BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adalbert Stifter

1805 - 1868

 

Der Nachsommer

 

Zweiter Band

 

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4. Das Fest

 

Ein Fest in dem Sinne, wie man das Wort gewöhnlich nimmt, war es nicht, was in dem Sternenhofe vorkommen sollte, sondern es waren mehrere Menschen zu einem gemeinschaftlichen Besuche eingeladen worden, und diese Einladungen hatte man auch nicht eigens und feierlich, sondern nur gelegentlich gemacht. Übrigens stand es in Hinsicht des Sternenhofes so wie des Asperhofes jedem Freunde und jedem Bekannten frei, zu was immer für einer Zeit einen Besuch machen und eine Weile zu bleiben.

Als wir am zweiten Tage nach unserer Abreise von dem Asperhofe - wir hatten einen kleinen Umweg gemacht - in dem Sternenhofe eintrafen, waren schon mehrere Menschen versammelt. Fremde Diener, zuweilen seltsam gekleidet, gingen, wie sich das allemal findet, wenn mehrere Familien zusammen kommen, in der Nähe des Schlosses herum oder auf dem Wege zwischen dem Meierhofe und dem Schlosse hin und her. Man hatte einen Theil der Wägen und Pferde in dem Meierhofe untergebracht. Wir fuhren bei dem Thore hinein, und unser Wagen hielt im Hofe. Ich hatte schon, da wir den Hügel hinan fuhren und uns dem Schlosse näherten, einen Blick auf dessen vorderste Mauer geworfen, an der jezt die bloßen Steine ohne Tünche sichtbar waren, und hatte mein Urtheil schnell gefaßt. Mir gefiel die neue Gestalt um Außerordentliches besser als die frühere, an welche ich jezt kaum zurück denken mochte. Meine Begleiter äußerten sich während des Hinzufahrens nicht, ich sagte natürlich auch nichts. Im Hofe näherten sich Diener, welche unser Gepäcke in Empfang nehmen und Wagen und Pferde unterbringen sollten. Der Hausverwalter führte uns die große Treppe hinan und geleitete uns in das Gesellschaftszimmer. Dasselbe war eines von jenen Zimmern, die in einer Reihe fortlaufen und mit den neuen, im Asperhofe verfertigten Geräthen versehen sind. Die Thüren aller dieser Zimmer standen offen. Mathilde saß an einem Tische und eine ältliche Frau neben ihr. Mehrere andere Frauen und Mädchen so wie ältere und jüngere Männer saßen an verschiedenen Stellen umher. Auf dem unscheinbarsten Plaze saß Natalie. Mathilde so wie Natalie waren gekleidet, wie die Frauen und Mädchen von den besseren Ständen gekleidet zu sein pflegten; aber ich konnte doch nicht umhin, zu bemerken, daß ihre Kleider weit einfacher gemacht und verziert waren als die der anderen Frauen, daß sie aber viel besser zusammen stimmten und ein edleres Gepräge trugen, als man dies sonst findet. Mir war, als sähe ich den Geist meines Gastfreundes daraus hervorblicken, und wenn ich an höhere Kreise unserer Stadt, zu denen ich Zutritt hatte, dachte, so schien es mir auch, daß gerade dieser Anzug derjenige vornehme sei, nach welchem die Andern strebten. Mathilde stand auf und verbeugte sich freundlich gegen uns. Das thaten die Andern auch, und wir thaten es gegen Mathilde und gegen die Andern. Hierauf sezte man sich wieder, und der Hausverwalter und zwei Diener sorgten, daß wir Size bekamen. Ich sezte mich an eine Stelle, welche sehr wenig auffällig war. Die Sitte des gegenseitigen Vorstellens der Personen, wie sie fast überall vorkömmt, scheint in dem Rosenhause und in dem Sternenhofe nicht strenge gebräuchlich sein; denn ich wußte schon mehrere Fälle, in denen es unterblieben war; besonders wenn sich mehrere Menschen zusammen gefunden hatten. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit unterblieb es auch. Man überließ es eher den Bemühungen des Einzelnen, sich die Kenntniß über eine Person zu verschaffen, an der ihm gelegen war, oder man überließ es eher dem Zufalle, miteinander bekannt zu werden, als daß man bei jedem neuen Ankömmlinge das Verzeichniß der Anwesenden gegen ihn wiederholt hätte. Zudem schienen sich hier die meisten Personen zu kennen. Mich wollte man wahrscheinlich aus dem Spiele lassen, weil ich nie, wenn fremde Menschen in den Asperhof gekommen waren, gefragt hatte, wer sie seien. Gustav benahm sich hier auch beinahe wie ein Fremder. Nachdem er sich gegen seine Mutter sehr artig verbeugt, in die allgemeine Verbeugung gegen die Andern eingestimmt und Natalien zugelächelt hatte, sezte er sich bescheiden auf einen abgelegenen Plaz und hörte aufmerksam zu. Mein Gastfreund und Eustach so wie auch Roland waren in den gebräuchlichen Besuchkleidern, ich ebenfalls. Mir kamen diese Männer in ihren schwarzen Kleidern fremder und fast geringer vor als in ihrem gewöhnlichen Hausanzuge.

Mein Gastfreund war bald mit verschiedenen Anwesenden im Gespräche. Allgemein wurde von allgemeinen und gewöhnlichen Dingen geredet, und das Gespräch ging bald zwischen einzelnen, bald zwischen mehreren Personen hin und wider. Ich sprach wenig und fast ausschließlich nur, wenn ich angeredet und gefragt wurde. Ich sah auf die Versammlung vor mir oder auf manchen Einzelnen oder auf Natalien. Roland rückte einmal seinen Stuhl zu mir und knüpfte ein Gespräch über Dinge an, die uns beiden nahe lagen. Wahrscheinlich that er es, weil er sich ebenso vereinsamt unter den Menschen empfand wie ich.

Nachdem man den Nachmittagstee, bei dem man eigentlich versammelt war, verzehrt und sich schon zum größten Theile erhoben hatte und in Gruppen zusammen getreten war, wurde der Vorschlag gemacht, sich in den Garten zu begeben und dort einen Spaziergang zu machen. Der Vorschlag fand Beifall. Mathilde erhob sich und mit ihr die älteren Frauen. Die jüngeren waren ohnehin schon gestanden. Ein schöner alter Herr, wahrscheinlich der Gatte der ältlichen Frau, welche neben Mathilden gesessen war, both der Hausfrau den Arm, um sie über die Treppe hinab zu geleiten, dasselbe that mein Gastfreund mit der ältlichen Frau. Einige Paare entstanden noch auf diese Weise, das Andere ging gemischt. Ich blieb stehen und ließ die Leute an mir vorüber gehen, um mich nicht vorzudrängen. Natalie ging mit einem schönen Mädchen an mir vorüber und sprach mit demselben, als sie an mir vorbei ging. Ich war, mit Roland und Gustav, der lezte, welcher über die Treppe hinab ging. Im Garten war es so, wie es bei einer größeren Anzahl von Gästen in ähnlichen Fällen immer zu sein pflegt. Man bewegte sich langsam vorwärts, man blieb bald hier, bald da stehen, betrachtete dieses oder jenes, besprach sich, ging wieder weiter, löste sich in Theile und vereinigte sich wieder. Ich achtete auf alles, was gesprochen wurde, gar nicht. Natalie sah ich mit demselben Mädchen gehen, mit dem sie an mir in dem Gesellschaftszimmer vorüber gegangen war, dann gesellten sich noch ein paar hinzu. Ich sah sie mit ihrem lichtbraunen Seidenkleide zwischen andere hervorschimmern, dann sah ich sie wieder nicht, dann sah ich sie abermals wieder. Gebüsche deckten sie dann ganz. Die jungen Männer, welche ich in der Gesellschaft getroffen hatte, gingen bald mit dem älteren Theile, bald mit dem jüngeren. Roland und Gustav gesellten sich zu mir, und wenn Gustav fragte, wie es dort aussehe, wo ich jezt gearbeitet habe, ob hohe Berge sind, weite Thäler, und ob es so freundlich ist wie am Lautersee, und ob ich noch weiter vordringen wolle, und in welche Berge ich dann komme: so sprach Roland wieder von den Anwesenden und nannte mir manchen und erzählte mir von ihren Verhältnissen. Durch seine Reisen in dem Lande, durch seinen Aufenthalt in Kirchen, Kapellen, verfallenen Schlössern und allen bedeutenderen Orten erfuhr er mehr, als irgend ein Anderer erfahren konnte, und durch sein lebhaftes Wesen und sein gutes Gedächtniß wurde er zur Erforschung angeleitet und war im Stande, das Erforschte zu bewahren. Die ältliche Frau, welche wir bei unserem Eintritte in das Gesellschaftszimmer neben Mathilden sizen gesehen hatten, war die Besizerin einem großen Anwesens, etwa eine halbe Tagereise von dem Sternenhofe entfernt. Ihr Name war Tillburg, wie auch ihr Schloß hieß. Sie hatte sich mit allen Annehmlichkeiten und mit allem, was prächtig war, umringt. Ihre Gewächshäuser waren die schönsten im Lande, ihr Garten enthielt alles, was in der Zeit als vorzüglich auftauchte und wurde von zwei Gärtnern und einem Obergärtner nebst vielen Gehilfen besorgt, ihre Zimmer wiesen Geräthe und Stoffe von allen Hauptstädten der Welt auf, und ihre Wägen waren das Bequemste und Zierlichste, was man in dieser Art hatte. Gemälde, Bücher, Zeitschriften, kleine Spielereien waren in ihren Wohnzimmern zerstreut. Sie machte Besuche in der Umgegend und empfing auch solche gerne. Im Winter ist sie selten in ihrem Schlosse und immer nur auf kurze Zeit, sie macht gerne Reisen und hält sich besonders oft in südlichen Gegenden auf, von denen sie Merkwürdigkeiten zurückbringt. Sie war die einzige Tochter und Erbin ihrer Eltern, ein Bruder, den sie hatte, war in der zartesten Jugend gestorben. Der Mann mit dem freundlichen Angesichte, welcher Mathilden aus dem Saale geführt hatte, war ihr Gatte. Er war ebenfalls das einzige Kind reicher Eltern, die Verbindung hatte sich ergeben, und so waren zwei große Vermögen in eins zusammen gekommen. Er theilte nicht gerade die Liebhabereien seiner Gattin, war ihnen aber auch nicht entgegen. Er hatte keine Leidenschaften, war einfach, machte seiner Gattin, die er sehr liebte, gerne eine Freude und fand in den Reisen derselben, auf denen er sie begleitete, halb sein eigenes Vergnügen, halb eines, weil er das ihrige theilte. Er verwaltete aber von jeher die Besizungen sehr einsichtig. Die Tillburg stammt von ihm. Einer von den jungen Männern, die im Gesellschaftszimmer waren, der schlanke Mann mit den lebhaften dunkeln Augen ist der Sohn, und zwar das einzige Kind dieser Eheleute, er ist gut erzogen worden, und man kann nicht wissen, ob von Tillburg her nicht zartere Beziehungen zu dem Sternenhofe gewünscht werden.

Gustav machte bei diesen Worten eine leichte Seitenbewegung gegen Roland, sah ihn an, sagte aber nichts.

Ich erinnerte mich der Tillburg, die ich sehr gut kannte, aber nie betreten hatte. Ich war öfter in ihrer Nähe vorüber gekommen und hatte die vier runden Thürme an ihren vier Ecken, denen man in der neueren Zeit eine lichte Farbe gegeben hatte, eine Tünche, wie man sie gerade jezt von dem Sternenhofe wieder weg haben will, nicht angenehm empfunden, wie sie sich so scharf von dem Grün der nahen Bäume und dem Blau der fernen Berge und des Himmels abhoben, welchen lezteren sie beinahe finster machten.

«Der kleinere Mann mit den weißen Haaren, der in der Nähe des mittleren Fensters gesessen und öfter aufgestanden war», fuhr Roland fort, «ist der Besizer von Haßberg. Sein Vater hatte die Besizung erst gekauft und sie ursprünglich für einen jüngeren Sohn bestimmt, da der ältere das Stammgut Weißbach erben sollte; allein der jüngere Sohn und der Vater starben, und so hatte der ältere Weißbach und Haßberg. Er übergab nach einiger Zeit seinem Sohne das Stammgut und zog sich nach Haßberg zurück. Er ist einer jener Männer, die immer erfinden und bauen müssen. In Weißbach hat er schon mehrere Bauten aufgeführt.

In Haßberg richtete er eine Musterwirthschaft ein, er verbesserte die Felder und Wiesen und friedigte sie mit schönen Hecken ein, er errichtete einen auserlesenen Viehstand und führte in geschüzten Lagen den Hopfenbau ein, der sich unter seine Nachbarn verbreitete und eine Quelle des Wohlstandes eröffnete. Er dämmte dem Ritflusse Wiesen ab, er mauerte die Ufer des Mühlbaches heraus, er baute eine Flachsröstanstalt, baute neue Ställe, Scheuern. Trockenhäuser, Brücken, Stege, Gartenhäuser, und ändert im Innern des Schlosses beständig um. Er ist im Laufe des ganzen Tages mit Nachschauen und Anordnen beschäftigt, zeichnet und entwirft in der Nacht, und wenn irgendwo im Lande über Führung einer Straße oder Anlegung eines Bewirthschaftungsplanes oder Errichtung eines Gebäudes Rath gepflogen wird, so wird er gerufen, und er macht bereitwillig die Reisen auf seine eigenen Kosten. Selbst bei der Regierung des Landes ist sein Wort nicht ohne Bedeutung. Die Frau mit dem aschgrauen Kleide ist seine Gattin, und die zwei Mädchen, welche vor Kurzem mit Natalie gegen die Eichen zugingen, sind seine Töchter. Frau und Töchter reden ihm zu, er solle sich mehr Ruhe gönnen, da er schon alt wird, er sagt immer: ‹Das ist das Lezte, was ich baue›; allein ich glaube, den lezten Plan zu einem Baue wird er auf seinem Totenbette machen. Unser Freund hält in diesen Dingen große Stücke auf ihn.»

Da wir um die Ecke eines Gebüsches bogen und gegen die Eichen, welche an der Eppichwand stehen, zugingen, sahen wir wieder eine Menschengruppe vor uns. Roland, der einmal im Zuge war, sagte: «Der Mann in dem feinen schwarzen Anzuge, vor dem seine Gattin in dem nelkenbraunen Seidenkleide geht, ist der Freiherr von Wachten, dessen Sohn hier ebenfalls zugegen ist, ein Mann von mittelgroßer Gestalt, der im Gesellschaftszimmer so lange am Eckfenster gestanden war, ein junger Mann von vielen angenehmen Eigenschaften, der aber zu oft in den Sternenhof kömmt, als daß es sich durch bloßen Zufall erklären ließe.

Der Freiherr verwaltet seine Besizungen gut, er hat keine besondere Vorliebe, hält alles und jedes in der ihm zugehörigen Ordnung und wird immer reicher. Da er nur den einzigen Sohn und keine Tochter hat, so wird die künftige Gattin seines Sohnes eine sehr ansehnliche und sehr reiche Frau. Die Familie lebt im Winter häufig in der Stadt. Die Güter liegen etwas zerstreut. Thondorf mit den schönen Wiesen und dem großen Waldgarten müßt ihr ja kennen.»

«Ich kenne es», antwortete ich.

«Auf dem Randek hat er ein zerfallendes Schloß», fuhr Roland fort, «in welchem wunderschöne Thüren sind, die aus dem sechzehnten Jahrhunderte stammen dürften. Der Verwalter räth ihm, die Thüren nicht herzugeben, und so zerfallen sie nach und nach. Sie sind in unsern Zeichnungsbüchern enthalten und würden Gemächer, im Stile jener Zeit gebaut und eingerichtet, sehr zieren. Sogar zu Tischen oder anderen Dingen, falls man sie als Thüren nicht verwenden könnte, würden sie sehr brauchbar sein. Ich habe auch in der sehr zerfallenen Kapelle von Randek außerordentlich schöne Tragsteine gezeichnet. Meistens wohnt der Freiherr im Sommer in Wahlstein, schon ziemlich tief in den Bergen, wo die Elm hervorströmt.»

«Ich kenne den Siz», antwortete ich, «und kenne auch die Familie im Allgemeinen.»

«Der Mann mit den schneeweißen Haaren», sprach Roland weiter, «heißt Sandung, er veredelt die Schafzucht, und der eine von den zwei neben ihm gehenden Männern ist der Besizer des sogenannten Berghofes, ein allgemein geachteter Mann, und der andere ist der Oberamtmann von Landegg. Es fehlen noch die vom Inghof, dann sind mehrere Vertreter der hier herum wohnenden Leute vorhanden. Ich theile sie, wenn ich in meiner Liebhaberei im Lande herum reise, nach ihren Liebhabereien in Gruppen ein, und man könnte eine Landmappe so nach diesen Liebhabereien mit Farben zeichnen, wie ihr die Gebirge mit Farben zeichnet, um das Vorkommen der verschiedenen Gesteine anzuzeigen.»

Da wir wieder eine Wendung machten, ganz nahe an der rechten Seite der Eppichwand, ging Mathilde mit der Frau von Tillburg auf einem Nebenwege gegen uns hervor. Sie blieb vor uns stehen und sagte zu mir: «Ihr habt meiner Brunnennymphe nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt als ihr solltet; ihr zieht die Gestalt auf der Treppe unsers Freundes zu sehr vor. Sie verdient es wohl; allein ihr müßt doch die hiesige auch ein wenig genauer ansehen und sie mir ein wenig schön heißen.»

«Ich habe sie schön geheißen», erwiederte ich, «und wenn meine ganz unbedeutende Meinung etwas gilt, so soll ihr die Anerkennung gewiß nicht entgehen.»

«Wir besuchen nun ohnehin alle die Grotte», entgegnete sie.

Nach diesen Worten ging sie mit ihrer Begleiterin auf dem Hauptwege gegen die Eppichwand vor, wir folgten. Die Anderen kamen in verschiedenen Richtungen herzu, und man ging zu der Marmorgestalt in der Brunnenhalle.

Einige gingen hinein, Andere blieben mehr am Eingange stehen, und man redete über die Gestalt. Diese ruhte indessen in ihrer Lage, und die Quelle rann sanft und stettig fort. Es waren nur allgemeine Dinge, welche über das Bildwerk gesprochen wurden. Mir kam es fremd vor, die gepuzten Menschen in den verschiedenfarbigen Kleidern vor dem reinen, weißen, weichen Marmor stehen zu sehen. Roland und ich sprachen nichts.

Man entfernte sich wieder von dem Marmor, ging langsam an der Eppichwand hin und stieg die Stufen zu der Aussicht empor. Auf dieser vertheilte man eine Zeit und ging dann gegen die Linden zurück. Nach Betrachtung der Linden und des schönen Plazes unter ihnen begab sich der Zug wieder auf den Rückweg in das Schloß. Eustach hatte ich beinahe die ganze Zeit nicht gesehen.

Zugleich mit uns kamen im Schlosse Wägen an, in denen die von Ingheim und noch einige Gäste saßen. Nachdem man sich bewillkommt hatte und nachdem die Angekommenen sich von den überflüssigen Reisekleidern befreit hatten, theilte sich, wie es bei ähnlichen Gelegenheiten stets vorkömmt, die Gesellschaft in Gruppen, von denen einige vor dem Hause standen und plauderten, andere auf den Sandwegen im Rasen herumgingen, wieder andere gegen den Meierhof wandelten. Als die Abendröthe hinter den Bäumen erschien, die in schönen Zeilen im Westen des Schlosses die Felder säumten, und als ihr Glühen immer blässer wurde und dem Gelb des Spätabends Plaz machte, sammelten sich die Leute wieder. Die einen kehrten von ihrem Spaziergange, die anderen von ihrem Gespräche, die dritten von ihrer Betrachtung verschiedener Gegenstände zurück, und man begab sich in das Speisezimmer. In demselben begann nun ein Abend, wie sie auf dem Lande, wo man von dem Umgange mit Seinesgleichen viel ausgeschlossener ist, zu den vergnügtesten gehören. Ich habe diese Betrachtung, da ich im Sommer immer ferne von der Stadt war, öfter machen können. Da man Menschen, mit denen man gleiche Gesinnungen und gleiche Meinungen hat, auf dem Lande viel seltener sieht als in der Stadt, da man mit dem Raume nicht so kargen muß wie in der Stadt, wo jede Familie nur das mit vielen Kosten erschwingt, was sie für sich und nächste Angehörige braucht, da die Lebensmittel auf dem Lande gewöhnlich aus der ersten und unmittelbaren Quelle bei der Hand sind, auch strenge Anforderungen hierin nicht gemacht werden: so ist man auf dem Lande viel gastfreundlicher als in der Stadt, und Gelegenheiten, wo man sich in einem Zimmer und um einen Tisch versammelt, werden da viel fröhlicher, ungezwungener und auch herzliches begangen, weil man sich freut, sich wieder zu sehen, weil man um alles fragen will, was sich an den verschiedenen Stellen, woher die Ankömmlinge gekommen sind, zugetragen hat, weil man die eigenen Erlebnisse mittheilen und weil man seine Ansichten austauschen will.

Der Tisch war schon gedeckt, der Hausverwalter wies allen ihre Pläze an, die zur Vermeidung von dennoch möglichen Verwirrungen noch überdies durch von seiner Hand geschriebene Zettel bezeichnet waren, und man sezte sich. Der Mann hatte gesorgt, daß solche, die sich gut kannten, nahe zusammen kamen.

Deßohngeachtet schritt man mit der Freimüthigkeit des Landes und alter Bekannter dazu, die Zettel noch zu verwechseln und sich gegen die Anordnungen des Mannes zusammen zu sezen. Von der Decke des Zimmers hing eine sanft brennende Lampe hernieder, und außer ihr wurde die Tafel noch durch vertheilte strahlende Kerzen erhellt. Mathilde nahm den Mittelsiz ein und richtete ihre Freundlichkeit und ihr ruhiges Wesen gegen alle, die in ihrem Bereiche waren, und selbst gegen die entferntesten Pläze suchte sie ihre Aufmerksamkeit zu erstrecken. Die bekannteren und älteren Gäste saßen ihr zunächst, die jüngeren entfernter. Julie, die Tochter Ingheims mit den heiteren braunen Augen, saß mir fast gegenüber, ihre Schwester, die blauäugige Apollonia, etwas weiter unten. Sie hatten sehr geschmackvolle Kleider an, das Geschmeide, das sie trugen, hätte, wie ich meinte, etwas weniger sein sollen. Neben beiden saßen die jungen Männer Tillburg und Wachten. Natalie saß zwischen Eustach und Roland. Ob es so angeordnet, ob es ihre eigene Wahl war, wußte ich nicht. Man trug ein einfaches Mahl auf, und fröhliche Gespräche belebten es. Man sprach von den Begebnissen der Gegend, man neckte sich mit kleinen Erlebnissen, man theilte sich Erfahrungen mit, die man in seinem Kreise gemacht hatte, man sprach von Büchern, die in der Gegend neu waren, und beurtheilte sie, man erzählte, was man im Bereiche seiner Liebhaberei Neues erworben, was man für Reisen gemacht und was man für fernere vorhabe. Auch auf die Geschichte des Landes kam es, auf seine Verwaltung, auf Verbesserungen, die zu machen wären, und auf Schäze, die noch ungehoben liegen. Selbst Wissenschaft und Kunst war nicht ausgeschlossen. Mancher Scherz erheiterte die Anwesenden, und man schien sehr vergnügt, sich so in einen Kreis versammelt zu haben, wo sich Neues ergab und wo man Altes wieder beleben konnte.

Nach ein paar schnell vergangenen Stunden stand man auf, die Lichter zu dem Gange in die verschiedenen Schlafgemächer wurden angezündet, und man begab sich allmählich zur Ruhe.

Am andern Morgen nach dem Frühmahle, da die höher gestiegene Sonne die Gräser bereits getrocknet hatte, begab man sich in das Freie, um das Urtheil über die Arbeiten an der Vorderseite des Hauses zu fällen. Alle gingen mit. Selbst Dienerschaft stand seitwärts in der Nähe, als ob sie wüßte, was geschehe - und sie wußte es wohl auch - und als ob sie sich dabei betheiligen sollte. Man ging einige hundert Schritte von der Vorderseite des Hauses weg, wendete sich dann um, blieb im Grase stehen und betrachtete die von der Tünche befreite Wand. Hierauf umging man in einem weiten Bogen eine Ecke des Hauses, um auch eine Wand zu sehen, auf welcher sich noch die Tünche befand. Nachdem man Beides wohl angeschaut hatte, nahm man einen Stand ein, der beide Ansichten gestattete.

Nach und nach wurden Meinungen laut. Man fragte zuerst die älteren und ansehnlicheren Gäste. Diese gaben fast alle ihr Urtheil unbestimmt und mit Vorsicht ab. Beide Einrichtungen hätten ihr Gutes, an beiden wird etwas auszustellen sein, und es komme auf Geschmack und Vorliebe an. Da das Gespräch allgemeiner wurde, traten schon manche Meinungen abgeschlossener hervor. Einige sagten, es sei etwas Besonderes und nicht überall Vorkommendes, die nackten Steine aus einer Wand stehen zu lassen. Wenn die Kosten nicht zu scheuen sind, möge man es an dem ganzen Schlosse so machen, und man habe dann etwas sehr Eigenes. Andere meinten, es sei doch überall Sitte, die Wände selbst gegen Außen mit einer Tünche zu bekleiden, ein licht getünchtes Haus sei sehr freundlich, darum hätten auch die Vorbesizer des Hauses so gethan, um sein Ansehen dem neuen Geschmacke näher zu bringen. Darauf sagten wieder Andere, die Gedanken der Menschen seien wechselvoll, einmal habe man die großen viereckigen Steine, aus denen das Äußere dieser Wände bestehe, nackt hervor sehen lassen, später habe man sie überstrichen, jezt sei eine Zeit gekommen, wo man wieder auf das Alte zurück gehe und es verehre, man könne also die Steine wieder nacktlegen.

Mein Gastfreund vernahm die Meinungen, und antwortete in unbestimmten und nicht auf eine einzelne Ansicht gestellten Worten, da alles, was gesagt wurde, sich ungefähr in demselben Kreise bewegte. Mathilde sprach nur Unbedeutendes, und Eustach und Roland schwiegen ganz. Von der feurigen Natur des lezten wunderte es mich am meisten. Ich schloß aus dieser Thatsache, daß meine Freunde ihre Meinung entweder schon gefaßt hatten oder daß sie dieselbe erst für sich fassen wollten. Diese eben abgehaltene Beschau erschien mir also etwas Allgemeines, Unwesentliches, als eine nachbarliche Artigkeit, als eine Gelegenheit, zusammen zu kommen, um sich gemeinschaftlich zu sehen und zu sprechen, wie man es bei andern Anlässen auch thut.

Mir erschien die Bloßlegung der Steine unbedingt als das Natürlichste. Wie ich wohl schon erkennen gelernt hatte, ist bei Denkmälern - und je größer und würdiger sie sein sollen, um desto mehr ist dies der Fall - der Stoff nicht gleichgültig, und dann darf er aber nicht mit Fremdartigem vermengt werden. Ein Siegesbogen, selbst wenn er unter Dach steht, darf von Marmor sein, weniger schon von Ziegeln oder Holz, ganz und gar nicht von gegossenem Eisen oder festgeklebtem Papier. Eine Bildsäule kann von Marmor, Metall oder Holz sein, weniger von groben Steinen, ganz und gar nicht von allerlei zusammengefügten Bestandtheilen. Unsere neuen Häuser, die nur bestimmt sind, Menschen aufzunehmen, um ihnen Obdach zu geben, haben nichts Denkmalartiges, sei es ein Denkmal für den Glanz einer Familie, sei es ein Denkmal der abgeschlossenen und wohlgenossenen Wohnlichkeit für irgend ein Geschlecht. Darum werden sie fachartig aus Ziegeln gebaut und mit einer Schicht überstrichen, wie man auch lackiertes Geräthe macht oder künstliches Gestein malt. Schon die aus bloßem Holze zur Wohnung eines Geschlechtes in unseren Gebirgsländern (nicht zur Spielerei in Gärten) erbauten Häuser haben Denkmalartiges, noch mehr die Schlösser, die aus festen Steinen gefügt sind, die Thorbogen, die Pfeiler, die Brücken und noch mehr die aus Stein gebauten Kirchen. Daraus ergab sich mir von selber, daß diejenigen, die dieses Schloß so bauten, daß die Außenseiten der Wände fest gefügte viereckige, unbestrichene Steine sind, Recht gehabt haben, und daß die, welche die Steine bestrichen, im Unrechte waren, und daß die, welche sie wieder blos legen, abermals im Rechte sind. Ich sah, daß man an sämtlichen Steinen, weil sonst die Kalktünche nicht zu vertilgen gewesen wäre, die Oberfläche mit scharfen Hämmern erneuert hatte. Dies gab wohl den Steinen etwas, das ein lichteres Grau ist, als die alten Simse und Tragsteine hatten, die nicht getüncht waren; allein durch Zeit und Wetter werden sich auch die erneuerten Steinoberflächen wieder dunkler färben.

Man ging, da man eine Weile gesprochen hatte, obwohl ein eigentliches Urtheil nicht gefällt worden war, wieder in das Haus zurück, und auch die Dienerschaft, welche zugeschaut hatte, ging auseinander, gleichsam als ob die Sache jezt aus wäre.

In dem Hause zerstreuten sich die Gäste, manche begaben sich in Zimmer, manche gingen in das Freie. Ich nahm in meinem Schlafgemache, wozu mir das nehmliche Zimmer, welches ich früher bewohnt hatte, angewiesen worden war, einen leichteren Hut und einen bequemeren Rock und ging dann auch in den Garten. Ich ging ganz allein in einem dunkeln Gange zwischen Gebüschen hin, und es war mir wohl, daß ich allein war. Ich schlug die abgelegenen, wenig gangbaren und auch weniger im Stande gehaltenen Wege ein, damit ich niemanden begegne und damit sich niemand zu mir geselle. Es war auch wirklich kein Mensch in den Gängen, und ich sah nur kleine Vögel, welche ungescheut in ihnen liefen und Futter von der Erde pickten. Ich umging den Lindenplaz und kam hinter ihm aus dem Gebüsche heraus. Von da ging ich in einem großen Umwege der Eppichwand zu und hatte vor, in die Nymphengrotte zu treten, wenn niemand in ihr wäre. Als ich schon nahe an der Grotte war und schief in dieselbe blicken konnte, sah ich, daß Natalie auf dem Marmorbänklein size, welches sich seitwärts von der Nymphengestalt befand. Sie saß an dem innersten Ende des Bänkleins. Ihr blaßgraues Seidenkleid schimmerte aus der dunkeln Höhlung heraus. Einen Arm ließ sie an ihrer Gestalt ruhen, den andern hatte sie auf die Lehne des Bänkleins gestüzt und barg die Stirn in ihrer Hand. Ich blieb stehen und wußte nicht, was ich thun sollte. Daß ich nicht in die Grotte gehen wolle, war mir klar; allein die kleinste Wendung, die ich machte, konnte ein Geräusch erregen und sie stören. Aber ohne daß ich ein Geräusch machte, sah sie auf und sah mich stehen. Sie erhob sich, ging aus der Grotte, ging mit beeilten Schritten an der Eppichwand hin und entfernte sich in das Gebüsch. In Kurzem sah ich den Schimmer ihres Kleides verschwinden. Eine ganz kleine Zeit blieb ich stehen, dann ging ich in die Grotte hinein. Ich sezte mich auf dieselbe Marmorbank, auf der sie gesessen war und sah in das Rinnen des Wassers, sah auf die einsame Alabasterschale, die neben dem Becken stand, und sah auf den ruhigen, glänzenden Marmor. Ich saß sehr lange. Da sich Stimmen näherten und da ich vermuthen mußte, daß man die Brunnengestalt besuchen würde, stand ich auf, ging aus der Grotte, ging in das Gebüsch und begab mich auf denselben Wegen, auf denen ich gekommen war, in das Schloß zurück.

Der Mittag vereinigte noch einmal alle Gäste bei dem Mahle. Mehrere von ihnen hatten beschlossen, gleich nach demselben fort zu fahren, um noch vor der Nacht ihre Heimath zu erreichen. Man brachte einen fröhlichen Trinkspruch aus auf die schöne Gestaltung des Schlosses und einen Dank für die herzliche Bewirthung. Der Spruch wurde mit einem Wunsche für das Wohl der Gesellschaft und für baldiges Wiedersehen erwiedert. Die heitere Sommersonne verklärte das Zimmer, und die Blumen des Gartens schmückten es.

Nach dem Mahle fuhren mehrere der Gäste fort, und im Laufe des Nachmittages entfernten sich alle.

Wir, die nach dem Asperhofe mußten, hatten beschlossen, morgen früh abzufahren.

Bei dem Abendessen kam das Gespräch auf das Unternehmen an dem Hause. Ich sah, daß die Übriggebliebenen schon einig waren. Es sprach nun mein Gastfreund, es sprachen Eustach und Roland. Sie hatten alle meine Ansicht. Ich wurde aufgefordert, auch meine Meinung zu sagen. Ich sprach sie nach meiner innern Empfindung aus. Alle mochten sie wohl so erwartet haben. Über den Aufwand zur Deckung der künftigen Kosten sprach mein Gastfreund mit Mathilden besonders. Durch das Abschlagen der Steine mit scharfen Hämmern hatten sich die Auslagen größer gezeigt, als man Anfangs vermuthen konnte. Mein Gastfreund rieth daher, daß man die Arbeit auf längere Fristen ausdehnen solle, wodurch die Kosten weniger empfindlich würden und, da doch das Schaffen des Schönen das Vergnügen bilde, dieses Vergnügen sich verlängere. Man billigte den Vorschlag und freute sich auf das Wachsen des Edleren und freute sich auf den Augenblick, wenn das Haus in einem würdigen Gewande da stehen würde und man die Beruhigung hätte, es so dem künftigen Besizer übergeben zu können.

Mit dem Anbruche des nächsten Tages fuhren mein Gastfreund, Eustach, Roland, Gustav und ich auf dem Wege nach dem Rosenhause dahin.

Als ich in Hinsicht der eben zugebrachten Tage etwas über das Landleben sagte und die Annehmlichkeiten desselben berührte, und als wir eine Zeit über diesen Gegenstand gesprochen hatten, sagte mein Gastfreund: «Das gesellschaftliche Leben in den Städten, wenn man es in dem Sinne nimmt, daß man immer mit fremden Personen zusammen ist, bei denen man entweder mit andern zum Besuche ist, oder die mit andern bei uns sind, ist nicht ersprießlich. Es ist das nehmliche Einerlei wie das Leben in Orten, die den großen Städten nahe sind. Man sehnt sich, ein anderes Einerlei aufzusuchen; denn wohl ist jedes Leben und jede Äußerung einer Gegend ein Einerlei, und es gewährt einen Abschluß, von dem einen Einerlei in ein anderes über zu gehen. Aber es gibt auch ein Einerlei, welches so erhaben ist, daß es als Fülle die ganze Seele ergreift und als Einfachheit das All umschließt. Es sind erwählte Menschen, die zu diesem kommen und es zur Fassung ihres Lebens machen können.»

«In der Weltgeschichte kömmt wohl Ähnliches vor», sagte ich.

«In der Weltgeschichte kömmt es vor», antwortete er, «wo ein Mensch durch eine große That, die sein Leben erfüllt, diesem Leben eine einfache Gestalt geben kann, abgelöst von allem Kleinlichen - in der Wissenschaft, wo ein großartiges Feld höchsten Erringens vor dem Menschen liegt - oder in der Klarheit und Ruhe der Lebensanschauungen, die endlich Alles auf einige ausgedehnte, aber einfältige Grundlinien zurück führt. Jedoch sind auch hier Maße und Abstufungen wie in allen andern Dingen des Lebens.»

«Von den zwei Haupzeiträumen, welche das menschliche Geschlecht betroffen haben», erwiederte ich, «von dem sogenannten antiken und dem heutigen, dürfte wohl der griechisch-römische das Meiste von dem Gesagten aufzuweisen haben.»

«Wir wissen zulezt gar nicht, welche Zeiträume es in der Geschichte gegeben hat», antwortete er. «Die Griechen und Römer sind unserer Zeit am nächsten, wir sind aus ihnen hervor gegangen und wissen von ihnen auch das Meiste. Wer weiß, wie viele Völkerabschnitte es gegeben hat und wie viele unbekannte Geschichtsquellen noch verborgen sind. Wenn einmal ganze Reihen solcher Völkerzustände wie Griechen- und Römerthum vorliegen, dann läßt sich eher über unsere Frage etwas sagen. Oder sind etwa solche Reihen nur dagewesen und vergessen worden, und werden überhaupt die hintersten Stücke der Weltgeschichte vergessen, wenn sich vorne neue ansezen und ihrer Entwicklung entgegen eilen? Wer wird dann nach zehntausend Jahren noch von Hellenen oder von uns reden? Ganz andere Vorstellungen werden kommen, die Menschen werden ganz andere Worte haben, mit ihnen in ganz anderen Säzen reden, und wir würden sie gar nicht verstehen, wie wir nicht verstehen würden, wenn etwas zehntausend Jahre vor uns gesagt worden wäre und uns vorläge, selbst wenn wir der Sprache mächtig wären. Was ist dann jeder Ruhm? Aber kehren wir zu unserem Gegenstande zurück und sehen wir von Ägyptern, Assyrern, Indern, Medern, Hebräern, Persern, von denen Kunde zu uns herüber gekommen ist, ab und vergleichen wir uns nur allein mit der griechisch-römischen Welt, so dürfte in ihr wirklich mehr einfache Lebensgröße gelegen sein als in der unsern liegt. Ich verwundere mich oft, wenn ich in der Lage bin, zu entscheiden, welchen von beiden ich den Preis geben soll, Cäsars Thaten oder Cäsars Schriften, wie sehr ich im Schwanken begriffen bin und wie wenig ich es weiß. Beides ist so klar, so stark, so unbeirrt, daß wir wenig desgleichen haben dürften.»

«Jene alten Verhältnisse des Handelns und Denkens waren aber, wie ich glaube, auch weniger verwickelt als die unsrigen», sagte ich.

«Sie hatten einen nicht so ausgedehnten Schauplaz wie wir», erwiederte er, «obwohl auch der Plaz der Thaten zu Cäsars Zeit - Britannien, Gallien, Italien, Asien, Afrika -, oder zu Alexanders Zeit - Griechenland und Orient - nicht ganz klein war. Ihre Verhältnisse nach Außen gestalteten sich daher leichter; aber im Innern dürften sie bei der großen Zahl der mithandelnden Personen, von denen die meisten Stimme und Gewalt in Staatsdingen hatten, nicht so leicht gewesen sein, und die Macht, diese Gemüther durch Wort, Erscheinung und Handlung zu gewinnen und zu leiten, dürfte schwierig zu erwerben gewesen sein und dürfte eben dem Wesen eines Mannes die feste Gestalt aufgedrückt haben, die wir so oft an ihm bewundern. Unsere Zeit ist eine ganz verschiedene. Sie ist auf den Zusammensturz jener gefolgt und erscheint mir als eine Übergangszeit, nach welcher eine kommen wird, von der das griechische und römische Alterthum weit wird übertroffen werden. Wir arbeiten an einem besondern Gewichte der Weltuhr, das den Alten, deren Sinn vorzüglich auf Staatsdinge, auf das Recht und mitunter auf die Kunst ging, noch ziemlich unbekannt war, an den Naturwissenschaften. Wir können jezt noch nicht ahnen, was die Pflege dieses Gewichtes für einen Einfluß haben wird auf die Umgestaltung der Welt und des Lebens. Wir haben zum Theile die Säze dieser Wissenschaften noch als todtes Eigenthum in den Büchern oder Lehrzimmern, zum Theile haben wir sie erst auf die Gewerbe, auf den Handel, auf den Bau von Straßen und ähnlichen Dingen verwendet, wir stehen noch zu sehr in dem Brausen dieses Anfanges, um die Ergebnisse beurtheilen zu können, ja wir stehen erst ganz am Anfange des Anfanges. Wie wird es sein, wenn wir mit der Schnelligkeit des Blizes Nachrichten über die ganze Erde werden verbreiten können, wenn wir selber mit großer Geschwindigkeit und in kurzer Zeit an die verschiedensten Stellen der Erde werden gelangen, und wenn wir mit gleicher Schnelligkeit große Lasten werden befördern können? Werden die Güter der Erde da nicht durch die Möglichkeit des leichten Austauschens gemeinsam werden, daß Allen Alles zugänglich ist? Jezt kann sich eine kleine Landstadt und ihre Umgebung mit dem, was sie hat, was sie ist und was sie weiß, absperren: bald wird es aber nicht mehr so sein, sie wird in den allgemeinen Verkehr gerissen werden. Dann wird, um der Allberührung genügen zu können, das, was der Geringste wissen und können muß, um Vieles größer sein als jezt. Die Staaten, die durch Entwicklung des Verstandes und durch Bildung sich dieses Wissen zuerst erwerben, werden an Reichthum, an Macht und Glanz vorausschreiten und die andern sogar in Frage stellen können. Welche Umgestaltungen wird aber erst auch der Geist in seinem ganzen Wesen erlangen? Diese Wirkung ist bei Weitem die wichtigste. Der Kampf in dieser Richtung wird sich fortkämpfen, er ist entstanden, weil neue menschliche Verhältnisse eintraten, das Brausen, von welchem ich sprach, wird noch stärker werden, wie lange es dauern wird, welche Übel entstehen werden, vermag ich nicht zu sagen; aber es wird eine Abklärung folgen, die Übermacht des Stoffes wird vor dem Geiste, der endlich doch siegen wird, eine bloße Macht werden, die er gebraucht, und weil er einen neuen menschlichen Gewinn gemacht hat, wird eine Zeit der Größe kommen, die in der Geschichte noch nicht dagewesen ist. Ich glaube, daß so Stufen nach Stufen in Jahrtausenden erstiegen werden. Wie weit das geht, wie es werden, wie es enden wird, vermag ein irdischer Verstand nicht zu ergründen. Nur das scheint mir sicher, andere Zeiten und andere Fassungen des Lebens werden kommen, wie sehr auch das, was dem Geiste und Körper des Menschen als lezter Grund inne wohnt, beharren mag.»

Wir gingen nun in manches Einzelne dieses Stoffes ein, behandelten es im Fahren und suchten die möglichen Folgen anzugeben. Besonders wurden Zweige der Naturwissenschaften genannt, welche vorzugsweise vorgeschritten waren und Einfluß zu gewinnen schienen, wie die Chemie und andere. Roland war entschieden für Neuerung, wenn sie auch Alles umstürzte, mein Gastfreund und Eustach hegten den Wunsch, daß jenes Neue, welches bleiben soll, weil es gut ist - denn wie vieles Neue ist nicht gut -, nur allgemach Plaz finden und ohne zu große Störung sich einbürgern möchte. So ist der Übergang ein längerer, aber er ist ein ruhigerer und seine Folgen sind dauernder.

Nach dem Mittagsessen kam das Gespräch auf die Brunnennymphe im Sternenhofe, und mein Gastfreund erzählte mir, wie sie erworben worden war. Ein Mann, der entfernt mit Mathilden verwandt war, hatte zu seinem großen Vermögen noch Erbschaften gemacht. Er verlegte sich auf Sammlungen. Er hatte Münzen, er hatte Siegel, er hatte keltische und römische Alterthümer, Musikgeräthe, Tulpen und Georginen, Bücher, Gemälde und Bildsäulen. Er baute in seinem Garten an sein Haus, welches etwas erhöht stand, eine große Fläche, die er mit Steinen pflasterte und von welcher künstliche steinerne Stufen in mehreren Richtungen nach dem Garten hinab gingen. Auf die Brüstungen dieser Fläche und auf die Einfassungen der Treppen wurden Bildsäulen gesezt. Es gehörte zu den größten Vergnügungen des Mannes, auf der Fläche hin und her zu gehen. Das that er auch oft, wenn die heißeste Sonne am Himmel stand und das Pflaster in die Sohlen brannte. Außerdem hatte er auch noch Bildsäulen auf den Treppen des Hauses und in den Zimmern. Die Nymphe, welche jezt Mathilde besizt, hatte er in einem Brunnentempel im Garten. Er hatte sie von seinem Großoheime geerbt. Sie soll zu den Jugendzeiten desselben von einem italienischen Bildhauer für einen Fürsten verfertigt worden sein, dessen schneller Todfall das Übergehen an ihre Bestimmung vereitelte. So kam sie nach mehreren Zufällen an den Großoheim, der Verbindungen mit dem Künstler hatte. Man sagt, diese Bildsäule sei der Anfang zu der Bildsäulenliebhaberei des Vetters Mathildens gewesen. Als dieser Mann starb, fand sich ein lezter Wille geschrieben vor, daß alle Kunstwerke an Kunstkenner oder Kunstliebhaber, nicht aber an Händler verkauft werden und daß das Geld dafür und die anderen Dinge, die er hinterlassen, und zwar leztere nach einem Schäzungswerthe, unter seine entfernten Verwandten vertheilt werden sollten; denn Kinder oder nähere Verwandte hatte er nicht. Da nun die Nymphe weitaus das schönste Kunstwerk war, welches er besaß, da Mathilde es immer bewundert hatte, da sie schon im Besize des Sternenhofes war und in demselben schon schöne Gemälde untergebracht hatte: so war es ihr nicht schwer, sich als eine Kunstliebhaberin auszuweisen und das Bildwerk anzukaufen. Man gönnte es ihr mehr als einem Fremden, weil auf diese Weise das Kunstwerk gewissermaßen in der Familie blieb und sie überdies auch mehr in die gemeinschaftliche Erbschaft zahlte, als ein Fremder gethan haben würde.

Sie brachte das ihr so liebe Werk in den Sternenhof und stellte es dort in einem Saale auf. Erst lange darnach wurde durch Eustachs und meines Gastfreundes Bemühungen zwischen den Eichen, die schon standen, die Eppichwand und die Quellengrotte gebaut und so der Gestalt ein würdiger und wirkungsvollerer Aufenthaltsort gegeben, da sie für den Saal doch immer zu groß und ihre Stellung und ihre Beschäftigung unpassend gewesen war. Den Krug, aus welchem das Wasser rann, hatte sie schon, das Becken und die Bank sind neu gemacht worden, die Alabasterschale hat Mathilde aus ihrem Besizthume dazu gegeben.

Wir kamen am Abende im Rosenhause an. Am andern Tage bath ich meinen Gastfreund, er möge erlauben, daß ich eine Nachzeichnung von der Zeichnung des Kerberger Altares, die er besize, mache, und diese Zeichnung meinem Vater zum Geschenke bringe. Er erlaubte es sehr gerne. Die Zeichnung war nach dem Vorschlage, welcher auf der Reise in das Hochland gemacht worden war, von Roland verbessert worden, und so wurde sie mir übergeben.

Ich schloß mich in mein Zimmer ein und arbeitete mehrere Tage fleißig von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, bis ich mit der Zeichnung fertig war. Ich verpackte sie nun sehr wohl und gab meinem Gastfreunde die Urzeichnung zurück.

Nun hielt ich mich nicht mehr länger in dem Asperhofe auf und eilte in die Tann.

Ich stieg dort auf Berge, ich arbeitete sehr angestrengt, ich spielte sehr viel auf meiner Zither und las in meinen Büchern.

Eines Tages gegen den Spätsommer hin hörte ich mit Allem auf. Ich packte meine Kisten, that die Werkzeuge und die Schriften, die sich auf meine Arbeiten bezogen, in ihre Fächer und Koffer, entließ fast alle Leute, versah die Kisten mit Aufschriften, verordnete ihre Versendung und ging dann in das Lauterthal. Dort nahm ich nur den alten Kaspar und von den jungen Männern einen, der mir besonders lieb geworden war, und beschloß, die Messung des Lautersees zu Ende zu bringen.

Ich mietete mich in dem Seewirthshause ein, richtete alle Geräthe, welche mir zu meinem Vorhaben nöthig waren, zurecht, ließ diejenigen neu verfertigen, welche ich nicht hatte, und ging ans Werk. Ich arbeitete recht fleißig. So lange das Licht des Tages leuchtete, waren wir auf dem Wasser. Nachts - außer einigen Stunden Schlafes - war ich an dem Papiere theils mit Rechnungen, theils mit Schreiben, theils sogar mit Zeichnen beschäftigt. Ich wiederholte einige Messungen, welche ich in früheren Zeiten vorgenommen hatte, um mich von der Beständigkeit oder Wandelbarkeit des Wasserstandes oder des Seegrundes zu überzeugen. Da ein durchaus gleicher Wasserstand nicht zu denken ist, so bezog ich meine Messungen auf einen mittleren Stand und stellte immer die Frage, wie tief unter diesem Stande die bestimmten Stellen des Seegrundes liegen. Dieser mittlere Stand, der nach demjenigen genommen wurde, welcher in der meisten Zeit des Jahres herrscht, war in meiner Abbildung auch der Wasserspiegel. Ihn nahm ich bei den Nachmessungen zur Richtschnur. In größeren Entfernungen von dem Ufer hatte sich der Seegrund seit dem Beginne meiner Messungen nicht geändert, oder wenn er sich geändert hatte, war es so wenig, daß es durch unsere Meßwerkzeuge nicht wahrzunehmen war. An jenen Ufern oder in der Nähe derselben, wo große Tiefen herrschten und steile, ruhige Wände standen, an denen bei Regengüssen höchstens schmale Bänder oder seichte Wasserflächen niederrieseln, war ebenfalls keine Veränderung. Aber an seichten Stellen bei flacheren Ufern, wo der Regen Gerölle und andere Dinge einführt, fanden sich schon Veränderungen vor. Am meisten aber waren die Wandlungen und am größten, wo eine Schlucht sich gegen das Wasser öffnete, aus welcher ein Bergbach hervorströmte, der, je nachdem er weiter her floß oder bei Güssen heftiger anschwoll, auch größere Berge von Gerölle in den See schob und dort liegen ließ.

Nach der Wiederholung dieser alten Messungen wurde zu neuen geschritten, die zur Vollendung der mir zum Ziele gesezten Kenntnisse nothwendig waren. Ebenso wurden die Zeichnungen der Gebilde, welche sich außerhalb des Wassers als Ufer befanden, fleißig fortgesezt.

Zweimal wurde die Arbeit unterbrochen. Ich ging in das Rothmoor, um nachzusehen, wie weit die Dinge, die aus meinen Marmoren verfertigt werden sollten, gediehen wären und wie gut sie ausgeführt würden. Die Fortschritte waren zu loben. Man sagte - und ich selber sah die Möglichkeit ein -, daß in diesem Sommer noch alles fertig worden würde. Aber in Hinsicht der Güte hatte ich Ausstellungen zu machen. Ich ordnete mit Bitten, Vorstellungen und Versprechen an, daß man das, was ich angab, so genau und so rein mache, wie ich es wollte.

Wenn Regenzeit war, so daß die Wolken an den Bergen herum hingen und weder diese noch die Gestalt des Sees richtig zu überblicken waren, so blieb ich zu Hause und zeichnete und malte dasjenige in mein Hauptblatt, was ich im Freien auf viele Nebenblätter aufgenommen hatte. So rückte das Unternehmen der Vollendung immer näher.

Endlich waren die Arbeiten im Freien beendigt, und es erübrigte nur noch, die vielen Angaben, welche in meinen Papieren zerstreut waren und welche ich bisher nicht hatte bewältigen können, in die Zeichnung einzutragen und die Gestalten, welche ich auf einzelnen Blättern hatte, theils mit der Haupzeichnung wegen der Richtigkeit zu vergleichen, theils diese, wo es noththat, zu ergänzen. Auch Farben mußten auf verschiedene Stellen aufgetragen werden.

Nach langer Arbeit und nach vielen Schwierigkeiten, die ich zur Erzielung einer großen Genauigkeit zu überwinden hatte, war das Werk eines Tages fertig, und der ganze Entwurf lag in schwermüthiger Düsterheit und in einer Schönheit vor meinen Augen, die ich selber nicht erwartet hatte. Ich betrachtete allein die Abbildung eine Weile, da niemand war, der das Anschauen mit mir getheilt hätte, rollte dann das Blatt auf eine Walze, verpackte es sehr gut in einen Koffer, nahm von dem See und von allen Bewohnern des Seewirthshauses Abschied und begab mich auf den Weg in das Ahornhaus des Lauterthales.

Dort siedelte ich mich an. Ich ging nun täglich in das Rothmoor, blieb den ganzen Tag dort und kehrte Abends zurück, so daß ich in der Dämmerung im Ahornhause ankam. Ich sah im Rothmoore den Arbeiten an meinen Marmoren zu, dem Schneiden, Feilen, Reiben, Schleifen und Glätten. Ich gab auch an, wie Manches zu behandeln sei und wie es einer größeren Vollendung, namentlich aber einer größern Genauigkeit entgegen geführt werden könnte.

Das Wasserbecken meines Vaters wurde nach und nach fertig und die kleineren Dinge, welche gemacht werden sollten, waren ebenfalls vollendet. Die Sonne schien in die Bauhütte, und das Becken erglänzte recht rein und schön in derselben. Ich ließ von starken Balken Behältnisse zimmern. In diese wurden die Theile des Beckens mit Winden, Hebeln und Stricken gepackt und zur Versendung bereitet. Die Wägen mußten eigens vorgerichtet werden, damit die Behältnisse an den Strom gebracht werden könnten. Diese Vorrichtung war endlich fertig. Das Aufladen wurde bewerkstelligt, und die Wägen gingen ab. Ich ging mit ihnen bis an den Strom und verließ sie keinen Augenblick, um wo möglich jeden Unfall zu verhüten. Am Strome wurden die Behältnisse auf ein Schiff verladen und weiter befördert. Von dem Landungsplaze vor unserer Stadt wurden sie endlich wieder durch starke Wägen in unsern Garten gebracht.

Es wurde nun daran geschritten, das Wasserwerk in diesem Herbste noch fertig zu machen. Der Vater hatte auf Briefe von mir und auf gesendete Maße den Dingen bereits vorarbeiten lassen. Es wurden nun noch mehrere Arbeiter gedungen und ein Wasserbaukundiger genommen, welcher die Arbeiten zu leiten hatte. Ich war den ganzen Tag bei dem Werke zugegen und half mit. Der Vater kargte sich ebenfalls alle mögliche Zeit ab, um zugegen sein und zuschauen zu können. Die Röhren wurden gelegt, die Steigröhre verzapft, der Stengel über sie gebaut, mit den nöthigen Eisen gestärkt und verlötet, und an demselben wurde das Blatt befestigt. Der Pfropfen, welcher den in das Blatt mündenden Stengel geschlossen gehalten hatte, wurde gelüftet, und der reine Strahl fiel auf die im Blatte liegende Einbeere hinunter, füllte das Becken und glitt von demselben, als es gefüllt war, auf den sanften gelb marmornen Fußboden nieder und rieselte in dessen Rinne weiter. Die Farben stimmten sehr gut zusammen, das Dunkel des Stengels hob sich von dem Rosenroth des Blattes ab, und das Gelb des Fußbodens gab dem Rosenroth eine schönere Farbe und einen feineren Glanz. Es waren mehrere Gäste zur Eröffnung des Werkes geladen worden, und diese sowie Vater, Mutter und Schwester freuten sich des Gelingens.

Der Vater reichte mir als Gegengeschenk, sehr schön gebunden und auf den Deckeln mit halberhabener Arbeit versehen, das Nibelungenlied. Ich dankte ihm sehr dafür.

Es wurde beschlossen, für den Winter ein Bretterhäuschen über das Wasserwerk machen zu lassen und dasselbe gut zu verwahren, daß keine Kälte eindringen könne. Für den Frühling wurden Pläne entworfen, wie man die Gartenumgebungen des Beckens einrichten solle, daß der ganze Anblick ein desto würdigerer und schönerer sei. Man hoffte, bis zum Eintritte der besseren Jahreszeit mit den Entwürfen im Reinen zu sein und beginnen zu können.

Ich übergab außer dem Becken auch die andern Marmorgegenstände, welche in dem Rothmoore waren verfertiget worden. Darunter befanden sich Säulen und Simse, welche an einer Stelle verwendet werden sollten, die am Ende des Gartens lag, eine Aussicht auf die Berge und auf die Umgebung both und auf welcher der Vater etwas zu errichten vorhatte, das der Aussicht würdig wäre und sie besser genießen lasse. Ich meinte, es dürfte eine schöne Fassung anzulegen sein, die den Plaz begrenzt, die breite Flächen hat, daß man sich auf dieselben lehnen und Dinge auf sie legen könne und an der sich Size befänden, auf welchen man ausruhen könne. Wenn in der Nähe dieser Fassung ein Tisch wäre, würde es noch besser sein. Außerdem hatte ich Schalen zu beliebigem Gebrauche gebracht, Ringe, die einen Vorhang fassen, Tischplatten, Pfeilerverzierungen, Steine von verschiedener Farbe, die im Vierecke geschliffen waren und die man der Reihe nach auf Papier oder Ähnliches legen konnte, und noch mehrere Dinge dieser Art. Dem Vater zeigte ich die Zeichnung von dem Kerberger Altare und sagte, daß ich sie eigens für ihn gemacht habe und sie ihm hiemit übergebe. Er war sehr erfreut darüber und dankte mir dafür. Der Altar war ihm zwar nicht neu, er hatte ihn in früherer Zeit, ehe er wieder hergestellt worden war, gesehen, und die Zeichnung des wiederhergestellten Altares war unter den von meinem Gastfreunde dem Vater im vorigen Jahre gesendeten Zeichnungen gewesen. Deßohngeachtet war es ihm sehr angenehm, die Zeichnung zu besizen und sie öfter und nach Muße betrachten zu können. Er machte mich auf mehrere Dinge aufmerksam, die er nach wiederholter Betrachtung entdeckt hatte. Zuerst sah er, daß der Altar viel reicher und mannigfaltiger sei, als da er ihn in noch unverbessertem Zustande vor vielen Jahren in Wirklichkeit gesehen hatte; dann machte er mich darauf aufmerksam, daß dieses Werk schon die Rundlinie habe, daß die Thürmchen durch gewundene Stäbe in Gestalten von Pyramiden gebildet und daß die menschlichen Gestalten schon sehr durchgearbeitet seien, was alles darauf hindeuten daß das Werk nicht mehr der Zeit der strengen gothischen Bauart angehöre, sondern derjenigen, wo diese Art sich schon zu verwandeln begonnen hatte. Auch zeigte er mir, daß Theile der Verzierungen im Laufe der Zeiten an andere Orte gestellt worden seien als an die sie gehören, daß die Büsten sich nicht an dem rechten Plaze befinden und daß menschliche Gestalten verloren gegangen sein müssen. Er holte Bücher aus seinem Bücherschreine herbei, in denen Abbildungen waren und aus denen er mir die Wahrheit dessen bewies, was er behauptete. Ich sagte ihm, daß mein Gastfreund und Eustach der nehmlichen Meinung sind, daß aber die Wiederherstellungen, welche man an dem Altare gemacht hat, im strengen Wortverstande nicht Wiederherstellungen gewesen seien, sondern daß man sich zuerst nur zum Zwecke gesezt habe, den Stoff zu erhalten und weitere Umänderungen oder größere Ergänzungen einer ferneren Zeit aufzubewahren, wenn sich überhaupt die Mittel und Wege dazu fänden. Nur solche Ergänzungen sind gemacht worden, bei denen die Gestalt des Gegenstandes unzweifelhaft gegeben war.

Die Bücher des Vaters machten mich auf die Sache, die sie behandelten, mehr aufmerksam, ich bath ihn, daß er sie mir in meine Wohnung leihe, und begann sie durchzugehen. Sie führten mich dahin, daß ich die Baukunst und ihre Geschichte vom Anfange an genauer kennen zu lernen wünschte und mir alle Bücher, die hiezu nöthig waren, nach dem Rathe meines Vaters und Anderer ankaufte.