BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Arthur Rosenberg

1889 - 1943

 

Demokratie und Klassenkampf

im Altertum

 

1921

 

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3.

Wovon lebten die Menschen

des Altertums?

 

Wovon lebten die alten Griechen und Römer? Die Frage sei gleich von Anfang an klipp und klar beantwortet: nicht von Kunst, Wissenschaft und Politik, sondern von Landwirtschaft, Gewerbe und Handel. Noch vor 100 Jahren war auch bei den Gelehrten und Gebildeten eine ganz merkwürdige Auffassung des Altertums verbreitet. Danach wären die Griechen und Römer eine Art von Idealmenschen gewesen, die es nicht nötig hatten, sich mit so schmutzigen Dingen wie Arbeiten und Geldverdienen abzugeben. Sondern sie hätten ständig hoch oben geschwebt, sich den Staatsgeschäften gewidmet und Kunstwerke betrachtet. Diese verkehrte Auffassung des Altertums hängt eng mit den falschen Vorstellungen von der damaligen Sklavenzahl zusammen. Wenn man von der Voraussetzung ausging, daß die Griechen und Römer enorme Sklavenmassen zur Verfügung hatten, dann verstand es sich von selbst, daß die freien Bürger nicht zu arbeiten brauchten, sondern sich nur mit feinen und geistigen Dingen befaßten. Aber dieses Phantasiebild des Altertums ist von der neueren Forschung gründlich zerstört [10] worden. Freilich gibt es immer noch Leute, auch Gebildete, zu denen die neue Erkenntnis bisher nicht gedrungen ist und die weiter in den alten Phantasievorstellungen über Griechen und Römer befangen sind.

Die große Mehrheit der Griechen und Römer hat überhaupt keine Sklaven gehabt, sondern erhielt sich durch eigene Arbeit, wobei auch die häuslichen Verrichtungen von der Frau und den Kindern besorgt werden mußten. Die Sklaven dagegen wurden teils als Dienstboten in den Häusern der Reichen beschäftigt, teils als Arbeiter in den größeren gewerblichen und ländlichen Betrieben.

Die große Mehrheit der Menschen des Altertums lebte von der Landwirtschaft; das war in Griechenland ganz ebenso wie in Italien. Die Zahl der Klassen und Schichten auf dem Lande war groß: es gab Großgrundbesitzer, mittlere und kleine Bauern, freie und unfreie Landarbeiter. Heute unterscheidet sich der ländliche Großbetrieb vom Kleinbetrieb hauptsächlich durch die Anwendung der Maschinen. Auch im Altertum hat es einzelne landwirtschaftliche Maschinen gegeben. So hören wir aus der Zeit der späteren römischen Republik von einer Maschine zum Zerquetschen der Oliven, deren Preis für die Kleinbauern unerschwinglich war. Nebenbei ist es ganz bemerkenswert, daß die Beförderung der Maschine aus der Stadt auf ein gar nicht so weit entferntes Gut fast ebensoviel kostete wie die Maschine selbst; denn die Beförderung mußte sich, da es damals noch keine Eisenbahnen gab, auf einem besonders großen und geeigneten Ochsenwagen unter allerhand Schwierigkeiten vollziehen. Solch eine Tatsache wirft ein Streiflicht auf die Schwerfälligkeit des antiken Wirtschaftslebens infolge der Rückständigkeit der antiken Technik.

Der ländliche Großbetrieb hatte also durch Anwendung einzelner Maschinen, daneben auch durch praktischere Ausnutzung der vorhandenen Arbeitskräfte und Geräte, einen gewissen Vorsprung vor dem Kleinbetrieb. Aber dieser Vorsprung war nicht wesentlich. So kommt es, daß auch große Güter in der Regel nicht einheitlich bewirtschaftet, sondern an kleine Pächter, seien es Freie, seien es Leibeigene, verteilt waren. Der Gutsherr begnügte sich dann damit, den Pachtertrag einzustreichen. In der späteren römischen Republik kam es freilich auch oft vor, daß ein größeres Gut von ein paar hundert Morgen einheitlich von einer Sklavenherde, etwa ein Dutzend Köpfe stark, bewirtschaftet wurde. Für die Erntearbeiten mußte man dann aber noch freie [11] Wanderarbeiter dazunehmen. Dieser plantagenartige Betrieb war in den letzten beiden Jahrhunderten vor Christus in Italien und Sizilien stark verbreitet. Indessen überwog auch damals, wie schon oben betont wurde, die freie Landbevölkerung in Italien an Zahl die Sklaven bei weitem. Von all den freien Bauern und Pächtern ganz zu schweigen, die es daneben gab, hätten ja auch jene „Plantagen“ ohne die freien Erntearbeiter gar nicht bestehen können. Im Laufe der römischen Kaiserzeit ist der Plantagenbetrieb in Italien wieder allmählich von dem Pachtbetrieb verdrängt worden. Bei den Griechen haben die Plantagen niemals eine nennenswerte Bedeutung gehabt.

Unter den nicht agrarischen Berufsarten war im Altertum das Hand­werk am wichtigsten. Es gab Schuhmacher, Schneider, Bäcker, Tischler, Juweliere und 100 andere Handwerksarten, genauso wie jetzt. Entweder arbeiteten die kleinen Meister allein, oder sie hatten ein paar Gesellen. Fabriken im modernen Sinn hatte man nicht, weil ja die Dampf­maschinen fehlten, aber man kannte vielfach Manufakturbetriebe, in denen 10 – 30 Leute beschäftigt waren. Während der einfache Handwer­ker den Gegenstand, das Brot, den Stiefel usw. allein vom Anfang bis zum Ende fertig macht, stellt der Manufakturarbeiter immer nur einen bestimmten Teil des Gegenstandes her; beziehungsweise er macht einen bestimmten Handgriff. Durch diese Arbeitsteilung und Ausbildung von Sondergeschicklichkeiten ist es möglich, in der Manufaktur verhältnis­mäßig viel schneller zu produzieren als im einfachen Handwerk. Solche Manufakturen bestanden im Altertum sehr zahlreich; sie beschäftigten teils freie Arbeiter, teils Sklaven. Die besonders harte Bergarbeit verrich­teten vorwiegend Sklaven. Der Handel vollzog sich im Altertum in den verschiedensten Formen: vom Hausierer und armen Straßenverkäufer ging es aufwärts bis zum Großkaufmann, der mit dem Ausland Ge­schäfte machte. Im Dienste des Handels stand eine lebhafte Schiffahrt, die alle Küsten des Mittelmeers in ihren Bereich zog und sich daneben auch auf den Ozean hinauswagte. Zwar vom Standpunkt der heutigen Technik aus waren die Handelsschiffe des Altertums elende Nußscha­len, kleine Segler ohne Kompaß. Die Kriegsschiffe wurden, wie wir schon oben gesehen haben, gerudert. Aber trotz der Gefahren und Müh­seligkeiten, die mit ihr verbunden waren, nahm die antike Schiffahrt, im Dienste des Gelderwerbs, eine mächtige Entfaltung. Viele tausend Menschen lebten von ihr als Schiffsbesitzer, Kapitäne, Steuerleute und [12] Matrosen. In Athen waren die Seeleute der Kern des freien, klassenbewußten Proletariats. Dem Transport zu Wasser ging der zu Land an die Seite: Hafenarbeiter, Fuhrherren, Kutscher gab es in Menge.

Für all diese Erwerbszweige brauchte man Geld: der Landwirt, der Kaufmann, der Manufakturbesitzer, der Reeder suchten Betriebskapital und fanden es beim Bankier. Der Geldverleiher spielte eine unentbehrliche Rolle im Wirtschaftsleben des Altertums. Wer Kapital übrig hatte, trug es zur Bank, wo es gegen Zinsen angelegt wurde, und ebendort erhielt man Geld, wenn man es nötig hatte. Freilich, das Wagnis des antiken Unternehmers war sehr groß. Wenn jemand sein Geld in Schiffen angelegt hatte, konnte es ihm leicht ebenso ergehen wie dem Antonio in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ der über Nacht aus einem Millionär zum Bettler wurde. Dafür lockte auch den Glücklichen reichster Gewinn. In den fortgeschrittenen Gegenden des Altertums hatte jedermann sein Bankkonto, und die bargeldlose Zahlung war verbreiteter als heute. Es gab auch schon Gesellschaften für gemeinsame Geschäfte, und die Aktie war wenigstens in den ersten Anfängen vorhanden; nur Staatspapiere im heutigen Sinn gab es noch nicht. Das nervöse Hasten und Drängen nach immer mehr Geld wird uns z. B. aus Rom ebenso geschildert, wie man es in der modernen Gesellschaft beobachten kann.

Nun noch ein Wort über die sogenannten freien Berufe des Altertums. Auch damals waren schon Geistliche, Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren und Ingenieure tätig. Aber ein grundsätzlicher Unterschied bestand doch auf diesem Gebiet zur Gegenwart. Der Priester, der Arzt, der Baumeister war im Altertum ein Mann, der einen wichtigen und nützlichen Beruf ausübte. Aber er war grundsätzlich nichts Besseres als der Kapitän oder der Tischler. Es fehlte durchaus die Bildungs­aristokratie der freien Berufe, wie sie in der modernen Gesellschaft durch den Besuch der sogenannten höheren Schulen künstlich geschaffen wird. Auch die Kenntnis des Rechts galt als wertvoller Besitz, und der Gelehrte wurde von dem geachtet, der ihn verstand. Zu all diesen Tätigkeiten gelangte man durch Fachkenntnisse, die man sich eben erwerben mußte, die aber an sich ihre Träger nicht über die anderen Volksgenossen heraushoben. So scharf auch im Altertum der Klassengegensatz durch den Besitz in Erscheinung trat, so unbedeutend war in sozialer Hinsicht der Unterschied [13] zwischen den Angehörigen der „freien“ und der anderen Berufe. Es hat im Altertum kein Gymnasium gegeben – was man damals so nannte, waren harmlose Sportplätze – und kein Staatsexamen, und die antiken Staaten sind trotzdem sehr gut gefahren.

 

Fragen im Anschluß an Kapitel 3.

 

1. Wie wurde im Alterum die Landwirtschaft betrieben?

2. Wie sah es damals auf den großen Gütern aus?

3. Was ist eine Manufaktur?

4. Zählen Sie Berufe armer Leute im Altertum auf!

5. Zählen Sie Berufe reicher Leute im Altertum auf!

6. Was wissen Sie von der antiken Schiffahrt?

7. Welche Aufgaben hatte der Bankier im Altertum?

8. Welche freien Berufe gab es im Altertum?