei holen Gestalten nach, die vor uns gingen. Gustav ist mir heute plözlich als völlig erwachsen erschienen. Ich sah ihn neben der Schwester gehen und sah, daß er größer sei als sie. Dieser Gedanke drängte sich mir mehrere Male auf. War er aber auch größer, so war ihre Gestalt feiner und ihre Haltung anmuthiger. Gustav hatte wie sein Ziehvater nichts auf dem Haupte als die Fülle seiner dichten braunen Locken, und als Natalie den sanft schattenden Strohhut, den sie wie ihre Mutter auf hatte, abgenommen und an den Arm gehängt hatte, so zeigten ihre Locken genau die Farbe wie die Gustavs, und wenn die Geschwister, die sich sehr zu lieben schienen, sehr nahe an einander gingen, so war es von ferne, als sähe man eine einzige braune, glänzende Haarfülle und als theilen sich nur unten die Gestalten.

Wir gingen bei der Pforte hinaus, die gegen den Meierhof führt, gingen aber nicht in den Meierhof, sondern machten einen großen Bogen durch die Felder und kamen dann schief über den südlichen Abhang des Hügels wieder zu dem Hause hinauf.

Da die Tage sehr lang waren, so leuchtete noch die Abendröthe, wenn wir von unserem Abendessen, das pünktlich immer zur gleichen Zeit sein mußte, aufstanden. Wir gingen daher heute auch noch nach dem Abendessen in den Garten. Wir gingen zu dem großen Kirschbaume empor. Dort sezten wir uns auf das Bänklein. Mein Gastfreund und Mathilde saßen in der Mitte, so daß ihre Angesichter gegen den Garten hinab gerichtet waren. Links von meinem Gastfreunde saß ich, rechts von der Mutter saßen Natalie und Gustav. Die Lüfte dunkelten immer mehr, ein blasser Schein war über die Wipfel des Gartens, der jezt schwieg, und über das Dach des Hauses gebreitet. Das Gespräch war heiter und ruhig, und die Kinder wendeten oft ihr Angesicht herüber, um an dem Gespräche Antheil zu nehmen und gelegentlich selber ein Wort zu reden.

Da sich der eine und der andere Stern an dem Himmel enzündete und in den Tiefen der Gartengesträuche schon die völlige Dunkelheit herrschte, gingen wir in das Haus und in unsere Zimmer.

Ich war sehr traurig. Ich legte meinen Strohhut auf den Tisch, legte meinen Rock ab und sah bei einem der offenen Fenster hinaus. Es war heute nicht wie damals, da ich zum ersten Male in diesem Hause über dem Rosengitter aus dem offenen Fenster in die Nacht hinausgeschaut hatte. Es standen nicht die Wolken am Himmel, die ihn nach Richtungen durchzogen und ihm Gestaltung gaben, sondern es brannte bereits über dem ganzen Gewölbe der einfache und ruhige Sternenhimmel. Es ging kein Duft der Rosen zu meiner Nachtherberge herauf, da sie noch in den Knospen waren, sondern es zog die einsame Luft kaum fühlbar durch die Fenster herein, ich war nicht von dem Verlangen belebt wie damals, das Wesen und die Art meines Gastfreundes zu erforschen, dies lag entweder aufgelöst vor mir oder war nicht zu lösen. Das einzige war, daß wieder Getreide außerhalb des Sandplazes vor den Rosen ruhig und unbewegt stand; aber es war eine andere Gattung und es war nicht zu erwarten, daß es in der Nacht im Winde sich bewegen und am Morgen, wenn ich die geklärten Augen über die Gegend wendete, vor mir wogen würde.

Als die Nacht schon sehr weit vorgerückt war, ging ich von dem Fenster und obwohl ich jeden Abend gewohnt war, ehe ich mich zur Ruhe begab, zu meinem Schöpfer zu beten, so kniete ich doch jezt vor dem einfachen Tischlein hin und that ein heißes, inbrünstiges Gebet zu Gott, dem ich alles und jedes, besonders mein Sein und mein Schicksal und das Schicksal der Meinigen, anheim stellte.

Dann entkleidete ich mich, schloß die Schlösser meiner Zimmer ab und begab mich zur Ruhe.

Als ich schon zum Entschlummern war, kam mir der Gedanke, ich wolle nach Mathilden und ihren Verhältnissen eben so wenig eine Frage thun, als ich sie nach meinem Gastfreunde gethan habe.

Ich erwachte sehr zeitig; aber nach der Natur jener Jahreszeit war es schon ganz licht, ein blauer, wolkenloser Himmel wölbte sich über die Hügel, das Getreide unter meinen Füßen wogte wirklich nicht, sondern es stand unbewegt, mit starkem Taue wie mit feurigen Funken angethan, in der aufgehenden Sonne da.

Ich kleidete mich an, richtete meine Gedanken zu Gott und sezte mich zu meiner Arbeit.

Nach geraumer Zeit hörte ich durch meine Fenster, welche ich bei weiter fortschreitendem Morgen geöffnet hatte, daß auch am äußersten Ende des Hauses gegen Osten Fenster erklangen, welche geöffnet wurden. In jener Gegend wohnten die Frauen in den schönen, nach weiblicher Art eingerichteten Gemächern. Ich ging zu meinem Fenster, schaute hinaus und sah wirklich, daß alle Fensterflügel an jenem Theile des Hauses offen standen. Nach einer Zeit, da es bereits zur Stunde des Frühmahles ging, hörte ich weibliche Schritte an meiner Thür vorüber der Marmortreppe zugehen, welche mit einem weichen Teppiche belegt war. Ich hatte auch, obwohl sie gedämpft war, wahrscheinlich, um mich nicht zu stören, Gustavs Stimme erkannt.

Ich ging nach einer kleinen Weile auch über die Marmortreppe an dem Marmorbilde der Muse vorüber in das Speisezimmer hinunter.

Der Tag verging ungefähr wie der vorige, und so verflossen nach und nach mehrere.

Die Ordnung des Hauses war durch die Ankunft der Frauen fast gar nicht gestört worden, nur daß solche Vorrichtungen vorgenommen werden mußten, welche die Aufmerksamkeit für die Frauen verlangte. Die Unterrichts- und Lernstunden Gustavs wurden eingehalten wie früher, und ebenso ging die Beschäftigung meines Gastfreundes ihren Gang. Mathilde betheiligte sich nach Frauenart an dem Hauswesen. Sie sah auf das, was ihren Sohn betraf, und auf alles, was das häusliche Wohl des alten Mannes anging. Sie wurde gar nicht selten in der Küche gesehen, wie sie mitten unter den Mägden stand und an den Arbeiten Theil nahm, die da vorfielen. Sie begab sich auch gerne in die Speisekammer, in den Keller oder an andere Orte, die wichtig waren. Sie sorgte für die Dinge, welche den Dienstleuten gehörten, insoferne sie sich auf ihre Nahrung bezogen oder auf ihre Wohnung oder auf ihre Kleider und Schlafstellen. Sie legte das Linnen, die Kleider und anderes Eigenthum des alten Herrn und ihres Sohnes zurecht und bewirkte, daß, wo Verbesserungen nothwendig waren, dieselben eintreten könnten. Unter diesen Dingen ging sie manches Mal des Tages auf den Sandplaz vor dem Hause und betrachtete gleichsam wehmüthig die Rosen, die an der Wand des Hauses empor wuchsen. Natalie brachte viele Zeit mit Gustav zu. Die Geschwister mußten sich außerordentlich lieben. Er zeigte ihr alle seine Bücher, namentlich die neu zu den alten hinzu gekommen waren, er erklärte ihr, was er jezt lerne, und suchte sie in dasselbe einzuweihen, wenn sie es auch schon wußte und früher die nehmlichen Weg gegangen war. Wenn es die Umstände mit sich brachten, schweiften sie in dein Garten herum und freuten sich all des Lebens, was in demselben war, und freuten sich des gegenseitigen Lebens, das sich an einander schmiegte und dessen sie sich kaum als eines gesonderten bewußt wurden. Die Zeit, welche alle frei hatten, brachten wir häufig gemeinschaftlich mit einander zu. Wir gingen in den Garten oder saßen unter einem schattigen Baume oder machten einen Spaziergang oder waren in dem Meierhofe. Ich vermochte nicht in die Gespräche so einzugehen, wie ich es mit meinem Gastfreunde allein that, und wenn auch Mathilde recht freundlich mit mir sprach, so wurde ich fast immer noch stummer.

Die Rosen fingen an, sich stets mehr zu entwickeln, sehr viele waren bereits aufgeblüht und stündlich öffneten andere den sanften Kelch. Wir gingen sehr oft hinaus und betrachteten die Zierde, und es mußte manchmal eine Leiter herbei, um irgend etwas Störendes oder Unvollkommenes zu entfernen. Die Mittage waren lieb und angenehm. Auch das, daß Mathilde und Natalie so fein und passend, wenn auch einfach angezogen waren, wie ich es von meiner Mutter und Schwester gewohnt war, gab dem Mahle einen gewissen Glanz, den ich früher vermißt hatte. Die Vorhänge waren gegen die unmittelbare Sonne jederzeit zu, und es war eine gebrochene und sanfte Helle in dem Zimmer.

Die Abende nach dem Abendessen brachten wir immer im Freien zu, da noch lauter schöne Tage gewesen waren. Meistens saßen wir bei dem großen Kirschbaume oben, welches bei weitem der schönste Plaz zu einem Abendsize war, obgleich er auch zu jeder andern Zeit, wenn die Hize nicht zu groß war, mit der größten Annehmlichkeit erfüllte. Mein Gastfreund führte die Gespräche klar und warm, und Mathilde konnte ihm entsprechend antworten. Sie wurden mit einer Milde und Einsicht geführt, daß sie immer an sich zogen, daß ich gerne meine Aufmerksamkeit hin richtete und, wenn sie auch Gewöhnliches betrafen, etwas Neues und Eindringendes zu hören glaubte. Der alte Mann führte dann die Frau im Sternenscheine oder bei dem schwachen Lichte der schmalen Mondessichel, die jezt immer deutlicher in dem Abendrothe schwamm, über den Hügel in das Haus hinab, und die schlanken Gestalten der Kinder gingen an den dunkeln Büschen dahin.

Das war alles so einfach, klar und natürlich, daß es mir immer war, die zwei Leute seien Eheleute und Besizer dieses Anwesens, Gustav und Natalie seien ihre Kinder, und ich sei ein Freund, der sie hier in diesem abgeschiedenen Winkel der Welt besucht habe, wo sie den stilleren Rest ihres Daseins in Unscheinbarkeit und Ruhe hinbringen wollten.

Eines Tages wurde eine feierliche Mahlzeit in dem Speisezimmer gehalten. Es war Eustach, dann der Hausaufseher, der alte Gärtner mit seiner Frau, der Verwalter des Meierhofes und die Haushälterin Katharina geladen worden. Statt Katharinen mußte ein anderes die Herrschaft in der Küche führen. Es mußte, wie ich aus allem entnahm, jedes Mal bei der Anwesenheit Mathildens die Sitte sein, ein solches Gastmahl abzuhalten; die Leute fanden sich auf eine natürliche Art in die Sache, und die Gespräche gingen mit einer Gemäßheit vor sich, welche auf Übung deutete. Mathilde konnte sie veranlassen, etwas zu sagen, was paßte und was daher dem Sprechenden ein Selbstgefühl gab, das ihm den Aufenthalt in der Umgebung angenehm machte. Eustach allein erhielt die Auszeichnung, daß man das bei ihm nicht für nöthig erachtete, er sprach daher auch weniger und nur in allgemeinen Ausdrücken über allgemeine Dinge. Er empfand, daß er der höheren Gesellschaft zugezählt werde, wie ich es auch, da ich ihn näher kennen gelernt hatte, ganz natürlich fand, während die anderen nicht merkten, daß man sie empor hebe. Der Gärtner und seine Frau waren in ihrem weißen, reinlichen Anzuge ein sehr liebes greises Paar, welches auch die anderen mit einer gewissen Auszeichnung behandelten. An Speisen war eine etwas reichlichere Auswahl als gewöhnlich, die Männer bekamen einen guten Gebirgswein zum Getränke, für die Frauen wurde ein süßer neben die Backwerke gestellt.

Da die Rosen immer mehr der Entfaltung entgegen gingen, wurden einmal Sessel und Stühle in einem Halbkreise auf dem Sandplaze vor dem Hause aufgestellt, so daß die Öffnung des Kreises gegen das Haus sah, und ein langer Tisch wurde in die Mitte gestellt. Wir sezten uns auf die Sessel, der Gärtner Simon war gerufen worden, Eustach kam, und von den Leuten und Gartenarbeitern konnte kommen, wer da wollte. Sie machten auch Gebrauch davon.

Die Rosen wurden einer sehr genauen Beurtheilung unterzogen. Man fragte sich, welche die schönsten seien oder welche dem einen oder dem anderen mehr gefielen. Die Aussprüche erfolgten verschieden und jedes suchte seine Meinung zu begründen. Es lagen Druckwerke und Abbildungen auf dem Tische, zu denen man dann seine Zuflucht nahm, ohne eben jedes Mal ihrem Ausspruche beizupflichten. Man that die Frage, ob man nicht Bäumchen versezen solle, um eine schönere Mischung der Farben zu erzielen. Der allgemeine Ausspruch ging dahin, daß man es nicht thun solle, es thäte den Bäumchen wehe, und wenn sie groß wären, könnten sie sogar eingehen; eine zu ängstliche Zusammenstellung der Farben verrathe die Absicht und störe die Wirkung; eine reizende Zufälligkeit sei doch das Angenehmste. Es wurde also beschlossen, die Bäume stehen zu lassen, wie sie standen. Man sprach sich nun über die Eigenschaften der verschiedenen Bäumchen aus, man beurtheilte ihre Trefflichkeit an sich, ohne auf die Blumen Rücksicht zu nehmen, und oft wurde der Gärtner um Auskunft angerufen. Über die Gesundheit der Pflanzen und ihre Pflege konnte kein Tadel ausgesprochen werden, sie waren heuer so vortrefflich, wie sie alle Jahre vortrefflich gewesen waren. Auf den Tisch wurden nun Erfrischungen gestellt und alle jene Vorrichtungen ausgebreitet, die zu einem Vesperbrote nothwendig sind. Aus den Reden Mathildens sah ich, daß sie mit allen hier befindlichen Rosenpflanzen sehr vertraut sei und daß sie selbst kleine Veränderungen bemerkte, welche seit einem Jahre vorgegangen sind. Sie mußte wohl Lieblinge unter den Blumen haben, aber man erkannte, daß sie allen ihre Neigung in einem hohen Maße zugewendet habe. Ich schloß aus diesem Vorgange wieder, welche Wichtigkeit diese Blumen für dieses Haus haben.

Gegen Abend desselben Tages kam ein Besuch in das Rosenhaus. Es war ein Mann, welcher in der Nähe eine bedeutende Besizung hatte, die er selber bewirthschaftete, obwohl er sich im Winter eine geraume Zeit in der Stadt aufhielt. Er war von seiner Gattin und zwei Töchtern begleitet, Sie waren auf der Rückfahrt von einem Besuche begriffen, den sie in einem entfernteren Theile der Gegend gemacht hatten, und waren wie sie sagten, zu dem Hause herauf gefahren, um zu sehen, ob die Rosen schon blühten und um die gewöhnliche Pracht zu bewundern. Sie hatten im Sinne, am Abende wieder fort zu fahren, allein da die Zeit schon so weit vorgerückt war, drang mein Gastfreund in sie, die Nacht in seinem Hause zuzubringen, in welches Begehren sie auch einwilligten. Die Pferde und der Wagen wurden in den Meierhof gebracht, den Reisenden wurden Zimmer angewiesen.

Sie gingen aus denselben aber wieder sehr bald hervor, man begab sich auf den Sandplaz vor dem Hause, und die Rosenschau wurde aufs neue vorgenommen. Es waren zum Theile noch die Stühle vorhanden, die man heute herausgetragen hatte, obwohl der Tisch schon weggeräumt war. Die Mutter sezte sich auf einen derselben und nöthigte Mathilden, neben ihr Plaz zu nehmen. Die Mädchen gingen neben den Rosen hin, und man redete viel von den Blumen und bewunderte sie.

Vor dem Abendessen wurde noch ein Gang durch den Garten und einen Theil der Felder gemacht, dann begab sich alles auf seine Zimmer.

Da die Stunde zu dem Abendmahle geschlagen hatte, versammelte man sich wieder in dem Speisesaale. Der Fremde und seine Begleiterinnen hatten sich umgekleidet, der Mann erschien sogar im schwarzen Fracke, die Frauen hatten einen Anzug, wie man ihn in der Stadt bei nicht festlichen, aber freundschaftlichen Besuchen hat. Wir waren in unseren gewöhnlichen Kleidern. Aber gerade durch den Anzug der Fremden, an dem sachgemäß nichts zu tadeln war, was ich recht gut beurtheilen konnte, weil ich solche Gewänder an meiner Mutter und Schwester oft sah und auch oft Urtheile darüber hörte, wurden unsere Kleider nicht in den Schatten gestellt, sondern sie thaten eher denen der Fremden, wenigstens in meinen Augen, Abbruch. Der gepuzte Anzug erschien mir auffallend und unnatürlich, während der andere einfach und zweckmäßig war. Es gewann den Anschein, als ob Mathilde, Natalie, mein alter Gastfreund und selbst Gustav bedeutende Menschen wären, indes jene einige aus der großen Menge darstellten, wie sie sich überall befinden.

Ich betrachtete während der Zeit des Essens und nachher, da wir uns noch eine Weile in dem Speisezimmer aufhielten, sogar auch die Schönheit der Mädchen. Die ältere von den beiden Töchtern der Fremden - wenigstens mir erschien sie als die ältere - hieß Julie. Sie hatte braune Haare wie Natalie. Dieselben waren reich und waren schön um die Stirne geordnet. Die Augen waren braun, groß und blickten mild. Die Wangen waren fein und ebenmäßig, und der Mund war äußerst sanft und wohlwollend. Ihre Gestalt hatte sich neben den Rosen und auf dem Spaziergange als schlank und edel, und ihre Bewegungen hatten sich als natürliche und würdevolle gezeigt. Es lag ein großer hinziehender Reiz in ihrem Wesen. Die jüngere, welche Appolonia hieß, hatte gleichfalls braune, aber lichtere Haare als die Schwester. Sie waren ebenso reich und wo möglich noch schöner geordnet. Die Stirne trat klar und deutlich von ihnen ab, und unter derselben blickten zwei blaue Augen nicht so groß wie die braunen der Schwester, aber noch einfacher, gütevoller und treuer hervor. Diese Augen schienen von dem Vater zu kommen, der sie auch blau hatte, während die der Mutter braun waren. Die Wangen und der Mund erschienen noch feiner als bei der Schwester und die Gestalt fast unmerkbar kleiner. War ihr Benehmen minder anmuthig als das der Schwester, so war es treuherziger und lieblicher. Meine Freunde in der Stadt würden gesagt haben, es seien zwei hinreißende Wesen, und sie waren es auch. Natalie - ich weiß nicht, war ihre Schönheit unendlich größer oder war es ein anderes Wesen in ihr, welches wirkte -, ich hatte aber dieses Wesen noch in einem geringen Maße zu ergründen vermocht, da sie sehr wenig zu mir gesprochen hatte, ich hatte ihren Gang und ihre Bewegungen nicht beurtheilen können, da ich mir nicht den Muth nahm, sie zu beobachten, wie man eine Zeichnung beobachtet - aber sie war neben diesen zwei Mädchen weit höher, wahr, klar und schön, daß jeder Vergleich aufhörte. Wenn es wahr ist, daß Mädchen bezaubernd wirken können, so konnten die zwei Schwestern bezaubern; aber um Natalie war etwas wie ein tiefes Glück verbreitet.

Mathilde und mein Gastfreund schienen diese Familie sehr zu lieben und zu achten, das zeigte das Benehmen gegen sie.

Die Mutter der zwei Mädchen schien ungefähr vierzig Jahre alt zu sein. Sie hatte noch alle Frische und Gesundheit einer schönen Frau, deren Gestalt nur etwas zu voll war, als daß sie zu einem Gegenstande der Zeichnung hätte dienen können, wie man wenigstens in Zeichnungen gerne schöne Frauen vorstellt. Ihr Gespräch und ihr Benehmen zeigte, daß sie in der Welt zu dem sogenannten vorzüglicheren Umgang gehöre. Der Vater schien ein kenntnißvoller Mann zu sein, der mit dem Benehmen der feineren Stände der Stadt die Einfachheit der Erfahrung und die Güte eines Landwirthes verband, auf den die Natur einen sanften Einfluß übte. Ich hörte seiner Rede gerne zu. Mathilde erschien bedeutend älter als die Mutter der zwei Mädchen, sie schien einstens wie Natalie gewesen zu sein, war aber jezt ein Bild der Ruhe und, ich möchte sagen, der Vergebung. Ich weiß nicht, warum mir in den Tagen dieser Ausdruck schon mehrere Male einfiel. Sie sprach von den Gegenständen, welche von den Besuchenden vorgebracht wurden, brachte aber nie ihre eigenen Gegenstände zum Gespräche. Sie sprach mit Einfachheit, ohne von den Gegenständen beherrscht zu werden und ohne die Gegenstände ausschließlich beherrschen zu wollen. Mein Gastfreund ging in die Ansichten seines Gutsnachbars ein und redete in der ihm eigenthümlichen klaren Weise, wobei er aber auch die Höflichkeit beging, den Gast die Gegenstände des Gespräches wählen zu lassen.

So saßen diese zwei Abtheilungen von Menschen an demselben Tische und bewegten sich in demselben Zimmer, wirklich zwei Abtheilungen von Menschen.

Daraus, daß sie gerade zur Rosenblüthe herauf gefahren waren, erkannte ich, daß die Nachbarn meines Gastfreundes nicht blos um seine Vorliebe für diese Blumen wußten, sondern daß sie etwa auch Antheil daran nahmen.

Es wurde nach dem Essen nicht mehr ein Spaziergang gemacht, wie in diesen Tagen, sondern man blieb in Gesprächen bei einander und ging später, als es sonst in diesem Hause gebräuchlich war, zur Ruhe.

Am anderen Morgen wurde das Frühmahl in dem Garten eingenommen, und nachdem man sich noch eine Weile in dem Gewächshause aufgehalten hatte, fuhren die Gäste mit der wiederholt vorgebrachten Bitte fort, sie doch auch recht bald auf ihrem Gute zu besuchen, was zugesagt wurde.

Nach dieser Unterbrechung gingen die Tage auf dem Rosenhause dahin, wie sie seit der Ankunft der Frauen dahin gegangen waren. Die Zeit, welche jedes frei hatte, brachten wir wieder öfter gemeinschaftlich zu. Ich wurde nicht selten in diesen Zeiten ausdrücklich zur Gesellschaft geladen. Natalie hatte auch ihre Lernstunden, welche sie gewissenhaft hielt. Gustav sagte mir, daß sie jezt Spanisch lerne und spanische Bücher mit hieher gebracht habe. Ich hatte doch den Raum, welchen man mir in dem sogenannten Steinhause eingeräumt hatte, benuzt und hatte mehrere meiner Gegenstände dort hingebracht. Gustav las bereits in den Büchern von Goethe. Sein Ziehvater hatte ihm Hermann und Dorothea ausgewählt und ihm gesagt, er solle das Werk so genau und sorgfältig lesen, daß er jeden Vers völlig verstehe, und wo ihm etwas dunkel sei, dort solle er fragen. Mir war es rührend, daß die Bücher alle in Gustavs Zimmer aufgestellt waren und daß man das Zutrauen hatte, daß er kein anderes lesen werde, als welches ihm von dem Ziehvater bezeichnet worden sei. Ich kam oft zu ihm, und wenn ich nach der Kenntniß, die ich bereits von seinem Wesen gewonnen hatte, nicht gewußt hätte, daß er sein Versprechen halten werde, so hätte ich mich durch meine Besuche von dieser Thatsache überzeugt. Mathilde und Natalie standen oft dabei, wenn mein Gastfreund für seine gefiederten Gäste auf der Fütterungstenne Körner streute, und nicht selten, wenn ich des Morgens von einem Gange durch den Garten zurückkam, sah ich, daß bei der Fütterung in dem Eckzimmer, an dessen Fenstern die Fütterungsbrettchen angebracht waren, eine schöne Hand thätig sei, die ich für Nataliens erkannte. Wir besuchten manchmal die Nester, in welchen noch gebrütet wurde oder sich Junge befanden. Die meisten aber waren schon leer, und die Nachkommenschaft wohnte bereits in den Zweigen der Bäume. Oft befanden wir uns in dem Schreinerhause, sprachen mit den Leuten, betrachteten die Fortschritte der Arbeit und redeten darüber.

Wir besuchten sogar auch Nachbarn und sahen uns in ihrer Wirthschaftlichkeit um. Wenn wir in dem Hause waren, befanden wir uns in dem Arbeitszimmer meines Gastfreundes, es wurde etwas gelesen, oder es wurde ein geistansprechender Versuch in dem Zimmer der Naturlehre gemacht, oder wir waren in dem Bilderzimmer oder in dem Marmorsaale. Mein Gastfreund mußte oft seine Kunst ausüben und das Wetter voraussagen. Immer, wenn er eine bestimmte Aussage machte, traf sie ein. Oft verweigerte er aber diese Aussage, weil, wie er erklärte, die Anzeigen nicht deutlich und verständlich genug für ihn seien.

Zuweilen waren wir auch in den Zimmern der Frauen. Wir kamen dahin, wenn wir dazu geladen waren. Das kleine lezte Zimmerchen mit der Tapetentür gehörte insbesondere Mathilden. Ich hatte es Rosenzimmer genannt, und es wurde scherzweise der Name beibehalten. Mir war es ein anmuthiger Eindruck, daß ich sah, wie liebend und wie hold dieses Zimmer für die alte Frau eingerichtet worden war. Es herrschte eine zusammenstimmende Ruhe in diesem Zimmer mit den sanften Farben Blaßroth, Weißgrau, Grün, Mattveilchenblau und Gold. In all das sah die Landschaft mit den lieblichen Gestalten der Hochgebirge herein.

Mathilde saß gerne auf dem eigenthümlichen Sessel am Fenster und sah mit ihrem schönen Angesichte hinaus, dessen Art mein Gastfreund einmal mit einer welkenden Rose verglichen hatte.

In den Zimmern las zuweilen Natalie etwas vor, wenn mein Gastfreund es verlangte. Sonst wurde gesprochen. Ich sah auf ihrem Tische Papiere in schöner Ordnung und neben ihnen Bücher liegen. Ich konnte es nie über mich bringen, auch nur auf die Aufschrift dieser Bücher zu sehen, viel weniger gar eines zu nehmen und hinein zu schauen. Es thaten dies auch andere nie. An dem Fenster stand ein verhüllter Rahmen, an dem sie vielleicht etwas arbeitete; aber sie zeigte nichts davon. Gustav, wahrscheinlich aus Neigung zu mir, um mich mit den schönen Dingen zu erfreuen, die seine Schwester verfertigte, ging sie wiederholt darum an. Sie lehnte es aber jedes Mal auf eine einfache Art ab. Ich hatte einmal in einer Nacht, da meine Fenster offen waren, Zithertöne vernommen. Ich kannte dieses Musikgeräth des Gebirges sehr gut, ich hatte es bei meinen Wanderungen sehr oft und von den verschiedensten Händen spielen gehört, und hatte mein Ohr für seine Klänge und Unterschiede zu bilden gesucht. Ich ging an das Fenster und hörte zu. Es waren zwei Zithern, die im östlichen Flügel des Hauses abwechselnd gegen einander und mit einander spielten. Wer Übung im Hören dieser Klänge hat, merkt es gleich, ob auf derselben Zither oder auf verschiedenen, und von denselben Händen oder verschiedenen gespielt wird. In den Gemächern der Frauen sah ich später die zwei Zithern liegen. Es wurde aber in unserer Gegenwart nie darauf gespielt. Mein Gastfreund verlangte es nicht, ich ohnehin nicht, und in dieser Angelegenheit beobachtete auch Gustav eine feste Enthaltung.

Indessen war nach und nach die Zeit herangerückt, in welcher die Rosen in der allerschönsten Blüthe standen. Das Wetter war sehr günstig gewesen. Einige leichte Regen, welche mein Gastfreund vorausgesagt hatte, waren dem Gedeihen bei weitem förderlicher gewesen, als es fortdauernd schönes Wetter hätte thun können. Sie kühlten die Luft von zu großer Hize zu angenehmer Milde herab und wuschen Blatt, Blume und Stengel viel reiner von dem Staube, der selbst in weit von der Straße entfernten und mitten in Feldern gelegenen Orten doch nach lange andauerndem schönem Wetter sich auf Dächern, Mauern, Zäunen, Blättern und Halmen sammelt, als es die Sprühregen, die mein Gastfreund ein paar Male durch seine Vorrichtung unter dem Dache auf die Rosen hatte ergehen lassen, zu thun im Stande gewesen waren. Unter dem klarsten, schönsten und tiefsten Blau des Himmels standen nun eines Tages Tausende von den Blumen offen, es schien, daß keine einzige Knospe im Rückstande geblieben und nicht aufgegangen ist. In ihrer Farbe von dem reinsten Weiß in gelbliches Weiß, in Gelb, in blasses Roth, in feuriges Rosenroth, in Purpur, in Veilchenroth, in Schwarzroth zogen sie an der Fläche dahin, daß man bei lebendiger Anschauung versucht wurde, jenen alten Völkern Recht zu geben, die die Rosen fast göttlich verehrten und bei ihren Freuden und Festen sich mit diesen Blumen bekränzten. Man war täglich, theils einzeln, theils zusammen, zu dem Rosengitter gekommen, um die Fortschritte zu betrachten, man hatte gelegentlich auch andere Rosentheile und Rosenanlagen in dem Garten besucht; allein an diesem Tage erklärte man einmüthig, jezt sei die Blüthe am schönsten, schöner vermöge sie nicht mehr zu werden und von jezt an müsse sie abzunehmen beginnen. Dies hatte man zwar auch schon einige Tage früher gesagt; jezt aber glaubte man sich nicht mehr zu irren, jezt glaubte man auf dem Gipfel angelangt zu sein.

So weit ich mich auf das vergangene Jahr zu erinnern vermochte, in welchem ich auch diese Blumen in ihrer Blüthe angetroffen hatte, waren sie jezt schöner als damals.

Es kamen wiederholt Besuche an, die Rosen zu sehen. Die Liebe zu diesen Blumen, welche in dem Rosenhause herrschte, und die zweckmäßige Pflege, welche sie da erhielten, war in der Nachbarschaft bekannt geworden, und da kamen manche, welche sich wirklich an dem ungewöhnlichen Ergebnisse dieser Zucht ergözen wollten, und andere, die dem Besizer etwas Angenehmes erzeigen wollten, und wieder andere, die nichts Besseres zu thun wußten, als nachzuahmen, was ihre Umgebung that. Alle diese Arten waren nicht schwer von einander zu unterscheiden. Die Behandlung derselben war von Seite meines Gastfreundes so fein, daß ich es nicht von ihm vermuthet hatte und daß ich diese Eigenschaft an ihm erst jezt, wo ich ihn unter Menschen beobachten konnte, entdeckte.

Auch Bauern kamen zu verschiedenen Zeiten und bathen, daß sie die Rosen anschauen dürfen. Nicht nur die Rosen wurden ihnen gezeigt, sondern auch alles andere im Hause und Garten, was sie zu sehen wünschten, besonders aber der Meierhof, insoferne sie ihn nicht kannten oder ihnen die lezten Veränderungen in demselben neu waren.

Eines Tages kam auch der Pfarrer von Rohrberg, den ich bei meinem vorjährigen Besuche in dem Rosenhause getroffen hatte. Er zeichnete sich einige Rosen in ein Buch, das er mitgebracht hatte, und wendete sogar Wasserfarben an, um die Farben der Blumen so getreu, als nur immer möglich ist, nachzuahmen. Die Zeichnung aber sollte keine Kunstabbildung von Blumen sein, sondern er wollte sich nur solche Blumen anmerken und von ihnen den Eindruck aufbewahren, deren Art er in seinen Garten zu verpflanzen wünschte. Es bestand nehmlich schon seit lange her zwischen meinem Gastfreunde und dem Pfarrer das Verhältniß, daß mein Gastfreund dem Pfarrer Pflanzen gab, womit dieser seinen Garten zieren wollte, den er theils neu um das Pfarrhaus angelegt, theils erweitert hatte.

Unter allen aber schien Mathilde die Rosen am meisten zu lieben. Sie mußte überhaupt die Blumen sehr lieben; denn auf den Blumentischen in ihren Zimmern standen stets die schönsten und frischesten des Gartens, auch wurde gerne auf dem Tische, an welchem wir speisten, eine Gruppe von Gartentöpfen mit ihren Blumen zusammengestellt. Abgebrochen oder abgeschnitten und in Gläser mit Wasser gestellt durften in diesem Hause keine Blumen werden, außer sie waren welk, so daß man sie entfernen mußte. Den Rosen aber wendete sie ihr meistes Augenmerk zu. Nicht nur ging sie zu denen, welche im Garten in Sträuchen, Bäumchen und Gruppen standen, und bekümmerte sich um ihre Hegung und Pflege, sondern sie besuchte auch ganz allein, wie ich schon früher bemerkt hatte, die, welche an der Wand des Hauses blühten. Oft stand sie lange davor und betrachtete sie. Zuweilen holte sie sich einen Schemel, stieg auf ihn und ordnete in den Zweigen. Sie nahm entweder ein welkes Laubblatt ab, das den Blicken der andern entgangen war, oder bog eine Blume heraus, die am vollkommenen Aufblühen gehindert war, oder las ein Käferchen ab oder lüftete die Zweige, wo sie sich zu dicht und zu buschig gedrängt hatten. Zuweilen blieb sie auf dem Schemel stehen, ließ die Hand sinken und betrachtete wie im Sinnen die vor ihr ausgebreiteten Gewächse.

Wirklich war der Tag, den man als den schönsten der Rosenblüthe bezeichnet hatte, auch der schönste gewesen. Von ihm an begann sie abzunehmen, und die Blumen fingen an zu welken, so daß man öfter die Leiter und die Schere zur Hand nehmen mußte, um Verunzierungen zu beseitigen.

Auch zwei fremde Reisende waren in das Rosenhaus gekommen, welche sich eine Nacht und einen Theil des darauf folgenden Vormittages in demselben aufgehalten hatten. Sie hatten den Garten, die Felder und den Meierhof besehen. In seine Zimmer und in die Schreinerei hatte sie mein Gastfreund nicht geführt, woraus ich die mir angenehme Bemerkung zog, daß er mir bei meiner ersten Ankunft in seinem Hause eine Bevorzugung gab, die nicht jedem zu Theil wurde, daß ich also eine Art Zuneigung bei ihm gefunden haben mußte.

Gegen das Ende der Rosenblüthe kam Eustachs Bruder Roland in das Haus. Da er sich mehrere Tage in demselben aufhielt, fand ich Gelegenheit, ihn genauer zu beobachten. Er hatte noch nicht die Bildung seines Bruders, auch nicht dessen Biegsamkeit; aber er schien mehr Kraft zu besizen, die seinen Beschäftigungen einen wirksamen Erfolg versprach. Was mir auffiel, war, daß er mehrere Male seine dunkeln Augen länger auf Natalien heftete, als mir schicklich erscheinen wollte. Er hatte eine Reihe von Zeichnungen gebracht und wollte noch einen entfernteren Theil des Landes besuchen, ehe er wiederkehrte, um den Stoff vollkommen zu ordnen.

Ehe Mathilde und Natalie das Rosenhaus verließen, mußte noch der versprochene Besuch auf dem Gute des Nachbars, welches Ingheim hieß und von dem Volke nicht selten der Inghof genannt wurde, gemacht werden. Es wurde hingeschickt und ein Tag genannt, an dem man kommen wollte, welcher auch angenommen wurde. Am Morgen dieses Tages wurden die braunen Pferde, mit denen Mathilde gekommen war und die sie die Zeit über in dem Meierhofe gelassen hatte, vor den Wagen gespannt, der die Frauen gebracht hatte, und Mathilde und Natalie sezten sich hinein. Mein Gastfreund, Gustav und ich, der ich eigens in die Bitte des Gegenbesuchs eingeschlossen worden war, stiegen in einen anderen Wagen, der mit zwei sehr schönen Grauschimmeln meines Gastfreundes bespannt war. Eine rasche Fahrt von einer Stunde brachte uns an den Ort unserer Bestimmung. Ingheim ist ein Schloß, oder eigentlich sind zwei Schlösser da, welche noch von mehreren anderen Gebäuden umgeben sind. Das alte Schloß war einmal befestigt. Die grauen, aus großen viereckigen Steinen erbauten runden Thürme stehen noch, ebenso die graue aus gleichen Steinen erbaute Mauer zwischen den Thürmen. Beide Theile beginnen aber oben zu verfallen. Hinter den Thürmen und Mauern steht das alte, unbewohnte, ebenfalls graue Haus, scheinbar unversehrt; aber von den mit Brettern verschlagenen Fenstern schaut die Unbewohntheit und Ungastlichkeit herab. Vor diesen Werken des Alterthums steht das neue weiße Haus, welches mit seinen grünen Fensterläden und dem rothen Ziegeldache sehr einladend aussieht. Wenn man von der Ferne kömmt, meint man, es sei unmittelbar an das alte Schloß angebaut, welches hinter ihm emporragt. Wenn man aber in dem Hause selber ist und hinter dasselbe geht, so sieht man, daß das alte Gemäuer noch ziemlich weit zurück ist, daß es auf einem Felsen steht und daß es durch einen breiten, mit einem Obstbaumwald bedeckten Graben von dem neuen Hause getrennt ist. Auch kann man in der Ferne wegen der ungewöhnlichen Größe des alten Schlosses die Geräumigkeit des neuen Hauses nicht ermessen. Sobald man sich aber in demselben befindet, so erkennt man, daß es eine bedeutende Räumlichkeit habe und nicht blos für das Unterkommen der Familie gesorgt ist, sondern auch eine ziemliche Zahl von Gästen noch keine Ungelegenheit bereitet. Ich hatte wohl den Namen des Schlosses öfter gehört, dasselbe aber nie gesehen. Es liegt so abseits von den gewöhnlichen Wegen und ist durch einen großen Hügel so gedeckt, daß es von Reisenden, welche durch diese Gegend gewöhnlich den Gebirgen zugehen, nicht gesehen werden kann. Als wir uns näherten, entwickelten sich die mehreren Bauwerke. Zuerst kamen wir zu den Wirthschaftsgebäuden oder der sogenannten Meierei. Dieselben standen, wie es bei vielen Besizungen in unserem Lande der Brauch ist, ziemlich weit entfernt von dem Wohnhause und bildeten eine eigene Abtheilung. Von da führte der Weg durch eine Allee uralter großer Linden eine Strecke gegen das neue Haus. Die Allee ist ein Bruchstück von derjenigen, die einmal gegen die Zugbrücke des alten Schlosses hinauf geführt hatte; sie brach daher ab, und wir fuhren die übrige Strecke durch schönen grünen Rasen, der mit einzelnen Blumenhügeln geschmückt war, dem Hause zu. Dasselbe war von weißlich grauer Farbe und hatte säulenartige Streifen und Friese. Alle Fenster, soweit die geöffneten Läden eine Einsicht zuließen, zeigten von Innen schwere Vorhänge. Als der Wagen der Frauen unter dem Überdache der Vorfahrt hielt, stand schon der Herr von Ingheim sammt seiner Gattin und seinen Töchtern am Ende der Treppe zur Bewillkommnung. Sie waren alle mit Geschmack gekleidet, sowie die Dienerschaft, die hinter ihnen stand, in Festkleidern war. Der Herr half den Frauen aus dem Wagen, und da wir mittlerweile auch ausgestiegen und herzugekommen waren, wurden wir von der ganzen Familie begrüßt und die Treppe hinauf geleitet.

Man führte uns in ein großes Empfangszimmer und wies uns Pläze an. Mathilde und Natalie hatten zwar festlichere Kleider an, als sie im Rosenhause trugen, aber dieselben, so edel der Stoff war, zeigten doch keine übermäßige Verzierung oder gar Überladung. Mein Gastfreund, Gustav und ich waren gekleidet, wie man es zu ländlichen Besuchen zu sein pflegt. So ließen wir uns in die prachtvollen Polster, die hier überall ausgelegt waren, nieder. Auf einem Tische, über den ein schöner Teppich gebreitet war, standen Erfrischungen verschiedener Art. Andere Tische, die noch in dem Zimmer standen, waren unbedeckt. Die Geräthe waren von Mahagoniholz und schienen aus der ersten Werkstätte der Stadt zu stammen. Ebenso waren die Spiegel, die Kronleuchter und andere Dinge des Zimmers. Eine Ecke an einem Fenster nahm ein sehr schönes Clavier ein. Die ersten Gespräche betrafen die gewöhnlichen Dinge über Wohlbefinden, über Wetter, über Gedeihen der Feld- und Gartengewächse. Die Männer nannten sich wechselweise Nachbar, die Frauen benannten sich gar nicht.

Als man etwas Weniges von den dastehenden Speisen genommen hatte, erhob man sich, und wir gingen durch die Zimmer. Es war eine Reihe, deren Fenster größtentheils gegen Mittag auf die Landschaft hinaus gingen. Alle waren sehr schön nach neuer Art eingerichtet, besonders reich waren die Palisandergeräthe im Empfangszimmer der Frau, in welchem, so wie in dem Arbeitszimmer der Mädchen, wieder Claviere standen. Der Herr des Hauses führte besonders mich in den Räumen herum, dem sie noch fremd waren. Die übrige Gesellschaft folgte uns gelegentlich in das eine oder andere Gemach.

Aus den Zimmern ging man in den Garten. Derselbe war wie viele wohlgehaltene und schöne Gärten in der Nähe der Stadt. Schöne Sandgänge, grüne ausgeschnittene Rasenpläze mit Blumenstücken, Gruppen von Zier- und Waldgebüschen, ein Gewächshaus mit Camellien, Rhododendren, Azaleen, Eriken, Calceolarien und vielen neuholländischen Pflanzen, endlich Ruhebänke und Tische an geeigneten schattigen Stellen. Der Obstgarten als Nüzlichkeitsstück war nicht bei dem Wohnhause, sondern hinter dem Meierhofe.

Von dem Garten gingen wir, wie es bei ländlichen Besuchen zu geschehen pflegt, in die Meierei. Wir gingen durch die Reihen der glatten Rinder, die meistens weiß gestirnt waren, wir besahen die Schafe, die Pferde, das Geflügel, die Milchkammer, die Käsebereitung, die Brauerei und ähnliche Dinge. Hinter den Scheuern trafen wir den Gemüsegarten und den sehr weitläufigen Obstgarten an. Von diesen gingen wir in die wohlbestellten Felder und in die Wiesen. Der Wald, welcher zu der Besizung gehört, wurde mir in der Ferne gezeigt.

Nachdem wir unsern ziemlich bedeutenden Spaziergang beendigt hatten, wurden wir in eine ebenerdige große Speisehalle geführt, in welcher der Mittagtisch gedeckt war. Ein einfaches, aber ausgesuchtes Mahl wurde aufgetragen, wobei die Dienerschaft hinter unseren Stühlen stehend bediente. Hatte sich die Familie Ingheim schon bei dem Besuche auf dem Rosenhause als unter die gebildeten gehörig gezeigt, so war dies bei unserem Empfange in ihrem eigenen Hause wieder der Fall. Sowohl bei Vater und Mutter als auch bei den Mädchen war Einfachheit, Ruhe und Bescheidenheit. Die Gespräche bewegten sich um mehrere Gegenstände, sie rissen sich nicht einseitig nach einer gewissen Richtung hin, sondern schmiegten sich mit Maß der Gesellschaft an. Einen Theil der Zeit nach dem Mittagessen brachten wir in den Zimmern des ersten Stockwerkes zu. Es wurde Musik gemacht, und zwar Clavier und Gesang. Zuerst spielte die Mutter etwas, dann beide Mädchen allein, dann zusammen. Jedes der Mädchen sang auch ein Lied. Natalie saß in den seidenen Polstern und hörte aufmerksam zu. Als man sie aber aufforderte, auch zu spielen, verweigerte sie es.

Gegen Abend fuhren wir wieder in das Rosenhaus zurück.

Als Gustav aus unserem Wagen gesprungen war, als mein Gastfreund und ich denselben verlassen hatten, und ich die edle, schlanke Gestalt Nataliens gegen die Marmortreppe hinzu gehen sah, blieb ich ein Weilchen stehen und begab mich dann auch in meine Zimmer, wo ich bis zum Abendessen blieb.

Dieses war wie gewöhnlich, man machte aber nach demselben an diesem Tage keinen Spaziergang mehr.

Ich ging in mein Schlafzimmer, öffnete die Fenster, die man troz des warmen Tages, weil ich abwesend gewesen war, geschlossen gehalten hatte, und lehnte mich hinaus. Die Sterne begannen sachte zu glänzen, die Luft war mild und ruhig und die Rosendüfte zogen zu mir herauf. Ich gerieth in tiefes Sinnen. Es war mir wie im Traume, die Stille der Nacht und die Düfte der Rosen mahnten an Vergangenes; aber es war doch heute ganz anders.

Nach diesem Besuche auf dem Inghofe folgten mehrere Regentage, und als diese beendigt waren und wieder dem Sonnenscheine Plaz machten, war auch die Zeit heran genaht, in welcher Mathilde und Natalie das Rosenhaus verlassen sollten. Es war schon Mehreres gepackt worden, und darunter sah ich auch die beiden Zithern, die man in sammtene Fächer that, welche ihrerseits wieder in lederne Behältnisse gesteckt wurden.

Endlich war der Tag der Abreise festgesezt worden.

Am Abende vorher war schon das Hauptsächlichste, was mitgenommen werden sollte, in den Wagen geschafft, und die Frauen hatten am Nachmittage in mehreren Stellen Abschied genommen: bei den Gärtnerleuten, in der Schreinerei und im Meierhofe.

Am andern Morgen erschienen sie bei dem Frühmahle in Reisekleidern, während noch Arabella, das Dienstmädchen Mathildens, diejenigen Sachen, die bis zu dem lezten Augenblicke im Gebrauch gewesen waren, in den Wagen packte.

Nach dem Frühmahle, als die Frauen schon die Reisehüte aufhalten, sagte Mathilde zu meinem Gastfreunde:

«Ich danke dir, Gustav, lebe wohl, und komme bald in den Sternenhof.»

«Lebe wohl, Mathilde», sagte mein Gastfreund.

Die zwei alten Leute küßten sich wieder auf die Lippen, wie sie es bei der Ankunft Mathildens gethan hatten.

«Lebe wohl, Natalie», sagte er dann zu dem Mädchen.

Dasselbe erwiederte nur leise die Worte: «Dank für alle Güte.»

Mathilde sagte zu dem Knaben: «Sei folgsam und nimm dir deinen Ziehvater zum Vorbilde.»

Der Knabe küßte ihr die Hand.

Dann, zu mir gewendet, sprach sie: «Habet Dank für die freundlichen Stunden, die ihr uns in diesem Hause gewidmet habt. Der Besizer wird euch für euren Besuch wohl schon danken. Bleibt meinem Knaben gut, wie ihr es bisher gewesen seid, und laßt euch seine Anhänglichkeit nicht leid thun. Wenn es eure schöne Wissenschaft zuläßt, so seid unter denen, die von diesem Hause aus den Sternenhof besuchen werden. Eure Ankunft wird dort sehr willkommen sein.»

«Den Dank muß wohl ich zurückgeben für alle die Güte, welche mir von euch und von dem Besizer dieses Hauses zu Theil geworden ist», erwiederte ich. «Wenn Gustav einige Zuneigung zu mir hat, so ist wohl die Güte seines Herzens die Ursache, und wenn ihr mich von dem Sternenhofe nicht zurück weiset, so werde ich gewiß unter den Besuchenden sein.»

Ich empfand, daß ich mich auch von Natalien verabschieden sollte; ich vermochte aber nicht, etwas zu sagen, und verbeugte mich nur stumm. Sie erwiederte diese Verbeugung ebenfalls stumm.

Hierauf verließ man das Haus und ging auf den Sandplaz hinaus. Die braunen Pferde standen mit dem Wagen schon vor dem Gitter. Die Hausdienerschaft war herbei gekommen, Eustach mit seinen Arbeitern stand da, der Gärtner mit seinen Leuten und seiner Frau und der Meier mit dem Großknechte aus dem Meierhofe waren ebenfalls gekommen.

«Ich danke euch recht schön, lieben Leute», sagte Mathilde, «ich danke euch für eure Freundschaft und Güte, seid für euren Herrn treu und gut. Du, Katharina, sehe auf ihn und Gustav, daß keinem ein Ungemach zustößt.»

«Ich weiß, ich weiß» fuhr sie fort, als sie sah, daß Katharina reden wollte, «du tust Alles, was in deinen Kräften ist, und noch mehr, als in deinen Kräften ist; aber es liegt schon so in dem Menschen, daß er um Erfüllung seiner Herzenswünsche bittet, wenn er auch weiß, daß sie ohnehin erfüllt werden, ja daß sie schon erfüllt worden sind.»

«Kommt recht gut nach Hause», sagte Katharina, indem sie Mathilden die Hand küßte und sich mit dem Zipfel ihrer Schürze die Augen trocknete.

Alle drängten sich herzu und nahmen Abschied. Mathilde hatte für ein jedes liebe Worte. Auch von Natalien beurlaubte man sich, die gleichfalls freundlich dankte.

«Eustach, vergeßt den Sternenhof nicht ganz», sagte Mathilde zu diesem gewendet, «besucht uns mit den anderen. Ich will nicht sagen, daß euch auch die Dinge dort nothwendig haben könnten, ihr sollt unsertwegen kommen.»

«Ich werde kommen, hochverehrte Frau», erwiederte Eustach.

Nun sprach sie noch einige Worte zu dem Gärtner und seiner Frau und zu dem Meier, worauf die Leute ein wenig zurück traten.

«Sei gut, mein Kind», sagte sie zu Gustav, indem sie ihm ein Kreuz mit Daumen und Zeigefinger auf die Stirne machte und ihn auf dieselbe küßte. Der Knabe hielt ihre Hand fest umschlungen und küßte sie. Ich sah in seinen großen schwarzen Augen, die in Thränen schwammen, daß er sich gerne an ihren Hals würfe; aber die Scham, die einen Bestandtheil seines Wesens machte, mochte ihn zurück halten.

«Bleibe lieb, Natalie», sagte mein Gastfreund.

Das Mädchen hätte bald die dargereichte Hand geküßt, wenn er es zugelassen hätte.

«Teurer Gustav, habe noch einmal Dank», sagte Mathilde zu meinem Gastfreunde. Sie hatte noch mehr sagen wollen; aber es brachen Thränen aus ihren Augen. Sie nahm ein feines, weißes Tuch und drückte es fest gegen diese Augen, aus denen sie heftig weinte.

Mein Gastfreund stand da und hielt die Augen ruhig; aber es fielen Thränen aus denselben herab.

«Reise recht glücklich, Mathilde», sagte er endlich, «und wenn bei deinem Aufenthalte bei uns etwas gefehlt hat, so rechne es nicht unserer Schuld an.»

Sie that das Tuch von den Augen, die noch fortweinten, deutete auf Gustav und sagte: «Meine größte Schuld steht da, eine Schuld, welche ich wohl nie werde tilgen können.»

«Sie ist nicht auf Tilgung entstanden», erwiederte mein Gastfreund. «Rede nicht davon, Mathilde, wenn etwas Gutes geschieht, so geschieht es recht gerne.»

Sie hielten sich noch einen Augenblick bei den Händen, während ein leichtes Morgenlüftchen einige Blätter der abgeblühten Rosen zu ihren Füßen wehte.

Dann führte er sie zu dem Wagen, sie stieg ein, und Natalie folgte ihr.

Es war nach den mehreren Regentagen ein sehr klarer, nicht zu warmer Tag gefolgt. Der Wagen war offen und zurück gelegt. Mathilde ließ den Schleier von dem nehmlichen Hute, den sie bei ihrer Herfahrt gehabt hatte, über ihr Angesicht herabfallen; Natalie aber legte den ihrigen zurück und gab ihre Augen den Morgenlüften. Nachdem auch noch Arabella in den Wagen gestiegen war, zogen die Pferde an, die Räder furchten den Sand und der Wagen ging auf dem Wege hinab der Hauptstraße zu.

Wir begaben uns wieder in das Haus zurück.

Jeder ging in sein Zimmer und zu seinen Geschäften.

Nachdem ich eine Weile in meiner Wohnung gewesen war, suchte ich den Garten auf. Ich ging zu mehreren Blumen, die in einer für Blumen schon so weit vorgerückten Jahreszeit noch blühten, ich ging zu den Gemüsen, zu dem Zwergobste und endlich zu dem großen Kirschbaume hinauf. Von demselben ging ich in das Gewächshaus. Ich traf dort den Gärtner, welcher an seinen Pflanzen arbeitete. Als er mich eintreten sah, kam er mir entgegen und sagte: «Es ist gut, daß ich allein mit euch sprechen kann, habt ihr ihn gesehen?»

«Wen?» fragte ich.

«Nun, ihr waret ja auf dem Inghofe», antwortete er, «da werdet ihr wohl den Cereus peruvianus angeschaut haben.»

«Nein, den habe ich nicht angeschaut», erwiederte ich, indem ich mich wohl des Gespräches erinnerte, in welchem er mir erzählt hatte, daß sich eine so große Pflanze dieser Art in dem Inghofe finde, «ich habe auf ihn vergessen.»

«Nun, wenn ihr ihn vergessen habt, so wird ihn wohl der Herr angeschaut haben», sagte er.

«Ich glaube, daß uns niemand auf diese Pflanze aufmerksam gemacht hat, als wir in dem Gewächshause waren», erwiederte ich; «denn wenn jemand anderer sich eigens zu dieser Pflanze gestellt hätte, so hätte ich es gewiß bemerkt und hätte sie auch angesehen.»

«Das ist sehr sonderbar und sehr merkwürdig», sagte er; «nun, wenn ihr vergessen habt, den Cereus peruvianus anzusehen, so müßt ihr einmal mit mir hinübergehen; wir brauchen nicht zwei Stunden, und es ist ein angenehmer Weg. So etwas seht ihr nicht leicht anders wo. Sie bringen ihn nie zur Blüthe. Wenn ich ihn hier hätte, so würde er bald so weiß wie meine Haare blühen, natürlich viel weißer. Die unseren sind noch viel zu klein zum Blühen.»

Ich sagte ihm zu, daß ich einmal mit ihm in den Inghof hinübergehen werde, ja sogar, wenn es nicht eine Unschicklichkeit sei und nicht zu große Hindernisse im Wege stehen, daß ich auch versuchen werde, dahin zu wirken, daß diese Pflanze zu ihm herüberkomme.

Er war sehr erfreut darüber und sagte, die Hindernisse seien gar nicht groß, sie achten den Cereus nicht, sonst hätten sie ja die Gesellschaft zu ihm hingeführt, und der Herr wolle sich vielleicht keine Verbindlichkeit gegen den Nachbar auflegen. Wenn ich aber eine Fürsprache mache, so würde der Cereus gewiß herüber kommen.

Wie doch der Mensch überall seine eigenen Angelegenheiten mit sich herum führt, dachte ich, und wie er sie in die ganze übrige Welt hineinträgt. Dieser Mann beschäftigt sich mit seinen Pflanzen und meint, alle Leute müßten ihnen ihre Aufmerksamkeit schenken, während ich doch ganz andere Gedanken in dem Haupte habe, während mein Gastfreund seine eigenen Bestrebungen hat und Gustav seiner Ausbildung obliegt. Das eine Gute hatte aber die Ansprache des Gärtners für mich, daß sie mich von meinen wehmüthigen und schmerzlichen Gefühlen ein wenig abzog und mir die Überzeugung brachte, wie wenig Berechtigung sie haben und wie wenig sie sich für das Einzige und Wichtigste in der Welt halten dürfen.

Ich blieb noch länger in dem Gewächshause und ließ mir Mehreres von dem Gärtner zeigen und erklären. Dann ging ich wieder in meine Wohnung und sezte mich zu meiner Arbeit.

Wir kamen bei dem Mittagessen zusammen, wir machten am Nachmittage einen Spaziergang, und die Gespräche waren wie gewöhnlich.

Die Zeit auf dem Rosenhause floß nach dem Besuche der Frauen wieder so hin, wie sie vor demselben hingeflossen war.

Ich hatte die Muße, welche ich mir von meinen Arbeiten im Gebirge zu einem Aufenthalte bei meinem Gastfreunde abgedungen hatte, beinahe schon erschöpft. Das, was ich mir in dem Rosenhause als Ergänzungsarbeit zu thun auferlegt hatte, rückte auch seiner Vollendung entgegen. Ich ließ mir aber deßohngeachtet einen Aufschub gefallen, weil man verabredet hatte, einen Besuch auf dem Sternenhofe zu machen, was, wie ich einsah, Mathildens Wohnsiz war, und weil ich bei diesem Besuche zugegen sein wollte. Auch war es im Plane, daß wir eine Kirche besuchen wollten, die in dem Hochlande lag und in welcher sich ein sehr schöner Altar aus dem Mittelalter befand. Ich nahm mir vor, das, was mir an Zeit entginge, durch ein länger in den Herbst hinein fortgeseztes Verweilen im Gebirge wieder einzubringen.

Mein Gastfreund hatte in dem Meierhofe wieder Bauarbeiten beginnen lassen und beschäftigte dort mehrere Leute. Er ging alle Tage hin, um bei den Arbeiten nachzusehen. Wir begleiteten ihn sehr oft. Es war eben die lezte Einfuhr des Heues aus den höheren, in dem Alizwalde gelegenen Wiesen, deren Ertrag später als in der Ebene gemäht wurde, im Gange. Wir erfreuten uns an dieser duftenden, würzigen Nahrung der Thiere, welche aus den Waldwiesen viel besser war als aus den fetten Wiesen der Thäler; denn auf den Bergwiesen wachsen sehr mannigfaltige Kräuter, die aus den sehr verschiedenartigen Gesteingrundlagen die Stoffe ihres Gedeihens ziehen, während die gleichartigere Gartenerde der tiefen Gründe wenigere, wenngleich wasserreichere Arten hervor bringt. Mein Gastfreund widmete diesem Zweige eine sehr große Aufmerksamkeit, weil er die erste Bedingung des Gedeihens der Hausthiere, dieser geselligen Mitarbeiter der Menschen ist. Alles, was die Würze, den Wohlgeruch und, wie er sich ausdrückte, die Nahrungslieblichkeit beeinträchtigen konnte, mußte strenge hintan gehalten werden, und wo durch Versehen oder Ungunst der Zeitverhältnisse doch dergleichen eintrat, mußte das minder Taugliche ganz beseitigt oder zu andern Wirthschaftszwecken verwendet werden. Darum konnte man aber auch keine schöneres, glatteren, glänzenderen und fröhlicheren Thiere sehen als auf dem Asperhofe. Der Wirthschaftsvortheil lag außerdem noch als Zugabe bei; denn da das Schlechtere gar nicht verwendet werden durfte, wurde bei der Behandlung und Einbringung die größte Sorgfalt von den Leuten beobachtet, abgesehen davon, daß mein Gastfreund bei seiner Kenntniß der Witterungsverhältnisse weniger Schaden durch Regen oder dergleichen erlitt als die meisten Landwirthe, die sich um diese Kenntniß gar nicht bekümmerten. Und der Nachtheil der Nichtanwendung des Schlechteren wurde weit durch den Vortheil des besseren Gedeihens der Thiere aufgewogen. In dem Asperhofe konnte man immer mit einer geringeren Anzahl Thiere größere Arbeiten ausführen als in anderen Gehöften. Hiezu kam noch eine gewisse Fröhlichkeit und Heiterkeit der untergeordneten Leute, die bei jeder sachgemäßen Führung eines Geschäftes, bei dem sie betheiligt sind, und bei einer wenn auch strengen, doch stets freundlichen Behandlung nicht ausbleibt. Ich hörte bei meiner jezigen Anwesenheit öfter von benachbarten Leuten die Äußerung, das hätte man dem alten Asperhofe nicht angesehen, daß das noch heraus kommen könnte.

Es wurde, da wieder mehrere Gewitter niedergegangen waren, die Luft sich gereinigt hatte und einige schöne Tage erwartet werden konnten, die Reise zu der Kirche mit dem sehenswürdigen Altare festgesezt.

Im Norden unseres herrlichen Stromes, welcher das Land in einen nördlichen und südlichen Theil theilt, erhebt sich ein Hochland, welches viele Meilen die nördlichen Ufer des Stromes begleitet. In seinem Süden ist eine acht bis zehn Meilen breite, verhältnißmäßig ebene Gegend von großer Fruchtbarkeit, die endlich von dem Zuge der Alpen begrenzt ist. Ich war bisher nur vorzugsweise in die Alpen gegangen, die nördlichen Hochlande hatte ich blos ein einziges Mal betreten und nur eine kleine Ecke derselben durchwandert. Jezt sollte ich mit meinem Gastfreunde eine Fahrt in das Innere derselben machen; denn die Kirche, welche das Ziel unserer Reise war, steht weit näher an der nördlichen als an der südlichen Grenze des Hochlandes. Wir fuhren in der Begleitung Eustachs von dem Stromesufer die staffelartigen Erhebungen empor und fuhren dann in dem hohen vielgehügelten Lande dahin. Wir fuhren oft mit unseren Gespann langsam bis auf die höchste Spize eines Berges empor, dann auf der Höhe fort, oder wir senkten uns wieder in ein Thal, umfuhren oft in Windungen abwärts die Dachung des Berges, legten eine enge Schlucht zurück, stiegen wieder empor, veränderten recht oft unsere Richtung und sahen die Hügel, die Gehöfte und andere Bildungen von verschiedenen Seiten. Wir erblickten oft von einer Spize das ganze flache gegen Mittag gelegene Land mit seiner erhabenen Hochgebirgskette, und waren dann wieder in einem Thalkessel, in welchem wir keine Gegenstände neben unserem Wagen hatten als eine dunkle, weitästige Fichte und eine Mühle. Oft, wenn wir uns einem Gegenstande gleichsam auf einer Ebene nähern zu können schienen, war plözlich eine tiefe Schlucht in die Ebene geschnitten, und wir mußten dieselbe in Schlangenwindungen umfahren.

Ich hatte bei meinem ersten Besuche dieses Hochlandes die Bemerkung gemacht, daß es mir da stiller und schweigsamer vorkomme, als wenn ich durch andere, ebenfalls stille und schweigende Landschaften zog. Ich dachte nicht weiter darüber nach. Jezt kam mir dieselbe Empfindung wieder. In diesem Lande liegen die wenigen größeren Ortschaften sehr weit von einander entfernt, die Gehöfte der Bauern stehen einzeln auf Hügeln oder in einer tiefen Schlucht oder an einem nicht geahnten Abhange. Herum sind Wiesen, Felder, Wäldchen und Gestein. Die Bäche gehen still in den Schluchten, und wo sie rauschen, hört man ihr Rauschen nicht, weil die Wege sehr oft auf den Höhen dahin führen. Einen großen Fluß hat das Land nicht, und wenn man die ausgedehnte südliche Ebene und das Hochgebirge sieht, so ist es nur ein sehr großer, aber stiller Gesichtseindruck. In den Alpen geht der Straßenzug meistens nur in den Thalrinnen, an den Flüssen oder Wildbächen dahin, er kann sich wenig verzweigen, der Verkehr ist auf ihn zusammengedrängt, und es regt sich auf ihm, und es wehet und rauscht an ihm.

In diesem Lande sind noch viele werthvolle Alterthümer zerstreut und aufbewahrt, es haben einmal reiche Geschlechter in ihm gewohnt, und die Krieges- und Völkerstürme sind nicht durch das Land gegangen.

Wir kamen in den kleinen Ort Kerberg. Er liegt in einem sehr abgeschiedenen Winkel und ist von keinerlei Bedeutung. Nicht einmal eine Straße von nur etwas lebhaftem Verkehre führt durch, sondern nur einer jener Landwege, wie sie zum Austausche der Erzeugnisse der Bevölkerung dienen und von dem guten Sand- und Steinstoffe des Landes sehr gut gebaut sind. Nur die Lage ist schön, da hier die Bildungen etwas größer sind und, mit dämmerigem Walde theilweise bekleidet, anmuthig zusammentreten. Und doch steht in diesem Orte die Kirche, zu welcher wir auf der Reise waren. Hinter dem Orte, ungefähr nach Mitternacht, liegt ein weitläufiges Schloß auf einem Berge, welches große Garten- und Waldanlagen um sich hat. Auf diesem Schlosse hat einmal ein reiches und mächtiges Geschlecht gewohnt. Einer von ihnen hatte in dem kleinen Orte die Kirche bauen und auszieren lassen. Er hat die Kirche im altdeutschen Stile gebaut, Spizbogen schließen sie, schlanke Säulen aus Stein theilen sie in drei Schiffe, und hohe Fenster mit Steinrosen in ihren Bögen und mit den kleinen vieleckigen Täfelchen geben ihr Licht. Der Hochaltar ist aus Lindenholz geschnizt, steht wie eine Monstranze auf dem Priesterplaze und ist von fünf Fenstern umgeben. Viele Zeiten sind vorübergegangen. Der Gründer ist gestorben, man zeigt sein Bild aus rothem Marmor in Halbarbeit auf einer Platte in der Kirche. Andere Menschen sind gekommen, man machte Zuthaten in der Kirche, man bemalte und bestrich die steinernen Säulen und die aus gehauenen Steinen gebauten Wände, man ersezte die zwei Seitenaltäre, von deren Gestalt man jezt nichts mehr weiß, durch neue, und es geht die Sage, daß schöne Glasgemälde die Monstranze umstanden haben, daß sie fortgekommen seien und daß gemeine viereckige Tafeln in die fünf Fenster gesezt wurden. Sie verunzieren in der That noch jezt die Kirche. Die neuen Besizer des Schlosses waren nicht mehr so reich und mächtig, andere Zeiten hatten andere Gedanken bekommen, und so war der geschnizte Hochaltar von Vögeln, Fliegen und Ungeziefer beschmuzt worden, die Sonne, die ungehindert durch die viereckigen Tafeln hereinschien, hatte ihn ausgedörrt, Theile fielen herab und wurden willkürlich wieder hinauf gethan und durcheinander gestellt, und in Arme, Angesichter und Gewänder bohrte sich der Wurm.

Darum haben die Behörden des Landes den Altar wieder hergestellt, und zu diesem gingen wir.

Eustach geleitete uns in die Kirche, es war ein sonniger Vormittag, kein Mensch war zugegen, und wir traten vor das Schnizwerk. Eustach konnte vieles aus den Regeln der alten Kunst und aus der Geschichte derselben erklären. Er sprach über das Mittelfeld, in welchem drei ganze, überlebensgroße Gestalten auf reich verzierten Gestellen unter reichen Überdächern standen. Es waren die Gestalten des heiligen Petrus, des heiligen Wolfgang - beide in Bischofsgewändern - und des heiligen Christophorus, wie er das Jesuskindlein auf der Schulter trägt, und wie dasselbe nach der Legende dem riesenhaft starken Manne schwer wie ein Weltball wird und seine Kräfte erschöpft, welche Erschöpfung in der Gestalt ausgedrückt ist. Sehr viele kleine Gestalten waren noch nach der Sitte unserer Vorältern in dem Raume zerstreut. An dem Mittelfelde waren in gezierten Rahmen zwei Flügel, auf welchen Bilder in halberhabener Arbeit sich befanden: die Verkündigung des Engels, die Geburt des Heilandes, die Opferung der drei Könige und der Tod Marias. Oberhalb des Mittelstückes war ein Giebel mit der emporstrebenden durchbrochenen Arbeit, die man, wie Eustach meint, fälschlich die gothische nennt, da sie vielmehr mittelalterlich deutsch sei. In diese durchbrochene Arbeit waren mehrere Gestalten eingestreut. Zu beiden Seiten hinter den Flügeln standen die Gestalten des heiligen Florian und des heiligen Georg in mittelalterlicher Ritterrüstung empor.

Der heilige Florian hatte das Sinnbild des brennenden Hauses und der heilige Georg das des Drachen zu seinen Füßen. Eustach behauptete, daß sich nur aus der Ansicht eines Sinnbildes die Kleinheit solcher Beigaben zu alterthümlichen Gestalten erkläre, da unsere kunstsinnigen Altvordern gewiß nicht den großen Fehler der Unverhältnißmäßigkeit der Körper der Gegenstände gemacht haben würden. Mein Gastfreund sagte, ohne die Meinung Eustachs verwerfen zu wollen, daß man die Sache auch etwa so auslegen könne, daß man durch die über alles Maß hinausgehende Größe der Gestalten, gegen welche ein Haus oder ein Drache klein sei, ihre Übernatürlichkeit habe ausdrücken wollen.

Mein Gastfreund sagte, es müßten einmal nicht nur viel kunstsinnigere Zeiten gewesen sein als heute, sondern es müßte die Kunst auch ein allgemeineres Verständniß bis in das unterste Volk hinab gefunden haben; denn wie wären sonst Kunstwerke in so abgelegene Orte wie Kerberg gekommen, oder wie befänden sich solche in noch kleineren Kirchen und Kapellen des Hochlandes, die oft einsam auf einem Hügel stehen oder mit ihren Mauern aus einem Waldberge hervor ragen, oder wie wären kleine Kirchlein, Feldkapellen, Wegsäulen, Denksteine alter Zeit mit solcher Kunst gearbeitet: so wie heut zu Tage der Kunstverfall bis in die höheren Stände hinauf rage, weil man nicht nur in die Kirchen, Gräber und heiligen Orte abscheuliche Gestalten, die eher die Andacht zerstören als befördern, von dem Volke stellen läßt, sondern auch bis zu sich hinauf in das herrschaftliche Schloß so oft die leeren und geistesarmen Arbeiten einer ohnmächtigen Zeit zieht. Meines Gastfreundes und Eustachs bemächtigte sich bei diesen Betrachtungen eine Traurigkeit, welche ich nicht ganz begriff.

Wir betrachteten nach dem Altare auch noch die Kirche, betrachteten das Steinbild des Mannes, der sie hatte erbauen lassen. und betrachteten noch andere alte Grabdenkmale und Inschriften. Es zeigte sich hier, daß die fünf Fenster des Priesterplazes nicht wie die Fenster des Kirchenschiffes in ihren Spizbogen Steinrosen hatten, was als neuer Beweis galt, daß das Glas aus diesen Fenstern einmal heraus genommen worden war, und daß man zu besserer Gewinnung der Gemälde in den Spizbogen oder gar zu bequemerer Einsezung der viereckigen Tafeln die steinernen Fassungen weggeräumt habe.

Ich ging mit manchem Gedanken bereichert neben meinen zwei Begleitern aus der Kirche.

Auf der Rückfahrt schlugen wir einen anderen Weg ein, damit ich auch noch andere Theile des Landes zu sehen bekäme. Wir besuchten noch ein paar Kirchen und kleinere Bauwerke, und Eustach versprach mir, daß er mir, wenn wir nach Hause gekommen wären, die Zeichnungen von den Dingen zeigen würde, welche wir gesehen hatten. Die Männer sprachen auf der Rückreise auch von der muthmaßlichen Zeit, in welcher die Kirche, die das Ziel unserer Reise gewesen war, entstanden sein könnte. Sie schlossen auf diese Zeit aus der Art und Weise des Baues und aus manchen Verzierungen. Sie bedauerten nur, daß man Näheres darüber aus Urkunden nicht erfahren könne, da das Schriftgewölbe des alten Schlosses unzugänglich gehalten werde.

Wir fuhren am Mittage des nächsten Tages wieder die staffelartigen Erhebungen hinab und gelangten in später Nacht in das Rosenhaus.

Ich mahnte in ein paar Tagen darauf den Gärtner an unsern verabredeten Gang nach Ingheim. Er freute sich über meine Achtsamkeit, wie er es nannte, und an einem freundlichen Nachmittage gingen wir in das Schloß hinüber. Wir sagten die Ursache unseres Besuches und wurden mit Zuvorkommenheit empfangen.

Wir gingen sogleich in das Gewächshaus, und es war in Wirklichkeit eine sehr schöne und zu ansehnlicher Größe ausgebildete Pflanze, zu der mich der Gärtner Simon geführt hatte. Ich kannte nicht genau, wie weit sich diese Pflanzen überhaupt entwickeln und welche Größe sie zu erreichen vermögen; aber eine größere habe ich nirgends gesehen. Daß man sie in Ingheim nicht viel achte, erkannte ich ebenfalls; denn der Winkel des Gewächshauses, in welchem sie in freiem Boden stand, war der vernachlässigteste, es lagen Blumenstäbe, Bastbänder, welke Blätter und dergleichen dort, und man hatte ihn mit Gestellen, auf welchen andere Pflanzen standen, verstellt, daß sein Anblick den Augen enzogen werde. Man konnte den grünen Arm dieser Pflanze wohl an der Decke des Hauses hingehen sehen, ich hatte aber dort hinauf bei meiner ersten Anwesenheit nicht geschaut. Mein Begleiter erkannte jezt, daß es ein Cereus peruvianus sei und erklärte mir seine Merkmale. Sonst aber konnten wir keine Cactus in Ingheim entdecken. Nach mancher Aufmerksamkeit, die uns in dem Schlosse noch zu Theil wurde, begaben wir uns gegen Abend wieder auf den Rückweg, und ich tröstete meinen alten Begleiter mit den Worten, daß ich glaube, daß es nicht schwer sein werde, diese Pflanze in das Rosenhaus zu bringen. Dort würde sie die Sammlung ergänzen und zieren, während sie in Ingheim allein ist. Auch wird man wohl einem Wunsche meines Gastfreundes willfährig sein, und ich werde die Sache schon zu fördern trachten.

Nach kurzer Zeit traten wir unsere Weg zum Besuche in dem Sternenhofe an. Dieses Mal fuhr außer Eustach auch Gustav mit. Die Grauschimmel wurden vor einen größeren Wagen gespannt, als wir in den Hochlanden gehabt hatten, und wir fuhren mit ihnen über den Hügel hinab. Es war sehr früh am Morgen, noch lange vor Sonnenaufgang. Wir fuhren auf der Hauptstraße gegen Rohrberg zu und fuhren endlich auf der Anhöhe an dem Alizwalde empor. Da die Pferde langsam den Weg hinan gingen, sagte mein Gastfreund: «Es ist möglich, daß ihr im vorigen Jahre an dieser Stelle Mathilden und Natalien gesehen habt. Sie erzählten mir, als sie zu Besuche der Rosenblüthe zu mir kamen, und ich ihnen von euch, von eurer Anwesenheit bei mir und von eurer an dem Morgen ihrer Ankunft erfolgten Abreise sagte, daß sie einem Fußreisenden auf der Alizhöhe begegnet seien, der dem ungefähr gleich gesehen habe, den ich ihnen beschrieben.»

Plözlich war es mir ganz klar, daß wirklich Mathilde und Natalie die zwei Frauen gewesen waren, welchen ich an jenem Morgen an dieser Stelle begegnet bin. Mir waren jezt deutlich dieselben Reisehüte vor Augen, die sie auch dieses Mal aufgehabt hatten, ich sah die Züge Nataliens wieder, und auch der Wagen und die braunen Pferde kamen mir in die Erinnerung. Darum also war mir Natalie immer als schon einmal gesehen vorgeschwebt. Ich hatte ja sogar damals gedacht, daß das menschliche Angesicht etwa der edelste Gegenstand für die Zeichnungskunst sein dürfte, und hatte sie als unbeholfener Mensch, der im Zurechtlegen aller Eindrücke geschickter ist als in dem der menschlichen, doch wieder aus meiner Vorstellungskraft verloren. Ich sagte zu meinem Gastfreunde, daß er durch seine Bemerkung meinem Gedächtnisse zu Hilfe gekommen sei, daß ich jezt alles klar wisse und daß mir auf dieser Anhöhe Mathilde und Natalie begegnet seien, und daß ich ihnen, da der Wagen langsam den Berg hinab fuhr, nachgesehen habe.

«Ich habe mir es gleich so gedacht», erwiederte er.

Aber auch etwas anderes fiel mir ein und machte, daß mein Angesicht erröthete. Also hatte mein Gastfreund von mir mit den Frauen gesprochen, und mich sogar beschrieben. Er hatte also einen Antheil an mir genommen. Das freute mich von diesem Manne sehr.

Als wir auf der Höhe des Berges angekommen waren, ließ mein Gastfreund an einer Stelle, wo das Seitengebüsch des Weges eine Durchsicht erlaubte, halten, stand im Wagen auf und bath mich, das gleiche zu thun. Er sagte, daß man an dieser Stelle das Stück des Alizwaldes, das zu dem Asperhofe gehöre, übersehen könne. Er wies mir mit dem Zeigefinger an den Farbunterschieden des Waldes, die durch die Mischung der Buchen und Tannen, durch Licht und Schatten und durch andere Merkmale hervorgebracht wurden, die Grenzen dieses Besizthumes nach. Als ich dies genugsam verstanden und ihm auch mit dem Finger ungefähr die Stellen des Waldes gezeigt hatte, an denen ich schon gewesen war, sezten wir uns wieder nieder und fuhren weiter.

Es war bei dieser Gelegenheit das erste Mal gewesen, daß ich aus seinem Munde den Namen Asperhof gehört habe, mit dem er sein Besizthum bezeichnete.

Nach kurzer Fahrt trennten wir uns von der nach Osten gehenden Hauptstraße und schlugen einen gewöhnlichen Verbindungsweg nach Süden ein. Wir fuhren also dem Hochgebirge näher. Am Mittage blieben wir eine ziemlich lange Zeit zur Erquickung und zum Ausruhen der Pferde, auf deren Pflege mein Gastfreund sehr sah, in einem einzeln stehenden Gasthofe, und es war schon am Abende in tiefer Dämmerung, als mir mein Gastfreund die Umrisse des Sternenhofes zeigte. Ich war schon zweimal in der Gegend gewesen, erinnerte mich sogar im allgemeinen auf das Gebäude und wußte genau, daß am Fuße des Hügels, auf welchem es stand, sehr schöne Ahorne wuchsen. Ich hatte aber nie Ursache gehabt, mich weiter um diese Gegenstände zu kümmern.

Wir kamen bei Sternenscheine zu den mir bekannten Ahornen, fuhren einen Hügel empor, legten einen Thorweg zurück und hielten in einem Hofe. In demselben standen vier große Bäume, an deren eigenthümlichen, gegen den dunkeln Nachthimmel gehaltenen Bildungen ich erkannte, daß es Ahorne seien. In ihrer Mitte plätscherte ein Brunnen. Auf das Rollen des Wagens unter dem hallenden Thorwege kamen Diener mit Lichtern herbei, uns aus dem Wagen zu helfen. Gleich darauf erschien auch Mathilde und Natalie in dem Hofe, um uns zu begrüßen. Sie geleiteten uns die Treppe hinan in einen Vorsaal, in welchem die Begrüßungen im allgemeinen wiederholt wurden und von wo aus man uns unsere Zimmer anwies.

Das meinige war ein großes freundliches Gemach, in welchem bereits auf dem Tische zwei Kerzen brannten. Ich legte, da der Diener die Thür hinter sich geschlossen hatte, meinen Hut auf den Tisch, und das Nächste, was ich that, war, daß ich mehrere Male schnell in dem Zimmer auf und nieder ging, um die durch das Fahren ersteiften Glieder wieder ein wenig einzurichten. Als dieses ziemlich gelungen war, trat ich an eines der offenen Fenster, um herum zu schauen. Es war aber nicht viel zu sehen. Die Nacht war schon zu weit vorgerückt und die Lichter im Zimmer machten die Luft draußen noch finsterer. Ich sah nur so viel, daß meine Fenster ins Freie gingen. Nach und nach begrenzten sich vor meinen Augen die dunkeln Gestalten der am Fuße des Hügels stehenden Ahorne, dann kamen Flecken von dunkler und fahler Farbe, wahrscheinlich Abwechslung von Feld und Wald, weiter war nichts zu unterscheiden als der glänzende Himmel darüber, der von unzähligen Sternen, aber nicht von dem geringsten Stückchen Mond beleuchtet war.

Nach einer Zeit kam Gustav und holte mich zu dem Abendessen ab. Er hatte eine große Freude, daß ich in dem Sternenhofe sei. Ich ordnete aus meinem Reisesacke, der heraufgeschafft worden war, ein wenig meine Kleider und folgte dann Gustav in das Speisezimmer. Dasselbe war fast wie das in dem Rosenhause. Mathilde saß wie dort in einem Ehrenstuhle oben an, ihr zur Rechten mein Gastfreund und Natalie, ihr zur Linken ich, Eustach und Gustav. Auch hier besorgte eine Haushälterin und eine Magd den Tisch. Der Hergang bei dem Speisen war der nehmliche wie an jenen Abenden bei meinem Gastfreunde, an denen wir alle beisammen gewesen waren.

Um von der Reise ausruhen zu können, trennte man sich bald und suchte seine Zimmer.

Ich entschlief unter Unruhe, sank aber nach und nach in festeren Schlummer und erwachte, da die Sonne schon aufgegangen war.

Jezt war es Zeit, herum zu schauen.

Ich kleidete mich so schnell und so sorgfältig an, als ich konnte, ging an ein Fenster, öffnete es und sah hinaus. Ein ganz gleicher, sehr schön grüner Rasen, der durch keine Blumengebüsche oder dergleichen unterbrochen war, sondern nur den weißen Sandweg enthielt, breitete sich über die gedehnte Dachung des Hügels, auf der das Gebäude stand, hinab. Auf dem Sandwege aber gingen Natalie und Gustav herauf. Ich sah in die schönen jugendlichen Angesichter, sie aber konnten mich nicht sehen, weil sie ihre Augen nicht erhoben. Sie schienen in traulichem Gespräche begriffen zu sein, und bei ihrer Annäherung - an dem Gange, an der Haltung, an den großen dunklen Augen, an den Zügen der Angesichter - sah ich wieder recht deutlich, daß sie Geschwister seien. Ich sah auf sie, so lange ich sie erblicken konnte, bis sie endlich der dunkle Thorweg aufgenommen hatte.

Jezt war die Gegend sehr leer.

Ich blickte kaum auf sie.

Allgemach entwickelten sich aber wieder freundlich Felder, Wäldchen und Wiesen im Gemisch, ich erblickte Meierhöfe rings herumgestreut, hie und da erglänzte ein weißer Kirchturm in der Ferne und die Straße zog einen lichten Streifen durch das Grün. Den Schluß machte das Hochgebirge, so klar, daß man an dem untern Theile seiner Wand die Thalwindungen, an dem obern die Gestaltung der Kanten und Flächen und die Schneetafeln wahrnehmen konnte.

Sehr groß und schön waren die Ahorne, die unten am Hügel standen, deßhalb mochten sie schon früher bei meinen Reisen durch diese Gegend meine Aufmerksamkeit erregt haben. Von ihnen zogen sich Erlenreihen fort, die den Lauf der Bäche anzeigten.

Das Haus mußte weitläufig sein; denn die Wand, in der sich meine Fenster befanden und die ich, hinausgebeugt, übersehen konnte, war sehr groß. Sie war glatt mit vorspringenden steinernen Fenstersimsen und hatte eine grauweißliche Farbe, mit der sie offenbar erst in neuerer Zeit übertüncht worden war.

Hinter dem Hause mußte vielleicht ein Garten oder ein Wäldchen sein, weil ich Vogelgesang herüber hörte. Auch war es mir zuweilen, als vernähme ich das Rauschen des Hofbrunnens.

Der Tag war heiter.

Ich harrte nun der Dinge, die kommen sollten.

Ein Diener rief mich zu dem Frühmahle. Es war zu derselben Zeit wie im Rosenhause. Als ich in das Speisezimmer getreten war, sagte mir Mathilde, daß es sehr lieb von mir sei, daß ich ihre Freunde und ihren Sohn in den Sternenhof begleitet habe, sie werde sich bemühen, daß es mir in demselben gefalle, wozu ihr ihr Freund, der mir den Asperhof anziehend mache, beistehen müsse.

Ich antwortete, daß ich mich auf die Reise in den Sternenhof sehr gefreut habe und daß ich mich freue, in demselben zu sein. Von einer Bedeutung sei es nicht, daß mir eine Rücksicht zu Theil werde, ich bitte nur, daß man, wenn ich etwas fehle, es nachsehe.

Nach mir trat Eustach ein. Mathilde begrüßte auch ihn noch einmal.

Gustav, der schon zugegen war, gesellte sich zu mir.

Die Frauen waren häuslich und schön, aber minder einfach als in dem Rosenhause gekleidet. Meinen Gastfreund sah ich zum ersten Male in ganz anderen Kleidern als auf seiner Besizung und auf dem Besuche zu Ingheim. Er war schwarz, mit einem Fracke, der einen etwas weiteren und bequemeren Schnitt hatte als gewöhnlich, und sogar einen leichten Biberhut trug er in der Hand.

Nach dem Frühmahle sagte Mathilde, sie wolle mir ihre Wohnung zeigen. Die andern gingen mit. Wir traten aus dem Speisezimmer in einen Vorsaal. Am Ende desselben wurden zwei Flügeltüren aufgethan, und ich sah in eine Reihe von Zimmern, welche nach der ganzen Länge des Hauses hinlaufen mußte. Als wir eingetreten waren, sah ich, daß in den Zimmern alles mit der größten Reinheit, Schönheit und Zusammenstimmung geordnet war. Die Thüren standen offen, so daß man durch alle Zimmer sehen konnte. Die Geräthe waren passend, die Wände waren mit zahlreichen Gemälden geziert, es standen Glaskästen mit Büchern, es waren musikalische Geräthe da, und auf Gestellen, die an den rechten Orten angebracht waren, befanden sich Blumen. Durch die Fenster sah die nähere Landschaft und die ferneren Gebirge herein.

Es zeigte sich, daß diese Zimmer ein schöner Spaziergang seien, der unter dem Dache und zwischen den Wänden hinführte. Man konnte sie entlang schreiten, von angenehmen Gegenständen umgeben sein und die Kälte oder das Ungestüm des Wetters oder Winters nicht empfinden, während man doch Feld und Wald und Berg erblickte. Selbst im Sommer konnte es Vergnügen gewähren, hier bei offenen Fenstern gleichsam halb im Freien und halb in der Kunst zu wandeln. Da ich meinen Blick mehr auf das Einzelne richtete, fielen mir die Geräthe besonders auf. Die waren neu und nach sehr schönen Gedanken gebildet. Sie schickten sich so in ihre Pläze, daß sie gewissermaßen nicht von Außen gekommen, sondern zugleich mit diesen Räumen entstanden zu sein schienen. Es waren an ihnen sehr viele Holzarten vermischt, das erkannte ich sehr bald, es waren Holzarten, die man sonst nicht gerne zu Geräthen nimmt, aber sie schienen mir so zu stimmen, wie in der Natur die sehr verschiedenen Geschöpfe stimmen.

Ich machte in dieser Hinsicht eine Bemerkung gegen meinen Gastfreund, und er antwortete: «Ihr habt einmal gefragt, ob Gegenstände, die wir in unserem Schreinerhause neu gemacht haben, in meinem Hause vorhanden seien, worauf ich geantwortet habe, daß nichts von Bedeutung in demselben sei, daß sich aber einige gesammelt in einem anderen Orte befinden, in den ich euch, wenn ihr Lust zu solchen Dingen hättet, geleiten würde. Diese Zimmer hier sind der andere Ort, und ihr seht die neuen Geräthe, die in unserem Schreinerhause verfertigt worden sind.»

«Es ist aber zu bewundern, wie sehr sie in ihren Abwechslungen und Gestalten hieher passen», sagte ich.

«Als wir einmal den Plan gefaßt hatten, die Zimmer Mathildens nach und nach mit neuen Geräthen zu bestellen», erwiederte er, «so wurde die ganze Reihe dieser Zimmer im Grund- und Aufrisse aufgenommen, die Farben bestimmt, welche die Wände der einzelnen Zimmer haben sollten, und diese Farben gleich in die Zeichnungen getragen. Hierauf wurde zur Bestimmung der Größe, der Gestalt und der Farbe, mithin der Hölzer der einzelnen Geräthe geschritten. Die Farbezeichnungen derselben wurden verfertigt und mit den Zeichnungen der Zimmer verglichen. Die Gestalten der Geräthe sind nach der Art entworfen worden, die wir vom Alterthume lernten, wie ich euch einmal sagte, aber so, daß wir nicht das Alterthum geradezu nachahmten, sondern selbstständige Gegenstände für die jezige Zeit verfertigten mit Spuren des Lernens an vergangenen Zeiten. Wir sind nach und nach zu dieser Ansicht gekommen, da wir sahen, daß die neuen Geräthe nicht schön sind und daß die alten in neue Räume zu wohnlicher Zusammenstimmung nicht paßten. Wir haben uns selber gewundert, als die Sachen nach vielerlei Versuchen, Zeichnungen und Entwürfen fertig waren, wie schön sie seien. In der Kunst, wenn man bei so kleinen Dingen von Kunst reden kann, ist eben so wenig ein Sprung möglich als in der Natur. Wer plözlich etwas so Neues erfinden wollte, daß weder den Theilen noch der Gestaltung nach ein Ähnliches da gewesen ist, der würde so töricht sein wie der, der fordern würde, daß aus den vorhandenen Thieren und Pflanzen sich plözlich neue, nicht dagewesene entwickeln. Nur daß in der Schöpfung die Allmählichkeit immer rein und weise ist; in der Kunst aber, die der Freiheit des Menschen anheim gegeben ist, oft Zerrissenheit, oft Stillstand, oft Rückschritt erscheint. Was die Hölzer anbelangt, so sind da fast alle und die schönsten Blätter verwendet worden, die wir aus den Knollen der Erlen geschnitten haben, die in unserer Sumpfwiese gewachsen sind. Ihr könnt sie dann betrachten. Wir haben uns aber auch bemüht, Hölzer aus unserer ganzen Gegend zu sammeln, die uns schön schienen, und haben nach und nach mehr zusammengebracht, als wir anfänglich glaubten. Da ist der schneeige, glatte Bergahorn, der Ringelahorn, die Blätter der Knollen von dunkelm Ahorn - alles aus den Alizgründen -, dann die Birke von den Wänden und Klippen der Aliz, der Wachholder von der dürren, schiefen Haidefläche, die Esche, die Eberesche, die Eibe, die Ulme, selbst Knorren von der Tanne, der Haselstrauch, der Kreuzdorn, die Schlehe und viele andere Gesträuche, die an Festigkeit und Zartheit wetteifern, dann aus unseren Gärten der Wallnußbaum, die Pflaume, der Pfirsich, der Birnbaum, die Rose. Eustach hat die Blätter der Hölzer alle gemalt und zur Vorgleichung zusammengestellt, er kann euch die Zeichnung einmal im Asperhofe zeigen und die vielen Arten noch angeben, die ich hier nicht genannt habe. In der Holzsammlung müssen sie ja auch vorhanden sein.»

Ich betrachtete die Sachen genauer. Die Erlenblätter, von denen mir mein Gastfreund im vorigen Jahre gesagt hatte, daß sie an einem anderen Orte verwendet worden seien, waren in der That außerordentlich, so feurig und fast erhaben, auch ungemein groß; alles andere Holz, wie zart, wie schön in der Zusammenstellung, daß man gar nicht ahnen sollte, daß dies in unseren Wäldern ist. Und die Gestalten der Geräthe, wie leicht, wie fein, wie anschmiegend, sie waren ganz anders als die jezt verfertigt werden, und waren doch neu und für unsere Zeit passend. Ich erkannte, welch ein Werth in den Zeichnungen liege, die Eustach habe. Ich dachte an meinen Vater, der solche Dinge so liebt. Ach, wenn er nur hier wäre, daß er sie sehen könnte! Mir war, als gingen mir neue Kenntnisse auf. Ich wagte einen Blick auf Natalie, ich wendete ihn aber schnell wieder weg; sie stand so in Gedanken, daß ich glaube, daß sie erröthete, als ich sie anblickte.

Mathilde sagte zu Eustach: «Es ist im Verlaufe der Zeit, ohne daß eine absichtliche Störung vorgekommen wäre, Manches hier anders geworden und nicht mehr so schön als anfangs. Wir werden es einmal, wenn ihr Zeit habt und herüber kommen wollt, ansehen, ihr könnt die Fehler erkennen und Mittel zur Abhilfe an die Hand geben.»

Wir gingen nun weiter. Durch eine geöffnete Thür gelangten wir in Zimmer, welche in einer anderen Richtung des Hauses lagen. Die durchwanderten hatten nach Süd gesehen, diese sahen nach West. Es waren ein großer Saal und zwei Seitengemächer. Waaren die früheren Zimmer lieb und wohnlich gewesen, so waren diese wahrhaft prachtvoll. Der Saal war mit Marmor gepflastert, die Zimmer hatten alterthümliche Wandbekleidung, alterthümliche Fenstervorhänge und alterthümliche Geräthe, der Fußboden des Saales enthielt die schönsten, seltensten und zahlreichsten Gattungen unsers Marmors, nach einer Zeichnung eingelegt und so geglättet, daß er alle Dinge spiegelte. Es war der ernsteste und feurigste Teppich. Wir mußten hier auch Filzschuhe anlegen. Auf diesem Spiegelboden standen die schönsten und wohlerhaltensten alten Schreine und andere Einrichtungsstücke. Es waren hier die größten versammelt. In den zwei anstoßenden Gemächern standen auf feurig farbigen Holzteppichen die kleineren, zarteren und feineren. Waaren gleich die alterthümlichen Geräthe nicht schöner als die bei meinem Gastfreunde - ich glaube, schönere wird es kaum geben -, so zeigte sich hier eine Zusammenstimmung, als müßten die, welche diese Dinge ursprünglich hatten herrichten lassen, in ihren einstigen Trachten bei den Thüren hereingehen. Es ergrif einen ein Gefühl eines Bedeutungsvollen.

«Die Marmore», sagte mein Gastfreund, «sind aller Orten erworben, geschliffen, geglättet und nach einer alterthümlichen Zeichnung vieler Kirchenfenster eingesezt worden.»

«Aber daß ihr die Geräthe so zusammen gefunden habt, daß sie wie ein Einziges stimmen, ist zu verwundern», sagte ich.

«Also empfindet ihr, daß sie stimmen?» erwiederte er. «Seht, das ist mir lieb, daß ihr das sagt. Ihr seid ein Beobachter, der nicht von der Sucht nach Altem befangen ist, wie uns unsere Gegner vorwerfen. Ihr empfangt also das Gefühl von den Gegenständen und tragt es nicht in dieselben hinein, wie auch unsere Gegner von uns sagen. Die Sache aber ist nur so: als man die Nichtigkeit und Leere der leztvergangenen Zeiten erkannte und wieder auf das Alte zurück wies und es nicht mehr als Plunder und Trödel ansah, sondern Schönes darin suchte: da geschahen freilich törichte Dinge. Man sammelte wieder Altes und nur Altes. Statt der neuen Mode mit neuen Gegenständen kam die neueste mit alten Gegenständen. Man raffte Schreine, Betschemel, Tische und dergleichen zusammen, weil sie alt waren, nicht weil sie schön waren, und stellte sie auf. Da standen nun Dinge beisammen, die in ihren Zeiten weit von einander ablagen, es konnte nicht fehlen, daß ein Widerwärtiges herauskam und daß die Feinde des Alten, wenn sie Gefühl hatten, sich abwenden mußten. Nichts aber kann so wenig passen, als alte Dinge von sehr verschiedenen Zeiten. Die Vorältern legten so sehr einen eigenthümlichen Geist in ihre Dinge - es war der Geist ihres Gemüthes und ihres allgemeinen Gefühlslebens -, daß sie diesem Geiste sogar den Zweck opferten. Man bringt Linnen, Kleider und dergleichen in neue Geräthe zweckmäßiger unter als in alte. Man kann daher alte Geräthe von ziemlich gleicher Zeit, aber verschiedenem Zwecke ohne große Störung des Geistes der Traulichkeit und Innigkeit, der in ihnen wohnt, zusammenstellen, während von unseren Geräthen, die keinen Geist, aber einen Zweck haben, sogleich ein Widersinniges ausgeht, wenn man Dinge verschiedenen Gebrauches in dasselbe Zimmer thut, wie etwa den Schreibtisch, den Waschtisch, den Bücherschrein und das Bett. Die größte Wirkung erzielt man freilich, wenn man alte Geräthe aus derselben und guten Zeit, die also denselben Geist haben, und auch Geräthe des nehmlichen Zweckes, in ein Zimmer bringt. Da spricht nun in der Wirklichkeit etwas ganz anderes als bei unseren neuen Dingen.»

«Und das scheint mir hier der Fall zu sein», sagte ich.

«Es ist nicht Alles alt», erwiederte er. «Viele Dinge sind so unwiederbringlich verloren gegangen, daß es fast unmöglich ist, eine ganze Wohnung mit Gegenständen aus der selben Zeit einzurichten, daß kein nothwendiges Stück fehlt. Wir haben daher lieber solche Stücke im alten Sinn neu gemacht, als alte Stücke von einer ganz anderen Zeit zugemischt. Damit aber Niemand irre geführt werde, ist an jedem solchen altneuen Stücke ein Silberplättchen eingefügt, auf welchem die Thatsache in Buchstaben eingegraben ist.»

Er zeigte mir nun jene Gegenstände, welche in dem Schreinerhause als Ergänzung hinzugemacht worden sind.

Trozdem war bei mir der Eindruck immer derselbe, und ich hatte beständig und beständig den Gedanken an meinen Vater in dem Haupte. Man führte mich auch zu den alten, schweren, mit Gold und Silber durchwirkten Fenstervorhängen und zeigte mir dieselben als echt, so auch die ledernen, mit Farben und Metallverzierungen versehenen Belege der Zimmerwände. Nur hat man da in dem Leder nachhelfen und ihm Nahrung geben müssen.

Als ich diese ernsten und feierlichen Gemächer genugsam betrachtet hatte, öffnete Mathilde das schwere Schloß der Ausgangstür, und wir kamen in mehrere unbedeutende Räume, die nach Norden sahen, worunter auch der allgemeine Eintrittssaal und das Speisezimmer waren. Von da gelangten wir in den Flügel, dessen Fenster die Morgensonne hatten. Hier waren die Wohnzimmer Mathildens und Nataliens. Jede hatte ein größeres und ein kleineres Gemach. Sie waren einfach mit neuen Geräthen eingerichtet und drückten durch Dinge unmittelbaren Gebrauches die Bewohntheit aus, ohne daß ich die vielen Spielereien sah, mit denen gerne, zwar nicht bei meinen Eltern, aber an anderen Orten unserer Stadt, die Zimmer der Frauen angefüllt sind. In jeder der zwei Wohnungen sah ich eine der Zithern, die in dem Rosenhause gewesen waren. Bei Natalien herrschten besonders Blumen vor. Es standen Gestelle herum, auf welche sie von dem Garten herauf gebracht worden waren, um hier zu verblühen. Auch standen größere Pflanzen, namentlich solche, welche schöne Blätter oder einen schönen Bau hatten, in einem Halbkreise und in Gruppen auf dem Fußboden.

In einem Vorsaale, der den Eintritt zu diesen Wohnungen bildete, befand sich ein Clavier.

Die Zimmer im zweiten Stockwerke des Hauses waren geblieben, wie sie früher gewesen waren. Sie sahen so aus, wie sie gerne in weitläufigen alten Schlössern auszusehen pflegen. Sie waren mit Geräthen vieler Zeiten, die meistens ohne Geschmack waren, mit Spielereien vergangener Geschlechter, mit einigen Waffen und mit Bildern, namentlich Bildnissen, die nach der Laune des Tages gemacht waren, angefüllt. Namentlich waren an den Wänden der Gänge Abbildungen aufgehängt von großen Fischen, die man einmal gefangen, nebst beigefügter Beschreibung, von Hirschen, die man geschossen, von Federwild, von Wildschweinen und dergleichen. Auch Lieblingshunde fehlten nicht. In diesem Stockwerke waren nach Süden die Gaszimmer, und der Flügel derselben war geordnet worden. Hier befand sich auch mein Zimmer nebst dem Gustavs.

Nach der Besichtigung der Zimmer gingen wir in das Freie. Die breite Haupttreppe aus rothem Marmor führte in den Hof hinab. Derselbe zeigte, wie groß das Gebäude sei. Er war von vier ganz gleichen, langen Flügeln umschlossen. In seiner Mitte war ein Becken von grauem Marmor, in welches sich aus einer Verschlingung von Wassergöttinnen vier Strahlen ergossen. Um das Becken standen vier Ahorne, welche gewiß nicht kleiner waren als die, welche den Schloßhügel säumten. Auf dem Sandplaze unter den Ahornen waren Ruhebänke, ebenfalls aus grauem Marmor. Von diesem Sandplaze liefen Sandwege wie Strahlen auseinander. Der übrige Raum war gleichförmiges Rasen, nur daß an den Mauern des Hauses eine Pflasterung von glatten Steinen herum führte.

Von dem Hofe gingen wir bei dem großen Thore hinaus. Ich wendete mich, da wir draußen waren, unwillkürlich um, um das Gebäude zu betrachten. Über dem Thore war ein ziemlich umfangreiches steinernes Schild mit sieben Sternen. Sonst sah ich nichts, als was ich bei meinem Morgenausblicke aus dem Fenster schon gesehen hatte. Wir gingen auf einem Sandwege des grünen Rasens, wir umgingen das Haus und gelangten hinter demselben in den Garten. Hier sah ich, was ich mir schon früher gedacht hatte, daß das Gebäude, welches man wohl ein Schloß nennen mußte, nur aus den vier großen Flügeln bestehe, welche ein vollkommenes Viereck bildeten. Die Wirthschaftsgebäude standen ziemlich weit entfernt in dem Thale.

Der Garten begann mit Blumen, Obst und Gemüse, zeigte aber, daß er in der Entfernung mit etwas endigen müsse, das wie ein Laubwald aussah. Alles war rein und schön gehalten. Der Garten war auch hier mit gefiederten Bewohnern bevölkert, und man hatte ähnliche Vorrichtungen wie im Asperhofe. Die Bäume standen daher auch vortrefflich und gesund. Rosen zeigten sich ebenfalls viele, nur nicht in so besonderen Gruppierungen wie bei meinem Gastfreunde. Die Gewächshäuser des Gartens waren ausgedehnt und weit größer und sorgfältiger gepflegt als auf dem Asperhofe. Der Gärtner, ein junger und, wie es schien, unterrichteter Mann, empfing uns mit Höflichkeit und Ehrfurcht am Eingange derselben. Er zeigte mir mit mehr Genauigkeit seine Schäze, als ich mit der Rücksicht auf meine Begleiter, denen nichts neu war, für vereinbarlich hielt. Es waren viele Pflanzen aus fremden Welttheilen da, sowohl im warmen als im kalten Hause. Besonders erfreut war er über seine reiche Sammlung von Ananas, die einen eigenen Plaz in einem Gewächshause einnahmen.

Nicht weit hinter dem Gewächshause stand eine Gruppe von Linden, welche beinahe so schön und so groß waren wie die in dem Garten des Asperhofes. Auch war der Sand unter ihrem Schattendache so rein gefegt, und um die Ähnlichkeit zu vollenden, liefen auf demselben Finken, Ammern, Schwarzkehlchen und andere Vögel so traulich hin, wie auf dem Sande des Rosenhauses. Daß Bänke unter den Linden standen, ist natürlich. Die Linde ist der Baum der Wohnlichkeit. Wo wäre eine Linde in deutschen Landen - und gewiß ist es in andern auch so - unter der nicht eine Bank stände oder auf der nicht ein Bild hinge oder neben welcher sich nicht eine Kapelle befände. Die Schönheit ihres Baues, das Überdach ihres Schattens und das gesellige Summen des Lebens in ihren Zweigen ladet dazu ein. Wir gingen in den Schatten der Linden.

«Das ist eigentlich der schönste Plaz in dem Sternenhofe», sagte Mathilde, «und jeder, der den Garten besucht, muß hier ein wenig ruhen, daher sollt ihr auch so thun.»

Mit diesen Worten wies sie auf die Bänke, die fast in einem Bogen unter den Stämmen der Linden standen und hinter denen sich eine Wand grünen Gebüsches aufbaute. Wir sezten uns nieder. Das Summen, wie es jedes Mal in diesen Bäumen ist, war gleichmäßig über unserm Haupte, das stumme Laufen der Vögel über den reinen Sand war vor unsern Augen und ihr gelegentlicher Aufflug in die Bäume tönte leicht in unsere Ohren.

Nach einiger Zeit bemerkte ich, daß auch mit Unterbrechungen ein leises Rauschen hörbar sei, gleichsam als würde es jezt von einem leichten Lüftchen hergetragen, jezt nicht. Ich äußerte mich darüber.

«Ihr habt recht gehört», sagte Mathilde, «wir werden die Sache gleich sehen.»

Wir erhoben uns und gingen auf einem schmalen Sandpfade durch die Gebüsche, die sich in geringer Entfernung hinter den Linden befanden. Als wir etwa vierzig oder fünfzig Schritte gegangen waren, öffnete sich das Dickicht und ein freier Plaz empfing uns, der rückwärts mit dichtem Grün geschlossen war. Das Grün bestand aus Epheu, welcher eine Mauer von großen Steinen bekleidete, die an ihren beiden Enden riesenhafte Eichen hatte. In der Mitte der Mauer war eine große Öffnung, oben mit einem Bogen begrenzt, gleichsam wie eine große Nische oder wie eine Tempelwölbung. Im Innern dieser Wölbung, die gleichfalls mit Eppich überzogen war, ruhte eine Gestalt von schneeweißem Marmor - ich habe nie ein so schimmerndes und fast durchsichtiges Weiß des Marmors gesehen, das noch besonders merkwürdig wurde durch das umgebende Grün. Die Gestalt war die eines Mädchens, aber weit über die gewöhnliche Lebensgröße, was aber in der Epheuwand und neben den großen Eichen nicht auffiel. Sie stüzte das Haupt mit der einen Hand, den anderen Arm hatte sie um ein Gefäß geschlungen, aus welchem Wasser in ein vor ihr befindliches Becken rann. Aus dem Becken fiel das Wasser in eine in den Sand gemauerte Vertiefung, von welcher es als kleines Bächlein in das Gebüsch lief.

Wir standen eine Weile, betrachteten die Gestalt und redeten über sie. Eustach und ich kosteten auch mittelst einer alabasternen Schale, die in einer Vertiefung des Epheus stand, von dem frischen Wasser, welches sich aus dem Gefäße ergoß.

Hierauf gingen wir hinter der Eppichwand über eine Steintreppe empor und erstiegen einen kleinen Hügel, auf welchem sich wieder Size befanden, die von verschiedenen Gebüschen beschattet waren. Gegen das Haus zu aber gewährten sie die Aussicht. Wir mußten uns hier wieder ein wenig sezen. Zwischen den Eichen, gleichsam wie in einem grünen, knorrigen Rahmen erschien das Haus. Mit seinem hohen, steilen Dache von alterthümlichen Ziegeln und mit seinen breiten und hochgeführten Rauchfängen glich es einer Burg, zwar nicht einer Burg aus den Ritterzeiten, aber doch aus den Jahren, in denen man noch den Harnisch trug, aber schon die weichen Locken der Perücke auf ihn herabfallen ließ. Die Schwere einer solchen Erscheinung sprach sich auch in dem ganzen Bauwerke aus. Zu beiden Seiten des Schlosses sah man die Landschaft und hinten das liebliche Blau der Gebirge. Die dunkeln Gestalten der Linden, unter denen wir gesessen waren, befanden sich weiter links und störten die Aussicht nicht.

«Man hat sehr mit Unrecht in neuerer Zeit die Mauern dieses Schlosses mit der weißgrauen Tünche überzogen», sagte mein Gastfreund, «wahrscheinlich um es freundlicher zu machen, welche Absicht man sehr gerne zu Ende des vorigen Jahrhunderts an den Tag legte. Wenn man die großen Steine, aus denen die Hauptmauern errichtet sind, nicht bestrichen hätte, so würde das natürliche Grau derselben mit dem Rostbraun des Daches und dem Grün der Bäume einen sehr zusammenstimmenden Eindruck gemacht haben. Jezt aber steht das Schloß da wie eine alte Frau, die weiß gekleidet ist. Ich würde den Versuch machen, wenn das Schloß mein Eigenthum wäre, ob man nicht mit Wasser und Bürsten und zulezt auf trockenem Wege mit einem feinen Meißel die Tünche beseitigen könnte. Alle Jahre eine mäßige Summe darauf verwendet, würde jährlich die Aussicht, des widrigen Anblickes erledigt zu werden, angenehm vermehren.»

«Wir können ja den Versuch nahe an der Erde machen und aus der Arbeit einen ungefähren Kostenanschlag verfertigen», sagte Mathilde; «denn ich gestehe gerne zu, daß mich auch der Anblick dieser Farbe nicht erfreut, besonders, da die Außenseite der Mauern ganz von Steinen ist, die mit feinen Fugen an einander stoßen, und man also bei Erbauung des Hauses auf keine andere Farbe als die der Steine gerechnet hat. Jezt ist das Schloß von Innen viel natürlicher und, wenn auch nicht an eine Kunszeit erinnernd, doch in seiner Art zusammenstimmender als von Außen.»

«Das Grau der Mauer mit den grauen Steinsimsen der Fenster, die nicht ungeschickt gegliedert sind, mit der Höhe und Breite der Fenster, deren Verhältniß zu den festen Zwischenräumen ein richtiges ist, würde, glaube ich, dem Hause ein schöneres Ansehen geben, als man jezt ahnt», sagte Eustach.

Mir fielen bei dieser Äußerung die Worte ein, welche mein Gastfreund einmal zu mir gesagt hatte, daß alte Geräthe in neuen Häusern nicht gut stehen. Ich erinnerte mich, daß in dem Saale und in den alt eingerichteten Gemächern dieses Schlosses die hohen Fenster, die breiten Räume zwischen ihnen und die eigenthümlich gestalteten Zimmerdecken den Geräthen sehr zum Vortheile gereichten, was in Zimmern der neuen Art gewiß nicht der Fall gewesen wäre.

Als wir so sprachen, kamen Natalie und Gustav, die bei der Nymphe des Brunnens zurückgeblieben waren, die Steintreppe zu uns empor. Die Angesichter waren sanft geröthet, die dunkeln Augen blickten heiter in das Freie, und die beiden jugendlichen Gestalten stellten sich mit einer anmuthigen Bewegung hinter uns.

Von diesem Hügel der Eichenaussicht gingen wir weiter in den Garten zurück und gelangten endlich in das Gemisch von Ahornen, Buchen, Eichen, Tannen und anderen Bäumen, welches wie ein Wäldchen den Garten schloß. Wir gingen in den Schatten ein, und die Freudenäußerungen und das Geschmetter der Vögel war kaum irgendwo größer als hier. Wir besuchten Stellen, wo man der Natur nachgeholfen hatte, um diese Abtheilung noch angenehmer zu machen, und Gustav zeigte mir Bänke, Tischchen und andere Pläze, wo er mit Natalien gesessen war, wo sie gelernt, wo sie als Kinder gespielt hatten. Wir gingen an den wunderbar von Licht und Schatten gesprenkelten Stämmen dahin, wir gingen über die dunkeln und die leuchtenden Stellen der Sandwege, wir gingen an reichen grünenden Büschen, an Ruhebänken und sogar an einer Quelle vorbei und kamen durch Wendungen, die ich nicht bemerkt hatte, an einer Stelle wieder in den freien Garten zurück, die an der entgegengesezten Seite von der lag, bei welcher wir das Wäldchen betreten hatten.

Wir ließen jezt die zwei großen Eichen links, ebenso die Linden und gingen auf einem anderen Wege in das Schloß zurück.

Das Mittagessen wurde an dem äußerst schönen Grün des Hügels unmittelbar vor dem Hause unter einem Dache von Linnen eingenommen.

Am Nachmittage besprachen sich Mathilde und Eustach vorläufig über das, was in Hinsicht der Beschädigungen geschehen könnte, welche die neuen Geräthe in den Südzimmern sowie die Fußböden und zum Theile auch die alten Geräthe in den Weszimmern in der Zeit erlitten hatten. Gegen Abend wurden der Meierhof und die Wirthschaftsgebäude besucht.

So wie Mathilde in dem Rosenhause um den weiblichen Antheil des Hauswesens sich bekümmert, alles, was dahin einschlug, besehen und Anleitungen zu Verbesserungen gegeben hatte: so that es mein Gastfreund in dem Sternenhofe mit allem, was auf die äußere Verwaltung des Besizes Bezug hatte, worin er mehr Erfahrung zu haben schien als Mathilde. Er ging in alle Räume, besah die Thiere und ihre Verpflegung und besah die Anstalten zur Bewahrung oder Umgestaltung der Wirthschaftserzeugnisse. War mir dieses Verhältniß schon in dem Rosenhause ersichtlich gewesen, so war es hier noch mehr der Fall. In den Handlungen meines Gastfreundes und in dem kleinen Theile, den ich von seinen Gesprächen mit Mathilde über häusliche Dinge hörte, zeigte er sich als ein Mann, der mit der Bewirthschaftung eines großen Besizes vertraut ist und die Pflichten, die ihm in dieser Hinsicht zufallen, mit Eifer, mit Umsicht und mit einem Blicke über das Ganze erfüllt, ohne eben deßhalb die Grenzen zu berühren, innerhalb welcher die Geschäfte einer Frau liegen. Das geschah so natürlich, als müßte es so sein und als wäre es nicht anders möglich.

Von dem Meierhofe gingen wir in die Wiesen und auf die Felder, welche zu der Besizung gehörten. Wir gingen endlich über die Grenzen des Besizthumes hinaus, gingen über den Boden anderer Menschen, die wir zum Theile arbeitend auf den Feldern trafen und mit denen wir redeten. Wir gelangten endlich auf eine Anhöhe, die eine große Umsicht gewährte. Wir blieben hier stehen. Das erste, auf das wir blickten, war das Schloß mit seinem grünen Hügel und im Schoße seiner umgürtenden Ahorne und des begrenzenden Gartenwaldes. Dann gingen wir auf andere Punkte über.

Man zeigte und nannte mir die einzelnen Häuser, die zerstreut in der Landschaft lagen und durch die Linien von Obstbäumen, die hier überall durch das Land gingen, wie durch grüne Ketten zusammenhingen. Dann kam man auf die entfernteren Ortschaften, deren Thürme hier zu erblicken waren. In diesem Stoffe konnte ich schon mehr mitreden, da mir die meisten Orte bekannt waren. Als wir aber mit unsern Augen in die Gebirge gelangten, war ich fast der Bewandertste. Ich gerieth nach und nach in das Reden, da man mich um verschiedene Punkte fragte, und sah, daß ich Antwort zu geben wußte. Ich nannte die Berge, deren Spizen erkennbar hervortraten, ich nannte auch Theile von ihnen, ich bezeichnete die Thäler, deren Windungen zu verfolgen waren, zeigte die Schneefelder, bemerkte die Einsattlungen, durch welche Berge oder ganze Gebirgszüge zusammenhingen oder getrennt waren, und suchte die Richtungen zu verdeutlichen, in denen bekannte Gebirgsortschaften lagen oder bekannte Menschenstämme wohnten. Natalie stand neben mir, hörte sehr aufmerksam zu und fragte sogar um Einiges.

Als die Sonne untergegangen war und die sanfte Glut von den Gipfeln der Hochgebirge sich verlor, gingen wir in das Schloß zurück.

Das Abendessen wurde in dem Speisezimmer eingenommen.

So brachten wir mehrere Tage in freundlichem Umgange und in heiteren, mitunter belehrenden Gesprächen hin.

Endlich rüsteten wir uns zur Abreise. Am frühesten Morgen war der Wagen bespannt. Mathilde und Natalie waren aufgestanden, um uns Lebewohl zu sagen. Mein Gastfreund nahm Abschied von Mathilde und Natalie, Eustach und Gustav verabschiedeten sich, und ich glaubte auch einige Worte des Dankes für die gütige Aufnahme an Mathilde richten zu müssen. Sie gab eine freundliche Antwort und lud mich ein, bald wieder zu kommen. Selbst zu Natalie sagte ich ein Wort des Abschiedes, das sie leise erwiederte.

Wie sie so vor mir stand, begriff ich wieder, wie ich bei ihrem ersten Anblicke auf den Gedanken gekommen war, daß der Mensch doch der höchste Gegenstand für die Zeichnungskunst sei, so süß gehen ihre reinen Augen und so lieb und hold gehen ihre Züge in die Seele des Betrachters.

Wir stiegen in den Wagen, fuhren den grünen Rasenhügel hinab, wendeten unsern Weg gegen Norden und kamen spät in der Nacht im Rosenhause an.

Mein Bleiben war nun in diesem Hause nicht mehr lange; denn ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Ich packte meine Sachen ein, bezeichnete die Kisten und Koffer, welchen Weg sie zu nehmen hätten, besuchte alle, von denen ich glaubte, Abschied nehmen zu müssen, dankte meinem Gastfreunde für alle Güte und Freundlichkeit, leistete das Versprechen, wieder zu kommen, und wanderte eines Tages über den Rosenhügel hinunter. Da es zu einer Zeit geschah, in welcher Gustav frei war, begleiteten er und Eustach mich eine Stunde Weges.