BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Else Lasker-Schüler

1869 - 1945

 

Die Nächte Tino von Bagdads

 

1907

 

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Der Grossmogul von Philippopel

 

DER Grossmogul von Philippopel sitzt im Garten des Reichspalastes in der Sultanstadt; kommt ein fremdes Insekt von Abend her und sticht ihn auf die Spitze seiner Zunge. Er hat nämlich die Angewohnheit, sie beim Nachdenken auf der Unterlippe ruhen zu lassen. Und trotzdem die Ärzte dem Unfall keine weitere Bedeutung beilegen, geschieht es dennoch, dass der erhabene Herr sich einbildet, nicht mehr reden zu können. Und auf andere Weise sich verständlich zu machen, lehnt er mit Finsternis ab; das ist ein unabsehbarer Schaden für das Land. Züge von kasteienden Priestern ziehen durch die Strassen Konstantinopels, und auf den Knieen vor Allah liegt der Sultan. Seine beiden Söhne ruft er zu sich in sein Privatgemach: "Buben, Ihr müsst ein Handwerk erlernen!" –

Könige mit spitzen Krummschnäbeln drohen schon lange den Balkan aufzufressen und allein die Geschicklichkeit des Grossmoguls verschanzte die Beute. Und von den Dächern der Häuser und öffentlichen Gebäude, von der Kuppel der grossen Moschee rufen nackte Knaben Berichte aus über das Befinden des verstummten Ministers. -

Meine Tante schüttelt behäbig den Kopf, sie sitzt auf ihrem Dach und heisst Diwagâtme. Sie ist eine der dreissig Frauen meines reichen Oheims gewesen, er aber und ihre Nebenfrauen sind an ihrer Klugheit gestorben, neunundzwanzig Mumien um das Grabmal meines Oheims. Ich weile bei ihr ihres wunderherrlichen Sohnes Hassan wegen, denn ich bin eine Dichterin. Hassan und ich weinen immer abends heimlich unter grossen Sternen – wir können uns nicht heiraten; Diwagâtme will uns keinen Palast bauen. Aber sie giebt mir den Rat, einen wundertätigen Trost zu erdichten, da es sich nur um das rechte Wort handle, die behexte Zunge des Grossmoguls von Philippopel zu lösen. "Ein Honigstrom möge seine Gunst dich umfliessen, mein Kind." Und Krüge mit abendländischen, sündigem Getränk füllt die kluge Tante für die lechzenden Kehlen der grimmigen Türhüter des Reichspalastes. – Fremdgekleidete Weise und Ärzte wandeln zwischen den Säulen der Höfe auf und ab, reissen an ihren Bärten, beraten und streiten sich einander, und dazwischen die näselnden Schreie der Esel aus den Ställen. Und ich gelange unbemerkt zu dem schweigenden Grossmogul; und über Kreuz liegen meine Arme auf der Brust und mein Schleier zittert. Aber der erhabene Herr hebt das rotumbartete Haupt näher meinen zaubernden Lippen und seine Stimme erschallt dröhnender wie je zu seinen Redezeiten. Auf sein Quastenkissen zieht er mich neben sich und er betastet meine Wangen, meine Augen, meine Stirne, und der Schleier zerreisst und mein Atem flattert nur noch unter seiner schweren Freude. "Wir sind jetzt ein Staat, ein Volk!" ruft er. Aber als die Weisen und Ärzte und die Bürger von den Strassen und der Sultan auf der Schulter seines Schnellläufers in den Garten des Reichspalastes stürmen, senkt der Grossmogul von Philippopel abermals sein Haupt und verfällt in Stummheit. Ich aber muss seines schwarzen Dieners Bericht bestätigen. In den grossen Saal des Reichspalastes werde ich geführt, dort nehmen Schreiber vom Amte meine erdichteten, wundertätigen Worte auf, und die Staatsmänner bilden einen Chor um mich, und der Sultan nickt dazu immer herablassend mit dem Kopfe, und ich bin schon ganz müde vom Wiederholen meines erdichteten wundertätigen Trostes. Und in eine Glasurne auf blauem Purpursamt bestattet man das fremde Insekt vom Abend, das ich kühn ergriff, als es mich zur selben Stunde wie den Grossmogul von Philippopel auf die Spitze meiner Zunge stach und meine Sprache raubte. "Und o Herr, lass mich schweigen mit Dir!" Und ich muss mit ihm aus seiner goldenen Schüssel speisen, aus seinem Pokal trinken, und ein orangegelbes, seidenes Beinkleid und einen Mantel feuerfarbig, wie ihn der Grossmogul von Philippopel trägt, ist man im Begriff mir anzufertigen. Und über uns blühen die Bäume gold und wenn der erhabene Herr schlummert, denke ich an den wunderherrlichen Hassan. Aber in den kühlen Hallen des Reichspalastes warten die Landesvertreter auf mich. Ich muss ihnen heimlich seine Gutachten ihrer Entwürfe übermitteln, sie geschickt dem Gespräch beimischen, was wir abendlich eng aneinandergeschmiegt zur Insektenstunde führen. Aber ich vergesse des so hochgeschätzten Ministers Entgegnungen ihrer vielen politisch gewürzten Ausdrücke wegen und von der Brüstung des Reichspalastes wiederhole ich gegenwärtig der versammelten hohen Gesellschaft der Staatsmänner entstellt die neue Steuerfrage betreffend die Zollerhebung von Spezereien fremder Länder. "Aber der erhabene Herr hat sich wiederholt bei mir doch für die zollfreie Einfuhr der Muscatnus lebhaft ausge- sprochen." Und schon läutet der erhabene Herr, ich bin an seine Anhänglichkeit gefesselt. Und eine Stunde vor dem Monde naht der Sultan, dem Staatsmann den stummen Mund zu küssen und mich beschenkt er mit seltenen Gaben und einen Orden hat er für mich erfinden lassen: den wundertätigen Stern mit dem Diamant. Denn der Kredit des Landes ist beträchtlich gestiegen und die Könige mit den Krummschnäbeln ergriffen schleunigst die Flucht, nachdem sie Bekanntschaft mit den höchst wertvollen, neuen Sprenggeschossen gemacht hatten. Ich aber höre nichts mehr von dem wunderherrlichen Hassan – freue mich nicht mehr über die Pracht ringsum und nicht mehr über die mir dargebrachten Ehren und es zerstreut mich die verdutzten Gesichter der Staatsmänner zu sehen, wenn ich ihnen die Weisheiten meines erhabenen Bruders bringe. Das Todesurteil der Rotte herrenloser Hunde auf den Strassen Konstantinopels trage ich in meinem Herzen – ich aber freue mich schon auf die morgige Sitzung im Reichstagsgebäude. Was der Grossmogul von Philppopel geruht zu entfalten, ist heilig wie die Worte des Korans. Also baut man im byzantinischen Stil, Wohnstätten für die verwahrlosten, bellenden Geschöpfe. Neger und auch abendländische Arbeiter bezahlt der Staat für die Ausführung der Bauten. Und unter der Angabe berühmter Architekten wachsen kleine Paläste aus den wertvollsten Grundstücken der Hauptstadt. Dass den verlotterten Tieren blaues Blut durch die Adern strömt, bezweifeln die Balkanbewohner keineswegs länger. Die herruntergekommenen Hundearistokraten werden Mode, reiche Haremsdamen kaufen sich zottige Hundeprinzessinnen für tausende Piaster als Schossspielzeug. Und in allen Erdteilen schon spricht man von dem Luxus der Bosporusstadt, von seinen verborgenen Goldfeldern und Diamantbergen. – Zweimal am Tage küsst Ali Rasmâr nun den stummen Mund. Ich aber rede nur noch in Versen, bis der erhabene Herr in Schlummer verfällt. Acht Stunden hat sein Vortrag über das Projekt der Kanalisation ge- dauert, das er mir ohne Pause vortrug. O, Hassan du Wunderherrlicher ... Und es strahlte die Mondsichel mit dem ersten Stern über Konstantinopel, als die Weisen und die Ärzte und die Bürger und der Sultan auf der Schulter seines Schnellläufers in den Garten des Reichspalastes eilen durch die kühlen Hallen in den Grossen Saal – wohin sie der erhabene Herr zu seinem Vortrag geladen hat. Und ich muss des schwarzen Dieners Bericht bestätigen, ich habe dem Grossmogul von Philippopel gesagt, dass ich wieder reden könnte. Aber seine gelben Kuppelaugen, die noch eben dankerfüllt zum Himmel leuchteten, sind aus den Höhlen getreten, seine roten Haare stehen wie wilde Blitze gezückt, als er die Urkunden des Reichsbuches zu durchblättern beginnt. Den Ministern schneidet er mit donnernden Flüchen das Wort ab, sie müssen flüchten und hinter der Schulter des Schnellläufers hält sich der Sultan verborgen. Leise schleicht die Kunde durch die Sternenstadt: Der Grossmogul von Philippopel sei tobsüchtig geworden. Man reisst mir das Gewand vom Körper, den Schleier vom Antlitz, schneidet meine langen Locken ab und der Sultan hat den Zorn über mich gesprochen – und vertrieben werde ich aus dem Garten des Reichspalastes. Nur einer von den weissen Eseln der Ställe folgt mir. Ich wandle schüchtern neben ihm durch die Nacht – über den Platz – dort wohnt der wunderherrliche Hassan aber er erkennt mich nicht und höhnt mich, und meine kluge Tante Diwagâtme spreitzt ihre Hände abwehrend von ihrem Dache aus.-Und ein Abendländer kommt und fragt mich nach dem Preis eines Eselrittes am Ufer des Bosporus. Eseltreiber bin ich geworden, mein geschorener Kopf bedeckt ein alter Fez, ich fand ihn im Sand am Ufer. Und abends liegen wir unter dem grossen Mondhaupt, mein Esel und ich, und ich deute mein Geschick, die eingeschnittenen Bilder seiner haarigen Haut! ........