BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Carry Brachvogel

1864 - 1942

 

Die Wiedererstandenen.

Cäsaren-Legenden

 

1900

 

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[99]

Götter a. D.

 

―――――――

 

[101]

In den Folies Bérgères war's. Sie saß in einer Portalloge, neben dem kleinen Barescu und langweilte sich. Sie war an andere Lustbarkeiten gewöhnt. Die Flittertrikots der Athleten, die Spitzenhöschen der Tänzerinnen, die geplärrten Zoten der Chansonnetten, – das alles kam ihr unsagbar albern vor. Sie sah ihren Begleiter von der Seite her an. Der kleine Barescu war kaum den Kinderschuhen entwachsen. Er hatte große, rote Kutscherhände. Seine Stimme knarrte, schlug zuweilen in Fisteltöne über, wie bei Knaben, die das Übergangsalter noch nicht völlig überwunden haben. Er war erst seit ein paar Wochen aus Bukarest nach Paris gekommen und amüsierte sich köstlich. Sein Lachen, ein frenetisches Klatschen belustigte die Nachbarlogen. Er war stolz auf das Aufsehen, das er erregte, stolz auf sein Verständnis für Dummheit und Zote, stolz auf die schöne Frau, der er die Loge bezahlte, mit der er nachher zum Souper ging – –

Eine afrikanische Tänzerin war eben aufgetreten. Sie hatte die merkwürdige Gepflogenheit, bei ihren Verneigungen dem Publikum nicht das Gesicht, sondern den Rücken zuzuwenden. Der kleine Barescu tobte [102] vor Begeisterung. Die schöne Frau an seiner Seite sah ihn mit verstohlenem Lächeln an. Sie fand ihn ebenso albern, wie die Flittertrikots, die Spitzenhöschen und die geplärrten Chansonnetten. Er langweilte sie. Aber er hatte gestern die Rechnung von Doucet bezahlt. Außerdem versprochen, ihr für sämtliche Zimmer neue Gaskronen zu schenken – –

Sie musterte das Publikum, unterdrückte ein leichtes Gähnen. Sie kannte das alles viel zu genau. Da fiel ihr Blick auf einen Mann, der, kaum weniger gelangweilt als sie, an einer Säule in der Gegenüberloge lehnte. Er war mittelgroß, etwas korpulent, von ausgeprägt jüdischem Typus. Sein Gesicht verwittert, als wäre der Flug von Jahrtausenden darüber hingebraust. Seine Augen blickten spöttisch, als hätten sie Jahrtausende der Thorheit angesehen. –

Sie zuckte zusammen. Nahm ihr Glas, um ihn schärfer zu mustern. Kein Zweifel: er war's. Jetzt sah er sie an, erkannte sie sofort, trotz ihrer rot gefärbten Haare, ihrer untermalten Augen. Trotz ihrer barocken Berufseleganz, die so schlecht zu ihrem herrischen Gesicht paßte. Er wartete den Augenblick ab, bis der kleine Barescu auf die Bühne eilte, um die Bekanntschaft der genialen Afrikanerin zu machen. Dann trat er in ihre Loge. Beim Gehen schleifte er das linke Bein nach.

„Bist Du's wirklich?“

„Und Du?!“

Sie lachten sich an. Sie halb höhnisch, halb beschämt. Er, wie einer, dem etwas Unerwartetes begegnet. [103]

Er wollte sich in den dunklen Logenfonds setzen. Sie wehrte ab.

„Nein! Bitte, nicht!“

Er lächelte überlegen.

„Du darfst mich ruhig in Deiner Loge dulden! Die Zeiten haben sich geändert.

Ein leiser Seufzer.

„Ach, wie sehr haben sie sich geändert? Du hast meine Worte falsch aufgefaßt. Ich kann Dich nur in diesem Augenblick nicht brauchen. Der Kleine ist eifersüchtig! Aber vielleicht sehen wir uns sonst einmal?! Bleibst Du längere Zeit hier?“

„Seltsame Frage!“ Er zuckte ungeduldig die Achseln.

„Ach so, pardon! Ich vergaß –“

„Und Du? Was machst Du hier?“

„Ich habe mein Domizil hier. Paris ist ja die einzige Stadt, wo unsereins einigermaßen behaglich leben kann. Trinke doch morgen Abend eine Tasse Thee bei mir, ja?“

„Gerne.“

„Ich wohne –“

Er zog sein Notizbuch, schrieb ihre Adresse auf.

„Name?“

Théo de Riom!

„Also Du bist die berühmte Théo de Riom! Eigentlich hätt' ich mir's denken können!“

„Bist Du am Ende der reiche Brasilianer, den Morny bei mir einführen wollte?“

„Bin ich!“ [104]

Wieder lachten sie; – ein Augurenlachen.

„Nun bitte, geh! Ich höre den Kleinen kommen!“

„Auf morgen also!“

„Auf morgen!“

Unter der Thür stieß er mit dem Kleinen zusammen. Zuerst wollte Barescu auffahren. Doch als er den beleibten Herrn näher ansah, verneigte er sich tief, fast respektvoll.

Erstaunt und nachdenklich sah sie vor sich hin. ––

Pünktlich zur festgesetzten Zeit fand er sich am nächsten Abend bei Théo de Riom ein. Es war ein hübscher Salon, in den ihn der Diener führte. Ein Salon mit Seidenmöbeln, Blumen, bric à brac und Koseecken – –

„Madame wird bald erscheinen! Madame ist noch bei der Toilette!“

Der Diener verschwand.

Er spazierte auf und ab, musterte alles. Die Schale mit den Visitenkarten zog ihn besonders an. Lauter hochadelige Männer; Damen nur mit phantastischen Namen wie Théo de Riom selbst. Er lächelte; ein ganz unbeschreibliches Lächeln.

„Wie sie heruntergekommen ist! Wenn man sie gekannt hat, wie ich –“

Er sah die wenigen Bilder an, welche auf der blaßblauen Seidentapete hingen. Vor einem – ein Trümmerfeld mit dem Forum Romanum darstellend – machte er Halt. Um den Rahmen war ein Stück verblichenen, zerschlissenen Purpurs geschlungen. Ein [105] trübe gewordener Goldreif hielt das rote Spinngewebe fest.

Wieder lächelte er.

„Wie recht hatte der biedere Salomo! Alles ist eitel – –“

Sie ließ ihn lange warten. Die Toilette allein trug nicht schuld daran. Das Kammermädchen hatte ihr eben mitgeteilt, daß nachmittags, während Madame fort war, verschiedene Gläubiger wieder stundenlang im Hause gesessen hatten. Oft genarrte Gläubiger, denen endlich die Geduld gerissen, die mit dem Gerichtsvollzieher drohten, wenn Madame nicht binnen drei Tagen ihre Schulden bezahlen würde.

Théo de Riom biß sich auf die Lippen. Überlegte. Es war eine große, eine sehr große Summe, die sie da auf einmal herschaffen sollte. Woher? Sie wußte sich nicht gleich Antwort. Morny? Er hatte erst vorgestern die englischen Jucker bezahlt, mit denen sie im Bois Aufsehen erregte. Carcel? War seine eigene Einrichtung noch schuldig. Lemonin? In Monte Carlo, um im Spiel einzuholen, was die schöne Théo im vorigen Winter verjubelt hatte. Barescu? hatte von seinem Onkel nur gerade genug geerbt, um ihre laufenden Bedürfnisse zu decken. Nirgends ein Ausweg. Und die Gläubiger drängten.

Das Mädchen meinte Rat zu wissen.

„Wenn Madame sich doch endlich entschließen möchten, das große Diadem zu verkaufen! Ich weiß wohl, Madame hängt aus Pietät daran –“

„Es war das letzte Geschenk meines Gemahls –“ [106]

„Der Herr Gemahl würde sicher nichts gegen den Verkauf einwenden, wenn er Madames Verlegenheit wüßte! Ganz Paris war begeistert von dem Diadem, als Madame es bei dem letzten Künstlerball trug. Die Jungfer der Herzogin v. Larochefoucauld hat erzählt, daß die Herzogin sich's weiß Gott was kosten ließe, wenn es ihr gelänge, ein ähnliches Diadem aufzutreiben!“

Sie hörte kaum hin. Den Kopf in die Hand gestützt, dann sie nach. Sie gedachte ferner Zeiten – –

Der Jubelrufe, mit denen das Volk sie empfing … der Kostbarkeiten, welche der mächtige Gatte zu ihren Füßen niedergelegt … der Liebeslieder, welche Roms Jugend ihr zu Ehren gesungen …

„Wenn Madame also das Diadem –“

Sie wehrte ungestüm ab.

„Schweig"! Nie werd' ich mich gutwillig davon trennen. Es ist das letzte –“

Sie brach ab, winkte dem Mädchen, daß es sich entfernen möge.

Als sie allein war, öffnete sie einen kleinen, alten Schrein. Etliche Schmuckstücke lagen darin: Ketten, Spangen, das Diadem. Ein Diadem im modernen Sinne war es nicht, vielmehr ein Stirnband, wie man es an den Statuen antiker Göttinnen und Fürstinnen findet. Aus schwerstem Golde, kunstvoll ziseliert, war es reich mit Edelsteinen und Gemmen von seltener Größe eingelegt. Es funkelte nicht. Schwermütig matt schimmerte es, wie die Schmuckstücke, welche in den Glaskästen der Museen liegen. Sie hielt es lange [107] in der Hand, betrachtete es. Eine Thräne rollte über ihre Wange. Sie legte es wieder in den Schrein zurück, den sie sorgsam verschloß. –

Sie warf einen Blick in den Spiegel. Das eigene Bild gefiel ihr heute nicht. Wenn sie verstimmt war, wie eben jetzt, traten die Linien um Mund und Nase allzu scharf hervor, sah die Haut gar zu bleich, ihr Gesicht gar zu müde aus. Über einem lachsfarbenem Seidenunterkleid trug sie ein in weichen Falten wallendes Überkleid aus weißen Spitzen. Eine einfache, kostbare und suggestive Toilette, wie sie zu ihrem Berufe paßte. –

Sie trat in den Salon, streckte ihm die Hand entgegen. Beide lachten aus vollem Halse.

„Ahasver!“

„Messalina!“

Er beugte sich über ihre Hand, um sie zu küssen. Spöttisch sah sie auf einen krummen Rücken nieder – –

„Das Zeichen einer Rasse! Sklavenrasse!“

Unwillkürlich streckte ihr schlanker Körper sich in wohligem Behagen. Ja, sie war Sproß einer andern, einer ganz andern Rasse … Gleich einer frischen Blutwelle gab ihr dieser Gedanke mit einem Male Farbe, Lächeln, Leben …

Er sah sie an.

„Die Zeit geht spurlos an Dir vorüber!“

„Ich kann Dir das Kompliment zurückgeben, lieber Ahasver!“

Er lächelte melancholisch. [108]

„Nun, bei mir gehört es ja sozusagen zum Beruf!“

„Du wirst müde sein! Willst Du nicht Platz nehmen?“

Sie ließ sich in nachlässiger Stellung auf dem Eisbärenfell einer breiten Ottomane nieder. Er saß ihr gegenüber in einem bequemen Armstuhl aus blaßblauer Seide. Eine gelbverschleierte Lampe beleuchtete beide. Sich halb gegen das Gemälde wendend, wies er auf Purpurlappen und Goldkranz:

„Das kenn ich doch?! Damit hab' ich Dich doch mehr als einmal gesehen?!“

Sie nickte.

„Darf ich Dir eine Cigarette anbieten, Ahasver?“

Sie reichte ihm die Perlmutterschale, auf der die dünnen Cigaretten mit dem Korkrändchen lagen.

„Danke! Aber Du erlaubt wohl, daß ich meine eigene rauche. Ich bin die Marke gewöhnt!“

Er zog ein Etui aus Tulasilber hervor, mit reichem Monogramm. An seinen Fingern funkelten Diamanten. Sein Anzug war unauffällig, wie sich's für seine Jahre ziemte, aber gediegen wie seine Wäsche, wie seine Lackschuhe. Von dem ganzen Mann strömte Wohlbehagen, Reichtum aus. Leeren Blickes musterte sie ihn. Sie dachte an ihr Diadem …

„Wie sich die Zeiten ändern – –“ [109]

 

*  *  *

 

Ahasver, weißt Du noch, wo wir uns das erste Mal sahen?“

„In Rom, Kaiserin!“

Sie lächelte wehmütig.

„Ach so, pardon …!“

Es ärgerte ihn, daß er ihr unwillkürlich wieder den alten Titel gegeben hatte.

„In Rom! Du hattest damals eben begonnen, das Perpetum mobile zu werden!“

Sie lachte spöttisch. Es that ihr wohl, ihm wehe zu thun.

Eine Sekunde lang bedeckte er die Augen mit der Hand:

„Ja. Es war etliche Jahre nach seinem Tode.“

„Wer uns damals gesagt hätte, daß er einst zu solcher Macht gelangen würde! Er, – den Du nicht ruhen lassen mochtest vor Deinem Hause!“

„Wenn man alles vorhersehen könnte! Zu Anfang war diese ewige Wanderschaft wirklich qualvoll! Eine Tortur, wie man sie einem so milden Gotte gar nicht zutrauen sollte! Nach und nach hab' ich mich daran gewöhnt. Heute gar, da wir im Zeichen des Verkehrs stehen, heut' könnt' ich gar kein beschauliches Leben mehr führen.“

„Was treibst Du denn jetzt?“

„Hast Du nie von der amerikanischen Weltfirma Sam A. Hasveros gehört?“ Sie besann sich ein wenig.

„Natürlich! Der Kleine sprach einmal davon.“ [110]

„So! Ich traf ihn einmal beim rumänischen Konsul in London!

„Darum also grüßte er Dich so respektvoll! Sam A. Hasveros – das bist Du! Wie dumm von mir, daß ich es nicht gleich gemerkt habe!“

Er fuhr sich mit der Hand über den leicht ergrauten Vollbart.

„Sam A. Hasveros, – das bin ich! Ich versorge die ganze Welt mit Schuhleder.“

„Du bist also Deinem Handwerk treu geblieben?“

„Gewiß; nur ein kleiner Unterschied ist dabei! Damals war ich Schuster. Heute bin ich Lederkönig“

„Wie sich die Zeiten ändern! –“

Der Diener brachte den Thee. Sie goß ein, reichte Kaviar, Süßigkeiten; zündete sich selbst eine ihrer schlanken Cigarretten an.

„Wie sich die Zeiten ändern!“ sprach sie noch einmal. „Wie lange ist's her, daß wir uns nicht mehr gesehen?“

„Nicht allzu lange!“

„Wie?! Mir scheint es sehr lange. Ich habe ordentlich Sehnsucht gehabt nach Dir, mein alter Ahasver!“

Die Intimität der Anrede schmeichelte ihm. Eine Weile schwieg er. Dann, unvermittelt, mehr zu sich als zu ihr:

„Unvergeßlich steht mir Dein Bild vor Augen, wie ich Dich zuerst in Rom sah!“

„Ei, ei! Ich glaube gar, Du machst mir den Hof!“ [111]

„In einem Olivenhain hatten Deine Sklavinnen Dir Purpurkissen gebreitet, da lagst Du, in einem weißen Gewande, den Goldreif in den Locken. Eine Gottheit warst Du; – denn Du warst jung und schön und Kaiserin! Langsam fächelten die Sklavinnen Dir mit großen Pfauenwedeln Kühlung zu. Du sahst gelangweilt aus –“

„Claudius war eben nach Rom gekommen!

„Ich kam des Wegs einher; müde, zerschlagen. Sein Fluch war erst wenige Jahrzehnte alt. Noch drückte er mich wund. Noch hatte ich von meinem Schicksal nichts begriffen als das Grauen. Dich zu zerstreuen, wies eine der Sklavinnen auf mich. Im Flüsterton sprach sie Dir lächelnd von mir. Du richtetest Dich ein wenig auf, ein wenig nur, winktest mich heran. Mit hämischer Neugier sahen Deine Augen mein zerfurchtes Gesicht, mein zerlumptes Kleid. „Sie sagen, daß Du über einen gekreuzigten Juden verrückt geworden seiest! Erzähl' mir die Geschichte, sie wird mich erheitern! Rom fängt ohnehin an langweilig zu werden!“ Ich hätte ausschreien mögen über Dein Lachen, das so grausam hinklang über Götterfluch und Menschenleid … In diesem Augenblick haßte ich Dich.“

„Dein Haß fand ein seltsames Wort! Ein Wort, das ich damals nicht verstand. Später hab' ich oft daran gedacht.“

„Kaiserin,“ sprach ich, „hättest Du ihn gesehen, wie ich ihn sah, – Du würdest nicht lachen! Zittern würdest Du vor ihm, wie ich! Denn wir alle müssen [112] ihm erliegen! Du lachtest, daß Dir die Thränen in die Augen traten. Unbändig lachtest Du, daß Du, Cäsars Weib, einem gerichteten Schächer erliegen solltest! Die Sklavinnen, erschrocken über meine Reden, wollten mich fortjagen. Lachend wehrtest Du ihnen: Du alter Jude, Du bist der komischste Kauz, den ich seit langem gesehen! Deine Possen haben mich erheitert! Sprich wieder einmal bei mir vor! Aber beeile Dich; – sonst bin ich am Ende nicht mehr Kaiserin! Sonst hat uns Dein gekreuzigter Freund schon bezwungen!“ Wieder Dein prachtvoll-sieghaftes, kaltes Römerlachen … Als Du Dich müde gelacht, ließest Du mich stehen, warfst Dich auf die andere Seite. Deine Finger spielten mit dem Purpur, der neben Dir auf der Erde lag. Verzückt murmelten Deine Lippen einen Männernamen. Claudius hieß der Name nicht – –“

Eine Pause.

„Und dann, Ahasver?“ sagte sie leise.

Sie erinnerte sich genau an alles. Aber es that ihr wohl, sich in seinem Gedächtnis so glanzvoll und mächtig zu spiegeln. Er schwieg, in Gedanken versunken.

„Und dann, Ahasver?“

„Dann zog ich weiter. Als ich meines Wegs zurückkam, saßen die Gothen in Rom. Von Dir wußte Keiner etwas; nicht einmal Deinen Namen …“

„Barbaren!“

„Ich glaubte Dich tot, wie die ganze Welt, mit der Du jung gewesen. Weiter, immer weiter zog ich. Ich kam nach Byzanz. Nach Byzanz mit seinen goldenen [113] Palästen und seinen fürchterlichen Folterkammern, mit seinen vergötterten Kaisern und seinen mordsinnenden Thronfolgern. In Byzanz sah ich Dich wieder. Bei Tag trugst Du das goldene Stirnband der Kaiserin. Bei Nacht schlichst Du durch verrufene Gassen zu dem wüsten Cirkusgesindel, aus dessen Mitte ein verliebter Cäsar Dich zu sich emporgehoben. Das Volk zitterte vor Deiner Grausamkeit, beugte sich Deinen Lastern. Der Cäsar berauschte sich an Deinen Küssen und fürchtete Deine Gifte –“

„Er that sehr Recht daran!“

Sie nickte befriedigt. Das Bild, das er entworfen, beleidigte sie nicht. Sprach es doch wieder von ihrer Größe, ihrer Macht …

„Du erzählst sehr gut!“

„Raceeigentümlichkeit, Messalina! Weiter nichts!“

„Immerhin –“

„In Byzanz sahen wir uns wieder. Zwischen goldstarrenden Pfaffen schrittest Du zur Kirche, Spott im Herzen, doch Andacht im Gesichte. Ich stand auf der Straße, lächelte grimmig. Mein Wort hatte Recht behalten, – seinem Zeichen warst Du erlegen … Dein Auge sah mich, erkannte mich. Dein schönes Römerlachen hattest Du verlernt. Du erschrakst. Ob vor der Einnerung, ob vor dem bißchen Ewigkeit, das ich darstellte – ich weiß es nicht. Du erschrakst. Deinem Schrecken zu Liebe ließ Dein Cäsar mich von seinen Häschern ergreifen. Du selbst sannst eine besonders grausame Todesart für mich aus. Ich bestach die Henker; bei Nacht und Nebel ließen sie mich laufen! [114] Zum Scherz nur schnitten sie mir das rechte Ohr ab.“

Er schob das Haar ein wenig zurück. Eine breite, rote Narbe nahm den Platz der rechten Ohrmuschel ein.

Verlegen zuckte sie die Achsel.

„Man sieht es kaum! Es ist ja auch so lange her!“

Ein kurzes Schweigen.

„Und dann, Ahasver?“

„Dann? Dann kamen wieder Barbaren und balgten sich um die Reste Eurer Herrlichkeit. Du warst längst vor ihnen geflohen –“

„Unter Barbaren hab' ich mich nie wohl gefühlt; mögen sie heißen, wie sie wollen.“

„Ich begreife das. Roms Tempel und Laster vergessen sich nicht!“

Sie lächelte spöttisch!

„Du solltest Geschichtsprofessor werden, Ahasver!“ „Ich danke Dir für Deine gute Meinung! Aber ich würde nach oben hin anstoßen. Alle Herrschergeschlechter der Welt hab' ich noch in in den Windeln gesehen, da fehlt der mir nötige Respekt!“

„Und dann, Ahasver?“

„Dann kam die Stadt aus Marmor und Blumen –“

„Mein schönes, großes cinque cento!“

„Eine Zeit, wie geschaffen für Dich!“ Wild, wie die Barbaren, raffiniert wie Deine Römer –“

„Und Heiden, wie sie, – ob sie gleich in den Kirchen herumrutschten und Gebete plärrten! Ich habe sie genau gekannt –“

„Man rühmte Dir eine äußerst genaue Sachkenntnis nach.“ [115]

„Wie boshaft. Du bist!“

„Wieder warst Du eine Gottheit, denn Du warst jung und schön und mächtig, Papstkind und Papstliebste zugleich. Du gingst von Arm zu Arm und welktest nicht. Das Volk zwar haßte Dich, der Adel aber warb um Dich. Bei den Festen, die Florenz Dir gab, sah ich Dich wieder!“

„Ach ja! Sie feierten mich als Braut des Herzogs von Ferrara. Mit der Langeweile dieser Ehe habe ich meine schönen Jahre am Papsthofe reichlich bezahlt! Es war wirklich nicht amüsant, in Ferrara den Schöngeist zu spielen!“

„Warum nahmst Du den Herzog?“

„Mein Vater, meine Brüder, (diese Intriganten!) wollten mich ja mit einem Male fort haben –“

„Sie waren kluge Leute. Sie kannten Deinen wahren Namen.“

„Weil Du mich ihnen verraten hattest! Leugne nicht, – ich weiß es genau. Beim Fest des heiligen Isidor trat ein Pilger an den Papst heran, raunte ihm allerhand ins Ohr, daß ich ein Gespenst sei, ein Dämon, der Verderben ausströme – – – dieser Pilger warst Du. Ich erkannte Dich nicht gleich. Erst das Lächeln, mit dem Du in Florenz am Dom standest, als ich ihn verließ, verriet mir, wem ich Ferrara zu verdanken hatte.“

„Du hast Dich dafür gerächt, gerächt, wie es Deiner würdig war. An einem einzigen Tag flammten zweitausend Scheiterhaufen für mein Lächeln empor! Zweitausend [116] brennende Leiber brachte Florenz Dir als Morgengabe dar – –“

„Nun höre! Du thust ja gerade, als ob ich persönlich die Judenverfolgungen erfunden hätte!“

Er schüttelte langsam den Kopf.

„Nein, nicht Du! Es lag in seinem Fluch; das hab' ich später begriffen! Nicht nur ich, auch alle Lebenden meines Stammes hießen Ahasver, denn sie alle waren meinem Samen entsprossen. Darum mußten sie gleich mir wandern – wandern – – Wandern von Sonnenaufgang bis Sonnenniedergang. Wandern von Schwelle zu Schwelle der Jahrhunderte … Unsere Augen brannten, unsere Kniee zitterten vor Müdigkeit, Blasen und Wunden trugen wir an den Füßen. Qualvoller noch als unser Wandern war unsere Rast. Um seines Todes willen gehaßt, verachtet, verhöhnt, angespieen, hockten wir ängstlich in den finstersten Schlupfwinkeln Eurer Städte. Von Eurer Sonne, Eurer Freude, Eurer Kraft, Eurem Recht gehörte nichts uns, nichts – nichts! Holzstoß und Folterkammer – so hieß unser Recht! Ungeduldig harrten wir darum, bis die Blasen und Wunden unserer Füße geheilt waren. Dann zogen wir weiter, sehnsuchtsvoll der Heimat entgegen, die uns verheißen.“

„Du wirst sehr bitter, Ahasver! Du hast doch Alles gut überstanden, wie ich sehe?!“

„Ich? O ja! Ich kann zwar den Rücken nicht mehr gerade halten, und schleife ein Bein nach, zum Andenken an die Inquisition. Im Übrigen hab' ich Alles gut überstanden. Aber ich habe meine Kinder [117] leiden sehen, meine Enkel, meine Urenkel; – Geschlecht auf Geschlecht im Leid geboren und im Leid gestorben! Mutwillig zu Tode gemartert wurden sie, wie die Schmetterlinge halbwüchsiger Rangen … Jahrzehntelang bin ich in der Wüste umhergelaufen, mochte nimmer heim zu den Menschen, zu den Meinen. Ich konnt's ja nicht mehr mit ansehen, daß uns Kinder geboren wurden. Kinder, die frisch und lachend in die Welt schauten, wie die Euren. Und die ihr uns zu Krüppeln schlugt, an Seele und Leib!“

„Ahasver, sprich nicht mehr davon! Es greift Dich an, das merk' ich!“

Er hörte nicht auf sie. Mit einer Stimme, in der Zorn und Weh bebten:

„Sie beten seine Mutter an, als die Schmerzensreiche. Wie Geringes hat sie ertragen, im Vergleich mit mir. Ein Kind sah sie sterben, ein einziges nur! Verklärt, angebetet, als Gott fand sie es wieder! Mir ist nicht nur ein Kind am Kreuz gestorben, sondern hunderttausende; die Schmerzen von Hunderttausenden hat mein Vaterherz schluchzend ertragen. Wäre es wahr, daß Leiden den Gott macht, – ich müßte längst einen eigenen Tempel haben! So oft ich aus der Wüste heimkam, hofft' ich endlich den letzten Enkel begraben zu sehen. Ich hoffte, daß dem gemarterten Volke endlich die Lebenskraft erlöschen müßte, und der Lebensdrang. Ich lag vor ihm auf den Knieen, fleht' ihn an, meinen Stamm gnädig auszurotten, mich, mich allein Fluch und Jammer weiterschleppen zu lassen, [118] bis ans Weltenende. Er schwieg. Dichter und dichter umdrängten mich meiner Kinder Scharen. –

Allmählich begann mir's da aufzudämmern, daß soviel Fruchtbarkeit und Lebenswille doch wohl ein Ziel verfolgen müsse – trotz seines Fluches. Wenn man so alt ist, wie ich, lernt man auf der Dinge Grund sehen.“

Er begann sie zu langweilen. Philosophische Abhandlungen sagten ihr nicht zu. Sie hörte lieber von ihren früheren Zeiten. Dachte dazwischen an ihr Diadem.

„Wann sahen wir uns denn wieder, lieber Ahasver? Mein Gedächtnis läßt mich im Stich.“

„Hier sahen wir uns wieder, hier in Paris!“

„Du hast Recht. Damals regierte hier ein Ludwig, ich weiß nicht mehr genau, welcher. Ein Ludwig mit Seidenstrümpfen und einer Perrücke.“

„Das Lachen kam mich an, als ich Dich damals wiedersah. Es war zu drollig, – Du, mit Reifrock, Puderlocken und Schönheitspflästerchen! Alles an Dir schien klein, zierlich und elegant geworden. Die Leidenschaft eine sensation, die Liebe eine émotion, der Haß eine antipathie. Es schien nur so. Bald merkt' ich, daß Du Du geblieben warst, trotz Reifrock und Puderlocken. Bei Menuett und Schäferspiel machtest Du aus Paris, was Du aus Rom und Byzanz gemacht hattest. Der allerchristlichste König wurde in Deinen Armen, was Cäsar, Kalif und Papst geworden. Ganz Frankreich kannte nur mehr einen Gedanken … eine Begier . . Du warst mächtig, wie Du es nur je [119] gewesen. Du zerrisset Völkerverträge, um daraus Papierwickel für Deine Locken zu machen. Europa mußte bei Dir antichambrieren, wenn Du, müde von der Liebesnacht, Deine Chokolade um eine Stunde später trinken wolltest.“

„Ich war damals gewiß sehr unliebenswürdig mit Dir! Bitte, trag' es mir nicht nach, Du warst in einer so schlecht gewählten Stunde bei mir –“

„Ich kam zu Dir, um Deine Gnade anzuflehen. Mein Lieblingskind, die sanfte Rahel, hattest Du entführen, gewaltsam taufen lassen und bei Dir behalten. Der Erzbischof verhieß Dir hohen Himmelslohn für diese Gott wohlgefällige Bekehrung. Der König wird wohl auch mit dem irdischen nicht gegeizt haben, als Du ihm Rahel zuführtest –“

„Da irrst Du Dich! Er fing damals schon an, knickerig zu werden!“

„Ich kam, um mein Kind von Dir zurückzubetteln! Die Stunde war freilich schlecht gewählt: Du erwartetest Deinen Ludwig vergeblich, weil – er sich bei Rahel verzögerte. Bei Rahel, die ihm weit besser gefiel, als Dir lieb war, in der Du die Nachfolgerin fürchtetest. Mein Anblick steigerte Deinen Zorn. Ohne mich anzuhören, tratst Du an Deinen Schreibtisch, kritzeltest zwei Worte … Eine Stunde später saß ich im tiefsten Gefängnis der Bastille. Von des Tages Lust und Lärm drang nichts zu mir. Nur die Stimmen der Nacht vernahm ich. Vor ihren Offenbarungen begann mein Herz zu hoffen. Ich fing an zu begreifen, daß auch eines Gottes Macht einen Tag nicht überdauert. [120] Daß Ewigkeit nur für das Atom, nicht für die Form existiert. Du ahntest nicht, was ich in der Stille meiner Gefängnisnächte erfuhr. Nicht banalen Barbaren solltest Du dies Mal erliegen, – das eigene Land sollte Deine Verderber gebären. Eisenklirrend, hoffnungsstrahlend stiegen aus seinen Eingeweiden eine junge Kraft und ein junger Zorn hervor. Eine unbändige Kraft. Ein unbändiger Zorn. Alle Klagen, alle Flüche, die Du dem Volke erpreßt, schleppten sie zum Barrikadenbau herbei. Schlugen daraus eine Seufzerbrücke von der Bastille nach den Tuilerien. Rannten auf dieser Seufzerbrücke Sturm gegen alles, was die Welt je geblendet – beherrscht –

Beim Abenddämmern sprang meines Kerkers Thüre auf. Als ich wieder draußen auf der Straße stand, sah ich, daß es sein Tag war, der zur Rüste ging. Eine andere Sonne kam herauf. Ein Strom alten Blutes und neuer Gedanken überflutete die von seiner Askese erschöpfte Welt. Entsetzt, entzückt tauchte sie den Leib in das heiße Lebensbad, das Paris ihr bereitete. In Paris fiel Dein Haupt. In Paris fiel ein Reich. Du und er – Götter von gestern!“

„Pah! Es dauerte gar nicht lange, da kamen wir wieder zu Ehren! Nur die verrückten Jakobiner waren so roh mit uns verfahren. Bei den andern hatten wir nie an Ansehen verloren.“

„Doch, doch, Messalina! Den Schrecken jener Tage konntet Ihr nie verwinden! Er blieb Euch im Gesichte. Man merkte ihn Euch an. Ihr hattet Bezwinger [121] über Euch gefühlt. Ihr beide, die Ihr gewohnt waret, die Welt zu regieren.“

Sie lachte.

„Wie unlogisch bist Du doch, Ahasver! Vorhin behauptetest Du, er hätte mich bezwungen –“

„Das hatte er auch gethan. Offiziell kannte er Dich nicht. Insgeheim nur durftest Du das bißchen Bestie beherrschen, das im Menschen geblieben war – – Die Bestie will ihren Götzen, so gut wie der Geist. Darum hatte er stillschweigend mit Dir geteilt …

Nun wollt' es mit dieser Doppelherrschaft nicht mehr recht gehen. Der Glaube an seine Macht war erschüttert. Du, Du hattest auf dem Schafott zu viel Blut verloren. Anämisch bliebst Du, zu schwach, um die Bestie fernerhin zu gängeln. Mit den neuen Göttern waren auch neue Laster gekommen. An ihnen hing die Menschheit nun fester als an Dir!“

„Du thust gerade, als ob ich völlig außer Kurs gekommen wäre. Ich müßte mich doch sehr täuschen: sahen wir uns nicht noch einmal?“

„Gewiß. Wir sahen uns wieder im Jahr 48! Du warst die Maitresse eines kleinen deutschen Fürsten –“

„Bitte! Ich war sehr mächtig damals. Sie fürchteten mich –“

Er lachte.

„Seit der großen Revolution haben die Völker diese Art von Furcht verlernt! Sehr klein warst Du damals, Messalina! An Dir erschrak keiner mehr. [122] Nicht Europa antichambrierte mehr bei Dir, – sondern ein paar Durchschnittsminister. Für oder gegen Dich war eine handvoll Studenten, – nicht mehr ein Volk. Als Du's zu bunt triebest, mußte Dein Fürst abdanken. Du flohest bei Nacht und Nebel über die Grenze – –“

Sie richtete sich auf. Sah ihn fest an.

„Hör einmal! Damals, am Tage vor meiner Flucht, als sie mir vor meiner Villa die Katzenmusik brachten, da flog ein Stein durchs Fenster und zertrümmerte meine Psyche. Den Stein hast Du geworfen; leugne es nicht! Mir war's damals, als hätt' ich Dich unter dem Pöbel auf der Straße erblickt!“

Er richtete sich auf, so gut sein krummer Rücken es gestattete. Sein Auge blitzte.

„Ja, ich hab ihn geworfen. Zum ersten Mal in meinem Leben durft ich mit Andern gegen eine Macht protestieren, – ob diese Macht auch nur eine spanische Tänzerin war. Zum ersten Mal war ich ein Mensch, mit dem Recht des Zornes. Ich nahm Rache für mein abgeschnittenes Ohr, für meinen krummgefolterten Rücken, für mein hinkendes Bein. Für alles das eine einzige Spiegelscheibe! Du mußt gestehen, daß ich meine Rechnung billig gemacht hatte!“

Lange schwiegen beide.

Dann fragte sie leise: „Und er? Hast Du nie Gelegenheit gehabt, Dich an ihm zu rächen?!“

Ein überlegenes Lächeln.

„Er? Er hat längst gelernt mit mir zu paktieren, [123] wie einst mit Dir. Eine Art Nebenregierung muß er ja haben! Auf die modernen Laster der Bestie versteh ich mich besser als Du …“

„Ihr seid also Freunde geworden?“

„So ziemlich. Deshalb hab ich keineswegs vergessen, was er mir früher angethan. Ich räche mich dafür durch Nadelstiche. Auch sie töten mit der Zeit!“

„Was sind das für Nadelstiche?“ fragte sie neugierig.

„Davon ein andermal! Nun will ich gehen; es ist spät geworden!“

Sie wollte ihn nicht fortlassen.

„Bleibe doch noch! Wir haben so viel von mir gesprochen; erzähle mir jetzt von Dir! Ich dachte mirs ja immer, daß wir uns wieder einmal treffen müßten! Ich freue mich, daß meine Ahnung recht behielt. Trotz allem, – Du warst mir immer sympathisch!“

Er verneigte sich.

„Du bist sehr freundlich, Kaiserin!“

Unwillkürlich war es ihm wieder entschlüpft. Es saß ihm tief im Blut. Wie seine Rastlosigkeit, wie sein Leiden.

„Was treibst Du jetzt, Ahasver?“

„Ich sagte Dir's schon: ich bin ein amerikanischer Handelskönig!“

„Also ungeheuer reich!“

„Ungeheuer reich!“

„So reich wie Vanderbilt?“

„Reicher!“ [124]

„Wie Gould?“

„Reicher!“

Ihre Augen weiteten sich.

„Wie Rockfeller?“

„Reicher! Reicher als sie alle!“

„Wie hast Du das nur gemacht?! Alles mit Deinem Ledergeschäft?“

Er lachte.

„Kein Gedanke! Aber vergiß nicht, daß ich beinahe 2000 Jahre alt bin!“

„Ich doch auch! Und wenn ich bedenke –“

Sie erschrak vor ihrem eigenen Worte. Legte lächelnd die Hand auf den Mund.

„Scht! Wenn Jemand mich hörte! Mein bißchen Carriere wäre verpfuscht! Eine 2000 Jahre alte Frau, – das geht nicht einmal in Paris. Also leise: ich bin doch ebenso alt wie Du. Aber ich hab' es zu nichts gebracht. Wo all mein Geld hingekommen ist, weiß ich nicht! Ich weiß nur, daß ich nichts habe. So sehr nichts habe, daß ich im Augenblick –“

Sie brach ab. Eine jähe Röte stieg ihr ins Gesicht. Es widerstrebte ihr, den Alten da zum Mitwisser ihrer Finanznot zu machen.

„Also, wie gesagt, ich habe nichts! Pas le sou!“ schloß sie, gezwungen lachend.

„Du und ich! Ein gewaltiger Unterschied. Zweitausend Jahre Luxus zehren Milliarden auf. Zweitausend Jahre Entbehrung ersparen sie.“

„Du hast Dir also viel gespart! Und liefst doch immer so armselig in der Welt herum!“ [125]

„Das lag in den Verhältnissen. Mein Reichtum wuchs indessen!“

„Wie hast Du ihn nur erworben?!“

„Auf verschiedene Weise. Als meine Wanderschaft begann, besaß ich ein kleines Kapital; das lieh ich auf Zinsen.“

„Hast Du denn da je einen Pfennig bekommen? Du bliebt doch nie an Ort und Stelle! Warst bald da, bald dort, – in aller Herren Länder!“

„In aller Herren Länder brauchten die Leute Geld. Ich ließ mich nie darauf ein, ihnen Prozente abzuknapsen. Ich lieh die geforderte Summe und ließ mir das Fünfzigfache dafür verschreiben – zahlbar in hundert Jahren! Du kannst Dir denken, daß meine Kunden mich für das Ideal eines Geldleihers hielten, und für einen Narren obendrein! Geld ohne Zinsen! Das entzückte sie. Rückzahlbar in hundert Jahren! Darüber lachten sie. Jeder wußte, daß er keine hundert Jahre mehr erleben würde. Ich aber erlebte sie. Ich kam zurück, suchte den Enkel auf, um ihm Großvaters Verschreibung zu präsentieren. Häufig war die Familie ausgestorben, oder ganz verkommen, – dann freilich war ich der Geprellte. Häufig aber auch waren sie groß geworden –“

„Und dann zahlten sie?“

„Immer. Sie merkten dann wohl, wen sie vor sich hatten. Ich war ihnen ein unheimlicher Gläubiger. Meist bezahlten sie mein Schweigen ebenso hoch wie den Schuldschein. Nebenbei handelte ich noch mit Juwelen, mit Raritäten –“ [126]

„Du! Du besaßest Juwelen und Raritäten?!

„Vergiß nicht, liebe Messalina, daß ich bei meinen endlosen Wanderungen jedes Fleckchen dieser Erde kennen lernte, daß ich außerdem jede Kultur überlebte die seit seiner Zeit kam und schwand. Afrikas Goldfelder, Pompejis Grabstätte kannt' ich wie meine Westentasche, lange ehe die sogenannte gebildete Welt nur eine Ahnung von ihnen hatte! Und mit dem, was ich im Vorübergehen aus den Scherben herrenloser Reiche auflas, hätte ich selbst etliche neue begründen können. Für das Manuskript von Ovids ars amanti zahlte mir die Pariser Bibliothek 200000 Francs. Eine Mosaikmadonna aus Deinem Schlafgemach gab ich dem British museum für dieselbe Summe. Die berühmten rosenfarbenen Brillanten Marie Antoinettes kauften die Bourbonen später um netto 2 Millionen von mir zurück. Ich nenne Dir da nur einzelne Posten. Rechne Dir aber einmal aus, was ich mit Juwelen, Antiquitäten und Geldgeschäften im Zeitraum von 1900 Jahren verdient habe!“

„Im Rechnen war ich immer sehr schwach!“ sagte sie kleinlaut. „Was machst Du denn jetzt mit all Deinem Geld?“

„Es liegt ruhig in der Bank von England, die fast ausschließlich mit meinem Depot arbeitet. Zöge ich es von da zurück, so wäre England bankrott und mit ihm die halbe Welt. Von Zeit zu Zeit drohe ich damit. Dann erhöht die Bank ihren Diskont, um mir mein Kapital besser verzinsen zu können. Es wird ihr sehr schwer! Aber sie läßt ihn nicht eher sinken, bis ich ihr wieder [127] versprochen habe, das Geld nicht wegzunehmen oder gar es nach Amerika zu geben. Ich denke ja gar nicht daran! Auf die paar Groschen Zinsen mehr kommt's mir nicht an! Ich drohe nur, damit sie immer wieder den Herrn über sich fühlen!“

Sie sah ihn groß an. War's wirklich er, der so sprach? Er, der Menschheit Auswurf?! Der verhetzte Wanderer der Ewigkeit – –?!

„Du hast gewiß recht viel Freude von Deinem Reichtum?“

„Nicht so viel, als Du vielleicht denkst. Ich habe keine noblen Passionen. Meine Lebens- und Luxusbedürfnisse deckt ein verschwindend kleiner Bruchteil meines Einkommens. Früher hatte ich Freude an der Spekulation; auch das hat sich völlig abgestumpft. Nur ganz große Unternehmungen reizen mich noch. Eine neue Anleihe zu garantieren – der Welt das Goldfieber einzujagen, indem ich ihr neue Minen verrate – Fürsten zu gründen –! Das vor Allem! Das ist mir beinahe zur Leidenschaft geworden! Meine Anwesenheit jetzt hier hängt zum Teil auch mit so etwas zusammen. Ich stehe im Begriff, einen künftigen Gottesgnadenmann zu finanzieren, – ob's ein König oder ein Kaiser wird, weiß ich noch nicht … All den Kleinen im Osten hab' ich auf ihre Throne hinaufgeholfen, gerade wie dem dritten Napoleon auch. Warum sollte es mir dieses Mal nicht gelingen, da ich –“

Er hielt inne. Er fürchtete, seine Pläne zu verraten. [128] Seine Vorsicht war überflüssig. Eins, nur eins hatte sie von seinen Reden begriffen – –

„Ist das auch wahr? Könige und Kaiser sind Deine Schuldner?!“

Er nickte wohlgefällig.

„So ist es! Dafür laden sie mich zu Tisch, wenn ich in ihre Residenz komme. Behängen mich mit einem Orden, wenn ich wieder gehe. Wie oft hab' ich nur in den Tuilerien mit Napoleon und Eugenie gegessen! Und Briefe von den beiden könnt' ich Dir zeigen, Briefe, in denen es wieder und immer wieder heißt: „Mein lieber Freund,“ … „Ihr dankbarer Kaiser …“ –

Sie starrte ihn an. Sie verstand nicht ganz, was er da erzählte. Sie verstand nur, daß sie einer Erscheinung gegenübersaß, von der ihre früheren Welten nichts geahnt hatten.

„Ein Kaiser schrieb so an Dich? Ein Kaiser – an Dich?!“ „Mehr als einer, meine Teure. Ich sagte Dir's vorhin schon: die Zeiten haben sich geändert!“

„Du, Du bist also jetzt Herr der Welt?“

Er lächelte geschmeichelt.

„Du mißt noch mit altem Maßstab. Herr der Welt? Nein, nein, das nicht. Aber ich bin ein Mann, mit dem man rechnen muß. Heutzutage will das schon etwas heißen! Und nun gute Nacht, liebe Messalina! Verzeih, daß ich Dich so lange aufgehalten; es ist sehr spät geworden!“ Er griff nach seinen Handschuhen. [129]

„Bleib noch!“ bat sie hastig, erregt. „Ein wenig noch!“

Mit fieberhafter Schnelligkeit durchjagten ihre Gedanken den Kreis – – Die Bank von England – Kaiser nannten ihn „Freund“ – ihr Diadem – –

Sie wurde rot. Sprach mit leiser Stimme, ohne ihn anzusehen:

„Ich sagte Dir vorhin schon, daß ich eine schlechte Rechnerin bin! Und gerade in diesem Augenblick … Lieber Ahasver … könntest Du mir nicht vielleicht …“

Ein Strahl zuckte in seinem Auge auf. Ein Strahl von Spott und Hohn, der alles in ihr empörte. Aber das Diadem – Cäsar Claudius' Diadem unter dem Hammer des Gerichtsvollziehers …!

Er ergriff ihre Hand, küßte sie.

„Ich habe diesen Augenblick herbeigesehnt!“ sagte er mit altväterischem Schmachten.

Sie lachte gezwungen.

„Am Ende bist Du mir schon seit 1900 Jahren nachgelaufen!“

Er antwortete nicht gleich. Sah sie mit seinen spöttisch leuchtenden Augen an.

„Ich stelle Dir einen Check auf eine Million aus!“ sagte er leise.

„Nein, nein! So viel brauch' ich gar nicht; die Hälfte genügt!“

„Eine Kaiserin ist wohl eine Million wert!“

Sie erbebte. Daß er es so wenden könnte, hatte sie nicht gedacht. Alles was Kaiserin in ihr war, lehnte sich dagegen auf. Sie hieß aber Théo de Riom. [130] Und er war ein Mann, mit dem man rechnen mußte – – –

Sie stand auf. Er humpelte zu dem Bilde des Forum Romanum, löste Spange und Purpur von dem Rahmen.

„Was machst Du da, Ahasver?“

„Du trugt es in Rom zu den Festen. Ich will Dich auch heute darin sehen!“

Er legte ihr den Purpurfetzen um die Schulter, drückte ihr den blindgewordenen Goldreif ins Haar. Er merkte nicht, wie tragikomisch der Putz wirkte. Für ihn blieb sie, was sie einst gewesen. Die Mächtige, die ihn verachtet, gequält, – und die heute sein wurde. Sein! – weil er sie mit einer Summe bezahlte, die ihm erbärmlich schien. – –

Er war ein alter Philosoph, nebenbei satyrisch angehaucht, wie seine ganze Rasse. Er begriff den Witz der Situation. Breitete die Arme aus:

„Messalina! Sag' mir, daß Du mich liebst!“

Sie lächelte ihr konventionelles Liebeslächeln. Dämpfte ihre Stimme zu dem konventionellen Liebesflüsterton. Dem buckligen, hinkenden, alten Juden sagte die purpurgeschmückte Tochter der Cäsaren:

„Ahasver! Ich liebe Dich!“ …

 

*  *  *

 

Sie saßen beim Frühstück.

„Ich mache Dir mein Kompliment, liebe Messalina! Du verdienst Deinen Ruf! Geschmack [131] und Temperament hast Du, – das muß Dir der Neid lassen! Sapristi!“

Er liebte es, in der Intimität französische Floskeln anzuwenden.

Sie lächelte diskret. Sie sah sehr hübsch aus in ihrem weißen Morgenkleid mit den offenen Haaren. Hübsch, frisch, zufrieden. Ihre kaiserlichen Gefühle von gestern Abend hatten sich gelegt. Eine Million blieb eine Million.

Er hatte seinen Thee getrunken, seine Frühstückscigarette geraucht. Nun zog er von seiner Linken einen Ring, in dem ein märchenhaft großer Solitair funkelte. In den Reifen steckte er ein gerolltes Papierblättchen, reichte es ihr über den Tisch hin.

Es war der Check.

Sie wollte den Ring zurückgeben. Er wehrte lächelnd ab.

„Vielleicht kannst Du den Stein verwenden!“

Sie war sehr vergnügt.

„Lieber, kleiner Ahasver! Wie gut Du bist! Das ist ja viel, viel mehr, als ich erwartet hatte!“

Er machte eine verbindliche Handbewegung.

A vous le défaut, madame! Auch Sie gaben weit mehr, als ich erwartet hatte!“

Äußerst zufrieden, ließ die Check und Ring in ihre Tasche gleiten.

„Ich sehe Dich doch öfter, lieber Ahasver?“

„Zunächst kaum. Ich reise natürlich bald ab; – immer die alte Geschichte. In den nächsten Tagen [132] bin ich auch noch durch Familienangelegenheiten in Anspruch genommen. Ich verheirate meine jüngste Tochter –“

„Mit wem?“

„Mit dem jungen Herzog von Montmorillon!“

„Was Du nicht sagst!“

„Die Montmorillons sind arm wie die Kirchenmäuse. Aber ein uraltes Geschlecht! Sie behaupten sogar, ihr Stammbaum reiche bis zu Robert von der Normandie zurück. Das glaub' ich ihnen natürlich nicht. Immerhin ist es angenehm, in eine so gute Familie einzuheiraten.“

„Das kann ich Dir nachfühlen!“

Er warf sich in die Brust.

Meine andern Töchter haben auch keine üblen Partien gemacht! Eine ist mit einem englischen Pair verheiratet, (sagt zur alten Viktoria „Tante“), die zweite ist Botschafterin in Berlin, die dritte Witwe eines russischen Fürsten. Zur Hochzeit der letzten kommt nun die ganze Familie hier zusammen!“

„Wo ist die Trauung?“

„Natürlich in der Madeleine. Der Erzbischof selbst vollzieht sie. Du fragtest gestern, was für Nadelstiche ich ihm beibrächte. Die Heiraten meiner Töchter sind meine Nadelstiche. Zu Hunderten hab' ich sie ihm in den letzten Jahren beigebracht. Er erträgt sie ja mit viel Anstand, wie das in seiner Natur liegt. Aber er leidet schmerzlich darunter. Er ist ja doch viel exklusiver, als es den Anschein hat! … [133] Ich begnüge mich nicht mit dem bißchen Bestie, das er mir zuteilen wollte! Seinen liebsten Familien, den Familien der Märtyrer, Kreuzritter, Inquisitoren impf' ich mein Blut ein. Und die ganze Menschheit speise ich mit meinem Reichtum. Nicht lange wird es mehr dauern, da heiße ich, ich – Herr der Welt!

„Also doch!“

„Ja, aber anders als Du meinst. Ich werde keine Krone tragen, kein sichtbares Zeichen wird meine Macht verraten. Unsichtbar wird sie allgegenwärtig sein. In jedem, auch in dem Größten, wird ein Tropfen meines Blutes rollen. Und nichts Gewaltiges wird geboren werden, bei dem ich nicht Pate stehe.“

Sein Auge leuchtete. Seine Stimme sank zu geheimnisvollem Flüstern. Mehr zu sich als zu ihr, fuhr er fort:

„Das ist das gelobte Land, das uns versprochen ward, nach dem wir uns gesehnt haben –– Anders sieht es aus, als ich's erträumt! Und nicht als prunkender König bin ich eingezogen, – auf Schleichwegen bin ich über die Hintertreppe gekommen – wie ein Spitzbube! Aber ich bin da, in dem gelobten Lande der Macht! Ich lasse mich nicht mehr daraus verjagen! Er selbst hat mir die Ewigkeit als Zukunft bestimmt; – mag er sehen, wie er sich in Ewigkeit mit mir abfindet!“ –

Sein Auge flammte. Seine Stimme bebte in Erregung und Siegessturm. Sie sah ihn an. Seine Stimmung, die Heiraten seiner Töchter verdrossen sie.

Mit leicht ironischem Lächeln: [134]

„Ich werde in die Madeleine kommen! Ich möchte Dich dort sehen –“

„Wie Du willst, mignonne. Nur bitte, – kenne mich dann nicht! Du begreift, gerade bei einer Hochzeit … noch dazu als Brautvater …“

Sie nickte hochmütig.

„Beruhige Dich! Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie peinlich Begegnungen sein können!“

„Nun also, da wirst Du am besten wissen, was Du zu thun hast! Im übrigen, ma chère, wann immer Du eines Freundes bedarft, – ich stehe jederzeit zu Deiner Verfügung!“

Er zog sie an sich, küßte sie zum Abschied. Mit innerem Widerstreben ertrug sie eine Zärtlichkeit. Sein „kenne mich nicht“ hatte sie verletzt! Sie duldete seinen Kuß dennoch. Er war ja ein Mann, mit dem man rechnen mußte – –

Lächelnd sagte sie:

„Auf Wiedersehen!“

Lächelnd hinkte er zur Thüre hinaus.