BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Emerenz Meier

1874 - 1928

 

Aus dem bayrischen Wald

 

Aus dem Elend

 

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11. Kapitel.

 

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Das Urteil für den Schmuggler Gottfried lautete auf zwei Jahre Zuchthaus und Bezahlung sämtlicher Kosten.

Wie Itta erfuhr, hatte er es aufgenommen, ohne mit einer Wimper zu zucken. Das Bewußtsein, keinen Mord auf dem Gewissen zu haben, indem der von ihm über den Sesselstein geschleuderte Grenzer frisch und gesund als Zeuge bei der Verhandlung gegenwärtig war, mochte ihn gegen alles Unglück gleichgültig gemacht haben.

Und Itta verwaltete den Reutbauernhof. Von dem „Wie“ gab die schöne Ordnung in Haus und Feld, der Friede zwischen den Dienstboten und der Respekt dieser vor ihrer Herrin Zeugnis. Es waren neu eingestellte, tüchtige Kräfte, an deren Spitze ein alter, erfahrener Baumann 1) schaffte, welcher auch Itta mit Rat und That zur Seite stand. Mit seiner Hilfe vollbrachte sie, was die Leute anfangs für unmöglich gehalten hatten: Die Rettung des heruntergekommenen Gutes von der Gant. Daß sie dazu auch ihr eigenes ererbtes Vermögen stark angegriffen hatte, war lange ihr Geheimnis gewesen, schließlich aber auf eine ihr unbekannte Weise offenkundig geworden. [86]

Und wie alles gedieh und aufblühte unter ihrer Hand, begann sie wieder zu hoffen. Sie malte sich das Glück aus, Gottfried einstens auf seinem Erbe herumführen und ihm zeigen zu können, daß ihm nicht nur die Heimat, sondern auch ihr Herz, ihre Liebe geblieben. Was hatte sie dieser nicht schon für Opfer gebracht und welches zu bringen wäre sie nicht noch hundertmal bereit gewesen!

Der freundliche Doktor, den sie um Gottfrieds willen verschmäht, hatte sich ein Weib aus der Fremde geholt. Nun sie am Beispiele sah, welches schöne Los ihr an seiner Seite beschert gewesen wäre, fühlte sie eine traurige Wehmut, kamen ihr Zweifel an dem eigenen, erhofften Glück. Sie mußte sich ja sagen, daß der gebildete, edeldenkende Mann weit mehr zu ihr gepaßt hätte, als der rauhe, wilde Bursche, der sie nie eigentlich verstehen würde.

Ob wohl die Liebe die Kluft zwischen seinem und ihrem Wesen auf die Dauer auszufüllen vermochte?

Diesen Gedanken, welcher sie oft wie ein unheimliches Gespenst quälte und beunruhigte, brachte sie endlich durch einen Vorsatz zum Schweigen, welcher ihres treuen, heldenmütigen Herzens würdig war. Sie wollte als Gottfrieds Weib die Itta, wie sie von Natur aus war, aufgeben, wollte sich ihm anpassen, wie es sein Wesen verlangte und sich an seiner Liebe und der Erfüllung ihrer Pflichten genügen lassen. Diese Verleugnung ihrer selbst hatte sie indessen schon seit Jahren unbewußt geübt. Sie, mit ihren reichen Geistesanlagen, würde sonst nicht das in gewöhnlichem Streben und Schaffen aufgehende Mädchen geworden sein, welches im Gegensatz zu den Wunderträumen der früher'n Jugend seinen klaren Blick nun mehr auf das Wirkliche und Mögliche gerichtet hielt.

Zufrieden sah sie endlich dem Tag entgegen, an welchem sich ihr Schicksal erfüllen sollte.

Es kam der Frühling wieder. Die Verwandlung der [87] winterlich toten Erde in ein schönes, lachendes Paradies vollzog sich dieses Jahr ungewöhnlich rasch. Auf den Höhen grünten die Laubwälder, in den Thälern sproßten die Blumen und: „Auswärts, Auswärts!“ riefen die frohen Menschen.

„Auswärts“ jubelte auch Itta, als sie eines Morgens das Haus verließ, das sie so lange treu behütet, und in das heute der rechtmäßige Herr zurückkehren sollte.

Gottfried hatte ihr vor acht Tagen geschrieben. In der Freude ihres Herzens war sie mit dem Briefe zu den Nachbarn geeilt und so wußten es bald alle Leute auf drei Stunden im Umkreise. Die meisten wünschten dem entlassenen Sträfling Glück und Segen zu seiner Heimkehr und gönnten dem Mädchen, das ihn so treu und selbstlos liebte, den endlichen Lohn von Herzen. Einige hingegen ergingen sich in Schmähungen und in schlimmen Prophezeiungen für die Zukunft des Reutbauernhofes. Zu ihnen zählte die Familie des Greiningers von Roßberg und besonders Resie, die noch immer unverheiratet war. Sie hatte Gottfried nicht vergessen, ebensowenig diejenige, die ihn ihr entrissen.

Noch einmal erwog sie, ob es ihr nicht doch noch möglich sein würde, ihn für sich zu erringen. Das Zuchthaus hatte ihn nicht entehrt; die Ursache, die ihn hineingebracht, hob ihn vielmehr in ihren wie in aller Wäldler Augen. Das frühere Lumpentum schadete ihm ebenfalls nichts, er war zu bessern und zu lenken. Die Kraft zu solcher Mission pflegt jedes liebende Weib in sich zu fühlen, und die Gelegenheit zur Bethätigen derselben, ist für es immer verlockend.

Resie versuchte auszurechnen, um welche Stunde Gottfried beiläufig die durch Roßberg führende Landstraße passieren mochte. Vorsichtshalber stellte sie sich jedoch schon am frühesten Morgen außerhalb der Dorfgärten auf. Nach [88] viertelstundenlangem Warten lief sie heim, um wieder und wieder zu kommen, bis – es war schon am Nachmittag – ein hoher, dunkler Mann die Straße heraufschritt.

Sie schrak zusammen.

War der, mit dem bleichen Gesicht, den langsamen Bewegungen, der fremden schwarzen Kleidung, wirklich der Reutbauer?

Er kam näher und näher; sie trat zurück, that, als suchte sie irgend etwas im Grase und wandte sich dann doch zu ihm, der vor ihr stehen blieb. Sein düsterer Blick ruhte fragend auf ihr.

„Gottfried!“ rief sie laut.

„Ja. Was noch?“

„Grüaß di Gott!“

Er wies mit einem Nicken ihre dargebotene Hand zurück und stützte sich auf seinen Gehstock.

„Grüaß di Gott auch, Resie.“

„Gott sei Dank, daß d' wieder da bist“, sagte sie mit erzwungener Fröhlichkeit.

„So, warum denn? Hast mich leicht irg'ganga 2)?“

„Das wollt' i moan'! Und du, du bist ja wohl auch froh um d' Freiheit?“

„Versteht sich, – das Hocken is koa G'spaß. – Wie geht's denn sunst alleweil?“

„Net schlecht. I hab' immer noch net heirat'n mög'n.“

„Ah, – da derfst nachher schon bald dazuschau'n; Resie, es is an der Zeit.“

Sie wollte schier ersticken vor Zorn und Schmerz über seine beleidigende Gleichgiltigkeit, doch sie zwang sich zur Ruhe.

„Es wird schon werd'n, Gottfried. Du aber, du wirst jetzt wahrscheinlich nix mehr versäumen. Es steht sich halt doch besser [89] um a Haus, wenn Herr und Frau miteinand' werken, als nur oans alloa.“

„Glaubst? – Die Itta hat mir g'schrieb'n, daß sie g'rad alloa am best'n g'haust hat. Wär' i da 'blieb'n, so käm' jetzt vielleicht der Reutbauernhof auf d'Gant.“

Über Resies Gesicht flog ein böses, hämisches Lächeln.

„O mei, die Itta!“ rief sie. „Die bildt' sich her und geg'n auch an Mordshaufa ein und nennt sich dein' leibhaftinga Schutzengel. I an ihrer Stell' hätt' grad so gut g'than, was in meine Kräft'n g'stand'n wär' hätt' aber's Maul g'halt'n dabei und net lang umeinander g'schrie'n.“

„Was?“ fragte er auffahrend.

„Daß sie ihr Geld herg'numma und in dein' Hof g'steckt hat. – Wenn s' doch stad wär' davon. Was sie hat, hat sie ja doch nur von enk.“

„Und sie hat nix in mein Hof g'steckt“, sagte Gottfried, sich mühsam beherrschend. – „I woaß nix davon.“

„I glaub's schon. Dir sagt s' halt nix, nur ander'n Leut'n. Aber schau net so wild drein, Gottfried, i kann ja nix dafür. Siagst, mei ganz's Vermög'n gäb' i her für dich und koa Mensch würd' was inn' davon. Wenn du d' Itta auszahl'n willst, so kimm zu mir; es braucht's net, daß du der Böhmin was schuldig bist.“

„Und dir auch net! Schaut mich denn schon die ganz' Welt für an Bett'lmann an?“

„Du verkennst mich mei Lebtag, Gottfried“, sagte sie weinerlich. „Amal hast mich aber gern g'habt. Daß's jetzt nimmer so is, dran is nur die schmeichlerisch, falsch' Böhmin schuld.“

Er lachte.

„Merkwürdig, was dir noch so viel an ein'm Zuchthäusler liegt. Oder woaßt vielleicht net, Resie, von wo i herkimm?“

„I woaß's schon. Z'weg'n dem veracht i di aber net, [90] halt' vielmehr All's auf dich. Und i leid's auch net, daß dich wer Anderer scheel anschaut.“

„I auch net, das derfst mir glaub'n. Dir dank i für den gut'n Will'n.“

„So magst mi also richti nimmer?“ rief sie nun außer sich geratend.

„Na, z'wider bist mir grad net. Aber wennst vielleicht andere Gedank'n hätt'st, die müassetst dir leider aus'm Kopf schlag'n. Es is koan' Ehr für dich, daß du mir heut', wo i zum erst'n Mal seit zwoa Jahr'n d' Hoamat betritt, 'n Weg verstehst, grad aus dem Grund, daß d' Itta verdächtig'n kannst. Freilich, – word'n is dir nix aus dein' Plan.“

„So geh hin, geh hoam zu deiner Böhmin und heirat' s'! I wünsch' dir Glück dazu!“ rief sie wild.

„Dank' schön, Resie. Nur koa Feindschaft net z'wen'g dem, gelt? Pfüat di Gott.“

Er ging langsam weiter, während sie an der Wegböschung niedersank und heiße Thränen der Wut und des Schmerzes weinte.

Ein sich nahender Schritt scheuchte sie mehrere Minuten später wieder empor. Hastig wischte sie sich mit der Schürze über das gerötete Gesicht und schaute mit funkelnden Augen nach dem Störer aus. Es war ein nicht mehr junger, kleiner, blonder Bursche, dem man eine übergroße Schüchternheit und Unsicherheit des Charakters sofort ansah. Er grüßte das Mädchen und blieb stehen.

„Ah, du bist es, Lenz!“ sagte sie aufatmend. „I hab' glaubt, es wär – ein Anderer.“

„Der Andere is mir da drunt' begegn't“, lächelte der Bursche. „Und du, Resie, du siagst grad aus, als wie wennst g'woant hätt'st.“

Er schnitt zu letzter Bemerkung ein sehr mitleidiges Gesicht. [91]

„Geh, bild' dir nix ein. Warum sollt' i denn woan'? – I hab' koan Ursach' dazu.“

„Das moan' i selber“, nickte er eifrig. „Du bist ja reich und geschickt und sauber. Der Reutbauer aber is a Zuchthäusler und an armer Tropf. I möcht' net tauschen mit ihm.“

„Glaub's schon, du, mit deiner groß'n Mühl'. Es is nur schad', daß du's Wirtschaft'n drauf net verstehst, wie sich's g'hört. Du kunnst an andern Grän 3) spiel'n.“

Eine bescheidene Freude erglänzte in Lenzens blaßblauen Augen.

„An Grän kunt' i freilich spiel'n“, meinte er. „Aber i versteh's net und denk' mir, wenn i amal a Müllerin hab', die lernt mir 's schon.“

Resie dachte nach und schmiedete einen Plan.

„So schau dir um oane“, sagte sie endlich mit blitzendem Blick.

„I bin schon lang' im Begriff, aber, – aber i hab 's Herz net, weil i mir fürcht', i möcht abfahr'n.“

„Schäm' di, so was z'sag'n, Lenz. A Mannsbild muß a Schneid hab'n, sunst is er nix wert. Und vom Abfahr'n kann ja bei so oan, wie du bist, beim Müllerlenz', goar koa Red' sein.“

„Glaubst?“ fragte er mit freudiger Verwunderung. „So möcht' i 's gleich wag'n auch und sag'n zu dir: Heirat' mich!“

„Mich? – O liaba Himmel, an des hätt' i net denkt!“ heuchelte das Mädchen.

Er knickte zusammen.

„Ja schau, gelt, i hab's ja vonerst g'wißt, daß d' mi net magst.“ Das klang so vorwurfsvoll und traurig, daß Resie Mitleid empfand und die Sache rasch beendigte.

„I mag dich schon, Lenz“, beschwichtigte sie ihn. „Aber nur unter oaner Bedingung.“ [92]

„Ja, ja, ja!“ versprach er eilig.

„Daß in vier Wochen Hochzeit is.“

Lenz hatte natürlich nichts einzuwenden und so war der Handel rasch abgeschlossen. Resie ging mit triumphierenden Gefühlen nach Hause und beeilte sich, ihre Verlobung mit dem Müller möglichst bekannt zu machen.

Nun durfte der stolze Zuchthäusler nicht mehr glauben, er wäre für sie der Einzige auf der Welt gewesen.

 

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1) erster Knecht.  

2) vermißt. 

3) einen Großen.