BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Uhland

1787 – 1862

 

Das Standrecht in Baden

 

1849

 

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Die Auflehnungen der öffentlichen Meinung gegen das rastlos fortarbeitende Blutgericht in Baden sind nicht bloß Ausdruck des na­türlichen Gefühls oder der politischen Parteiung, es steht ihnen das strenge, tief verletzte Rechtsbewußtsein zur Seite. Wohl hätte sich erwarten lassen, daß im rechtsgelehrten Deutschland gerade dieser Standpunkt nachdrücklicher, entschiedener eingenommen würde. Dem Schreiber dieser Zeilen ist nicht bekannt, was nach solcher Seite in Baden selbst durch angesehene Rechtskundige, Volksvertreter, Reichs­tagsabgeordnete, die zu den Grundrechten mitgewirkt haben, öffentlich und mit vollem Gewicht ihres Namens geschehen ist. Wenn die Ge­nossen der besiegten Partei dort ihre Stimme nicht erheben können, wohl auch nur zu ihrem Nachteil erheben würden, so ist jetzt eben die rechte Zeit für das abwehrende Einschreiten der Gemäßigten, Unver­dächtigen, und wenn der Parteiruf verstummen muß, ist es stille Luft für die Schärfe des juristischen Urteils. Aber es handelt sich auch nicht lediglich um eine badische Angelegenheit. Mag die Reichsgewalt zer­fallen, das Vaterland mehr als je zerrissen sein, dennoch ist es eine ge­meinsam deutsche Sache, daß nicht auch die Rechtsbegriffe unterge­hen, daß an keinem einzelnen Orte die Rechtsordnung und mit ihr die deutsche Bildung und Nationalehre zu Boden liege.

Lebhaft hat sich an dieser Angelegenheit Württemberg beteiligt; aber auch hier ist weniger der streng rechtliche Gesichtspunkt festgehalten worden.

Zugunsten derjenigen Württemberger, die in Baden wegen Teilnah­me an dem dortigen Aufstand gefangen und dem standrechtlichen Verfahren ausgesetzt sind, ist die Ansicht und Tätigkeit des würt­tembergischen Ministeriums in folgender Weise kundgeworden. Die allgemeine Rechtsregel, daß den Gerichten des Landes, in welchem ein Verbrechen begangen worden, auch dessen Bestrafung zustehe, gestatte dem Ministerium nicht, die Auslieferung jener Gefangenen zu ver­langen, es könne sich nur dafür verwenden. Es habe darum auch dieselben nicht reklamiert, wohl aber für sie dringend sich verwendet, und es sei Hoffnung vorhanden, daß bei weitem der größere Teil derselben an Württemberg werde ausgeliefert werden. Diese Hoffnung ist bis jetzt nicht in Erfüllung gegangen, und wenn sie auch im bezeichneten Maße sich verwirklicht, so werden doch unter jenem größeren Teile gerade die am meisten Beschwerten und Gefährdeten kaum begriffen sein.

Daß ein Staat nicht in die unabhängige Rechtspflege des andern einschreiten darf, ist ein unbestrittener Rechtssatz. Aber damit ist der vorliegende Fall rechtlich nicht erschöpft. Wenn die Angehörigen eines Staates in dem andern einer gerichtlichen Behandlung unterworfen werden, welche mit der Verfassung und den Gesetzen des letzteren selbst, wie mit den allgemeinen Rechtsnormen, im Widerspruche steht, dann ist nicht bloß eine Verwendung, sondern eine Einsprache, eine Forderung gerechtfertigt und geboten, das Verlangen, daß jene Angehörige nicht anders als in rechtsgiltiger Form untersucht und abgeurteilt werden. Ist es nun mit der badischen Verfassung, mit den badischen Gesetzen, geschweige mit den von Baden verkündeten Grundrechten des deutschen Volkes vereinbar, daß die Strafrechtspflege dieses Landes einseitig von der Regierung – ein wohl niemals erhörter Fall – der Militärgewalt eines andern Landes überantwortet ist? daß die Standrechte fortdauern und von Monat zu Monat, als wären es die gleichgiltigsten Fristerstreckungen, erneuert werden, nachdem die Grundbedingungen jeder Standrechtsbestellung, Kriegsgefahr, Aufruhr, so augenscheinlich beseitigt sind, daß der größere Teil eingerückten Heeres zurückgezogen werden konnte? oder wäre das ein Rechtsgrund für das Fortleben der Standgerichte, daß nur mittelst ihrer diejenigen die alle getroffen werden sollen, mit der Todesstrafe getroffen werden könne? Wenn das württembergische Ministerium, wie nicht zu zweifeln, sich diese Fragen verneint, so wird es für sein Recht und seine Aufgabe erkennen, neben der Verwendung, sei es auch ohne bestimmte Aussicht auf Erfolg, einsprechend und verlangend aufzutreten. Es haftet Gefahr auf dem Verzuge.