BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Avalun. Heft IV

 

1901

 

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Das Jahr des Lebens

 

Frühling

 

Tod, durch deine Finger rinnt

meiner Sonne Licht.

Deiner Finger Schatten fließen

über mein Gesicht.

Seltsam. Spielend. Kühlend.

 

Was verbergen seine Hände

über mir?

Meine Sonne?

Meine Sonne, meine Sonne....

Hielt er seine Hände so

über euch am Lebensende,

Tote unter mir?

 

(Meine junge junge Sonne,

meine Ferne weit so weit,

unbeschritten,

undurchlitten;

meine Stunde, meine Zeit....)

Spielend; kühlend.

Meine Kinderaugen

schließen sich vor solcher Kühle;

schlafen –

 

 

Sommer

 

Und die Finger werden Zweige,

Äste; und ein Baum:

So verknorrt der Tod, Und Sonne:

Schatten.

Und ich träume einen Traum....

Unter Blüten fühl' ich: gestern

fühlte ich die Schatten kaum.

Heute: seltsam; tastend; lastend....

 

Blütenschatten drücken mich im Traum....

 

(Meine glühe glühe Sonne,

meine Ferne weit so weit,

unbeschritten,

halbdurchlitten;

meine Stunde, meine Zeit....)

 

Drückend.

Meine jungen Augen

schließen Schattenhände.... Du:

drückten so am Lebensende

Schattenhände dir die Augen zu,

Totenruh?

 

Seltsam.

Und ich träume; träume –

 

 

Herbst

 

Und die Zweige werden Finger,

Hände; und der Tod.

Und er winkt in meine Fernen;

und es kommt die Not.

Schatten furcht die Not zu Falten,

Furchen, Wunden; Blut so rot!

 

Und die Früchte meiner Glut?

rieselnd Blut!

 

(Meine rote rote Sonne,

meine Ferne weit so weit,

unbeschritten,

ganz durchlitten?

meine Stunde, meine Zeit....)

 

Bluten.

Meine Augen bluten

wachend.... Sagt, erloschene Gluten

unter mir:

blute ich wie ihr geblutet?

 

Und ich weine Blut und klage:

und wann muß ich ganz verbluten?

Und ich blute eine Frage;

wachend –

 

 

Winter

 

Sterben.

Starre.

Dunkel.