BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Emerenz Meier

1874 - 1928

 

Aus dem bayrischen Wald

 

1897

 

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[V]

Einleitung.

 

Es gereicht mir zur besonderen Freude, das mit den Franz Bechert'schen Liedern begonnene Sammelwerk „Dichterstimmen aus dem Volke“ schon jetzt durch einen zweiten Band fortsetzen zu können. So sollen nach und nach die Erwartungen der Kritik und des Publikums erfüllt werden, die ich ja durch mein Vorwort zum ersten Bande des Unternehmens selbst veranlaßt habe. Nach Maßgabe der mir leider karg zugemessenen freien Stunden, nach Maßgabe einer schwachen Kraft will ich der mir selbst gestellten Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen entsprechen.

Unter diejenigen Dichter, die, ohne eine höhere Schulbildung genossen zu haben, eben an der Neige des Jahrhunderts nicht als Einzelerscheinungen, sondern in bedeutungsvoller Zahl in die Arena der Geister treten, unter diese Dichter – den württembergischen Bauer Christian Wagner, die bayrische Naturdichterin Katharina Koch, das schweizerische Landmädchen Nina Camenisch, [VI] den fränkischen Landmann Edmund Stubenrauch, die friesische Bäuerin Stine Andresen, ihre ostpreußische Schwester in Apoll Johanna Ambrosius, den rheinländischen Naturdichter Peter Zirbes, den Schorndorfer Eisenarbeiter Ludwig Palmer, den jungen Handwerker Gustav Renner und den pommerschen Kürschnermeister Franz Bechert, – reihe ich auch das bayrische Bauernmädchen

Emerenz Meier,

dessen Erzählungen ich in vorliegendem 2. Bande der „Dichterstimmen aus dem Volke“ der Öffentlichkeit übergebe. Emerenz ist am 3. Oktober 1872 als sechste Tochter des in Oberndorf bei Waldkirchen seßhaften Bauern und Dorfwirts Meier in Schiefweg im Bayerischen Walde geboren.

 

Das Geburtshaus in Schiefweg

 

Neben Gast- und Landwirtschaft trieb der Vater auch Viehhandel und die Familie lernte bis heute Mangel und Not nicht kennen. Von den Geschwistern, deren fünf am Leben sind, war Petronella die älteste und mußte schon mit fünfzehn Jahren die Stelle der Magd vertreten. Sie war ein ungewöhnlich gescheites und energisches Mädchen und wußte sich die Herrschaft über die jüngeren bald zu sichern; sie war es auch, welche den Bildungsgang unserer Emerenz am allermeisten beeinflusste. Die Leidenschaft zum Lesen und zum Schriftstellern schien ihr ebenso angeboren wie der jüngeren Emerenz, nur mit dem Unterschiede, daß sie nicht den Mut hatte, derselben zu fröhnen. Sie durchstöberte die halbe Pfarrei nach Büchern aller Art und las ganze Nächte hindurch. Und weil sie es that, that es Emerenz auch. So kam es, dass letztere [VII] mit zehn Jahren schon Werke von Schiller und Goethe und unzählige Romane, gute wie schlechte, gelesen hatte.

 

Der Marktplatz von Waldkirchen um 1900

 

In der Schule [in Waldkirchen] war sie die beste Schülerin, außer derselben mußte sie auf dem Felde arbeiten, als Kellnerin mithelfen oder Kühe und Gänse hüten. Letzteres war ihr die angenehmste Beschäftigung, da ihr dadurch Gelegenheit und Zeit wurde, ihrer Neigung zu fröhnen und in der freien Natur zu sein.

Durch Petronella angeregt, die Geschichten in phrasenvollem Romanstile verfasste, versuchte sie sich zuerst in kurzen Gedichten und dann in Bauerngeschichten. Das wurde allerdings insgeheim betrieben, denn die Eltern fanden es für nötig, diesem Beginnen zu steuern. Bei Emerenz war es zu spät, denn sie begann sich in ihrem Stande einsam, unbehaglich und unverstanden zu fühlen. Sie ließ sich's allerdings vor den Leuten nicht merken, dass sie „lese und schreibe“ und das nahmen die Landsleute übel.

 

Vater und Mutter Meier. Rechts außen Emerenz, links außen vielleicht Petronella

mit ihren Kindern und im Hintergrund eine Magd (?)

 

Vor fünf Jahren heiratete Petronella auf das Wirtshaus und der Vater erwarb einen Bauernhof in Oberndorf bei Waldkirchen, auf dem die Familie nun lebt. Emerenz mußte nun von morgens bis abends schwer im Stall und auf dem Felde arbeiten. Sie that es nicht nur aus Gehorsam gerne, sondern auch des Urteils der Leute wegen. Vor drei Jahren sandte sie heimlich eine kurze Erzählung an die Redaktion der „Donau-Zeitung“; sie wurde angenommen und honoriert. Bald darauf wurde ein Aufsatz über die „bäuerische Dichterin“ in einem bayrischen Blatte veröffentlicht, Briefe von allen Seiten fanden den Weg in ihre Einsamkeit, ja sogar an Besuchern fehlte es nicht – mit einem Worte: Alles geschah, um [VIII] dem strebsamen Wäldlermädchen den Weg, der ihr durch Geburt und Erziehung vorgezeichnet war, als den nicht eben richtigen erscheinen zu lassen. Da aber regte sich in unserer Emerenz der gesunde Sinn; sie ließ sich nicht verwirren und rettete sich durch die volle Hingabe an ihren bäuerlichen Beruf. Wie schon in tausend anderen Fällen, war auch hier die Arbeit von Segen. Heute besorgt sie zehn Stück Rinder dreimal täglich und bearbeitet mit ihren drei noch im Hause anwesenden Geschwistern und einem Knecht zweiundfünfzig zum Hofe gehörende Tagwerk Felder und Wiesen und entspricht noch den Forderungen, die Haus und Herd an sie stellen. Und so ist's recht und gut – und daß sie in den wenigen freien Stunden, besonders zur Winterszeit, auch einmal der Lust zu fabulieren nachgiebt, das sehen wir nicht ungern, denn sie gewährt uns dadurch einen Einblick in das Leben, die Sitten und die Gebräuche ihrer Landsleute.

Wie sie dies thut, darüber mögen die Erzählungen Aufschluß geben, die sie mir übersandte und die ich hiemit der Leserwelt vertrauensvoll übergebe.

Im Herbst 1896.

Professor Karl Weiß-Schrattenthal

in Pressburg.