BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Die Beichte

 

1913

 

Erstausgabe:

in: Arkadia. Ein Jahrbuch für Dichtkunst.

Herausgegeben von Max Brod. Leipzig: Kurt Wolff 1913

Textgrundlage:

Heinrich Lautensack, Das verstörte Fest,

Gesammelte Werke.

Herausgegeben von Wilhelm Lukas Kristl.

München: Carl-Hanser-Verlag 1966

 

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Arkadia. Ein Jahrbuch für Dichtkunst.

Herausgegeben von Max Brod.

Leipzig: Kurt Wolff 1913

 

 

 

Beichte

 

I

 

Rein wie aus Wetterhäuschen mit so kleinen

Schritten und auch die Arme so am Leib

treten Beichtkinder. Und etwelche weinen

und aber sämtlich kümmert der Verbleib

 

von irgendwas, das sie dahint gelassen

im Beichtstuhl. Aber was bloß? Wenn man's wüßt'!

War es – woran man derart hing – ein Hassen?

ein Pik auf jemand? oder ein Gelüst:

 

nur einmal einen Blick lang dürfen drinnen

mit dem Gesicht sein zwischen gold'gem Flaum

des Oberschenkels und dem bleichen Linnen

des Frauenhemds, das solch gestickten Saum

 

hat wie vom Seitenaltar diese Decke... ?

– Ach, an den Altartüchern der Feston

gleicht Brautnachthemden (da ich Buß' erwecke)

und alle Kerzen flammen Karnation!

 

II

 

Macht es, weil mich der Beicht'ger losgesprochen

soeben, daß mir nichts mehr sündlich scheint?

Alles deucht statthaft, nichts mehr dünkt verbrochen!

Der mindeste Gedanke « Weib» vereint

 

in mir die divergierendsten Gefühle

und läßt mich auf die « Weiberseite» fliehn,

um dorten Reih' für Reih' die alten Stühle

und aufgeplatzten Polster abzuknien,

 

als wären's tutti kaum verlass'ne Betten

von jederzeit begehrenswerten Fraun!

Oh unerhörte lasterhafte Metten!...

Was macht dieses Sich-auf werfen und –stau'n

 

in meinen Säften, die wie Brühe kochen?

(Etle gehn schon zum Kommuniontisch hin –)

Macht es, daß ich vom Priester losgesprochen

und demnach frei für neue Sünden bin?

 

 

III

 

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.... der Orient! Ein schülerhaftes Sehnen

nach der Umarmung einer ganzen Stadt

dahockender Geishas – während Pulte, Lehnen

mit Wachs betropft wie Lackkunst ausschau'n – hat

 

mich überfall'n.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aufspring ich: – ein Getrampel

als wie von Hunderten entlockt der Bank

mein einz'ges Stiefelpaar –

Ewige Ampel:

ein Chrysanthemum ... rot....

Bin ich denn krank?

Ich bin so ausgehöhlt. Von einer Leichte

einwendig ... durch und durch ... wie ein Ballon.

Auftreibend sündhaft nun grad durch die Beichte

bin ich –

Absolution! Absolution! Absolution!

 

 

IV

 

Beichtvater –!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der will eben aus der Türe

und bückt sich so und sieht sich also vor,

als ob es mannshoch da treppabwärts führe.

– Ich wispere. – Die linke Hand am Ohr,

 

die Rechte vor dem Mund: – hat er verstanden.

– Er setzt sich neu parat. – Mit beiden Knien

fall ich zugleich und aber klag niemanden

und nichts nicht an. Nur ... ich beschwöre ihn

 

– ob das die Erbsünd sei – mir zu erklären,

daß man der Sünden bar nicht atmen kann

so wie die Welten nicht außer in Sphären –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und ein sehr philosoph'scher Dialog begann.