BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

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„Vergesst nur den Rahm nicht!“

 

Zu meiner größten Bestürzung wurden mit dem gleichen Transport die Genossen Fritz Dressel, Landtagsabgeordneter, Max Holy, Bezirkssekretär der Roten Hilfe, und Josef Hirsch, Stadtrat von München, nach Dachau gebracht. Bestürzt war ich deshalb, weil ich ja schon wußte, daß die Mordgesellen von Dachau nicht nur ein Freudengeschrei anstimmen werden, wenn mit einem Schlag vier bekannte Funktionäre in ihre Mörderhände kommen, sondern auch Anlaß nehmen werden, ihre schrecklichen Quälereien aufs neue fortzuführen.

Soweit es überhaupt möglich war, miteinander zu sprechen, verständigten wir uns kurz. Max Holy erzählte mir, daß er bereits in Salzburg gewesen sei, aber dort verhaftet und von der Polizei an die Grenze gebracht und der SA beziehungsweise SS in die Hand gespielt wurde. In München wurde er ins Gewerkschaftshaus geschleppt und fürchterlich geschlagen.

Fritz Dressel und Hirsch wurden zusammen verhaftet und ebenfalls im Gewerkschaftshaus an der Pestalozzistraße mit dem Gummiknüppel auf den nackten Körper geschlagen. Wieder waren es etwa 25 Gefangene, die nach Dachau gebracht wurden. Ich wußte, was es bedeutete, als schon in der Polizei von einem sogenannten Sturmführer eine unglaubliche Hetze unter den SS-Leuten gegen uns entfaltet wurde. „Gebt nur auf den Beimler Obacht“, brüllte er in den Wagen. „Haut ihn nur gleich auf die Schnauze, wenn er sich rührt, der Judenknecht hat in der Zelle die Internationale gesungen.“

„Wo ist denn der Dressel? Der Lump, der hat mir ins Gesicht gespuckt.“

„Vergeßt nur den Rahm nicht, der Lausbub hat einen SS-Mann geschlagen“, geiferte er weiter.

„Deswegen fahren wir ja mit!“ riefen gleich drei im Wagen sitzende Verbrechergestalten in den Mörderuniformen.

Das Transportauto hatte in Dachau kaum gehalten, da rissen die drei mitgefahrenen Bestien den zwanzig Jahre alten Jugendgenossen Rahm aus dem Wagen, schlugen auf ihn ein, bis sie ihn dann buchstäblich in den Dreck traten und mit den Stiefeln auf dem aus Mund und Nase blutenden Genossen herumtrampelten. Der Kommandant stand mit seinem „Stab“ daneben und ließ sich seine Zigarette schmecken.

Holy meinte: „Geht's da immer so zu?“ – „Ja, Max“, sagte ich, „hier sind wir ausgeliefert.“

Da es an diesem Tage, wie schon die vorhergegangenen, sehr heftig regnete, mußten wir uns in einer Halle aufstellen. Die Stichworte waren schon gegeben, so ordnete der Kommandant gleich an: „Beimler, mein Freund, 14 Tage strengen Arrest. Dressel, damit er keinen SS-Mann mehr anspuckt, 5 Tage, Hirsch, damit er Zeit bekommt, über seine Hetzereien im Stadtrat gegen die nationalsozialistische Fraktion nachzudenken, 3 Tage, Rahm 5 Tage.“

Sofort wurden wir vier abgeführt und nach Durchsuchung in die Folterbaracke gebracht.

Mehrere Tage hatte es stark geregnet; so hatten die Henker eine besondere Freude daran, uns vier durch die größten Dreck- und Wasserlöcher zu jagen; das Wasser stand uns manchmal bis an die Knöchel. Dressel und mich warfen sie in die „alte“ Zelle 3, in der ich schon früher war, bevor ich ins Krankenhaus kam. Götz lag noch immer in Nummer 2, Hirsch in der Zelle 1, in der sich Hunglinger erhängt hatte, und Rahm in Nummer 4. Nach ungefähr einer halben Stunde erschien schon die Schlägerkolonne mit Steinbrenner, dem Mörder, an der Spitze, die Ochsenfiesel schwingend. Mit den Worten: „Was, du Sauhund hast einen SS-Mann angespuckt“, wandte sich Steinbrenner an Dressel und schlug ihn ein paarmal über den Kopf. Als er sich genügend in Wut geschimpft hatte und auch seine Gehilfen Eifer bekamen, mußte sich Dressel vollkommen ausziehen, wurde über die Holzpritsche geworfen und dann in bestialischer Weise von der Fußsohle bis zum Scheitel auf den nackten Körper geschlagen. Ich mußte zusehen, und sie hörten und hörten nicht auf. Jeder Schlag, den sie führten, schmerzte mich mehr, als wenn ich an Dressels Stelle gewesen wäre. Endlich hören sie auf, dachte ich mir, wohl wissend, daß ich jetzt an die Reihe kommen werde.

„Und du, feige Sau, kommst jetzt dran. Wir werden dir schon dein Simulantentum austreiben. Ausziehen!“ Dasselbe wie bei Dressel. Von uns gingen sie weg, und schon nach wenigen Minuten hörten wir den Mörder schreien: „Was, du Rotzlöffel, du Lausbub – du hast einen SS-Mann geschlagen?“ Und wieder das unmenschliche Foltern. Es war einfach nicht zum Anhören, das Platschen der langen Ochsenziemer auf den nackten Körper. Fritz Dressel hielt sich die Ohren zu, ihm gings ebenso. Nun kam Hirsch an die Reihe – ich kann nur sagen: dasselbe, immer dasselbe. Als die Verbrecher ihr Werk getan hatten, kam der Verwalter Vogel und machte Visite. Von uns ging er zu Rahm.

„Warum ist der junge Kerl da?“ fragte er, und Steinbrenner antwortete prompt: „Der hat einen SS-Mann geschlagen.“ Daraufhin fragte Vogel den Genossen Rahm, warum er den SS-Mann geschlagen habe. Wir hörten das alles sehr gut. Der Genosse erzählte, daß er gestern von der SS in der Polizei geschlagen worden wäre und er mit den Füßen gestoßen und dabei einen SS-Mann gestreift habe. Darauf sagte Vogel wörtlich: „Ja, das glaub' ich schon eher, als daß dieser junge Kerl einen SS-Mann geschlagen hätte. Von Schlagen kann doch da keine Rede sein; ich würde mich genauso wehren, wenn ich geschlagen würde.“ Jetzt, da die Bestien den jungen Genossen so bestialisch gefoltert und seinen Körper so gräßlich zugerichtet hatten, jetzt konnte Rahm zu den Gefangenen ins Lager gehen.

Durch die „Amnestierung“ Rahms wurde die Zelle frei. Dressel kam hinein.