BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Emerenz Meier

1874 - 1928

 

Aus dem bayrischen Wald

 

Aus dem Elend

 

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Der Brechelbrei.

 

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Der Wind wehte längst über die Haberstoppeln und über die glatten, blaßgrünen Wiesen, aus den Wäldern stiegen die Nebel und legten sich schwer auf das Land – der tote Herbst (Spätherbst) war da.

Von den hochgelegenen Viehweiden hörte man weder Jauchzer noch Glockenklang mehr, denn der Hirt saß daheim in der Stube am Spinnrad und die Herden lagen träge im Stall. Alles Regen und Leben in der freien Gottesnatur war erstorben, sie trauerte ja und rüstete sich sachte zum langen Winterschlafe. Desto lauter aber war es noch in und nahe dem Dorfe. Aus den Städeln tönte der lustige Dreiviertel-Taktschlag der Drescher, und in den Flachshäusern polterte und dröhnte es, daß die Wälder ringsum brummten, als wollten sie Protest erheben gegen diese Störung der Herbstruhe.

Besonders im „Christlbauerharhause“, das am äußersten Ende der Gärten stand, ging es gar fröhlich her.

„Klipp, klapp, klapp, klipp, klapp, klapp“, klang es von etwa zwölf Brechen, – die flott geschwungenen Flachsbüschel ächzten unter ihnen, das Feuer im Heizkämmerchen [113] knisterte und schnalzte. Dazwischen gingen die Zungen der Brechweiber mit einer Geläufigkeit und Ausdauer, die in Anbetracht der atemberaubenden Arbeit bewundernswert war. Der Flachs der Christlbäuerin sollte heute noch fertig werden, denn morgen kam der ihrer Nahrungsleute an die Reihe. Freilich lagen noch an die fünfzig Büschel aufgestapelt drinnen in der Harhausstube an der Retz (Röste) und schon dämmerte der frühe Herbstabend um die Hütte, guckten die letzten Purpurstrahlen durch die Astlöcher und Ritzen der Bretterwand. Aber man hatte ja noch die ganze Nacht vor sich, und diese ist die eigentliche Zeit des „Brechelns“. – Dann war es auch der weitberühmte Brechelbrei der Bäuerin schon wert, daß man seinetwegen die paar Stunden Schlaf opferte. Die große Dirn (erste Magd) war es heute noch nicht müde, von dem ferdigen (vorjährigen) zu erzählen, in welchen „ihr Weib“ vierzig Eier geschlagen und so viel Schmalz darauf geschüttet hatte, daß es wie ein goldener See in der Schüssel herumgeschwommen. Und erst die Strauben und Krapfen zum Nachtisch! Ja, wie ihr Weib, so konnte keine kochen und backen in der ganzen Pfarrei.

„Na, mein Gott, sie hat's ja!“ sagte die Innfrau mit schiefgezogenem Munde.

„Wo so viel Sach' da ist, da kann ma leicht aufkochen. Vierz'g Rinder Vieh steh'n im Stall, und wie der Christlbauer – Gott tröst'n und unser' liebe Frau – gestorb'n is, sand rund zwanz'gtausend Gulden Geld beim Haus g'wen. Sidaher (seither) hat sie a net schlechter g'haust. Und aft is nur der oanzige Bua da.“

„Was ebba (etwa) der amal für oane heirat'n wird?“ fragte eine dicke, rothaarige Dirne.

„O mei', halt oane, die a wieder brav Guld'nstückl hat, denn auf der Welt is's a so: Wo eh der Haufen is, kimmt wieder der Haufen dazu.“

„Ah, wer woaß! Wenn's wahr is, was d' Leut [114] sag'n zweg'n der Häuslmirz, aft giebt's koane Guld'n. Net amal an g'scheit'n Kammerwag'n, denn 's Leutl is arm wie a Kirchamaus.“

 

 

Ein paar Brechen in nächster Nähe ruhten.

„Zweg'n der Mirz? Was is' denn? Da woaß i ja koa Wort!“ erscholl es ringsum.

Die Rote schüttelte nachdrücklich den Kopf.

„I bring' des G'schwatz net auf“, sagte sie. „Die groß' Christlbauerdirn hat mir's heut verzählt. Gelt, Nanni, du hast es mir g'sagt!“

„Ja. I woaß 's von unserer Kloan'; die hat heut früh aufg'lust, wie sich 's Wei und der Sepp miteinand' z'kriagt hab'n weg'n unserm Häusldirndl.“

Nun wurde die kleine Dirn vorgenommen und examiniert.

Stolz darauf, der Mittelpunkt des Kreises geworden zu sein, erzählte sie mit vielen Beifügungen, daß es zwischen der Bäuerin und dem Sohn Streit gegeben habe und daß die Ursache desselben die Häuslmirz gewesen sei. Erstere habe gedroht, dem „Betteldirndl“ und ihrer halblahmen Mutter die Wohnung zu kündigen, falls Sepp es nicht unterlasse, ihr auf Schritt und Tritt nachzugehen. Darauf sei dieser sehr zornig geworden und habe erwidert, daß er in dieser Sache sein eigener Herr sei, und daß ihn nichts auf der Welt bewegen könne, von dem Mädchen zu lassen.

Die Weibergesellschaft schien ob dieser Enthüllungen vor Schrecken zu Stein erstarrt.

„Aha, darum is 's Leut' heut' net 'kommen!“ brach die Innfrau endlich das Schweigen. „Hat mi schon lang g'schakeniert, daß 's net zuhakimmt, wo sie sonst dennerst allemal die erst' is. Na, i gratulier' eahm, – d' Bäuerin is a Scharfe. Wem die a mal auf d' Eisen geht, der is nimmer z'neid'n.“

Die Rothaarige wandte sich jetzt mit schadenfrohem [115] Lächeln an eines der Mädchen, die mehr im Hintergrund standen.

„Na, Wawi, was is 's nachher mit dein Lebzelt'nherz, das dir der Sepp am letzten Kirta verehrt hat? Heb' dir's fein gut auf, denn ein ander's hast kaum 'z g'warten.“

Die Angeredete, ein hübsches Mädchen mit sprühenden blauen Augen, fuhr heftig herum.

„Der Sepp is a Hoamtückischer, der heut' dera schön thut und morg'n einer andern. – Aber i glaub' ja enka G'wasch voneh net, denn es hoaßt net umasist (umsonst), daß man dreimal 's Kreuz machen sollt, wenn ma für a Harhaus geht.“

„So, moanst aft richtig, du Dalk, daß d' amal Christlbäuerin wirst?“

Wawi sah böse drein.

„Mei, du wärst erst gar die letzt', Kadi! Derfst dir nix einbild'n z'weg'n dem, wennst glei' a Goldhaub'n tragst. – Wer weiß, wenn i 's drauf anleg'n thät, – aber i bin überhaupt no z'jung. Wenn i amal sechsazwanz'g Jahr' alt bin, wie du, aft kann 's sein, daß i auch a Heiratslust kriag'.“

„Da schaut's den Schnabel an! I – i –“

Kadi wollte ihrer Entrüstung über die impertinente Person, die es gewagt hatte, auf ihr rotes Haar und ihr Alter anzuspielen, weiter Luft machen, da fiel ihr eine gesetzte Alte ins Wort: „Aber, Dirndln, seid's doch net gar so stockhimmelnarrisch! Z'kriegt's enk net z'weng an Kund'n, sonst müss'n enk ja alle Leut' auslachen. I glaub's am End' selber net, daß der reich' Christlbauer das arm' Weibsbild im Ernst möcht', – da wär' schon 's Wawerl an andere!“

Sie stellte ihre Breche ein wenig beiseite und klopfte das Mädchen schlau lächelnd auf die Schulter.

„Gelt, Wawerl, der kasigen (bleichen) Mirz geb'n wir noch lang nix nach! Der Sepp is a mögeter (hübscher) Bua, das muß man eahm lass'n, und wenn er uns heut' [116] wieder an Kolmes (Kalmusliqueur) zahlet, wie gestern, aft hätt' man ihn halt noch lieber. I weiß g'wiß, daß er dir's net abschlagt, wennst'n anstichst um oan.“

Wawi fühlte sich geschmeichelt und, rasch ihre gute Laune wieder gewinnend, gab sie zur Antwort: „Ja, er muß heut' an Süß'n zahl'n, verlaß di auf mi. Wenn d' Buam kommen auf d' Nacht, dann lass'n wir's net ins Häusl, bis 's Maut geb'n.“

„Sie wer'n eh nimma lang aus sein“, bemerkte die Innfrau. „Aber mei' Gott, mit dem ewig'n G'wasch hätt' i bald auf d' Hoaz vergess'n; da is grad d' Mirz schuld dran. Gestern hat sie sich alleweil ums Feuer bekümmert und heut' is' s net da.“

In diesem Augenblick öffnete sich knarrend die Eingangsthür und eine weibliche Gestalt erschien auf der Schwelle. Sie blieb eine Weile zögernd stehen, so daß Schatten von innen ihr Gesicht deckte; die Innfrau aber hatte sie trotz der Dunkelheit sogleich erkannt und eilte auf sie zu.

„O Mirzei, Gott sei Dank, daß d' da bist; iatzt kannst mir gleich aus der Not helfen. Du weißt, daß i 'n Rauh net vertragn kann, weil mir all'mal d' Troos (der Schlund) a so brennt, wann mir oana abikimmt. Geh', sei so gut und hoaz' für mi!“

„Recht gern, Innfrau“, sagte das Mädchen mit einer auffallend tiefen, aber weichen und klangvollen Stimme. Rasch auf die Heizkammerthür zuschreitend, setzte es bei: „Ös müßt's überhaupt schon an rauhen Hals hab'n, denn 'plagt habt's enk g'nua seit a Zeit.“

Damit verschwand Mirz in dem finsteren, qualmerfüllten Raum, während die Weiber einander betroffen ansahen. Wie bitter und spöttisch hatte ihre Bemerkung geklungen! Sie mußte wohl lange gelauscht haben. – Die „gesetzte“ Alte drückte sich mit ihrer Breche in den hintersten [117] Winkel und dachte schuldbewußt an das alte Wäldlersprichwort: „Wenn man an einem Flachshause vorübergeht, soll man sich dreimal bekreuzen.“

Jetzt ließ sich ein langgezogener Juhschrei aus der Ferne vernehmen und wunderbar war die Wirkung, welche er in der Weibergesellschaft hervorbrachte. Das Geräusch der Brechen verstummte und jubelnd klang es:

„D' Buam keman, d' Buam keman!“

In aller Eile wurden die Laternen angezündet und an dem Balken des Dachstuhles befestigt, die Mädchen rissen ihre dickbestaubten Matraßtücher vom Haar, schlugen dieselben auf und banden sie mit besonderer Sorgfalt wieder auf.

Alsbald knarrte die Thür, etliche Burschenköpfe streckten sich herein und hell erklangen draußen die melodischen Töne einer Mundharmonika.

„Draußt bleib'n, draußt bleib'n!“ schrie Wawi lachend, indem sie versuchte, die Thür zuzuhalten. Die anderen kamen ihr schnell zu Hilfe und nun hieß es: „Was zahlt's, wenn wir enk einlass'n?“

„Nix – nix!“

„Aft kemt's a net herein!“ riefen die Brecherinnen entschlossen und stemmten sich noch fester gegen die Thür.

 

„He, Dirndl, mach' auf, he, kennst mi denn net?

Oder sand in dein' Haus koane Fensterln net?“

 

sang eine frische Stimme draußen.

„Wennst uns heut' an Süaß'n zahlst, Sepp, dann auf der Stell!“ erwiderte Wawi.

„Was's wollt's! Meinetweg'n glei a ganz' Faßl!“

Die Thür flog auf und ein Haufen junger Burschen drängte sich herein, Sepp an der Spitze.

 

 

Er überragte an Höhe alle anderen und war wirklich recht „möget“, wie die Alte gesagt hatte. Die hitzige Eifersucht zwischen den Mädchen war daher sehr entschuldbar. Sein Blick überflog wie suchend die Schar und blieb zuletzt [118] mit einem eigentümlichen Aufleuchten an Mirzens schlanker Gestalt haften, welche in dem Rahmen der schwarzen, rauchumwirbelten Heizkammerthüre einen seltsam schönen Anblick bot. Das Herdfeuer von innen warf seinen grellen Schein auf sie und das Licht der Laternen von außen malte ihre Wangen bleich. Oder waren sie es in Wirklichkeit? – Jetzt wandte sie sich um, schloß die Kammer und verschwand wie ein schönes Gespenst in der Harstube. Sepp machte ein verdrossenes Gesicht.

„Da habt's Geld!“ rief er Wawi zu. „Kauft's, was 's wollt's. Pfeift's und singt's, Buam, daß d' Weiberleut a Freud' hab'n, und ös“, wandte er sich an diese, „laßt's iatzt derweil 's Brecheln geh'n, später helfen wir enk auch.“

So etwas ließ man sich nicht zweimal sagen. Die Brechen wurden zusammengeworfen und als Sitzbänke benützt, die Rote lief sogleich fort, um den köstlichen „Süßen“ zu holen, und ein lustiges Lärmen begann.

Sepp benützte den Augenblick allgemeiner Bewegung und schlüpfte durch die Harstubentür. Glühende Hitze herrschte in dem dunklen Raume, denn die Flachsbündel auf den Gerüsten, welche sich um den hohen Kachelofen herumzogen, mußten ja geröstet werden.

„Mirz, wo bist denn?“ fragte er, langsam vorwärts tappend. Der Flachs rauschte und knisterte.

„I muß d' Buschen umkehr'n. Bleib' draußt, Sepp!“ klang es leise von der Höhe herab.

„In dera Finsta? Du siehst ja nix!“

„I greif's halt.“

„Du mußt ja verbrinna und verbrat'n da herin, Mirz. Geh' außa!“

Als keine Antwort erfolgte, schlug er Feuer und brannte einen der am Boden liegenden Kienspäne an. Mit einem Schreckensruf sprang sie von dem Gerüste. [119]

„Mein Gott, Sepp, du zend'st das ganz' Harhaus an!“ rief sie ängstlich. „Geh', lösch 'n Span ab, i bitt' di!“

Sepp beachtete ihre Angst nicht, sondern ging vorwärts und klemmte den Span in eine Ritze der Holzwand. Dann schlang er seinen Arm um das Mädchen und führte es an eines der kleinen Fenster, welche einen Ausblick auf das freie, mondbeschienene Feld boten.

„Mirz“, sagte er nun, „i muß mi heut' ausred'n geg'n dich, denn die ewige Tratzerei und Hoamlichkeit kann i nimmer länger vertrag'n. Wie i mit meiner Alt'n dran bin, das woaß i seit heut' früh; iatzt möcht' i 's aber auch wiss'n, was 's mit dir is. Drum red'!“

Sie machte sich aus seinem Arm los, trat einen Schritt zurück und lachte leise. Dann antwortete sie: „Was dei Mutter g'sagt hat heut' früh, das gilt. Wir ziag'n in drei Wochen aus'm Häusl und schau'n uns wo anders um an Unterkunft, weit weg von da. Aft derf sie nimmer fürcht'n, daß der Sepp dem Betteldirndl auf Schritt und Tritt nachlauft.“

Das Gesicht des Burschen rötete sich dunkel, aber er bezwang sich und blieb ruhig.

„Das thust net, Mirz! Du bleibst mit deiner Mutter bei uns und in vier Wochen is d' Hochzeit. Wir kommen ja ohne die Alte auch furt, wenn sie sich g'rad setzt (sper, trotzt) auf di.“

„Nein, i will koan Unfried'n in enka Haus bringen. Dei Mutter is a brav's und a verständig's Wei, drum folg' ihr und schau' dir um oane, die besser zu dir paßt. Es giebt g'nua brave Bauerntöchter im Dorf und a jede is froh, wenn's Christlbäuerin wer'n kann.“

„Aber i mag koan andere net, als dich, das hab' i dir schon hundertmal g'sagt. – Sag' ja, Mirz, und i geh' heut' noch zum Pfarrer und laß uns am erst'n Feiertag dreimal verkünd'n (aufbieten)“ [120]

„Um die ganze Welt net, Sepp! Hör' auf, es is alles umsonst.“

„Aft hast mi überhaupt nie mög'n, wennst mir das anthoa kannst, und dei Schönthuerei is nix g'wen als lauter Falschheit!“ rief er zornig.

Mirz hob stolz den Kopf.

„I hab' dir nie schön than und hab di net g'foppt, Sepp. So weit is doch net, daß i mir oan zualocken muß, obwohl i nix hab', als mei Armuat.“

Sie wandte sich ab und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Sepp schleuderte den zusammengebrannten Kienspan fort und schritt zur Thür.

„Wir zwoa san fertig, Mirz. Aber i moan, es kränkt (reut) dich dei Stolz noch amal“, sagte er so ruhig, als es der Zorn, der in ihm kochte, erlaubte. Dann ging er hinaus und warf die Thür so heftig ins Schloß, daß die Klinke klirrend zu Boden fiel.

Draußen im Brechschuppen hatte eben der Jubel den Höhepunkt erreicht, denn der Kalmus war angekommen und unter Lachen und Scherzen ließ man das Krüglein kreisen. Daß nun auch die Christlbäuerin erschienen war, that der Lust keinen Eintrag, denn sie war, abgesehen von ihrer zeitweiligen Schärfe, ein recht gemütliches Weib und freute sich gern mit den Fröhlichen. Als dann ein Brecheltanz veranstaltet wurde, that sie sogar selbst mit und ländelte mit ihrem alten Baumann vor der Hütte draußen, daß es eine Freude war.

Der Mond lächelte mild herab auf das glückliche Völkchen und wer behaupten wollte, daß ein städtischer Tanzsaal mit Parkettboden und Kronleuchtern schöner sei, als der weite, luftige Garten mit dem weichen, glatten Rasen und der silbernen Himmelslampe oben, der hat noch nie einen Brecheltanz mitgemacht.

Nachdem der Sepp die Harhausstube verlassen hatte, war [121] Mirz an das Fenster getreten, um an der frisch hereinströmenden Nachtluft die brennende Stirn zu kühlen. Es war ihr jetzt nicht möglich, sich unter die lustige Gesellschaft draußen zu mischen, und lieber wollte sie hier die größte Hitze erleiden, als der Bäuerin, deren Stimme sie vorhin vernommen hatte, unter die Augen zu treten. Das „Betteldirndl“ ließ keine Ruhe aufkommen in ihrem Innern. Sie hatte ja in ihrem Leben noch niemals gebettelt, nicht einmal um Mitleid, obwohl seit frühester Kindheit Not und Sorge ihr Teil gewesen. Die Mutter war seit sechs Jahren an den Füßen gelähmt und Mirz hatte für dieselbe Tag und Nacht gearbeitet und gesorgt. Doch nie hatte das stolze Mädchen nur die geringste freie Gabe angenommen und jetzt nannte sie Sepps Mutter dennoch eine Betteldirne. Freilich, dieser konnte nichts dafür, aber trotzdem hatte sie das harte Wort für immer von ihr getrennt.

Mirz weinte nicht gern, sie erinnerte sich nicht einmal, je Thränen vergossen zu haben; jetzt aber konnte sie dieselben nicht unterdrücken, obwohl sie sich die Lippen blutig biß.

Völlig in Schmerz versunken, bemerkte sie nicht die unheimliche Glut, die sich vom Fuße des Gerüstes an bis zur halben Höhe der Flachsschichte ausgebreitet hatte. Auch der ganze Raum war schon dicht mit Qualm gefüllt, der sich seinen Weg endlich an des Mädchens Gesicht vorbei durch das offene Fenster suchte. Sie verspürte nichts davon. Erst als plötzlich eine grelle Feuergarbe aufwallte und im Nu alles andere ringsum ansteckte, stürzte sie mit einem Schreckensschrei auf die Thür zu. Doch sie konnte nicht öffnen, denn die Klinke war weg, und sie unter dem brennenden Flachs, der den Boden bedeckte, zu suchen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Sie rüttelte verzweifelt an der Thüre, aber diese war dicht und schwer und gab nicht nach. Sie pochte und rief um Hilfe, doch niemand befand sich im Schuppen und die Leute im Garten sangen, [122] tanzten und musizierten, so daß, da an dieser Seite auch kein Fenster angebracht war, ihr Rufen ungehört verhallte.

Als sie sah, daß es keinen Ausweg gab aus den Flammen, welche sie schon drohend umzüngelten und gierig nach ihrem Kleide leckten, ergab sie sich stumm in ihr Schicksal. Dicht schmiegte sie sich an das brennende Gebälk, umfaßte mit beiden Händen einen noch unversehrten Querstab desselben und blieb so stehen, die Blicke starr auf das offene Fenster gerichtet, das groß genug war, um etwa eine Katze durchschlüpfen zu lassen.

Bald würde sie nun der Rauch ersticken; bald würden die Flammen ihren Körper erfassen und morgen, – wenn Sepp im Schutt herumsuchte, würde er nur mehr ihre Gebeine finden. – Sie hatte jetzt schon Mitleid mit seinem Schmerze.

Doch da war es, als schaute sie aus den schwarzen Rauchwolken das bleiche, kummervolle Gesicht ihrer kranken Mutter an.

„Mirz“, hörte sie dieselbe sagen, „du derfst net verbrennen; denn aft hätt' i ja koan Mensch'n mehr auf der weit'n Welt: Geh' weiter, geh mit mir!“

„Ja, Mutter, dir z'lieb!“

Ihre Hände lösten sich langsam von der Stange und im nächsten Augenblick stürzte das Gerüst über der Ohnmächtigen zusammen.

Jetzt wurde die Thür aufgerissen und Sepp erschien bleich und verstört auf der Schwelle. Sein Blick irrte suchend umher und durchdrang den Rauchschleier, welcher über dem Gerüste hing. – Da schimmerte das rote, funkenbesäte Tuch hervor, das Mirz um den Hals getragen hatte: sie mußte also mitten in der Glut liegen und schon längst tot sein.

Mit gewaltiger Anstrengung warf er das Getrümmer beiseite, unbekümmert darum, daß die Flammen seine Locken [123] versengten, und da sah er nun die leblose Gestalt vor sich liegen.

Sie auf die Arme nehmen, hinaustragen und auf den kühlen Rasen niederlegen, war das Werk einer Minute; dann sank er neben sie hin und drückte aufschluchzend sein Gesicht in das kurze, taufeuchte Gras.

An ein Löschen war nicht mehr zu denken. In kurzer Zeit stand das ganze Flachshaus in Flammen und wie bezaubert starrten die Leute auf das wildschöne Schauspiel. Ein einzelner Windstoß trieb die roten Lohen seitwärts, erfaßte eine Masse brennenden Flachses, dessen noch unversehrter Kern dunkel durchschien, und alle wichen zurück und bekreuzten sich.

„Die Harhausrega!“ klang es durch die feierliche Stille. „Helf uns Gott, die Rega!“

Die Leute beruhigten sich bald. Was lag am Ende auch an dem Flachshaus und seinem Inhalt. Die Christlbäuerin konnte sich ja wieder ein anderes bauen lassen, für sie war das eine Bagatelle.

Aber die Mirz, was war mit der geschehen? Sie lag jetzt in den Armen der weinenden Bäuerin; Sepp kniete neben ihr und klagte sich immer wieder an, daß er den Brand verursacht habe, und mithin gar ihren Tod. Er erzählte, was zwischen ihr und ihm in der Stube vorgefallen war, und daß er zuletzt den noch glimmenden Span gegen den Flachs geschleudert habe, ohne in der Erregung daran zu denken, daß dieser sich entzünden könne. Er fügte endlich hinzu, daß sie, die Mutter, ebenfalls ihren Teil an der Schuld trage, indem sie durch ihre harten Worte das Mädchen so sehr erbittert habe, daß es ihn nicht einmal mehr wollte. Und sie seien doch füreinander „beschaffen“ vor Gott. Er würde nun um alle Welt keine andere mehr heiraten und bis zu seinem Tod allein bleiben.

„So hör' endli' einmal auf, du dummer Bua!“ unterbrach [124] die Alte seinen Redestrom. „Schau' her, d' Mirz lebt, sie lacht dich sogar schon wieder aus. Net wahr, Mirz, der Sepp ist doch ein recht närrischer Bua, du stirbst ja gar net, gelt?“ –

Wirklich, die eben aus der Betäubung erwachte Mirz lächelte, und jetzt schlang sie den rechten Arm um den Hals der Christlbäuerin; den linken aber ließ sie kraftlos herabsinken, denn er war von einer großen Brandwunde bedeckt.

„Na, so nimm sie halt, Sepp, und trag dir's heim in Gott's Nam', – geh'n wird's ja kaum können“, sagte die Alte unter Thränen lachend, indem sie das Mädchen in die Arme des Sohnes legte.

„So und jetzt, Leut', geht's alle mit mir zum Ess'n, denn kocht und ang'richt is, und es wär doch schad', wenn i die vierz'g Eier umsonst verschlag'n hätt. Du, Großer“, wandte sie sich an den ersten Knecht, „du gehst glei zum Häuslwei (Mirzens Mutter) und bringst es her. Sie muß heuer auch mithalt'n beim „Brechlbrei“.“