BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Carry Brachvogel

1864 - 1942

 

Die große Gauklerin.

Ein Roman aus Venedig

 

1915

 

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[85]

6.

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Seit drei Monaten hieß Elisabeth nun Gräfin Priuli. Diese drei Monate waren dahingegangen wie ein einziger Liebestag, an dem sie kaum je Zeit fand, einen Gedanken zu fassen oder sich selbst anzugehören. Immerfort war Ettore da, wollte bei ihr sein, sie neben sich fühlen, sie an sich reißen. Niemals hätte sie geglaubt, daß für einen Mann Liebe so viel bedeuten, ihn so erfüllen könne, wie Ettore von seiner jungen Eheliebe erfüllt war. Sie mußte lächeln, wenn sie an das deutsche Axiom dachte, das immer noch behaupten will, daß die Liebe für die Frau das Schicksal, für den Mann aber nur eine Episode darstelle. Mußte noch mehr lächeln, wenn sie sich die Gatten ihrer Freundinnen oder gar ihre Brüder in solch anhaltendem Liebestaumel vorstellen wollte, wie Ettore nun seit Wochen und Monaten war. Für ihn gab es jetzt nichts auf der Welt als seine Frau, und alles andere war bloß Szene und Komparserie für ihn und das jauchzende Idyll, das er um sich und um die blonde Frau spann. Er tauchte unter in seiner Empfindung wie ein geschickter Schwimmer in eine azurne Woge, was oberhalb dieser Woge vorging, kümmerte ihn nicht. Wenn Elisabeth zuweilen entzückt und [86] geschmeichelt staunte, daß er nach drei Monaten noch ebenso ungeduldig und leidenschaftlich war wie am Hochzeitstage, dann verstrickte er sie fest in seine Arme und sagte ihr zärtlich, wenn auch mit einer leichten Überlegenheit im Ton:

„Törichtes, kleines Ding! Was wißt Ihr und Eure Männer daheim von Liebe? Was Liebe ist, und wie eine Frau geliebt werden muß, das wißt Ihr in Deutschland nicht, das wissen nur wir im Süden!“

Elisabeth schalt dann wohl scherzhaft über seine Anmaßung und seine Ueberhebung, aber im Innern gab sie ihm recht. Liebe war für den Italiener offenbar etwas ganz anderes als für den Deutschen, das merkte sie nicht nur an Ettore selbst, sondern sie las es auch aus italienischen Romanen, von denen sie trotz Ettores Widerspruch ein paar auf die Reise mitgenommen hatte. Denn ein Restchen heimischer Schwere und Ernsthaftigkeit blieb immer in ihr, und mit diesem Restchen von Schwere und Ernst fand sie mitten in allem Glück doch aus, daß der junge Gatte ihr immer noch recht fremd war. Sie meinte, das läge wohl nur daran, daß sie sich immer noch sprachlich nicht so gut verständigen konnten, als wenn sie aus dem gleichen Land gewesen wären, und darum eben und auch um überhaupt italienisches Wesen genauer kennen zu lernen, las sie, wenn Ettore ihr irgend Zeit ließ, italienische Bücher. Las berühmte Romane, an denen sie sowohl den Aufbau wie die Psychologie und die Sprache bewunderte, aber auch in [87] ihnen immer wieder fand, daß für die Menschen, deren Schicksale sie erzählten, Liebe das Ein und Alles war. All diese Heldinnen und auch die Helden tauchten unter, erfüllten ihren Daseinszweck, wenn sie glücklich liebten, hatten nichts mehr auf der Welt oder im Leben zu suchen, wenn die Liebe zu Ende war. Zuerst kamen ihr solche Bücher romanhaft und verlogen vor, aber je länger sie neben Ettore lebte, um so mehr mußte sie über sie nachdenken und erkannte schließlich, daß sie, wie jedes gute Buch, ein Abbild der Wirklichkeit waren.

Ettore sah keines der Bücher an, die seine Frau beschäftigten. Er kannte sie schon zum großen Teil, und wenn er sie nicht kannte, interessierten sie ihn im Augenblick auch nicht. Er sah höchstens flüchtig ein bis zwei italienische Zeitungen durch, um annähernd zu wissen, was in der Politik oder in Venedig Neues vorging, zu irgendeiner Meinung oder leidenschaftlichen Parteinahme raffte er sich aber niemals auf. Er schimpfte meist ein wenig auf die Regierung und immer auf die radikale Partei, aber schließlich war ihm momentan sowohl die Politik wie das Königreich Italien ganz gleichgültig. „L'Italia farà da sè!“ Für neue Eindrücke war er nicht halb so empfänglich wie Elisabeth. Die historischen Erinnerungen Korsikas und Aegyptens ließen ihn kalt, und für Naturstimmungen hatte er auch nicht viel Verständnis, aber Stunden, halbe Tage lang konnte er in Capri im warmen Sand am Strand liegen, auf das tiefblaue Meer hinausblicken und Wärme [88] und Lebenskraft in sich aufsammeln, daß Elisabeth, die viel beweglicher, viel weniger primitiv-genußfähig war als er, ihn um dies tiefe Behagen beneidete, um diese einfache, körperliche Hingebung an die Natur.

Ch' è bello il sole!“ sagte er dann wohl wie berauscht und begriff nicht, daß Elisabeth sich's nicht an dieser empfundenen Schönheit genügen lassen, daß sie sich nicht neben ihm ausstrecken und die Zeit gleich dem feinen Meeressand achtlos durch die Finger rinnen lassen wollte. Wenn sie's auch versuchte, gelang es ihr nie recht, denn immer wieder mußte sie, was sie sah oder fühlte, mit Gedanken umstellen, denen sie in irgendeiner Art Ausdruck lieh oder leihen wollte. Bald drängte es sie, irgendeine Beleuchtung des Meeres, ein zitterndes Spiel des Lichtes als Studie festzuhalten, und dann tat es ihr leid, daß sie keine Farben und keine Leinwand zur Hand hatte, ein anderes Mal kritzelte sie in ein Reisetagebuch, und wieder ein anderes Mal wollte sie Gebräuchen, Volkseigentümlichkeiten, Sitten oder Unsitten nachspüren, die Ettore so gleichgültig waren wie der Mann im Mond.

Da fragte er sie dann wohl lachend, aber doch ein wenig ärgerlich:

„Kannst Du denn nie all den Schnickschnack vergessen und nur an mich und an Dich denken?!“

Sah sie ihn dann mit erstaunten, hilflosen Augen an, als rede er von etwas, was ihr nie eingefallen war, so trällerte er ihr das hübsche Liedchen des Medici vor: [89]

 

„Quant' è bella giovinezza

Che si fugge tuttavia!

Chi vuol esser lieto sia

Di doman' non c'è certezza.“

 

Sie kannte es schon, sprach unwillkürlich die letzte Zeile leise mit, dann fiel ihr ein, daß irgendwo, in einem Winkel ihres Gedächtnisses, vier deutsche Zeilen hafteten, die ungefähr dasselbe, nur ungleich wuchtiger als der Mediceer, ausdrückten. Nach ein paar Sekunden fielen sie ihr ein, und sie versuchte, Ettore die Verse zu übersetzen:

 

„Um das Roß des Reiters schweben,

Um das Schiff die Sorgen her.

Morgen können wir's nicht mehr,

Darum laßt uns heute leben!“

 

Er hörte sie an, nickte bejahend.

„Aber schwerfällig ist alles, was Eure Dichter sagen. Warum muß nun da schon wieder die Rede von Sorgen sein, die um alles herschweben? Ich mag den Medici lieber, der ganz einfach sagt:

 

„Heut sei fröhlich, wer es mag,

Denn vom Morgen weißt Du nichts.“

 

Und er rekelte sich in der Sonne wie ein schönes, träges Tier, küßte seine Frau und verstand nicht, daß sie sich mit einer angstvollen Hast in seine Arme flüchtete, als ob ihr vor dem Morgen graute, dessen Ungewißheit er und sein Dichter so leichthin nahmen … [90]

Zu seinem tiefen Behagen trug natürlich die vorteilhafte Veränderung seiner äußeren Verhältnisse nicht wenig bei. Er konnte sich kaum je einer Zeit erinnern, in der er so ohne alle Schwierigkeiten und im Ueberfluß gelebt hatte wie jetzt. Seine Gläubiger hatten sich gern bis zu seiner Rückkehr vertrösten lassen, der Palast wurde gründlich renoviert und für das Leben nach außen hergerichtet, das Ettore sehr liebte. Jeden Einfall, jede Laune konnte er sich befriedigen und empfing noch obendrein dies alles nicht etwa von einer garstigen und ungeliebten Frau, sondern von einer, die momentan zu seinen Sinnen sprach und blind in ihn verliebt war. Wenn sie erst nach Venedig zurückgekehrt und ein bißchen länger verheiratet waren, würde er ihr auch die deutsche Gründlichkeit und den deutschen Ueberschwang abgewöhnen, würde mit ihr eine sehr gute Ehe führen, so wie man in seinen Kreisen eine gute Ehe verstand, ein Zusammenleben, bei dem man immer ein schönes Bild bot, einander vielleicht auch zugetan war, sich aber jedenfalls in nichts störte … Natürlich sprachen sie oft von Venedig und wie sie ihr künftiges Leben einrichten wollten. Ettore, der sich gemerkt hatte, daß seine Frau ihn in irgendeiner Weise tätig sehen wollte, sprach dann wieder von der Bewirtschaftung seiner Güter und dem Aufschwung, den sie jetzt, unter seiner persönlichen Leitung nehmen mußten. Elisabeth hörte das gerne und fragte vergnügt:

„Da werden wir also wohl nur die Hälfte des Jahres in Venedig leben und die andere Hälfte auf dem Lande?“ [91]

Er sah sie etwas verblüfft an. Sie lachte.

„Aber, mein großes Kind, Du wirst doch nicht vom Canal Grande aus Gutsherrschaft spielen können. Wir haben zwar nie ein Gut gehabt, aber das weiß ich doch, daß man da immerfort selber nach dem Rechten sehen und zur Stelle sein muß.“

Und weil sie meinte, er scheue sich vielleicht, ihr das Leben in einem verlorenen, welschen Erdwinkel zuzumuten, fuhr sie eifrig fort:

„Ich freue mich sehr, wenn ich monatelang nicht in der Stadt zu sein brauche! Es war eigentlich immer meine Sehnsucht, die Hälfte des Jahres auf dem Lande zu sein!“

„Das ist ja sehr schön! Das läßt sich leicht machen!“

Er suchte und fand noch einige allgemeine Redensarten, kam aber an späteren Tagen nur mehr mit Vorsicht auf das Thema von den Gütern zurück. Wahrhaftig, diese exaltierte kleine Frau war imstande, alles für Ernst zu nehmen und zu glauben, daß er, der schöne Ettore Priuli, Lust hatte, sich für Monate unter die Bauern zu vergraben und zu arbeiten! Dagegen erzählte er ihr gern und ausführlich von der Gesellschaft Venedigs, von ihrem Reichtum, ihren Festen, ihrem berechtigten Stolz und ihrem weitläufigen Klatsch. Elisabeth staunte manches Mal, wie sein Gedächtnis all diese Salonkleinlichkeiten, diese Frauenintrigen, Liebesgeschichten, Eheskandale und Geldaffären behielt. Gewiß hatte sie auch daheim Klatsch- und Skandalgeschichten aus [92] allen möglichen Kreisen gehört, niemand aber hatte sie je so wichtig genommen wie Ettore tat. Einmal fragte sie ihn auch nach der Fürstin Tassini, deren Erscheinung inmitten des weißen, schwimmenden Rosenbeetes ihr unvergeßlich geblieben war. Sie meinte, Ettore würde auch über sie so viel wissen, wie über all die andern, aber seltsamerweise erwies er sich da etwas zugeknöpft, wußte entweder nichts Besonderes über die Tassinis oder wollte es nicht sagen. Elisabeth erfuhr nur, daß die Fürstin, eine bürgerliche Engländerin, dem Fürsten, der seinerzeit ein Salonlöwe Venedigs gewesen, eine märchenhafte Mitgift zugebracht habe, daß aber die Ehe trotzdem schlecht gegangen sei. Er schilderte die Fürstin, die er natürlich kannte, als kalt, herrisch und geldgierig, während der Fürst wohl ausschweifend, aber doch ein guter, harmloser Mensch sei. Er war bestrebt, die Schuld an dem Schiffbruch der Tassinischen Ehe mehr auf die Frau als auf den Mann zu wälzen, tat es teils instinktiv aus Korps- und auch aus Nationalgeist, mehr aber noch, weil er es für klug fand, Elisabeth nicht alles erfahren zu lassen, was in der Gesellschaft, der sie künftig angehören sollte, möglich war und vorging. Er merkte wohl, daß sie sich für die Fürstin interessierte, aber er hätte es nicht gern gehabt, daß seine Frau sich mit der Engländerin befreundete, die ihr in gewissen Dingen nur ein schlechtes Beispiel sein konnte. Denn obwohl niemand die Fürstin genau kannte, spürte doch jeder, daß sie die Feindin des eigenen Mannes war, und ihrem verschlossenen [93] Gesicht, ihrem beherrschten Wesen traute man alles zu, gerade weil man gar nichts von dem wußte, was in ihr vorging.

Oft auch bat Elisabeth ihn, daß er ihr von früher erzähle, von seiner Kindheit, seiner Jugend, dem ganzen Leben, das er geführt hatte, bis sie kam. Das tat er gern, berichtete aus allen möglichen Perioden seines Lebens, Lustiges, Drolliges, wohl auch ein wenig Sentimentales, aber kaum je Ernsthaftes oder gar Leidvolles. Nur als er vom Tode seines Vaters sprach, liefen ihm Tränen über die Wangen, und Elisabeth merkte da wieder, wie schon bei andern Gelegenheiten, wie tief in ihm das Familiengefühl und die Liebe für die Familie, die ihn geboren hatte, wurzelten. Diese Liebe war aber doch wieder ganz anders als das Gefühl, das Elisabeth daheim als Kindesliebe kennen gelernt hatte. Es war etwas, das viel stärker und auch viel dumpfer schien, etwas, das in Tiefen wurzelte, von denen verfeinerte Naturen nichts mehr wissen, etwas, das nach Nestwärme roch und das, wie alle ursprünglichen Dinge, zu sehr Hohem oder zu sehr Niedrigem führen konnte. Elisabeth konnte sich keine Rechenschaft geben, wie dies Gefühl auf sie wirkte, sie fand auch im Augenblick kein Wort dafür und suchte es auch nicht. Der Bildungsgang, den Ettore genommen hatte, schien, soviel aus seinen Erzählungen hervorging, ziemlich undiszipliniert und wenig gründlich. Er war fast immer von Hauslehrern und Hofmeistern unterrichtet worden, hatte nie irgendein [94] Examen gemacht, hatte freilich auch nie die beschämenden Heimlichkeiten, die verbissene Auflehnung, die inneren Kämpfe der deutschen heranwachsenden Männerjugend erlebt. Er war ein ganz guter, durchaus nicht renitenter Schüler gewesen, aber schon als Kind hatte er sich, als ein Priuli, jedem Lehrer als Mensch überlegen gefühlt und für das Wissen des andern nur eine sehr geringe Achtung gehabt. Er war von seinen Eltern streng kirchlich, das heißt zur peinlichen Beobachtung aller äußeren religiösen Vorschriften angehalten worden, ohne daß ihn jemals irgendwer zur Frömmelei oder zum Fanatismus verleitet hätte. Selbstverständlich war man im Hause Priuli durchaus konservativ und königstreu, aber schon der alte Graf Priuli hatte sich wenig um Politik gekümmert, und Ettore tat es noch weniger, weil er fand, daß bei all dem Hin und Her doch nichts herauskomme. Mit Staunen und mit leisem Neid hörte Elisabeth, wie hell und innerlich unbewegt diese Knaben- und Jünglingsjahre dahingegangen waren. Da war nichts von dem Widerstreit, von den wirklichen oder eingebildeten Seelenkonflikten und -problemen, mit denen sie und ihre Brüder sich selbst und gegenseitig gequält hatten, nichts von Zweifeln, die schmerzhaft an ältesten Ueberlieferungen nagten, nichts von Weltschmerz oder jugendlichem Größenwahn, nichts von gigantischen, hold-unmöglichen Zukunftsplänen für sich und eine neu zu erfassende Welt, nichts von der großen, gärenden Torheit, die sich in dem Worte „Jugend“ zusammenpreßt [95] und in der Erinnerung späterer Jahre so schön scheint, daß jeder wirkliche Erfolg neben ihrem erträumten verblaßt. Niemals hatte der junge Priuli mit sich oder mit andern um eine Weltanschauung gerungen, niemals daran gezweifelt, daß die Welt gut eingerichtet und schön und er ein Bevorzugter auf ihr sein müsse. Ein- oder zweimal hatte Elisabeth versucht, ihm von ihren erlebten und miterlebten tragikomischen Jugendkämpfen zu sprechen, aber er hatte so wenig davon verstanden, daß sie schnell und ein wenig beschämt schwieg. Sie kam sich vor, als hätte sie liebe, verblaßte, altmodische Familienbilder vor jemand ausgebreitet, der sie kühl und ein wenig spöttisch mit dem Maßstab moderner Erscheinungen maß. Es stand nun für Elisabeth ziemlich fest, daß sie einen Teil des Jahres auf den Gütern leben würden. Ettore wußte gar nicht, wie er ihr diesen Gedanken wieder ausreden sollte, denn wenn er auch vorsichtig andeutete, daß diese Güter sehr bescheiden und in der Entwicklung sehr zurückgeblieben seien, so meinte sie immer, er hätte Angst, daß ihr alles dort zu einfach, zu bäuerisch sei, und sie bemühte sich dann erst recht, ihm zu versichern, wie glücklich sie dort sein würden, ganz allein, fern der Welt, gemeinsam arbeitend und sich gemeinsam des Lohnes der Arbeit freuend. Ettore, der sich selber innerlich verwünschte, daß er diese Komödie mit der Gutsverwaltung angefangen hatte, hoffte im stillen, daß sie in Venedig, im Treiben der Stadt und der Gesellschaft, die Geschichte [96] mit den Gütern vergessen würde, denn selbstverständlich wollte er doch nicht jetzt schon offenbaren, wie es in Wahrheit damit stand. Er bekam daher einen hellen Schreck, als sie ihm eines Tages ankündigte:

„Weißt Du, sobald wir in Venedig ein wenig eingerichtet sind und gutes Wetter kommt, mußt Du mir Deinen Landbesitz zeigen. Unser allererster Ausflug soll die Fahrt dahin sein.“

Ettore sagte: „Ja, ja!“ Und fragte, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, ob Elisabeth sich denn nicht auf all die Gesellschaften und Feste freue, die sie in Venedig erwarteten.

„Gewiß freu' ich mich, denn das wird jedenfalls etwas ganz anderes sein als die Garnisonbälle oder die Künstlerfeste bei mir daheim! Aber weißt Du, auf was ich mich am meisten freue?“

Ettore dachte:

„Ich wette, jetzt kommt wieder ‚auf das Landleben mit Dir‘!“

Er sagte aber nichts, sondern sah seine Frau nur mit gespanntem Lächeln an.

„Auf die ‚Dogaressa‘ freu' ich mich am meisten. Ich werde sie jeden Tag besuchen, und sobald wir ein wenig in Ordnung sind, will ich eine Kopie davon machen, für Papa zu Weihnachten. Ich habe das Gefühl, als hätt' ich, seit ich in Italien bin, eine Menge gelernt, nur vom Schauen und von all der Schönheit, die Tag für Tag um einen her ist …“ [97]

Er neckte sie ein wenig ob ihrer Streberei und meinte im stillen, daß sie in Venedig wohl an ganz andere Dinge zu denken habe als ihre Malerei. Er ließ aber nichts davon vernehmen, denn er wußte nun schon, daß sie immerfort allerlei Gründlichkeiten wollte, die ihm überflüssig vorkamen, und außerdem hielt er die Schwärmerei um ein altes Bild herum für ein harmloses und drolliges Ding.

Eines Tages, da er ganz allgemein von seiner Mutter und seiner Schwester sprach, fragte Elisabeth:

„Warum hat eigentlich Eleonore noch nicht geheiratet? Ein so wunderschönes Mädchen –“

Er zuckte die Achseln.

„Was willst Du?! Meine zwei andern Schwestern haben auch nicht geheiratet und waren kaum weniger schön.“

Elisabeth schwieg, der Gedanke an die beiden Nonnen hatte sie stets bedrückt, wann immer von ihnen die Rede war. So sagte sie auch jetzt leiser und unsicher:

„Die beiden andern folgten doch wohl einem inneren Drang –“

Ettore lachte auf.

„Nein, es war die Misere! Sie sahen ja doch, daß sie keine Männer bekamen. Was blieb ihnen denn da anderes, um mit Anstand vom Hause fortzukommen und zu leben?!“

„Hätte es wirklich gar nichts anderes für sie gegeben? Hatte keine von ihnen ein Talent oder eine Fähigkeit [98] oder auch nur einen starken Willen für irgendeinen Wirkungskreis, der sie glücklich gemacht hätte?“

Elisabeth fragte es gütig, aber er hörte doch einen feinen Unterton von Widerspruch und Mißfallen heraus. So wurde auch seine Stimme schärfer, als er entgegnete:

„Soll eine Priuli vielleicht Sängerin werden oder Lehrerin oder Buchhalterin?!“

Elisabeth wich einer direkten Antwort aus.

„Ich habe all die Jahre her kopiert und alles mögliche gemalt und bin ganz zufrieden damit gewesen. Und mein Vater war doch Regimentsoberst –“

„Ach Gott, das sind Sachen, die bei Euch in Deutschland, in Euren kleinen Verhältnissen gehen, aber eine Priuli in Venedig, die kann nicht um Geld arbeiten!“

Elisabeth merkte, daß hier keine Verständigung möglich sei. Sie lenkte also ab und sagte herzlich:

„Ich hoffe zuversichtlich, daß Eleonore heiraten wird!“

Ettore zuckte die Achseln.

„Bah, ein Mädchen ohne Mitgift! Wer wird die heiraten?!“

Zum erstenmal dachte da Elisabeth, ob auch sie am Ende um ihrer Mitgift willen geheiratet worden sei. Bisher war sie nie auf diese Vermutung gekommen, denn da sie von Haus aus arm gewesen, war ihr das berechtigte Mißtrauen reich geborener Töchter fern geblieben. Kaum im Besitze des neuen Vermögens, hatte sie sich dann mit Ettore verlobt, der doch (so meinte sie) unmöglich hatte wissen können, ob sie eine glänzende [99] Partie sei oder nicht. Auch jetzt war ihr der Gedanke nur so angeflogen, faßte keine Wurzel, so daß sie wie im Scherz leichten Herzens fragte:

„Aber, Ettore, es heiraten doch nicht alle nach Geld. Hättest Du mich denn nicht genommen, wenn ich zufällig ein armes Ding gewesen wäre?“

Ettore erwiderte unbekümmert und heiter:

„Nein! Das hätt' ich ja gar nicht gekonnt!“

Elisabeth wurde rot, schloß eine Sekunde lang die Augen. Zum erstenmal war sie zornig auf ihren Mann, so zornig, daß sie seine Nähe kaum ertragen konnte. O, sie begriff wohl, daß er, der Träger eines glänzenden aber verarmten Namens, nicht nur aus Liebe freien, sondern auch eine reiche Frau haben wollte. Das war ja überall so, in der ganzen Welt, und gerade weil sie wußte, daß sie geliebt wurde, hätte sie's leicht ertragen, daß bei der Liebe ihr Geld eine Nebenrolle gespielt hatte. Aber die unverhüllte Offenheit, mit der Ettore ihr ins Gesicht sagte, daß er sie ohne Geld nie zur Frau genommen hätte, verletzte sie, und mit ihren geschlossenen Augen sah sie durch Raum und Jahre weit entfernt einen anderen Mann vor sich, der ihr ungefähr dasselbe gesagt hatte … Ihre Jugendliebe war's gewesen, der Offizier, den sie gern gehabt und wegen ihrer Armut nicht hatte heiraten können. Auch er hatte damals ungefähr gesprochen: „Ich kann kein Mädchen ohne Geld heiraten, ich muß mindestens die Kaution bekommen!“, aber wie anders, wie ganz anders war dieser Mann mit seinem [100] Bekenntnis vor ihr gestanden. Stockend, mit sich kämpfend, beschämt und verwirrt hatte er ihr's abgelegt, so daß ihr Mitleid mit der Qual, die sie ihm ansah, fast größer gewesen war als der Schmerz über seinen Verlust. Ettore aber nahm und gestand das Unvermeidliche selbstverständlich und heiter ein, wie es in allem seine Art war. Nichts vermochte ihm die Laune zu trüben, die ewig hell und sonnig blieb, wie die Tage seines begnadeten Landes. Und plötzlich fiel Elisabeth eine tiefe Sehnsucht an nach der Regenstimmung der bayerischen Hochebene und nach einem Menschen, der unzufrieden war, der mit sich oder mit dem Schicksal im Streite lag. – – –

Weihnachten und Neujahr waren vorübergegangen, im Februar wollte das junge Paar nach Venedig zurückkehren. Elisabeth war schon müde vom Reisen, von all den neuen, immer wechselnden Eindrücken und sehnte sich nach der Ruhe des eigenen Heims. Auch Ettore dachte nicht ungern an die Rückkehr. Seiner Veranlagung nach hätte er zwar gut und auch gern noch monatelang das elegante, müßige Reiseleben fortgesetzt, aber er freute sich doch auf Venedig, auf die mamma, auf seine Freunde, auf den Klub, kurz auf alles, was seit Jahren sein Dasein gebildet und erfüllt hatte. Auch daß er dann nicht mehr Tag für Tag, Stunde für Stunde mit seiner Frau zusammengespannt war, dünkte ihm angenehm, denn wenngleich er immer noch verliebt in sie war, so wurde sie ihm doch mitunter etwas unbequem [101] mit ihren vielen Fragen und geistigen Ansprüchen, die er nicht beantworten oder auch gar nicht verstehen konnte. Es gefiel ihm ja sehr, daß sie offenbar etwas in ihm gesehen hatte und noch sah, das er selbst nicht kannte, aber er spürte manches Mal eine leise innere Ungeduld, wenn sie verlangte, daß er dem Bild gleichen sollte, das sie sich von ihm gemacht hatte. Und er dachte bei sich, daß es für sie beide vorteilhaft sein würde, wenn sie nach einem fast fünfmonatlichen, unausgesetzten Beisammensein nun zeitweise durch andere Menschen, durch die Ansprüche des täglichen und gesellschaftlichen Lebens für kurze Zeitspannen voneinander abgerückt würden.

Die Vorfreude auf die Heimat wurde durch einen Brief aus Venedig getrübt, wenigstens für Elisabeth. Der Brief kam von der Gräfin Priuli, war an den Sohn gerichtet und meldete, daß die Handwerksleute im Palazzo Priuli schon jetzt, fast einen Monat vor dem festgesetzten Termin, mit ihren Arbeiten zu Ende wären. Diese Ueberpünktlichkeit schien auf den ersten Blick erstaunlich, aber als Ettore weiterlas, begriff er sie gut, denn die alte Gräfin hatte eben – – Ettore freute sich von Herzen und fand, daß die mamma eine überaus kluge und praktische Frau sei. Wie er jetzt aber Elisabeth den Brief vorlesen oder wenigstens mitteilen sollte, wurde ihm ein wenig unbehaglich zumute. Elisabeth fragte:

„Was gibt's zu Hause Neues, Lieber? Was schreibt Deine Mutter?“ [102]

Er spielte verlegen mit dem Brief, sagte es dann geradezu, wie ein Schuljunge, der sich endlich zu einem kecken Geständnis zusammenrafft.

„Merk auf, carina! Die mamma schreibt, daß sie die großen Umänderungen für eine eigene Küche und Wirtschaftsräume für sich nicht hat machen lassen, weil für Eleonore eine Heirat in Aussicht steht. Und wenn Eleonore heiratet, dann zieht die mamma natürlich zu ihr, und sie meint, es sei Unsinn, wegen ein paar Monate einen Kamin einzubauen, den dann doch niemand mehr braucht –“

„Und dann beabsichtigt also Deine Mutter –“

Ettore unterbrach sie, sprudelte hastig hervor, was er und seine Mutter wollten. Jawohl, für die paar Monate, bis zu Eleonorens Hochzeit, würde man insofern mit den beiden Damen einen gemeinsamen Haushalt führen, als Ettores Mutter und Schwester an den Mahlzeiten des jungen Paares teilnehmen sollten. Die Wohnräume blieben natürlich getrennt, aber in der Sache mit dem Kamin hatte die mamma doch recht, das mußte Elisabeth doch einsehen …

Elisabeth sagte zunächst kein Wort. Sie sah, daß die Priuli über ihren Kopf hinweg gerade das taten, was sie und ihr Vater nicht gewollt hatten, daß sie aus irgendeinem Grund ein Zusammenleben erzwangen, das schon jetzt, noch ehe es begonnen hatte, auf der jungen Frau lastete. Sie wußte, daß ihr Mann nichts von dem begriff, was jetzt in ihr vorging, daß er glücklich [103] war in dem Gedanken, nach wie vor mit Mutter und Schwester zusammen zu sitzen, indes Elisabeth sich nach keiner andern Stunde so gesehnt hatte als nach der, in der sie zum erstenmal allein mit dem geliebten Mann am eigenen Tisch saß. Sie war voll Zorn und ohnmächtiger Liebe und konnte nichts denken als:

„Die Brut! Er denkt an nichts als an seine Brut!“

Ganz plötzlich war ihr dies Wort mit seinem animalischen Dunst in den Sinn gekommen, und sie hätte es ihm ins Gesicht gesagt, wenn sie gewußt hätte, wie es auf italienisch hieß. So fragte sie nur hart und trocken:

„Wir werden also in Venedig nie mehr allein sein?“

Ettore lachte. Nein, wie diese törichte Frau doch übertreiben konnte! Nie mehr, – wie das klang! Als ob der Tag nicht vierundzwanzig Stunden hätte, und als ob es darauf ankäme, ob an zweien davon die mamma und die Schwester bei ihnen säßen und sich mitfreuten über die schönen Sachen, die der neuengagierte Koch herstellen würde! Und alles war ja auch nur eine Frage der Zeit, der ganz kurzen Zeit bis zu Eleonorens Hochzeit … Elisabeth entgegnete nichts. Das war wieder eine jener scheinbar gleichgültigen Fragen, über die sie sich nicht einigen konnten. Er, der immer nur die Wirklichkeit der Dinge sah, begriff nie, daß Elisabeth noch etwas hinter ihnen suchte, daß für sie vieles Bedeutung hatte, was für ihn nur ein gleichgültiger oder alltäglicher Vorgang war. Da sie immer noch stumm blieb, meinte er sie mit dem letzten Argument zu überzeugen: [104]

„Siehst Du, es kommt ja so auch viel billiger, als wenn wir der mamma einen eigenen Haushalt einrichten!“

„Wir … der mamma einrichten …?“

Elisabeth glaubte nicht recht gehört zu haben. Mehr als einmal hatte Ettore ja von den festen, wenn auch bescheidenen Renten seiner Mutter gesprochen; wie kam er also jetzt dazu, an Elisabeth und ihren Wünschen einsparen zu wollen, um es der alten Gräfin zu geben?! Es dämmerte ihr schon, daß sie jetzt Unerwartetes und Peinliches hören würde, und Ettore, der nun alle Unannehmlichkeiten auf einmal abmachen wollte, zögerte auch nicht, sie über die wahren Verhältnisse der Familie Priuli aufzuklären. Er tat es ohne Scham und ohne Schmerz, nur mit einer gewissen Empörung über eine Weltordnung, die nicht besser für die Priuli sorgte. Elisabeth hörte ihn an, ohne sich zu regen. Ihr Gesicht, das er sonst nur gütig und verklärt gekannt hatte, war jetzt ernst, fast bitter, und um ihren Mund lag ein Zug von Verächtlichkeit, um dessentwillen die Brüder Elisabeth stets für herrschsüchtig gehalten hatten. Ettore mit seiner primitiven Frauenpsychologie dachte, daß sie jetzt wohl eine heftige, laute Szene machen würde, und war erstaunt, als sie, nachdem er zu Ende war, schweigend aufstand und das Zimmer verließ. Wo sie hingegangen war, wußte er nicht, und er fragte ihr auch nicht nach, sondern rüstete sich zu einem kleinen Schlendergang am Strand entlang. Von dieser letzten Stunde war ihm sehr heiß geworden, und es tat gut, so mit erleichtertem Herzen in der Kühle spazierenzugehen. [105]

Als er nach Hause kam, fand er seine Frau bereits zum Diner umgekleidet. Sie hatte den Nachmittag, den ersten, den sie verschmollten, im Park des Hotels zugebracht und war dort ruhiger geworden. Sie gab sich Mühe, die Verstimmung, die zwischen ihnen lag, zu heben, und Ettore, der jetzt überhaupt ein federleichtes Gefühl hatte, kam ihr mit so viel Zärtlichkeit entgegen, daß sie gänzlich ausgesöhnt und heiter zur Abendmahlzeit in den Speisesaal hinuntergingen. Vorsichtig kamen sie beide noch einmal auf den verhängnisvollen Brief zurück, und jeder versuchte dem andern klarzumachen, daß dieser gemeinsame Haushalt eigentlich eine sehr nützliche und angenehme Einrichtung sei. Elisabeth sagte:

„Es wäre wirklich überflüssig, für ein paar Monate alles auf den Kopf zu stellen! Und ich freue mich ja so, wenn Eleonore nun wirklich heiratet!“

Und Ettore:

„Natürlich, dem armen Mädchen ist's zu gönnen! Und für Dich, carina, ist es sehr gut, wenn meine Mutter vorläufig noch ganz bei uns bleibt! Gerade jetzt, wo Du doch bald den Rat und die Pflege einer Frau um Dich haben mußt!“

So gaben sie sich freundliche Worte und meinten es wohl auch gut, aber Elisabeth tat in dieser Nacht doch kaum ein Auge zu. Während sie im Dunkel wachend dalag, nagte an ihr etwas wie ein kleiner Wurm, und sie war ärgerlich auf sich selbst, daß sie ein Unrecht, das ihr geschah, durchaus Recht nennen wollte.