BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Emerenz Meier

1874 - 1928

 

Aus dem bayrischen Wald

 

Aus dem Elend

 

____________________________________________________

 

 

[39]

7. Kapitel.

 

――――――――――――

 

Am Abend des Johannisfestes herrschte auf den Bergen ein fröhliches Leben. Um die aus Tannenästen und Fichtenzweigen aufgerichteten Hügel tanzte die Schuljugend der Dörfer. Die Wälder widerhallten von Jauchzern und Pistolenschüssen, von den vielstimmigen Gesängen der Burschen und Mädchen. Das würdige Alter lagerte an den Feldrainen und ergötzte sich an dem lebensfrischen Nachwuchs und gedachte der Zeit, zu der es selbst mit gleicher Lust die Sonnenwende gefeiert.

„Am höchst'n sind halt doch wir heuer!“ rief ein Bursche auf dem steilen Sölling hinter Kaltwasser in selbstbewußtem Tone seinen Kameraden zu.

Und er hatte recht. Der Sölling überragte wohl zwanzig der ihn umringenden Berge, man konnte von seiner Spitze aus einen beträchtlichen Teil des Waldlandes überschauen.

„Des muaß schön wer'n, wenn amal alle Feuer außi und außi brinnen“, sagte ein anderer. „Das unsere möcht' i jetzt schon anzend'n, damit wir als die Erst'n das Zeich'n geb'n kunnt'n. Wenn nur der Reutbauer käm', – er bleibt ewig lang aus.“

„Na, müss'n wir denn g'rad auf ihn wart'n?“ fragte ein dritter etwas unwillig.

„Freilich thun wir's. Es möcht'n sunst beleidigen. – Aber wenn i recht seh', – da kimmt er ja schon herauf über d'Höh'.“

„Ja er ist's, er ist's! Jetzt kann's losgehen, Buam!“ riefen die Burschen in lebhafter Bewegung.

Einige zogen ihre Pistolen und feuerten sie gegen den Reisighügel ab, aus dessen Spitze die lange Stange mit dem König 1) emporragte. [50]

Gottfried hatte die Höhe erklommen und schritt nun, zum Gruße den Hut schwingend, herbei.

„Anzend'n, Reutbauer, anzend'n!“ tönte es ihm von allen Seiten entgegen.

Er blickte prüfend in das Land hinaus, das die Dämmerung schon zu überweben begann, während im Westen die letzten Streifen der Abendröte verglommen.

„Habt ös Bes'n?“ fragte er dann die sich an ihn herandrängende Knabenschar.

„Ei ja, hundert für oan!“ war die fröhliche Antwort.

„So zend'ts an, aber schön unt'n in der Mitt'!“ befahl er.

Jubelnd und schreiend stürmten die Knaben dem grünen Hügel zu. Gottfried und die übrigen folgten langsamer.

Alles, was sich an Leuten auf dem Sölling befand, erhob sich, um das Aufflammen des Feuers zu beobachten. Die Jungen machten ihre Sache gut, denn sie krochen mit dem Fackelbrand unter den Reisighaufen, wo sie ihn einsetzten.

Es währte nicht lange, so brach sich eine rotgelbe Lohe durch die duftende Nadelmasse, welche bald von dichten Rauchwolken umhüllt war, um sich endlich als ein brennender, sprühender Hügel zu entpuppen. Die Flammen stiegen lotrecht empor und warfen ihren Schein auf die hohen, alten Tannen des Söllingwaldes, dessen ernstes, feierliches Rauschen mit seinem düsteren Aussehen übereinstimmte.

Vor, unter und neben ihm aber, welches Leben!

Die Knaben hatten ihre an langen Stielen befestigten [51] Besen in Brand gesetzt, mit welchen sie nun prozessionsweise den steilen Hang auf- und abliefen, Flammenräder schlugen und andere feurige Figuren bildeten. Von Zeit zu Zeit machten sie einen Ausfall nach den fröhlich umherwandelnden Mädchenscharen, die dann mit Geschrei und Lachen auseinanderstoben. Die Burschen sangen zu den Weisen einer Ziehharmonika, daß es im Walde widerhallte.

Als hätten die Nachbarn ringsum nur auf das Zeichen vom Sölling gewartet, so lohten plötzlich an die zwanzig oder dreißig Feuer auf, die waldige Gegend wundersam beleuchtend.

Und überall die gleiche Lust, das gleiche bewegte Schauspiel.

Gottfried hatte sich einige Zeit bei den Kameraden aufgehalten. Jetzt aber entfernte er sich von ihnen. Langsam umschritt er das Feuer und schickte seine Blicke suchend nach allen Seiten. Lange wanderte er so hin und her: bald gespannt aufhorchend, bald mißmutig den Kopf senkend, bis ihm plötzlich eine hellklingende weibliche Stimme zurief:

„Wen suchst denn, Gottfried?“

„Dich net“, murmelte er heimlich, geärgert, wandte sich aber trotzdem und trat auf die Fragerin zu.

Sie saß mit noch zwei Mädchen neben einer Haselhecke, doch so, daß nicht der Schatten derselben, sondern der grelle Schein der Flammen auf ihre kräftig gebaute, üppige Gestalt fiel. Ihre braunen Augen blitzten den Burschen keck und lustig an.

„Mich kannst net g'sucht hab'n, du Schlauer“, sagte sie, „weilst es oafach net g'wißt hast, daß die Greininger Resie von Roßberg zum Sunnawendfeuer auf'n Sölling geht. Na, i frag dich net weiter und verlang' nur, daß dich a wen'g zu uns her sitz'st und uns G'sellschaft leist'st. Die Dirndln vom Kaltwasser mög'n uns net leid'n.“

„Die welchen denn?“ fragte er.

„Alle, b'sunders aber die Reutbauer Itta.“ [52]

„Und warum denn die?“

„Mein Gott, i woaß's auch net“, sagte Resie ungeduldig. „I hab ihr noch nia was g'than, hab s' sogar ganz gmüatlich ang'redt vorhin, aber da ist s' davon'gangen, als wenn's ihr net der Müh' wert wär', mit unserein'm z'dischkurir'n.“

„Was hast denn g'sagt zu ihr?“ fragte Gottfried abermals. Er hatte sich schon seit langem nicht mehr zur Bosheit aufgelegt gefühlt, als eben jetzt.

Sie wurde noch ungeduldiger.

„Mei Himmel, was du Alles wiss'n muaßt! – G'fragt hab' i sie, ob 's ihr wohl recht is, daß i auch da bin und ob – – aber i bin närrisch g'nug, wenn i Dir All's auf d' Nas'n streich'! Du thust es auch net.“

„Nein, i net“, bestätigte er, sich an ihrem Ärger weidend.

„Du bist ganz a Hoamtückischer, das woaß i lang'.“

„Und magst mi doch.“

„Mir scheint, er will dich heut positiv auftreib'n 2)“, mischte sich Resies Schwester, die rotwangige Lois, in das unerquickliche Gespräch. „Dann kränkt's uns aber, daß wir so weit g'ganga san; wir hätt'n dahoam auch a Sunnawendfeuer g'habt.“

„Es is wirklich dumm, das“, nickte Gottfried, der im Stillen den Vorsatz faßte, sich durch groben Spott von der ihm heute durchaus unerwünschten Gesellschaft loszumachen. Er hatte die hellgekleidete Gestalt Ittas in der Ferne erblickt und es zog ihn unwiderstehlich dorthin.

„O bild' dir's nur net ein, daß i z'weg'n deiner her bin!“ fuhr Resie zornbebend auf. „Es wär' mir load, wennst dir das denkert'st 3), weilst dich groß täusch'n thät'st.“

„Und z'weg'n wem bist denn nachher da, Resie?“

„Das geht dich nix an.“ [53]

„Nein, wahrhaftig nix, du hast recht. Gute Nacht.“

Er sprach's und schritt in hochmütiger Haltung von dannen, während die Mädchen in einen Sturm der Entrüstung ausbrachen.

„I kann mir's schon denka“, rief Resie fast außer sich, „i kann mir's schon denka, was und wer da dahinter steckt. Neamd anderer, als wie die verächtliche Böhmin, die d' Burgl aus Gnad' und Barmherzigkeit aufg'numma hat, und die sich mit ihrer scheinheilinga Larve bei Allen einschmeichelt.“

Itta lehnte ganz allein an dem Stamm einer alten Fichte und blickte sinnend auf das bewegte Treiben. Obwohl sie sich, wenigstens in dieser Stunde, nicht gerade unglücklich fühlte, wäre es ihr doch unmöglich gewesen, daran teilzunehmen, mit den Andern zu jubeln und zu scherzen.

„Ich passe nicht darunter“, sagte sie sich mit trüber Ergebenheit, „und werde drum wohl immer einsam und allein bleiben müssen.“

Dann dachte sie an Burgl, deren Schicksal noch härter war, als das ihre. Auch sie hatte seit dem Tod ihres Mannes nichts mehr gehabt von den Freuden des Lebens. Jetzt lag sie schon mondenlang krank darnieder, die ohnehin Schwergeprüfte. Wenn auf dieser Erde jedem Menschen sein gleiches Maß von Glück zugemessen wäre, wie sie es in irgend einem Buche gelesen hatte, wo war wohl das ihre geblieben?

„Nein“, dachte sie, „der Eine hat viel, der Andere wenig und Burgl und ich sind bei der Teilung zu kurz gekommen.“

„Itta, bist noch da?“ tönte Gottfrieds Stimme hinter dem Baum.

Sie fuhr erschrocken herum und es dauerte ziemlich lange, ehe sie antworten konnte:

„Ja, Gottfried. Geh'n wir etwa hoam?“

„Jetzt g'rad' noch net,“ sagte er hervortetend. I möcht' dir noch a Zeitl G'sellschaft leist'n.“ [54]

„Du mir?“ – Das klang so verwundert, ja bestürzt, daß er lachen mußte.

„Dir kimmt das so g'spassi vür? Wenn i aufrichti sein will, – mir selber auch, aber es is so. I hab' dich schon lang g'sucht.“

Da redete er offenbar die Unwahrheit, denn sie hatte ihn doch vor Kurzem noch bei den Greiningertöchtern stehen sehen. – Als ob er ihre Gedanken erraten hätte, fügte er hinzu:

„Ja, i hab' dich g'sucht. Derweil is mir vorhin d' Resie in Weg 'kommen und hat mi wider Will'n aufg'halt'n. – Jetzt aber bin i firti mit ihr.“

Itta verstand den wahren Sinn seiner letzten Worte nicht. Gleichwohl sagte sie mit erzwungenem Lächeln:

„Das is aber schnell 'gangen!“

„Schnell? – Ja, in der Hauptsach' freilich. Aber i hab' mich schon lang mit dem Vorsatz trag'n, daß i an End' mach'. Lieb is mir das Dirndl nie g'wes'n und seit a g'wiss'n Zeit kann i 's vollends nimmer leid'n.“

Jetzt erst begann Itta zu begreifen, was eigentlich geschehen. Sie schaute fast furchtsam auf in sein ruhig lächelndes Gesicht.

„Du hast dich also z'trag'n 4) mit ihr?“

„I net. I hab' ihr nur ganz gemütlich abg'sagt. Wenn sie sich ärgern will, – mir liegt nix dran.“

Da sie nichts mehr erwiderte und – wie er vermeinte, – teilnahmslos auf das Feuer blickte, begann er von Anderem zu sprechen.

„Hast du denn doch von der Burgl furtkinna heut'?“ fragte er.

„I hätt' mir's net verlangt. Aber in dem Glaub'n, es möcht' mi's Dahoambleib'n hart ankemma, hat sie nimmer [55] zu penz'n 5) aufghört, bis i mit der kloan' Dirn auf'n Sölling g'stiegn bin. Die Große wacht derweil bei ihr.“

„Da hat d' Burgl auch recht g'habt. Es wär' doch schad', wenn man in der Sunnawendnacht in der finstern Stub'n sitz'n müaßt'. Schau nur umeinand', was das für a Pracht is! Soviel' Berg', soviel Feuer, dazu das Singa und Juhetz'n, das Holzbäum- und Bachrausch'n und drüber der dunk'lblau' Himmel mit seine Stern'. Lacht dir das net auch ins Herz, Itta?“

„Es is wunderschön“, bestätigte sie. „I möcht' die ganz' Nacht so dasteh'n und schau'n. Nur schad', daß es so bald an End' nimmt.“

Er blickte eine Weile sinnend auf die plaudernd vorbeiziehenden Mädchen und dann wieder auf Itta, welche ihm heute besonders eigenartig und so ganz anders vorkam als jene.

„I glaub' net“, sagte er, „daß unter all denen oane wär', die sich g'freu'n kunnt, wenn s' so alloa ständ' wie du. Sie müss'n jemand'n hab'n, mit dem s' lacha und scherz'n können, während du neamd'n brauchst.“

„Du machst wohl auch net lustig sein ohne G'sellschaft?“ fragte sie lächelnd.

„Net gern. In der Einsamkeit kemman mir fast lauter traurige Gedanka.“

„Das is bei mir meist'ns g'rad so. Aber heut' – und dazu bin i ja gar net alloa.“

„Ja, jetzt freilich, jetzt sand uns zwoa“, lachte er.

„Drei, – denn der Baum in der Mitt', der zählt auch mit.“

Gottfried bemerkte jetzt erst, daß sich Itta ziemlich weit von ihm entfernt hatte und auf der linken Seite der Fichte stand. Diese offenbare Flucht ärgerte ihn, doch kam er nicht dazu, es sie in Worten fühlen zu lassen. Wie sie so dort [56] stand, die schöne Mädchengestalt, umspielt von dem roten Widerschein der Flammen, bannte sie unwiderstehlich seinen Blick. Und als sie ihm endlich freundlich zulachte, verwandelten sich Ärger und Bewunderung in eine Art Wehmut darüber, daß sie nicht an seiner Seite blieb und mit ihm vertraulich redete, wie er es anfangs erhofft hatte.

„Warum gehst mir denn davon?“ fragte er.

„I thu's ja net, Gottfried.“

„Freilich thust du's. Du kunnt'st dich doch zu mir hersitz'n und mehr schwatz'n mit mir. Scheuchst mich vielleicht?“

„Dich net.“

„Mich net? Aber wen denn sunst?“

„Die Leut', Gottfried. Geh'n wir lieber ans Feuer hin, es is jetzt so lustig dort.“

Er machte keine Einwendung und folgte ihr, zog aber die Stirne kraus, als sie sich zu einigen jungen Leuten gesellte, welche sich laut lärmend unterhielten. Es befanden sich die Mädchen von Roßberg dabei, welche vermutlich mit der Greininger Resie gekommen waren.

Itta beachtete nicht, daß man sie anfänglich ein wenig von der Seite ansah und ungeniert stellte sie sich in die Mitte der Gesellschaft. Als ob sie Gottfried zeigen wollte, daß sie wohl eine Rolle spielen könnte, wenn sie nur Lust dazu hätte, begann sie mit einer an ihr seltenen Munterkeit in die Unterhaltung einzugreifen. Dabei vergab sie der ihr eigenen Würde nicht das Mindeste. Diese flößte Respekt ein, ihr anmutiges frohes Lachen riß unwillkürlich hin und ehe drei Minuten verflossen waren, konnte Gottfried sehen, wie sich die Schar von ihr den Ton angeben und nach Belieben lenken ließ.

„Wißt's, Leut'“, sagte sie unter Anderem, „daß unser Sunnawend' trotz dem Gelärm eigentlich recht tot is. Es g'hört noch was darunter. 's Tanzn geht freilich net, weil der Sölling z'holperig is, aber es wär' vielleicht net amal [57] übel, wenn wir wie die kloan' Kinder 's Umtreib'n 6) anfangen thät'n.“

„O ja, da bin i schon dabei!“ rief eine junge Dirne. „Tanzen wir den blaua Fingerhut!“

Alle lächelten über diesen Vorschlag, zeigten sich indessen doch bereit, darauf einzugehen.

Im Nu bildete sich ein Kreis, und die Frage ging, wer sich in die Mitte dsselben stellen wollte. Itta lehnte ab, die junge Dirne aber erbot sich mit Vergnügen dazu.

Burschen und Mädchen faßten sich an der Hand, zogen rund um sie herum und leierten in etwas schulmäßigem Tone:

 

„Blauer, blauer Fingerhut

Steht der Jungfrau gar so gut.

Jungfrau, Jungfrau, tanz'

Einen schönen Kranz.

Lämmlein, Lämmlein, knie dich nieder,

Knie zu unser'n Füßen nieder.

Lämmlein, Lämmlein, steh auf

Und such' dir den schönsten Bräutigam h'raus.“

 

Hier kniete das Mädchen nieder, erhob sich wieder und sprach:

 

„Grünes, grünes Gras

Unter meinen Füßen, –

Welcher mir der Liebste ist,

Diesen werd' ich küssen.“

 

Ohne sich lange zu besinnen, trat sie auf Gottfried zu und schlug ihn statt des Kusses leicht auf die Hand, worauf er sich in den Kreis stellen mußte.

Das Spiel wiederholte sich in gleicher Weise, nur daß die Benennungen entsprechend geändert wurden. Als er zum Schluß sein Verschen gesprochen hatte, stand er einige Sekunden zögernd still. Dann wandte er sich mit plötzlichem [58] Ruck zu der hinter ihm stehenden Itta, faßte ihren Kopf in beide Hände und küßte sie.

Itta wurde purpurrot, ihre Lippen preßten sich fest aufeinander. Sie wollte ein scherzendes Wort sprechen, verstummte aber vor dem in diesem Augenblick in nächster Nähe ertönenden spöttischen Gelächter, welches sie zusammenfahren machte.

Alle Blicke wandten sich nach der Stelle, von der das Lachen gekommen war. Dort stand die Greininger Resie, ein Bild höhnischer Entrüstung.

„Ha ha ha!“ lachte sie noch einmal. „Das is gut g'wes'n! Bei so was wird die stolze, böhmische Itta auch lebendig und lustig. Schad', daß wir hoam müss'n, es wär' zu schön. Kommt's, Dirndl'n!“

Die Mädchen aus Roßberg verließen den Kreis und folgten ihr, die Übrigen drangen auf Fortsetzung des Spieles. Da weder Itta noch Gottfried mehr davon wissen wollten, so behalf man sich ohne die Beiden, welche sich langsam entfernten.

„Was die für a Wut hat“, bemerkte Gottfried mit schadenfroher Miene; „'s Herz im Leib lacht mir, wenn i an ihr G'sicht denk.“

„Mir net“, entgegnete Itta heftig. „Du sollst es auch net 'than hab'n, das, es wär'n ja so viel Dirnd'ln rundumher g'stand'n.“

„Du bist mir halt die Liabste drunter“, meinte er.

Sie kehrten schweigend zu der Fichte zurück. Gottfried ließ sich auf den moosigen Rasen nieder und beobachtete anscheinend mit großer Aufmerksamkeit, was um das Feuer vorging.

„Schau, jetzt fangt der Kinö zum brenna an!“ rief er endlich.

„Ja, – geh'n wir hoam, Gottfried. Oder willst vielleicht noch dableib'n? – Dann hol i mir die kloa' Dirn' –“ [59]

„Du bleibst auch da und sitz'st dich zu mir her“, unterbrach er sie bestimmt. „Hat dich denn die Resie so stark beleidigt, daß dir an All'm d' Freud' verdorb'n is?“

Itta warf den Kopf in den Nacken und sagte stolz:

„Nein, die kann mi net beleidinga.“

„Das denk i mir halt auch, Itta. Drum sei a bißl freundlich und sitz' dich nieder. Wenn der Kinö g'fall'n is, geh'n wir miteinander.“

Er haschte nach ihrer Hand und zog sie an seine Seite.

„Mir is's so z'wider da', alloa“, sagte sie im Tone der Verzagtheit.

„Z'wider, bei mir? – Das hätt' i net 'glaubt. Kannst mi denn net leid'n?“

„Schon, – aber es is weg'n den Leut'n.“

„Die geht's nix an. I bin Neamd'n unterworfen und du auch net. Im Vertrau'n g'redt: – i veracht' s' alle, die da umeinander laufen.“

„Und es lag dir doch von jeher Alles an ihrer Meinung“, dachte sie bitter.

„I pass' auch auf koan Mensch'n mehr auf“, fuhr er, bei der Erinnerung an den vorhergegangenen Auftritt zornig werdend, fort. „Was i thu, das thu i; wer sich drüber aufregt, den schlag' i nieder und den, der dich nochmal beleidigt, auch.“ Im Augenblick wieder ruhig, schaute er ihr fast zärtlich in das ernste, stolze Gesicht.

„Warum bist denn so verdross'n?“

Sie zuckte, sich abwendend, die Schultern.

„G'freut's dich denn gar net a wen'g, daß i mit der Andern an End' g'macht hab', Itta?“

„Du moanst wohl, weil wir zwoa uns net leid'n kinnen?“ mißverstand sie ihn absichtlich.

„Nein – auch so. Ist's dir denn net lieb? Sag mir's aufrichtig.“

Sie sagte gar nichts und drückte die Hände vor das Gesicht. [60]

„Es wird dir so lieb sein, wie es mir g'wes'n is, daß du den Doktor net mög'n hast. I woaß's schon. – Laß dir jetzt ins G'sicht schaun.“

Da sie sich nicht rührte, legte er seinen Arm um ihren Hals und zwang sie so, zu ihm aufzusehen.

„I hab' dich ja so gern, Itta, so gern – glaubst mir's denn net?“ brach er dann plötzlich aus. „Und du, du hast mich auch gern, gelt? – Sei net stolz jetzt, vergiß die vergangene Zeit und sag' mir's, ob dir so is, wie mir.“

„Du woaßt es ja ohnehin, Gottfried.“

Mit einem Jubelruf sprang er auf, zog sie an sich und küßte sie.

„Gott sei Dank! – Jetzt können wir erst hoamgeh'n, denn das ist's ja g'wes'n, worauf i noch g'wart hab die ganze Weil.“

Sie blickten sich stumm und selig an. In beider Herzen lebte in dieser Minute nur der eine Gedanke, daß sie von Gott dafür geschaffen wären, miteinander zu leben und zu fühlen.

Der König war gefallen. Die Leute machten sich auf den Heimweg, und den letzten schloß sich das junge Paar an.

Als Gottfried vor dem Thore des Reutbauernhofes Abschied genommen hatte, blieb Itta noch lange stehen und blickte hinaus in die dunkle Ferne. – Nur hie und da flackerte noch ein Feuer auf, um im nächsten Augenblicke zu verlöschen. – Die Sterne aber leuchteten, die Blumen dufteten und die Waise aus dem Elend war zum ersten Mal in ihrem Leben glücklich, – glücklich aus ganzer Seele.

 

――――――――

 

1) Der König ist eine mit bunten Lappen und Flitter gezierte Strohpuppe, bei deren Aufgehen in den Flammen die Sonnenwendfeier ihr Ende erreicht. Ursprünglich wird sie wohl die Darstellung des Wodanssohnes und Lichtgottes Balder auf dem Scheiterhaufen sein, wie ja die ganze Feier bekanntlich nichts anderes ist, als das Balderfest unserer heidnischen Vorfahren, das sich, wie noch so manche ihrer Bräuche, bis in die christliche Jetztzeit herein erhalten hat.  

2) reizen. 

3) dächtest. 

4) zertragen = entzweien. 

5) bitten, bereden. 

6) das Spielen.