BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

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Der Strick immer noch unbenutzt?“

 

Der andere Tag begann mit Stoßen und Beschimpfen. Steinbren­ner, der Mörder, hatte erst seine Genugtuung, wenn er mindestens ein paar Schimpfworte in die Zelle schreien konnte, meistens gingen ein paar Schläge voraus. Am Tage der Einlieferung brachten sie mir schon eine Schüssel mit Löffel und Messer, aber weder Wasser noch Brot. Man gab mir Seife und Handtuch, aber kein Wasser zum Waschen. Gegen elf Uhr wurde es wieder lebendig vor der Tür, und man mußte wieder auf Prügel gefaßt sein. Doch sie kamen nicht zu mir, sondern zu Hunglinger. Aufs neue eine wüste Schlägerei. Es war einfach entsetzlich, jeden Schlag mitanzuhören. „Der reicht“, sagte einer, als sie sich vor den Zellen unterhielten und lachten. Ich war auch überzeugt, daß es „gereicht“ hat.

Schon am Nachmittag kam die „Kommission“, bestehend aus dem Bezirksarzt, einem Gerichtsschreiber und den zwei Gendarmen von Dachau, um die Todesursache des Majors Hunglinger festzustellen, denn er hatte sich erhängt. Anscheinend hatte die Kommission sogar den Mut zu fragen, woher denn H. den Strick hatte, denn schon kurz nach Weggang der Kommission kam Steinbrenner, der Mörder, in meine Zelle, und ich mußte „meinen“ Strick von dem Wasserleitungsrohr herunternehmen und am Gitter des Fensters festmachen, die Holzpritsche aufstellen und mit dem anderen Ende des Strickes festbinden, damit, wie er ironisch bemerkte, „die Bettstelle nicht umfällt“. Ich bin überzeugt, daß man der Kommission gesagt hat, daß der von Hunglinger benützte Strick dem gleichen Zweck dienen sollte. Andererseits sollte natürlich der Strick auch in meiner Zelle bleiben, im Falle ich doch „irgendwelche Zweifel“ bekommen sollte. Jetzt waren nur noch ich und Sepp Götz im Arrest, um so mehr hatten wir auszuhalten. Frühmorgens schon ging es los. Hatte ich bei der Meldung nicht ganz genau „die Finger lang“ genommen, dann wurde mir das durch Schlagen auf die Finger beigebracht. Zehn-, fünfzehnmal wurde die Zelle am Tage aufgerissen.

„Der Strick ist immer noch unbenutzt?“ „Bin nur neugierig, wie lange du dich noch zur Stelle meldest“ „Du bist doch eine ganz feige Sau; wenn du einen Charakter hättest, dann hättest du auch den Mut, Schluß zu machen“.

Diese und eine Fülle anderer Gemeinheiten hatte ich jeden Tag ein paarmal zu hören. So vergingen vier Tage, jeden Tag das gleiche.

Am Abend des vierten Tages kam, wie auch die vorhergegangenen Tage, der „Sturmführer“ und fragte mich im Tone, den man gewöhnt ist, wenn sich Freunde gegenseitig erkundigen, wie es geht: „Na, Beimler, wie geht's? Hast' eine Beschwerde oder einen Wunsch?“ Beschwerde beim Führer der Foltergruppe hieße den Teufel bei seiner Großmutter verklagen. „Einen Wunsch hätte ich“, gab ich ihm zur Antwort. „Ja, was wünschst du?“

„Ich bin nun schon vier Tage da und habe bis zur Stunde weder Wasser noch Brot bekommen. Ich weiß nicht, ob hier mit der Durchführung der Anordnung ‚strenger Arrest‘ auch vollkommener Kostentzug verbunden ist. Außerdem habe ich noch keine Möglichkeit gehabt, mich zu waschen.“

„Jaa!! Bekommt denn der nichts zu essen?“ fragte er den Mörder Steinbrenner. „Ja, heute bekommt er etwas“, war dessen Antwort. Kurz darauf bekam ich eine Scheibe Schwarzwurst und ein Stück Brot und eine Schüssel warmen Tee. Auch dem Genossen Götz gab man gnädigerweise dasselbe. Ich nehme vorweg: der Tee war das erste und das letzte warme Essen, was ich in den 14 Tagen in Dachau bekommen habe.