BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Uhland

1787 - 1862

 

Gedichte

 

Auswahl

 

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Gedichte 1821 bis 1830

 

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Der Sommerfaden

(1822)

 

Vertont von:

Richard Trunk (1879-1968), op. 41 no. 4

Felix Weingartner (1863-1942), op. 15 no. 5 (1891)

 

Da fliegt, als wir im Felde gehen,

Ein Sommerfaden über Land,

Ein leicht und licht Gespinst der Feen,

Und knüpft von mir zu ihr ein Band.

 

5

Ich nehm' ihn für ein günstig Zeichen,

Ein Zeichen, wie die Lieb' es braucht.

O Hoffnungen der Hoffnungsreichen,

Aus Duft gewebt, von Luft zerhaucht!

 

 

Auf der Überfahrt

(1823)

 

Vertont von:

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), op. 94 no. 1 (1843)

 

Die letzte Strophe dieses Gedichts diente

Elizabeth Gaskell als Motto für ihren Roman Mary Barton

 

Über diesen Strom, vor Jahren

Bin ich einmal schon gefahren.

Hier die Burg im Abendschimmer,

Drüben rauscht das Wehr, wie immer.

 

5

Und von diesem Kahn umschlossen

Waren mit mir zween Genossen:

Ach! ein Freund, ein vatergleicher,

Und ein junger, hoffnungsreicher.

 

Jener wirkte still hienieden,

10

Und so ist er auch geschieden,

Dieser, brausend vor uns allen,

Ist in Kampf und Sturm gefallen.

 

So, wenn ich vergangner Tage,

Glücklicker, zu denken wage,

15

Muß ich stets Genossen missen,

Teure, die der Tod entrissen.

 

Doch, was alle Freundschaft bindet,

Ist, wenn Geist zu Geist sich findet;

Geistig waren jene Stunden,

20

Geistern bin ich noch verbunden. -

 

Nimm nur, Fährmann, nimm die Miete,

Die ich gerne dreifach biete!

Zween, die mit mir überfuhren,

Waren geistige Naturen.

 

 

In ein Stammbuch

(1825)

 

Die Zeit, in ihrem Fluge, streift nicht bloß

Des Feldes Blumen und des Waldes Schmuck,

Den Glanz der Jugend und die frische Kraft:

Ihr schlimmster Raub trifft die Gedankenwelt.

5

Was schön und edel, reich und göttlich war

Und jeder Arbeit, jeden Opfers wert,

Das zeigt sie uns so farblos, hohl und klein,

So nichtig, daß wir selbst vernichtet sind.

Und dennoch wohl uns, wenn die Asche treu

10

Den Funken hegt, wenn das getäuschte Herz

Nicht müde wird, von neuem zu erglühn!

Das Echte doch ist eben diese Glut,

Das Bild ist höher, als sein Gegenstand,

Der Schein mehr Wesen, als die Wirklichkeit.

15

Wer nur die Wahrheit sieht, hat ausgelebt;

Das Leben gleicht der Bühne: dort wie hier

Muß, wann die Täuschung weicht, der Vorhang fallen.

 

 

Künftiger Frühling

(1827)

 

Wohl blühet jedem Jahre

Sein Frühling, mild und licht,

Auch jener große, klare -

Getrost! er fehlt dir nicht;

5

Er ist dir noch beschieden

Am Ziele deiner Bahn,

Du ahnest ihn hienieden,

Und droben bricht er an.

 

 

Die Ulme zu Hirsau

(1829)

 

Zu Hirsau in den Trümmern,

Da wiegt ein Ulmenbaum

Frischgrünend seine Krone

Hoch überm Giebelsaum.

 

5

Er wurzelt tief im Grunde

Vom alten Klosterbau,

Er wölbt sich statt des Daches

Hinaus in Himmelsblau.

 

Weil des Gemäuers Enge

10

Ihm Luft und Sonne nahm,

So trieb's ihn hoch und höher,

Bis er zum Lichte kam.

 

Es ragen die vier Wände,

Als ob sie nur bestimmt,

15

Den kühnen Wuchs zu schirmen,

Der zu den Wolken klimmt.

 

Wenn dort im grünen Tale

Ich einsam mich erging,

Die Ulme war's, die hehre,

20

Woran mein Sinnen hing.

 

Wenn in dem dumpfen, stummen

Getrümmer ich gelauscht,

Da hat ihr reger Wipfel

Im Windesflug gerauscht.

 

25

Ich sah ihn oft erglühen

Im ersten Morgenstrahl;

Ich sah ihn noch erleuchtet,

Wann schattig rings das Tal.

 

Zu Wittenberg im Kloster

30

Wuchs auch ein solcher.Strauß

Und brach mit Riesenästen

Zum Klausendach hinaus.

 

O Strahl des Lichts! du dringest

Hinab in jede Gruft.

35

O Geist der Welt! du ringest

Hinauf in Licht und Luft.

 

 

Der Graf von Greiers

(1829)

 

Der junge Graf von Greiers, er steht vor seinem Haus,

Er sieht am schönen Morgen weit ins Gebirg hinaus,

Er sieht die Felsenhörner verklärt im goldnen Strahl

Und dämmernd mitten inne das grünste Alpental.

 

5

«O Alpe, grüne Alpe! wie zieht's nach dir mich hin!

Beglückt, die dich befahren, Berghirt und Sennerin!

Oft sah ich sonst hinüber, empfand nicht Leid noch Lust,

Doch heute dringt ein Sehnen mir in die tiefste Brust.»

 

Und nah und näher klingen Schalmeien an sein Ohr,

10

Die Hirtinnen und Hirten, sie ziehn zur Burg empor,

Und auf des Schlosses Rasen hebt an der Ringeltanz,

Die weißen Ärmel schimmern, bunt flattern Band und Kranz.

 

Der Sennerinnen jüngste, schlank wie ein Maienreis,

Erfaßt die Hand des Grafen, da muß er in den Kreis.

15

Es schlinget ihn der Reigen in seine Wirbel ein:

«Hei! junger Graf von Greiers, gefangen mußt du sein!»

 

Sie raffen ihn von hinnen mit Sprung und Reigenlied,

Sie tanzen durch die Dörfer, wo Glied sich reiht an Glied,

Sie tanzen über Matten, sie tanzen durch den Wald,

20

Bis fernhin auf den Alpen der helle Klang verhallt.

 

Schon steigt der zweite Morgen, der dritte wird schon klar -

Wo bleibt der Graf von Greiers? ist er verschollen gar?

Und wieder sinkt zum Abend der schwülen Sonne Lauf;

Da donnert's im Gebirge, da ziehn die Wetter auf.

 

25

Geborsten ist die Wolke, der Bach zum Strom geschwellt,

Und als mit jähem Strahle der Blitz die Nacht erhellt,

Da zeigt sich in den Strudeln ein Mann, der wogt und ringt

Bis er den Ast ergriffen und sich ans Ufer schwingt.

 

«Da bin ich! weggerissen aus eurer Berge Schoß,

30

Im Tanzen und im Schwingen ergriff mich Sturmgetos;

Ihr alle seid geborgen in Hütt und Felsenspalt

Nur mich hat fortgeschwemmet des Wolkenbruchs Gewalt.

 

Leb wohl, du grüne Alpe, mit deiner frohen Schar!

Lebt wohl, drei sel'ge Tage, da ich ein Hirte war!

35

O! nicht bin ich geboren zu solchem Paradies,

Aus dem mit Blitzesflamme des Himmels Zorn mich wies.

 

Du frische Alpenrose, rühr nimmer meine Hand!

Ich fühl's, die kalte Woge, sie löscht nicht diesen Brand.

Du zauberischer Reigen, lock nimmer mich hinaus!

40

Nimm mich in deine Mauern, du ödes Grafenhaus!»

 

 

Bertran de Born

(1829)

 

Droben auf dem schroffen Steine

Raucht in Trümmern Autafort,

Und der Burgherr steht gefesselt

Vor des Königs Zelte dort:

5

«Kamst du, der mit Schwert und Liedern

Aufruhr trug von Ort zu Ort,

Der die Kinder aufgewiegelt

Gegen ihres Vaters Wort?

 

Steht vor mir,der sich gerühmet

10

In vermeßner Prahlerei:

Daß ihm nie mehr als die Hälfte

Seines Geistes nötig sei?

Nun der halbe dich nicht rettet,

Ruf den ganzen doch herbei,

15

Daß er neu dein Schloß dir baue,

Deine Ketten brech' entzwei!»

 

«Wie du sagst, mein Herr und König!

Steht vor dir Bertran de Born,

Der mit einem Lied entflammte

20

Perigord und Ventadorn,

Der dem mächtigen Gebieter

Stets im Auge war ein Dorn,

Dem zuliebe Königskinder

Trugen ihres Vaters Zorn.

 

25

Deine Tochter saß im Saale,

Festlich, eines Herzogs Braut,

Und da sang vor ihr mein Bote,

Dem ein Lied ich anvertraut,

Sang, was einst ihr Stolz gewesen,

30

Ihres Dichters Sehnsuchtlaut,

Bis ihr leuchtend Brautgeschmeide

Ganz von Tränen war betaut.

 

Aus des Ölbaums Schlummerschatten

Fuhr dein bester Sohn empor,

35

Als mit zorn'gen Schlachtgesängen

Ich bestürmen ließ sein Ohr.

Schnell war ihm das Roß gegürtet,

Und ich trug das Banner vor,

Jenem Todespfeil entgegen,

40

Der ihn traf vor Montforts Tor.

 

Blutend lag er mir im Arme;

Nicht der scharfe, kalte Stahl -

Daß er sterb' in deinem Fluche,

Das war seines Sterbens Qual.

45

Strecken wollt' er dir die Rechte

Über Meer, Gebirg' und Tal,

Als er deine nicht erreichet,

Drückt' er meine noch einmal.

 

Da, wie Autafort dort oben,

50

Ward gebrochen meine Kraft;

Nicht die ganze, nicht die halbe

Blieb mir, Saite nicht, noch Schaft.

Leicht hast du den Arm gebunden,

Seit der Geist mir liegt in Haft;

55

Nur zu einem Trauerliede

Hat er sich noch aufgerafft.»

 

Und der König senkt die Stirne:

«Meinen Sohn hast du verführt,

Hast der Tochter Herz verzaubert,

60

Hast auch meines nun gerührt.

Nimm die Hand, du Freund des Toten!

Die, verzeihend, ihm gebührt.

Weg die Fesseln! Deines Geistes

Hab' ich einen Hauch verspürt.»

 

 

Ver sacrum

(1829)

 

Als die Latiner aus Lavinium

Nicht mehr dem Sturm der Feinde hielten stand,

Da hoben sie zu ihrem Heiligtum,

Dem Speer des Mavors, flehend Blick und Hand.

 

5

Da sprach der Priester, der die Lanze trug:

«Euch künd ich statt des Gottes, der euch grollt:

Nicht wird er senden günst'gen Vogelflug,

Wenn ihr ihm nicht den Weihefrühling zollt.»

 

«Ihm sei der Frühling heilig!» rief das Heer,

10

«Und was der Frühling bringt, sei ihm gebracht!»

Da rauschten Fittige, da klang der Speer,

Da ward geworfen der Etrusker Macht.

 

Und jene zogen heim mit Siegesruf,

Und wo sie jauchzten, ward die Gegend grün,

15

Feldblumen sproßten unter jedem Huf,

Wo Speere streiften, sah man Bäum erblühn.

 

Doch vor der Heimat Toren am Altar,

Da harrten schon zum festlichen Empfang

Die Frauen und der Jungfraun helle Schar,

20

Bekränzt mit Blüte, welche heut entsprang.

 

Als nun verrauscht der freudige Willkomm,

Da trat der Priester auf den Hügel, stieß

Ins Gras den heil'gen Schaft, verneigte fromm

Sein Haupt und sprach vor allem Volke dies:

 

25

«Heil dir, der Sieg uns gab in Todesgraus!

Was wir gelobten, das erfüllen wir.

Die Arme breit ich auf dies Land hinaus

Und weihe diesen vollen Frühling dir!

 

Was jene Trift, die herdenreiche, trug,

30

Das Lamm, das Zicklein flamme deinem Herd!

Das junge Rind erwachse nicht dem Pflug

Und für den Zügel nicht das mut'ge Pferd!

 

Und was in jenen Blütegärten reift,

Was aus der Saat, der grünenden, gedeiht,

35

Es werde nicht von Menschenhand gestreift:

Dir sei es alles, alles dir geweiht!»

 

Schon lag die Menge schweigend auf den Knien,

Der gottgeweihte Frühling schwieg umher,

So leuchtend, wie kein Frühling je erschien,

40

Ein heil'ger Schauer waltet' ahnungschwer.

 

Und weiter sprach der Priester: «Schon gefreit

Wähnt ihr die Häupter, das Gelübd vollbracht?

Vergaßt ihr ganz der Satzung alter Zeit?

Habt ihr, was ihr gelobt, nicht vorbedacht?

 

45

Der Blüten Duft, die Saat im heitern Licht,

Die Trift, von neugeborner Zucht belebt,

Sind sie ein Frühling, wenn die Jugend nicht,

Die menschliche, durch sie den Reigen webt?

 

Mehr als die Lämmer sind dem Gotte wert

50

Die Jungfraun in der Jugend erstem Kranz;

Mehr als der Füllen auch hat er begehrt

Der Jünglinge im ersten Waffenglanz.

 

O nicht umsonst, ihr Söhne, waret ihr

Im Kampfe so von Gotteskraft durchglüht!

55

O nicht umsonst, ihr Töchter, fanden wir,

Rückkehrend, euch so wundervoll erblüht!

 

Ein Volk hast du vom Fall erlöst, o Mars!

Von Schmach der Knechtschaft hieltest du es rein

Und willst dafür die Jugend  e i n e s  Jahrs;

60

Nimm sie! sie ist dir heilig, sie ist dein.»

 

Und wieder warf das Volk sich auf den Grund,

Nur die Geweihten standen noch umher,

Von Schönheit leuchtend, wenn auch bleich der Mund,

Und heil'ger Schauer lag auf allen schwer.

 

65

Noch lag die Menge schweigend wie das Grab,

Dem Gotte zitternd, den sie erst beschwor,

Da fuhr aus blauer Luft ein Strahl herab

Und traf den Speer und flammt' auf ihm empor.

 

Der Priester hob dahin sein Angesicht,

70

Ihm wallte glänzend Bart und Silberhaar;

Das Auge strahlend von dem Himmelslicht,

Verkündet' er, was ihm eröffnet war:

 

«Nicht läßt der Gott von seinem heil'gen Raub,

Doch will er nicht den Tod, er will die Kraft;

75

Nicht will er einen Frühling welk und taub,

Nein, einen Frühling, welcher treibt im Saft.

 

Aus der Latiner alten Mauern soll

Dem Kriegsgott eine neue Pflanzung gehn;

Aus diesem Lenz, innkräft'ger Keime voll,

80

Wird eine große Zukunft ihm erstehn.

 

Drum wähle jeder Jüngling sich die Braut,

Mit Blumen sind die Locken schon bekränzt,

Die Jungfrau folge dem, dem sie vertraut;

So zieht dahin, wo euer Stern erglänzt!

 

85

Die Körner, deren Halme jetzt noch grün,

Sie nehmet mit zur Aussaat in der Fern,

Und von den Bäumen, welche jetzt noch blühn,

Bewahret euch den Schößling und den Kern!

 

Der junge Stier pflüg euer Neubruchland,

90

Auf eure Weiden führt das muntre Lamm,

Das rasche Füllen spring an eurer Hand,

Für künft'ge Schlachten ein gesunder Stamm!

 

Denn Schlacht und Sturm ist euch vorausgezeigt,

Das ist ja dieses starken Gottes Recht,

95

Der selbst in eure Mitte niedersteigt,

Zu zeugen eurer Könige Geschlecht.

 

In eurem Tempel haften wird sein Speer,

Da schlagen ihn die Feldherrn schütternd an,

Wann sie ausfahren über Land und Meer

100

Und um den Erdkreis ziehn die Siegesbahn.

 

Ihr habt vernommen, was dem Gott gefällt,

Geht hin, bereitet euch, gehorchet still!

Ihr seid das Saatkorn einer neuen Welt;

Das ist der Weihefrühling, den er will.»