BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Irmgard Bock

* 1937

 

Religion und Politik - ein Versuch

 

2007/2021

 

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3. Staat und Kirche(n) bzw. Religionsgemeinschaften

 

Wir gehen heute von einer weitgehenden Trennung von Kirche(n) und Staat aus. Viele meinen, die religiöse und die politische Praxis seien streng voneinander zu trennen. Dabei wird aber häufig übersehen, dass die politische Praxis verantwortete ethische Vorstellungen als Grundlage hat, die der Religion oder besser dem Christentum ent­stammen – die gesamte Sozialpolitik beruht z, B. darauf –, und dass die religiöse Praxis einen Freiraum von der politischen eingeräumt bekommen muss, der ihre Entfaltung garantiert. 1)

Das Verhältnis von Staat und Kirche(n) ist also zu regeln, d.h. religiöse und politische Praxis müssen zusammengeführt werden. Dass das Verhältnis nicht immer unprob­lematisch ist, kann am Beispiel der Auseinandersetzung zwischen Papsttum und Kaisertum im Mittelalter mit dem Vatikanstaat als Relikt oder an der Reformation sehr einleuchtend gezeigt werden. Es gibt unüberbrückbare Gegensätze, wie in den bolschewistisch regierten Ländern, aber auch Allianzen. Luthers Frage, wie ein gnädiger Gott gewonnen werden könne, führte letztlich zu politischen Konsequenzen bis hin zum 30jährigen Krieg und zu einem Staatskirchentum, wie es heute z.B. noch wenigstens symbolisch in Großbritannien und den skandinavischen Staaten besteht. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus wurde auch von den christlichen Kirchen getragen, und dass die Rolle von Pius XII. in dieser Zeit immer wieder diskutiert wird, zeigt, dass von den Kirchen erwartet wird, dass sie die ethischen Zielsetzungen verteidigen, wenn der Staat Gemeinwohl und Gerechtigkeit nicht mehr zu seinen Prinzipien macht.

Aber von solchen Extremen abgesehen, ist festzuhalten, dass Staat und Kirche(n) häufig gemeinsame Interessen haben. Sic schließen Verträge miteinander, wie die Konkordate mit der katholischen Kirche oder die in ihrer Bedeutung vergleichbaren Kirchenverträge mit der evangelischen, die auch den Einzelnen binden, belegen.

 

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1) Verfolgungen religiöser Gemeinschaften schlagen auf die politische Praxis zurück, die sich damit als diktatorisch entlarvt; das Vorherrschen religiöser Praxis korrumpiert die politische, wie der Einfluss fundamentalistischer Strömungen z.B. im Nahen Osten zeigt.