BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Else Lasker-Schüler

1869 - 1945

 

Die Nächte Tino von Bagdads

 

1907

 

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Der Sohn der Lilame

 

ALS Lîlame die Gemahlin des Grossveziers noch in ihrem Schoss den kleinen Mehmed trug, geschah es, dass unter ihrem Fenster eine Gauklerbande mit hellblauen Flachsperrücken ihre Spässe trieben. Und als Mehmed auf die Welt kam, ringelten sich mitten auf seinem Kahlköpfchen zwei ganz kleine hellblaue Wollhärchen. Seine Mutter Lilame soll schwermütig darüber geworden sein, und sein Vater der Grossvezier liess alle Friseure des Landes in den Palast rufen, aber die standen ratlos um den hellblaukeimenden Haarboden seines Sohnes. Und Mehmed wurde der Welt böse, als er zum erstenmal mit seinem Gouverneur durch die Strassen von Konstantinopel spazierte. Die reichen und die armen Leute hielten sich die fetten und die hageren Bäuche vor Lachen. Und einige von ihnen wurden sogar handgreiflich und zupften an den Spitzen seiner hellblauen Locken. Aber als Mehmed älter wurde, gewährte es ihm einen unerklärlichen Reiz durch die lachende Volksmenge zu schreiten. Seiner Locken Blau hob sich grell ab von der Zitronenfarbe seines Turbans. Und in jedem Jahre einmal kam der Tag des grossen Köpfens. An dem wurden alle die sich des Lachens bei seinem Anblick nicht enthalten konnten, in den weiten Vorhof seines Palastes geladen. Der Sohn des Grossveziers sass dort auf einem steinernen Stuhl und zwang seine Opfer sich noch einmal so ungebührlich zu gebärden, wie sie sichs vor ihm auf den Strassen Konstantinopels haben zu Schulden kommen lassen. Aber die Leute zitterten vor Nöten und namentlich die Kinder heulten, denn auf einer Wetzbank lagen krummgebogene Schlachtmesser wie blitzende Mondsicheln, in jeder Grösse, für jeden Hals passend. Aber es ist noch nie eines von ihnen blutig geworden, denn Mehmed erlöste die Qual der Schuldigen, indem er sie vor der Hinrichtung wieder in ihre Wohnungen schickte. Und man betrachtete den Sohn des Grossveziers bald mit scheuen Blicken. Die Lachlustigen verbargen ihre Gesichter, wenn sie ihn von ferne herannahen sahen. Und die alten Weiber auf den Plätzen, die Spezereien und Kräuter feilboten, tuschelten sogar von der Wunderkraft seiner heiligen, hellblauen Haare. Aber Mehmed war der Welt böse. Doch weil er sie so liebte, begann er seine ausserge­wöhnlichen Haare mit flüssigem Kalk zu weissen. Und als ich ihn eines Abends also tun sah, trat ich in den Garten zu ihm, er sass am Rand des Spiegelsees, und sein Haupt war wie ein Stückchen Himmel, das in das kleine Wasser gefallen war. "Was beginnt Mehmed, mein lieber Vetter?" Und ich wehrte ihn sein Vorhaben weiter auszuführen, denn ich empfand Allahs Willen im Leuchten seiner hellblauen Haare. "Mehmed, Du bist ein Weiser und bist ein Narr, da Du es nicht weisst. Und wenn Du auch die schwarzen Haare Deines Vaters oder die goldbraunen Locken Lîlames Deiner Mutter trügest, Dich hätte das gleiche Geschick ereilt." Ich zeigte in den See. "Deine Stirne ist mit Gold beschrieben, wie sollten die Unwissenden ihre Sprache deuten können, und Deine Augen blicken in eine andere Welt." Und wir stellten noch am Abend eine Probe an, er verbarg seine hellblauen Haare tief im Turban und ich sah recht deutlich durch meinen Schleier, wie sich die Vorüberschreitenden neugierig anstiessen und ihre Lachsucht ihm galt. Aber Mehmed wandelt seitdem nur noch vor meinem Gitterfenster des Harems auf und ab, bis ich zu ihm in den Garten trete. Seine hellblauen Locken liess er sich nicht mehr nach Landessitte beschneiden, sie hatten schon seine Lenden erreicht und eines Abends am Spiegelsee offenbarte er mir, ihn beseele die tiefe Erkenntnis, er sei tatsächlich ein Weiser und grösser als alle seine Nebenmenschen, als Mond und Sterne. Und er könnte seine unumstössliche Erleuchtung nur damit begründen, dass er ein Zwilling Allahs sei. Auch würde er ferner nicht mehr über die Strassen Konstantinopels schreiten und die winzigen Menschenhaufen zertreten, das liefe nicht mit seiner Weisheit parallel. Aus verschiedenen Ländern lässt er Geometer kommen, welche die Höhe der Granitsäulen feststellen sollen, auf denen das Dach seines Palastes ruht. Er geht Wetten ein, natürlich gewinnt er immer. Er ist ja beträchtlich grösser als die steinernen Träger. Und die Pyramide jenseits des Ufers hat er selbst mit Klötzen aus den Baukästen der Haremskinder aufgebaut. Und die mächtige Moscheekuppel ist ein Punkt gegen seinen Kopf. Und sein Vater der Grossvezier, erbaut sich an der heiteren Laune seines sonst so schwerbrütenden Sohnes; übersteigen seine Spässe doch die Sprünge der Gaukler vor dem Palast. Aber ich werde täglich schwermütiger wie Lîlame seine Mutter. Und es war in aller Frühe, die Priester hatten noch nicht die Gebete verrichtet, als ich Mehmeds Stimme vor meinem Fenster höre; er schwenkt eine Zeitung triumphierend wie eine Siegesfahne durch die Luft. Und er lässt mir kaum Zeit die grosse Neuigkeit zu lesen. Es handelte sich um ein Elephantenriesenmonstrum aus Ost-Indien. Augenblicklich weilte es in der Kaiserstadt der Deutschen, im Abendland. Fünfundzwanzig Schwarze und fünfund­zwanzig Diener seiner Haut müssen sich zur Reise bereit halten und ausserdem die Hochgestelltesten im Palaste, und ich seine Base, die ich seine Weisheit zuerst erkannt habe. Auf der Fahrt über die Gewässer verhielt sich Mehmed auffallend schweigend, nur manchmal steigt ein Siegeslächeln jäh wie auf Meileneile über sein Antlitz und verklärt seine hellblauen Haare. Umzäunt von drei Eisengittern gewahrten wir Goliathofoles das Riesenmonstrum und in den Nebenkäfigen die anderen Elephanten, die ihn kopfschüttelnd begaffen. Er war gerade im Begriff zwei Kessel Wasser auszuschlürfen. Auf eine Eingabe hat die Hauptstadt die Kessel der Gasanstalt dem hohem Gaste zur Verfügung gestellt - und der Westen war ohne Beleuchtung. Goliathofoles war so gross - um gewissenhaft zu berichten: auf seinem Kopf lag Schnee. Aber nichtsdestoweniger verstand er mit seinem Rüssel die Orgel zu drehen und namentlich die Trommel zu schlagen. Heute aber weigerte er sich entschieden seine Kunststücke dem Publikum vorzutragen, trotz der vielen Zuckerhüte, die für ihn zur Belohnung in Bereitschaft standen. Mehmeds schmächtige Glieder krampften sich vor Ungeduld und die fünfundzwanzig Schwarzen und die fünfundzwanzig Diener seiner Haut spannten ihre volle Kraft an um das Vorhaben ihres Herrn zu verhindern in den Käfig einzudringen. Mit zugespitzten Lippen, girrende Töne flötend, versuchte er das unfolgsame Riesentier zu ermutigen. Bisquitkrümel warf er in sein höhlenaufgesperrtes Mäulchen. Er duckte sich immer kleiner, damit Goliathofoles auch den aufmunternden Trommelwirbel seiner Hände auf dem Gesäss eines seiner Diener vernehmen könne. "Gutes Kiehnd, gutes Kiehnd ........!"

Einen so köstlichen Prinzen hat das Publikum in seiner Hauptstadt noch nicht empfangen. Mir aber rannen schmerzende Tränen über das Herz ............