BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

____________________________________________________

 

 

 

„Ich sterbe für den Sowjetstern“.

 

Die Tage bis zu meiner Überführung in das Konzentrationslager Dachau waren sehr „abwechslungsreich“, es war ein ständiges Kommen und Gehen, denn außer dem alten Genossen Karl Hans, von Allach, einem Genossen aus Dachau, den sechs Reichsbannerleuten und mir waren die meisten Häftlinge nur einen oder zwei Tage in unserer Zelle. Entweder wurde der eine oder der andere wieder entlassen oder kam in eine andere Zelle oder in ein anderes Gefängnis (Stadelheim – Neudeck – Kornelius) oder direkt nach Dachau. Neben den eingelieferten Funktionären der KPD, des KJVD und anderer Organisationen waren die meisten Verhafteten, das heißt neu Eingelieferten, Mitglieder der Kommunistischen Partei und Jugend. Viele Jugendgenossen fielen wegen Verkaufs der „Neuen Zeitung“ 1) und wegen Flugblattverteilung den Mordbanditen in die Hände. Diese Genossen waren nicht nur aktiv, solange sie in Freiheit waren, sie waren nicht weniger tapfer, als sie wegen ihrer revolutionären Tätigkeit gefoltert und mit dem Tode bedroht wurden. Leider ist es nicht möglich, all die Proleten namentlich anzuführen, die nicht nur nicht schwankend wurden, sondern einen wahren Heroismus an den Tag legten. Ein Beispiel hierfür: Von der Ortsgruppe Tutzing bei München wurde eine ganze Anzahl Genossen verhaftet, darunter mehrere Jugendgenossen. Wie die meisten Verhafteten wurden auch sie in die Folterkammer geführt und bekamen vorerst „nur“ 10 Schläge mit dem Gummiknüppel auf das Gesäß. Dann wurde der eine gefragt: „Bist du noch für den Kommunismus?“ Worauf der Jugendgenosse antwortete: „Ich müßte eine schwache Gesinnung haben, wenn ich diese wegen der 10 Gummiknüppelschläge verleugnen würde.“ Das reizte natürlich die braunen Mörder, und sie schlugen den Genossen fürchterlich. Wieder die Frage: „Bist' noch für den Kommunismus?“ „Und wenn ihr mich totschlagt – ich sterbe für den Sowjetstern!“ war seine Antwort. Darauf prügelten die Bestien solange auf dem Körper des Genossen herum, bis ihm das Fleisch in Fetzen vom Gesäß hing. Mit einer dicken Watteauflage wurde der Genosse in die Zelle hineingeschleppt. Als das die anderen Zelleninsassen sahen, steigerte sich noch der Haß bei den Gefangenen. Nur ein älterer Genosse ging in eine Ecke und ... weinte ...

Ein Dutzend solcher Beispiele könnte ich anführen. Das ist eines der Beispiele des wahren Heldentums der Kommunisten in den Kasematten des „Dritten Reiches“.

Ich war acht Tage im Gefängnis der Polizei, und in dieser Zeit zeigten viele Genossen ihre geschundenen Körper, und jeder glaubte, es müßte den Henkern doch selbst überdrüssig werden, dutzendmal am Tage auf den Leibern von Menschen herumzuschlagen! Aber schon wurde wieder die Zelle 13 aufgerissen, und mit schleifenden Füßen kam der Genosse Horn, ein Funktionär des Einheitsverbandes der Bauarbeiter, in die Zelle. Er brauchte kein Wort zu sagen, es wagte auch keiner zu fragen – es war ja allen klar: er war in der Kammer gewesen. In den Mundwinkeln Blut, der linke Handrücken dick angeschwollen. Er fiel auf die Holzpritsche und stöhnte. Nach einer Weile wurde die Totenstille der Zelle durchbrochen. Horn hatte sich auf den rechten Arm gestützt und aufgerafft, und dann musterte er die anwesenden Insassen. Als er mich sah, dachte er wohl im Augenblick gar nicht mehr an seine eigenen Schmerzen. Er war voller Freude, daß ich noch am Leben war, was die Parteigenossen und die Arbeiter – wie auch er vorher – bezweifelten. Er bat uns, ihm die Jacke auszuziehen, denn er selbst war dazu nicht in der Lage. „Langsam – langsam“, sagte er, denn die Schmerzen waren sichtlich groß. Nun löste er die Hosenträger, ließ die Hose herunter, und – das Hemd war hochgestreift – es war zum Aufschreien: der ganze Körper vom Fußgelenk bis zum Nacken eine blutige Masse. Diese neuen Spuren faschistischer Folterungen zeigten den Genossen, daß ich Recht hatte, als ich sagte: „Wir müssen noch auf viel schlimmere Dinge gefaßt sein – denkt an Bulgarien, an Ungarn, an Polen und Italien.“ Trotz alledem war die Stimmung unter den Gefangenen – mit wenig Ausnahmen – eine gute. Sie wurde nur immer wieder durch neue Scheußlichkeiten der braunen Armee getrübt.

Inzwischen waren zehn Tage vergangen, und mir fiel es auf, daß ich wie einige andere Genossen so lange im Polizeigefängnis verblieb, während doch der größte Teil immer nach einigen Tagen wegkam. Nun war es schließlich gleich, in welchem faschistischen Loch man gefoltert wird. Verschiedene Versuche, mit der Außenwelt in Verbindung zu kommen, blieben ziemlich lange ergebnislos. Wir mußten uns darauf beschränken, durch neu hinzukommende Freunde zu erfahren, was draußen vorging. So war ich einigermaßen überrascht, als mir am 22.April ein etwas älterer SS-Mann, offensichtlich ein Prolet, während der Offenhaltung der Zellentür bei der „Reinigung“ der Zelle mitteilte, daß es der Bande nicht genügte, daß sie mich in ihre bluttriefenden Hände bekommen hat, sondern daß sie auch noch meine Frau ins Gefängnis geworfen haben, wie sie ja auch alle anderen Frauen der führenden Funktionäre verhafteten. Nur solche Frauen konnten damit rechnen, wieder freigelassen zu werden, deren Männer, wie Dressel, Hausmann und andere, ermordet waren. Während sich die ebenfalls verhaftete Frau des Genossen Knödler aus Pasing im Gefängnis Stadelheim erhängte, sitzen alle übrigen Frauen, einschließlich meiner Frau, bis auf den heutigen Tag, und wer weiß, wie lange sie noch sitzen werden.

 

――――――――

 

1) Organ der KPD Bayerns – d. Red.