BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Else Lasker-Schüler

1869 - 1945

 

Die Nächte Tino von Bagdads

 

1907

 

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Das blaue Gemach

 

UND seit einigen Tagen beginnt meine Krone zu zittern, ich fühle ein leichtes Brennen auf der Stirn, und meine Augen sind halb geschlossen. Ich bin grenzenlos traurig, es ist, als ob sie mich überschütte die Trau­rigkeit, wie dumpfes Nebelweinen eine Stadt. Meine dunkelhäutigen Sklavinnen standen wie schwarze Marmorsäulen um mich und immer verharrte die Liebe vor meiner Seele, wie vor einem Tempel. Um mich zu belustigen, feiert der Khedive Freudenfeste ... Dudelsackpfeifer und Flötenspieler machen helle, grüne Musik, Gaukler mit zerzausten Flachsperrücken springen katzenbehende über schmale Stufen, klettern auf schwankende Bambusrohre und schwingen sich über die Bogengelände des Palastes. Die Weinschänken und Speiseträger tragen Krokodilmasken und Spassmacher mit buntgeschminkten Händen und Füssen drehen Kreise mit ihren wilden, weiten schellenbehangenen Röcken. Aber meine Augen sind halb geschlossen und die harten roten Steine meiner Krone zerfliessen und meine schlanken Sklavinnen biegen sich wie Pinienstämme und lauschen heimlich dem Fieber meines tausendjährigen Herzens. Und wenn Du wieder hier in der Heimat bist, Senna Pascha, so wirst Du auf der Stirne der grossen Pyramide in Hieroglyphen meinen Namen lesen.

Senna Pascha – – – ich sitze auf dem Rosenbeet hinter den silbernen Dachfirnen des Palastes und blicke hinüber über einen Wald von Pharaonenbäumen. unter der grossen leuchtenden Kuppel lag der Harem, und ich starre auf das Fenster meines verlassenen Gemachs mit seinen blauen Wänden. Neben der stolzen, leuchtenden Kuppel erhebt sich die schwere Fahne des Botschafters, wie eine fremde, abwehrende Hand. Ich bin endlos traurig es ist als ob ich ersticke unter der Traurigkeit wie unter einer Wüste von Sandtropfen. Ich habe nie eine Prinzessin oder einen Prinzen so geliebt, wie mein blaues Gemach. Wie eine Mutter hat mich sein wiegender, blauer Arm umschlungen und tiefere, blaue Augen hat nie ein König des Abend[s] gehabt, wie mein, hehres, blaues Gemach. Ein blauer Schwan war es, auf dem ich gleitete – – eine Wunderblume war mein süsses blaues Gemach – – hei, eine Tänzerin ... immer in seidenen, blauen Schritten ... zauberleise ... und mit der Sonne hat es hellen Schattenschein getanzt und blaue Träume um die Sterne geschlungen und hast Du schon einmal ein Gemach gesehn, das blaue Haare hatte, Senna Pascha? O, ein Kuss war mein blaues Gemach und ich sterbe an diesem blauen, blauen Kuss. Und meine scheuen Sklavinnen umfassen sich im Schlaf – – ich singe Lieder aus tötlichen Tönen. Alle Sterne bedecken mein Gesicht ...... – – –

O, du mein blauer Rauschegarten,

O, du meine verlorene blaue Nacht ...

Beim grossen Propheten, Senna Pascha, halte mein Geheimnis in Deinem Herzen.