BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Carry Brachvogel

1864 - 1942

 

Der Erntetag und Anderes

 

1897

 

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Der Erntetag.

 

Ein schwälend heißer Augusttag war's. In dampfenden Streifen fiel das Sonnenlicht vom hartblauen Himmel. Tintig hoben sich die sanftbewaldeten Vorberge vom klaren Firmamente ab. Die Felsschroffen hinter ihnen leuchteten wie von innerem Feuer. Alles ringsum glitzerte, daß Einem die Augen wehe thaten von Flimmer, Glast und Pracht. – –

Es war ein so reiches Getreidejahr, wie man lange keins mehr gesehen. In schweren Büscheln lagen die fahlgelben Ähren auf der Erde, gleich Legionen besiegter, weinender Frauen. Schnitter und Schnitterinnen schafften seit dem ersten Tagesgrauen. Lustig sahen der Dirnen rote und blaue Röcke aus, in dem gelben Korn. Metallisch klirrend fuhren die spiegelblanken Sicheln durch den rauschenden Reichtum. Ringsum nichts zu hören als dies hartmelodische Gedengele. Und je höher die Sonne stieg, um so verbissener arbeiteten die Menschen. Von den braunen Gesichtern rann der Schweiß, die Adern der harten Arme klopften zum Zerspringen, die rauhen Leinenhemden klebten feucht auf der heißen Haut … Aber keine Ruh' und keine Rast. Unablässig halfen [4] sie den reich-gebärenden Mutterschooß von der goldenen Frucht zu erlösen – –

Mitten unter den Mägden, durch nichts von ihnen zu unterscheiden als durch die Gestalt, welche sie Alle um Haupteslänge überragte, arbeitete die Bäuerin. Sie trug ein Zwillichhemde und einen dunklen Rock, das Haar unter einem gelben Kopftuch verborgen. Sie war nicht mehr jung, wohl schon über funfzig; bei Bauern zählt das anders als bei Stadtleuten. Aber die mächtige Gestalt trug die Doppellast der Jahre und des Lebens ungebeugt. Sie war knochig und sehnig, das Gesicht beinahe noch schön. Es wies feste Züge; die grauen Augen unter den dichten Brauen sprachen von Verstand … vielleicht auch nur von Verschlagenheit und Härte … die Bäuerin war auch hart, mußte es sein. Der Bauer war nicht der Mann, neben dem eine Wachspuppe hätte bestehen können. Arbeiten – Schweigen – Gehorchen – und dann noch einmal arbeiten – etwas anderes gab's nicht für die Frau an seiner Seite. Von jeher war das so gewesen. Arbeit, Arbeit, Arbeit! Als junger Bursche hatte er's schon so gehalten. Freite drum auch keine reiche Tochter, die vielleicht auf ihr Geld gepocht, ihm den Gehorsam geweigert hätte … Nein ! die ärmste Magd des Dorfes nahm er sich zur Frau. – Die Dirne nahm ihn, weil's für sie ein Glück war, daß sie überhaupt einen Bewerber fand. Eine aussichtslose Liebschaft mit einem armen, ver lumpten [5] Knecht, hatte ihre idealen Forderungen an das Leben erfüllt. Sie wußte, daß es für sie nur noch Arbeit, Geburten, vielleicht auch Prügel gab. Mit echtem Bauernstoicismus fand sie sich in ihr Schicksal und sagte dem Werber „Ja.“

Vom ersten Tag ihrer Ehe an begann die Arbeit und das Sparen. Es fiel der jungen Bäuerin nicht schwer – im Vergleich mit früher hatte sie's immer noch gut. Nur eins kam sie bald hart an: auf ihrem Fleiße ruhte kein Segen. Der Bauer hatte den kleinen. Hof schier verwirtschaftet übernommen. Und trotz aller Arbeit, trotz aller Sparsamkeit war kein rechtes Vorwärtskommen. Der Bauer wenigstens sagte es. Die Bäuerin, die wohl zu schaffen, nicht aber zu rechnen verstand, glaubte ihm aufs Wort. Sie begriff es zwar nicht – doch die Zeiten blieben immer gleich schlecht. Der Bauer jammerte jahraus, jahrein, daß man von der Hand in den Mund leben, ja wohl demnächst eine Hypothek auf den Hof aufnehmen müße … Machte auch schon oft und öfters Fahrten nach der Stadt, über die ihn die Bäuerin gar nicht erst zu fragen wagte. – –

Doch schweigend verdoppelte, verdreifachte sie ihre Arbeit. Noch vor den Mägden war sie auf, legte sich lange nach ihnen erst ins Bett. Die ganze Woche über kam kein Fleisch auf den Tisch; die junge Bäuerin ging in verwaschenen Fetzen, armselig einher … der Bauer that's ihr nach. Er arbeitete und rackerte sich von früh bis spät. [6] Kaum, daß er einmal eine Stunde ins Wirtshaus ging, sich für ein paar Pfennige Tabak kaufte … Arbeit – Sparen, Sparen – Arbeit, so und nur so tickte der beiden Menschen Lebensuhr …

Den Bauern kam's leicht an. Er war ein unfroher, mürrischer Mann, für den das Leben nie sonderlich viele Reize gehabt hatte. Der Bäuerin fiel's zuweilen schwerer. Sie war ja doch von Allen beneidet worden, um das Glück von der Mägdestube ins Ehebett zu kommen … Nun durfte, sie sich gar nicht als Frau aufspielen und zeigen. Sie war jung. Ihr Herz begehrte Manches, was ein junges Herz erfreut: eine lustige Kirchweih … eine seidene Schürze … ein Glas Met … Doch schon den allerersten Wunsch schlug ihr der Bauer ab. Böhmische Hausierer boten unter anderen Waaren einen Krug aus Rubinglas feil. An dem hingen die Augen der Bäuerin wie gebannt. Als sie ihn nicht bekam, weinte sie – heimlich, denn der Bauer hätt's nicht merken dürfen … Es blieben nicht die einzigen Thränen. Er behandelte sie nicht schlecht – doch niemals durfte sie ihn um Geld bitten. That sie's, dann gab's Streit und Flüche ohne Ende. „Ob sie ihn denn völlig zu Grunde richten wolle? Ob er's aus sich herausschneiden könne? habe sie dummes Weibsbild denn keine Augen im Kopf, um zu sehen, wie schlecht es ihnen so schon ginge? Was maulte sie da von einer guten Ernte?! Jawohl!! Und [7] der Reps voriges Jahr, der mißraten war?! Und das Grünfutter, das ihnen noch ungemäht auf den Wiesen verfaulte?! Und die Kuh, die im Frühjahr krepiert war?! Kreuzelement! Wer schaffte es her? Er oder sie?“

Die Bäuerin sah blöde auf ihre arbeitsharten Hände und schwieg. So wollte er's. Schweigend trotteten sie weiter nebeneinander – arme Hunde, die's doch zu nichts brachten …

Nach mehreren Jahren ward die Bäuerin guter Hoffnung. Der Bauer freute sich just nicht übermäßig, aber er hatte wenigstens nichts dagegen einzuwenden. In gewissem Sinne durfte sich die Bäuerin sogar schonen. Sie zog nicht mehr immer mit aufs Feld, sondern saß daheim und nähte an der kleinen Aussteuer. Langsam ging's damit, denn solche Arbeit verstand sie schlecht. Gern hätt' sie sich die Näherurschel dazu geholt. Aber der Bauer hatte gleich bös' aufbegehrt. „Sie sei's wohl gewöhnt andere Leut' für sich arbeiten zu lassen? Natürlich, eine Stalldirne wird's schon so haben müssen! Ob sie etwa glaubte daß er's Geld stehle?! Und der Reps vom vorigen Jahr, das verfaulte Grünfutter, die krepierte Kuh!! …

Die Bäuerin entgegnete nichts. Sie hatte sich längst daran gewöhnt hinter allen andern Weibern zurückzustehen. Aber wenn sie an das Kind dachte, das sie unterm Herzen trug, so wurde sie traurig – –

Ein Bub' kam zur Welt. Der Bauer war's [8] zufrieden. Es gab eine recht anständige Taufe – dann ging das Leben wieder weiter wie vorher. Arbeit – Sparen, Sparen – Arbeit … Doch die Bäuerin trug es schwerer als früher. Daß sie auch an dem Buben sparen sollte, drückte ihr fast das Herz ab. Wenn sie ihn ansah, in seinen verflickten Höschen, mit seinen verschossenen Hosenträgern, barfuß, mit ein paar Steinen spielend oder mit altem Gerümpel, so hätt' sie am liebsten laut hinausgeschrieen … Alles was in ihr war an Liebe und Zärtlichkeit und Lebenslust, verkörperte sich ihr in dem Kinde. Auch der Bauer war seinem Buben gut. Doch hielt er's mit ihm, wie mit der Mutter: Alles – nur kein Geld. Um jedes Paar Schuhchen mußte die Bäuerin tagelang betteln. Das ärmste Häuslerkind hatte kein armseligeres Weihnachten als der kleine Christian. Später, als er zur Schule mußte, gab's Prügel sobald er ein neues Buch brauchte, ein Heft, ein paar Griffel … Diese Schuljahre wurden der Bäuerin zur Qual. Was sie ausstand, ob der Bub nicht vor Angst schon weinend, heimkäme:

„Vata, mir brauch'n an Katechismus –“ oder, „a' Lesebuch –“

Wenn sie's denn mit ansehen mußte, wie der Bauer ihn packte und auf das jammernde Kind losbläute … Das Herz im Leibe drehte sich ihr um. Und wie schlecht mußt's wirklich mit ihnen stehen, daß der Bauer dem einzigen Kind so Alles und Alles versagte! [9]

Und sie arbeitete und arbeitete. Betete auch dazwischen, daß der Herr doch endlich auch ihrer Arbeit seinen Segen geben möchte … doch des Bauers Gesicht blieb unfroh und mürrisch. Nach wie vor kein Weiterkommen … und immer das Schreckgespenst der Hypothek. – –

Die Jahre vergingen. Die Bäuerin war schier stumpf geworden im harten, vergeblichen Kampf mit dem Leben. Nur wenn sie ihren Buben ansah, ging ihr das Herz auf. Er war ein schöner Bursch' geworden; groß wie die Mutter, braun, sehnig … Die Mädeln renkten sich die Hälse nach ihm aus. Er war immer lustig, sang und pfiff den ganzen Tag, trotzdem er's, weiß Gott, nicht nötig hatte. Denn der Bauer hielt ihn in ebenso strenger Zucht, wie einst die Mutter. Arbeit – Sparen, Sparen – Arbeit – –

Ein paar Jahre that's gut. Der Christel arbeitete wie der böse Feind und ging immer mit leeren Taschen spazieren, weil ihm der Alte kein Geld gab. Allmälig ward's aber dann anders. Der Bursch' wollte nicht mehr parieren, fing an aufzumucken … sich zu widersetzen … Ließ ihn der Vater hart an, so klang's noch härter zurück. Dem Bauern juckten da wohl oft die Fäuste, doch er gab sich nicht nach. Nicht aus Schonung für den erwachsenen Sohn beherrschte er sich, sondern aus instinktiver Furcht vor dem kräftigen Menschen mit den funkelnden Augen – –

Tag für Tag fast kam es zum Streit zwischen [10] den Männern. Der Junge wollte nicht mehr arbeiten wie ein Knecht. Er wollte Geld – Geld. – Er wollte trinken und zum Tanz gehen wie die anderen Burschen auch. Und seiner Liebsten ein seidenes Brusttuch kaufen …

Der Bäuerin stand der Verstand still ob seines Mutes und ob seiner Ansprüche. Sie selbst war ja längst zum Lasttier gesunken, das willig Entbehrung und Not ertrug. Drum verstand sie ihren Buben zuerst gar nicht. Sie hütete sich indeß wohl dreinzureden, wenn die Männer stritten. Es hätte ihr doch nur jeder eine Grobheit an den Kopf geworfen – auch der Bub', obschon er an der Mutter hing. Aber Weibsleute hatten das Maul zu halten ,wenn Mannsbilder redeten …

Der alte Bauer keuchte vor Wut. Aber der Christel war nicht mehr das verängstigte Kind von ehedem. Er fürchtete den Vater nimmer. Er schlug mit der Faust in den Tisch hinein, daß alles in der Stube zitterte: „Kreuzsackra! Moanst ebba i' wollt' mei' Lebta lang wia a Hallodri 'rumla'fn? Al Geld will i' ho'bn für'n Kirta –“

Der Alte kicherte höhnisch.

„Kirta?! Wos host du am Kirta z'toan? Bin i ebba a Mol am Kirta g'wen?! Ha Alte?“

„Na, na! Der Vota is nia am Kirta g'wen!“

„Dumm, g'nua!“ gab der Junge zurück.

„Mach, daß' d' im Stall hinteri kummst!“ [11] schrie der Alte. „Schaug' nach die Rößer – sell is g'scheiter wia a Kirta!“

Wieder flog die junge Faust auf den Tisch. „Der Deixel soll euch allemitanand' lotweis' holen! … Am Kirta will i, so guat wia der Moser Franzel und der Gröbener Jackel!“

Der Bäuerin brachen die Kniee. Sie fand's ja begreiflich, daß der junge, schmucke Bursch zu Tanz und Wein wollte. Aber sich just mit den zweien zu vergleichen! – Die reichsten Bauern- jöhne des Dorfs waren es, die er da genannt – –

Der Alte grinste, daß seine gelben Zahnstumpen sichtbar wurden. Seine Augen glühten wie im Fieber. „Haha! Nobi giebt a 's, g'rad nobi! Der Franzel und der Jackel! San wohl deine Freind'?!“

„Ja, san meine Freind'.“

„Na, da soll'n 's dir a doan Kirta zahl'n!“

Und er wollte das alte Jammerlied anheben vom mißratenen Reps und vom verfaulten Grünfutter … Aber der Christel unterbrach ihn mit schallendem Hohngelächter. „Herr Vota! Spart 's enka Klöna! Als ob ma' net wißt' daß ihr's kunnt – so guat wia irgend Oaner –“

Der Alte erblaßte. Das Grinsen verschwand. Seine Lippen kniffen sich zusammen, zogen die Nase herunter, daß er aussah wie ein Geier. Sein Blick glühte jetzt in stillem Wahnsinn. Und seine Stimme klang heiser vor Angst und Wut: [12]

„Was redst' daher, Bua Dalketa?! I kunnt 's? I war a reicher Mo'? „Hahaha! Frog' d' Muatter ob mir reich san –“

Dö brauch' i 'net z'frag'n! Dös arm' Lunda woaß eh' nix … Dö host stimma könna, all' ihr Lebtalang – mi nöt! Jed's Kind woaß, daß der Vota net umasunst alle Fingerlang in d' Stadt fahrt –“

„Hallodri elendiger! Schnüffelst ma' nach?!“

„Ja, i schnüffel' Enk nach!“ nickte der Christel.

Er wandte sich zur Bäuerin, die wie versteinert auf der Ofenbank saß. „Muatta – iatzt woaßt es! Dalket gnua daß d' dös Brat'l net früher g'rochen host! … Reich is der Vota – schwar reich! Aber a G'nack is er, an alt's …“

Er griff nach seinem vertragenen, grünen Hütel.

„B'hüt Enk Gott, beianand'! Überleg' das mit 'm Kirta, Vota, sunst –“

„Willst mer ebba droh'n, Hund miserabliger?!“

„Ha! I droh' net ersicht lang –“

„Bua, Bua!“ jammerte die alte Frau dazwischen.

Der Christel war aber mit den letzten Worten auch schon zur Thür draußen.

Schweigend blieben die beiden Alten zurück. Mit großen Schritten stapfte der Bauer in der Stube auf und ab. Warf auch zuweilen einen scheuen Blick nach der Frau, ob sie dem wohl nachhing, [13] was der Bub' da geredet … ob sie 's am Ende gar glaubte …

Sie aber kam gar nicht über das hinaus, was sie soeben erlebt. Was der Sohn da vom vermeintlichen, geheimen Reichtum des Alten gefaselt, war ihr nicht mehr neu. Solch' albernes Gerede lief lange schon im Dorfe um, war von den Mägdestuben her schon zu ihren Ohren gedrungen. Natürlich; die Andern konnten 's ja nicht glauben, daß Zwei ein Leben lang arbeiten und sparen, nur um eine Hypothek abzuhalten – – Dumme Leute, die nichts wußten vom mißratenen Reps, vom verfaulten Grünfutter, von der krepierten Kuh … Meinten, das Geld schneie dem Bauern nur so zum Fenster herein …

Die Bäuerin wußte das Alles besser. Darum dachte sie auch nur: „Der Bua möcht' a Geld, sunst –“

„Der Hallodri!“ brüllte da der Bauer noch einmal auf.

Die Bäuerin nickte.

„Wohl, wohl! Aber bal' d'eahm ebba do a bißel wos –“

Der Bauer erwiderte nichts. Er ging hinaus zu den Rößern. Und kam mit der schweren Peitsche zurück. Grimmig lachend ließ er sie drei- viermal durch die Luft pfeifen – – die Bäuerin rieb sich den Rücken, als spürte sie schon die knallenden Schläge und schlich davon.

Der Christel ging zur Kirchweih: seine Freunde [14] hielten ihn frei. Aber lustig sah er nicht drein, sondern halb zornig, halb beschämt. Jeder Schluck Wein, den ihm die Anderen zahlten, brannten in der Kehle wie Feuer. Als armer Kerl dasitzen müssen, aus Gnad' und Barmherzigkeit freigehalten, während der Alte – –

Er rückte wieder sein verschossenes, grünes Hütel; sah vor sich hin.

Er kam wenig mehr zu Hause. Und wenn er da war, endete der Zank nicht mehr. Statt des einförmigen Tiktaks Arbeit – Sparen, Sparen – Arbeit, scholl jetzt ein einziger schriller Ruf durchs Haus: „Geld …! Geld …! Geld …!“

Dann kam der Bursch' in schlechte Gesellschaft. Er trank und spielte die Nächte durch, keine Dirne war mehr sicher vor ihm. Bald sah er aus zum Erbarmen: abgerissen, verliederlicht, fast wie ein Landstreicher …

Nun durfte er gar nicht mehr nach Hause kommen. Der Bauer verbot ihm das Haus. Und wie sie Alles im Leben schweigend geduldet, so duldete es die Bäuerin auch, daß man ihr das Kind vom Herzen riß. Der Mann wollte es. Stumm beugte sich das Weib seinem Befehl. Und bald war's mit dem Christel zu Ende. An allen Ecken und Enden hatte er Schulden, die Klagen um Alimentation hörten nicht mehr auf, nirgends nahm man ihn mehr zur Arbeit, aus allen Schänken warfen sie ihn hinaus – – Da schwang sich der Bauer zu einem großen [15] Entschluß auf: der Bub' mußte nach Amerika. Der Christel war zwar wiedergekommen, hatte weinend gebettelt, der Vater sollt' ihm nur jetzt ein bißel was geben, daß er in die Stadt könnt' um sich Arbeit zu suchen … Weniger gekostet hätte das ja, als das Billet nach Amerika … Aber der Bauer wußte wohl was er wollte. Die Leute im Dorf sahen ihn jetzt doch scheel an, daß er sein einziges Kind so verkommen und verderben ließ. Drum sollte der Bub' fort, weit fort, wenn's auch mehr Geld kostete … Drüben fragte Keiner dem Jungen, rechnete Keiner dem Alten nach – – Der Bäuerin stand vor Schrecken schier das Herz still. Doch sie sagte nichts. Sie konnt's dem Bauern nachrechnen wie blutsauer es ihm werden mußte, soviel Geld herzugeben. – –

Beim Abschied hing der Christel der Mutter am Halse, als wollt' er sie nicht lassen. Sie weinte, daß es sie schüttelte wie Fieberfrost. Dann stieg der Christel in die Postkutsche und fuhr fort. – Zu Anfang schrieb er ein paar Mal. Es ging ihm nicht gut. Dann hörten die Briefe auf, jahrelang ließ er nichts mehr von sich hören. Endlich war vor ein paar Tagen wieder ein Brief gekommen. Himmelhoch bat er den Vater um Geld – er kam aus dem Hospital und war am Verhungern. Schweigend schloß der Alte den Brief in die Lade – schweigend ging die Bäuerin ihrer Arbeit nach. Mit kräftigem Arm warf sie die Sichel durch die rauschende Feldfrucht – – [16]

Einmal hielt sie einen Augenblick inne. Ein brauner Streif wand sich in greulichen Schlingungen um ihr Gelenk. Eine Natter war's, der sie beim Mähen den Kopf vom Körper geschnitten. In letzten, konvulsivischen Hassesnöten wand sich der blutende Leib um ihren Arm. Der züngelnde Kopf lag noch zwischen dem Getreide. Gleichmütig riß sich die Bäuerin das kalte, zuckende Tier vom Arm. In kraftvollem Bogen schleuderte sie es weit weg, wichte mit der verwaschenen Schürze das stockige Blut von der Sichel … Klirrend flog sie wieder dahin durchs rauschende Feld – –

Langsam verschleierte Dämmerung den heißen Tag. Zuweilen glitt jetzt der Blick der Bäuerin nach der Landstraße hin. Sie erwartete den Bauern, der in die Stadt gefahren war. Eine Aktiengesellschaft wollte die Spur ihrer Lokalbahn über ein Stück von des Bauers Boden führen. Seit Monaten schon handelten sie um den Preis, ohne sich einigen zu können. Die Aktionäre boten ihm natürlich nur ein Sündengeld! Und er – nun er war kein Schacherer, das wußte die Bäuerin … sonst hätten sie's ja auch zu etwas gebracht … Aber gerade abjagen ließ er sich ein bißel Sach' denn doch nicht … heute war der letzte Unter­handlungstermin. Darum wandte sich der Kopf mit dem gelben Tuch öfter als sonst der Straße zu. –

Endlich, es war schon fast Nacht, fuhr der Bauer herein. Die Bäuerin erschrack als sie ihn [17] sah. Sein Gesicht war rot und gedunsen, ein Schritt schwankend. Ein widerlich-freundliches Grinsen lag um seinen Mund. Wie er in die Stube trat, legte er den breitrandigen Hut ungeschickt auf den Tisch, blieb wie angenagelt davor stehen. Dann trat er, in etwas unsicheren Bogen auf seine Frau zu. Mit zittrig-heißen Fingern tätschelte er ihren alten Nacken. Und immer dies Grinsen, das ihm nicht mehr vom Gesichte wich … Seit mehr als einem Vierteljahrhundert war der Bäuerin solche Zärtlichkeit nicht mehr widerfahren. Und jetzt erst begriff sie: der sonst so mäßige Bauer, hatte in der Stadt über den Durst getrunken. – Sie stellte das Abendbrot hin; der Bauer aber schob's zurück. Er mochte nicht essen. Stierte nur immer vor sich hin und lachte dazwischen. Sonst saßen sie nach Feierabend immer noch auf der Bank vor dem Hause. Heut' aber wollt' er nicht. Er blieb am Tisch sitzen, bis das Gesinde schlafen gegangen war, schnupfte und lachte abwechselnd.

„No, Alte!“

„Ha, Vota, wia moanst?“

„Verkaaft ham ma'!“

Sie nickte. Auch über ihr Gesicht flog's jetzt wie Bauerngrinsen.

„Host guat verkaaft?“

Er kicherte in sich hinein. Wort für Wort mußte sie ihm abpreßen, bis es endlich heraus war: [18] er hatte das Grundstück um das Fünffache seines wirklichen Wertes verkauft – –“

Es war Nacht geworden. Durchs Fenster floß in breiten, weichen Streifen mildes Mondlicht. Vor der trüben Öllampe saßen die beiden Bauersleute. Unter dem gelben Kopftuch flammen jetzt zwei Augen in metallischem Glanz. Fiebrig hängen sie an jedem Wort, das sich den Lippen des Bauers entringt …

Stunde um Stunde verging. Heut' war die Frau nicht zu scheu und nicht zu müde zum Reden. Und der mürrische Bauer ließ sich grinsend das kostbare Geheimniß seines Lebens entlocken… Der Wein war ihm zu Kopf gestiegen – mehr aber noch die jauchzende Freude ob des Kaufpreises, den er erzielt. So ward's der Bäuerin nicht gar schwer ihm abzufragen, was sie wissen wollte – –

Mitternacht war's fast als sie sich erhoben. Schwer tappte der Bauer nach der Schlafkammer. Er merkte es nicht, daß ein Weib noch zurückblieb. Er sah nicht den haßerfüllten Blick, den sie ihm nachsandte, der ihn umringelte, wie heute die Natter ihren Arm. – – Ja, endlich hatte auch sie erfahren, was schier das ganze Dorf längst gewußt: der Bauer war wirklich ein steinreicher Mann. Nicht umsonst hatte jahraus, jahrein die Lebensuhr getickt „Arbeit – Sparen, Sparen – Arbeit“… Reps Grünfutter und Kuh – Vorwände waren es gewesen um dem Weib immer härtere Arbeit und Entbehrung [19] aufzuerlegen, Vorwände hinter denen Keiner seinen vergötterten Reichtum ahnen sollte … Heute zum ersten Mal, hatte er in zwiefachem Rausch verraten, was ihn morgen reuen mußte …

Die Bäuerin dachte nicht erst viel nach. Wie sie dastand und ins Mondlicht starrte fiel ihr so manches ganz von selbst ein. Zuerst das Rubinglas … Nichtigkeit um Nichtigkeit reihte sich daran bis endlich ihr ganzes, freudenarmes Leben öde und leer wieder vor ihr stand …

Dann dachte sie an ihren Buben. Wie er sich um jedes elende Schulbuch hatte abängstigen und abweinen müssen … wie er noch in Herbsteskälten mit blaurot gefrornen Füßlein einherlief, weil der Vater keine Schuhe zahlte … wie er als junger Mensch jede armselige Freude hatte entbehren müssen – – Sie sah ihn wieder mit dem verschossenen, grünen Hütel auf den braunen Locken … Und dann später wie er als Hallodri in Lumpen an ihrem Halse hing und der Alte grinsend zur Abfahrt drängte – –

Zwanzig Jahre lang war sie für ihr Kind am Kreuz gehangen – Heut' bluteten die Wundmale aufs Neue. Und dreißig Jahre lang hatte sie schweigend ertragen, ohne sich aufzulehnen, ohne zu hassen … Von der Kammer her tönten die schweren Atemzüge des Alten. Unheimlich leuchtend hingen die Augen der Bäuerin an der Thür. Sie lauschte … Nichts regte sich im ganzen Haus. Stille [20] blieb's, totenstill. Sie schritt durchs Zimmer; silberweiß wob des Mondes Schimmer um sie her. Festen Schrittes, als gehorchte sie einem Befehle, ging sie zur Bodenkammer. Als sie zurückkam trug sie ihre Sichel in der Hand. Ein Strahl des Mondes zitterte auf ihrem blanken Halbrund … vielleicht war es derselbe, der sich einst im Schwerte der Judith gespiegelt … An der Sichel klebte noch da und dort ein Tropfen vertrockneten Natternblutes. – – 

Sie horchte wieder auf. Alles blieb still. Vorsichtigen doch festen Schrittes verschwand sie in der Kammer. – –

Eine Sekunde später beschien der Mond eine seltsame Gruppe. In buntgewürfelten Kissen lag der Bauer, den Kopf weit über den Bettrand herunterhängend schnarchend, mit schweißiger Stirn, den Mund offen, die eine Hand zur Faust geballt, als hielt' er etwas, davon er nicht lassen wollte … Neben einem Bette hochaufgerichtet die Bäuerin. Ihr Gesicht ist starr wie das einer Toten. Nur die Augen leben – die Augen und die Rechte, welche die Sichel hoch emporhält … Einen Augenblick steht sie so. Dann schwebt die Sichel lautlos, kräftig durch die Luft – –

Des kalten Natternblutes Krusten lösen sich in dem dahin­schießenden heißen Lebensstrom. – – –