BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rosa Luxemburg

1871 - 1919

 

Briefe aus dem Gefängnis

 

1918

Aus Breslau

 

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[Breslau,] 24. Mai 1918.

 

Meine liebe Sonitschka,

 

Sie haben mir eine große Freude gemacht mit dem schönen Pfingstgeschenk! 1) Ich stürzte mich natürlich gleich darauf und bin eben dabei, es zu lesen. Ich finde viel Ähnlichkeit mit dem „Simplicius“ von Grimmelshausen und zugleich mit „Candide“ 2). Am meisten aber frappierten mich die famosen Zeichnungen von Gigoux3), die leibhaftig an Daumier erinnern! Gigoux war aber sein Vorgänger. So geht es sicher den meisten berühmten Künstlern – auch in der Literatur – daß sie nur auf einen Namen für die Nachwelt sammeln, was zerstreut in ihrer Zeit in mehreren zum Ausdruck kam. Ich vermute, daß das auch bei Shakespeare der Fall war. – Ich erwarte noch ein Brieflein von Ihnen, bin begierig zu hören, was Sie treiben, wie Sie sich fühlen, wie es mit den Ferienplänen der Kinder 4) geworden. Über Ihre Reisepläne möchte ich aber auch hören. Eine schöne Gegend täte Ihnen bald sehr not! Ich umarme Sie herzlichst und danke nochmals für „Gil Blas“ 5).

 

Ihre RL.

 

Viele Grüße an die Kinder!

 

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1) „Gil Blas“ von Alain-René Lesage, siehe den vorigen Brief. 

2) Gemeint ist „Candide, ou l'optimisme“ von Voltaire. (Deutsch erschienen im Insel-Verlag 1913 unter dem Titel „Candid oder Der Optimist“.), siehe den Brief vom 2. Mai. 

3) Jean-François Gigoux (1806-1894) französischer Maler und Buchillustrator. Hat den Roman Gil Blas von Alain-René Lesage mit 600 Holzschnittvignetten versehen. 

4) Wilhelm, Robert und Vera Liebknecht, siehe In den Briefen erwähnte Personen. 

5) Siehe den vorigen Brief.