BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Arthur Rosenberg

1889 - 1943

 

Demokratie und Klassenkampf

im Altertum

 

1921

 

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[76]

17.

Der Ausgang der Klassenkämpfe

bei den Griechen.

 

Die sozialen und Klassenverhältnisse des griechischen Volkes waren seit dem Jahre 330 ganz verschieden für die Kolonialländer und das Mutterland. Im Kolonialgebiet, das heißt in Asien und Ägypten, standen einige hunderttausend Griechen vielen Millionen von Eingeborenen als Herrenkaste gegenüber. Die Griechen hatten damals in Ägypten, Syrien und Persien ungefähr dieselbe Stellung wie heute die Engländer in Indien und im gleichen Ägypten. Griechen waren die Könige in den verschiedenen dort entstandenen Militärmonarchien – die Einheit des griechischen Weltreichs bestand nämlich nicht lange –, griechisch war die Armee und Verwaltung, Griechen waren die meisten Kaufleute und Bankiers und ein Teil der Großgrundbesitzer. Es ist unter diesen Verhältnissen klar, daß es im Kolonialland ein griechisches Proletariat als Klasse überhaupt nicht gab; ja kaum einen griechischen Mittelstand, sondern nur die griechische Herrenschicht militärischen, bürokratischen, kapitalistischen, feudalen Charakters. Die Griechen, die damals in den Osten auswanderten, machten wirklich fast alle ihr „Glück“. Aber dem griechischen Volke als Ganzem gereichte die ungeheure Fülle, die ihm in den Schoß fiel, nicht zum Segen. Hätten die Griechen im 4. Jahrhundert nur ein verhältnismäßig kleines Gebiet erobert, dies aber wirklich besiedelt und sich dann dort durch eigene Arbeit ernährt, so würden sie ihre Eroberungen auch dauernd behauptet haben. So aber gewannen sie, indem sie ihre vorübergehende militärische Übermacht ausnutzten, ein Riesenreich, das sie wirtschaftlich gar nicht verdauen konnten. Am Ende wurde doch überall die kleine Herrenklasse von den unterdrückten Millionen weggefegt, und heute besitzt das griechische Volk wieder ungefähr dasselbe Gebiet wie zur Zeit des Königs Philippos.

Kehren wir nun aber wieder in die Zeit von 300 bis 150 zurück, so ist es klar, daß damals im Osten der Klassengegensatz im wesentlichen mit dem nationalen Gegensatz zusammenfiel: auf der einen Seite die griechischen Herren, auf der anderen die orientalischen Bauern, Handwerker, Arbeiter. Freilich gab es daneben auch eine Oberschicht von Eingeborenen, Gutsbesitzer und Priester, die ihre gehobene Stellung unter der Fremdherrschaft [77] behauptet hatten. Wenn es irgendwo den Orientalen gelang, die griechischen Herren durch glücklichen Aufstand zu vertreiben, wie es z.B. noch vor dem Jahre 100 in Persien und Palästina der Fall war, dann entstanden dort nicht etwa orientalische Bauern- und Handwerkerstaaten, sondern die einheimischen Gutsbesitzer und Priester nutzten die Stellung aus, die sie schon seit vielen Jahrhunderten im Lande innehatten, und rissen die Macht wieder an sich.

Es ist klar, daß Klassenkämpfe innerhalb des griechischen Volkes nur in solchen Gebieten möglich waren, die eine geschlossen griechische Bevölkerung hatten. Das war das Mutterland: das eigentliche Griechenland, die Inseln und Küsten des Ägäischen Meeres und das westliche Kleinasien. Dort haben sich die Klassenkämpfe auch nach dem Jahre 330 fortgesetzt und sehr interessante neue Formen angenommen. Es fehlt hier nur der Raum, um auf diese Dinge so einzugehen, wie sie es verdienten. Wir müssen uns auf eine kurze Übersicht beschränken. Zunächst sei hervorgehoben, daß die politische Einigung aller Griechen, wie schon oben betont wurde, nicht lange vorhielt. Wie im Kolonialland verschiedene Militärmonarchien entstanden, so finden wir auch im Mutterland im 3. Jahrhundert wieder eine starke politische Zersplitterung.

Zunächst wurde Rhodos auf politischem wie wirtschaftlichem Gebiet der Erbe Athens. Der Aufschwung der Stadt in Handel, Schiffahrt und Gewerbe erzeugte ein starkes Proletariat, das die politische Macht an sich riß. Auch in Rhodos haben wir, wie in Athen, einen regierenden Rat, in dem die Besitzlosen überwogen und Tagegelder empfingen, und Volksgerichte, deren Geschworene gleichfalls Diäten erhielten. Bezeichnend ist, daß das Mißtrauen des Proletariats gegen seine Beauftragten in Rhodos noch größer war als in Athen. In Rhodos wurde man nur auf 6 Monate in den Rat geschickt, und die Kommission von fünf „Präsidenten“ (Prytanen), welche die laufenden Staatsgeschäfte zu erledigen hatte, blieb auch nur ein halbes Jahr im Amt. In Athen war die entsprechende Amtsfrist ein ganzes Jahr gewesen. Sonst war die kulturelle und wirtschaftliche Lage der Besitzlosen in Rhodos ungefähr dieselbe wie in Athen. Neben Rhodos gab es damals im Bereich des Ägäischen Meeres noch so manche Städterepublik, in der die ärmere Bevölkerung die Macht in der Hand hatte.

In dieser Zeit, um 200, gingen mindestens in einem Punkt die wirtschaftlichen Forderungen des Proletariats weiter als [78] seinerzeit in Athen. Die armen Bürger waren nicht damit zufrieden, daß die Lasten den Besitzenden aufgebürdet wurden und daß sie selbst die Tagegelder als Geschworene, Ratsmitglieder usw. empfingen, sondern sie verlangten, daß der Staat ihnen dauernd billiges Brot zusichere. In der Republik Samos hat z.B. das Proletariat damals ein derartiges Gesetz durchgesetzt: jeder Besitzende mußte für diesen Zweck eine gewisse, erhebliche Abgabe zahlen, und aus dem Geld, das so zusammenkam, wurden Staatszuschüsse geleistet, die den Brotpreis dauernd ganz niedrig hielten. Eine ähnliche Einrichtung bestand auch in Rhodos.

Während so in den Städten Griechenlands die Besitzlosen ihre Ansprüche an die Allgemeinheit steigerten, griff der Gedanke der sozialen Revolution auch auf das Land über. Zunächst geriet das ländliche Proletariat – im weitesten Sinne des Wortes – in Bewegung: Leibeigene, wo es solche gab; dann freie Landarbeiter, kleine Pächter und solche Kleinbauern, die ihr Grundstück nur kümmerlich nährte. Sie forderten die Beseitigung des Großgrundbesitzes und eine gerechte Landaufteilung für alle. Auf der anderen Seite standen aber auch die besser gestellten Bauern vielfach im Kampf gegen den Kapitalismus. In schlechten Jahren, oder wenn sie sonst Betriebskapital brauchten, hatten sie Geld aufnehmen müssen. Und nun waren sie in der Hand ihrer Hypothekengläubiger, die sie – wenn nicht gezahlt wurde – von Haus und Hof jagen und sogar in Schuldhaft sperren konnten. So wird die Schuldentilgung, das heißt Tilgung der Hypotheken, der Kampfruf der Landwirte. Im 3. Jahrhundert brach die ländliche Revolution in dem Staate Griechenlands aus, wo die Verhältnisse der armen Bevölkerung am schlechtesten waren, in Sparta. Dort hielt mit grausamer Härte eine kleine Clique von Feudalherren viele Tausende von Leibeigenen und Proletariern nieder. Die Massen erhoben sich, jagten die Herren fort und führten die neue Landaufteilung durch. Aber das revolutionäre Sparta geriet bald in einen schweren Krieg gegen die Bürger und Gutsbesitzer der benachbarten griechischen Landschaften, die sich zu dem „Achäischen Bund“ zusammenschlossen. Diese „Achäer“ boten alles auf, um den revolutionären Herd Sparta auszulöschen, damit nicht das spartanische Beispiel auch bei ihnen ansteckend wirkte. Denn fast überall in Griechenland sehnte ja die ärmere ländliche Bevölkerung die Landaufteilung und Schuldentilgung herbei. In einem Ringen, das sich durch viele Jahrzehnte hinzog und in das [79] auch das Königreich Makedonien und Rom zugunsten der kapitalistischen und feudalen Ordnung eingriffen, wurde die Kraft der spartanischen Revolution gebrochen und so die Gefahr eines allgemeinen ländlichen Umsturzes in Griechenland abgewendet.

Im 2. Jahrhundert sind die griechischen Staaten allmählich unter die Oberhoheit des römischen Militärstaats geraten. Wie das Eingreifen Roms schon in Sparta entscheidend wirkte, so zerbrach es auch eine ländliche Revolution, die im Jahre 133 im westlichen Kleinasien ausbrach. Dort erhoben sich die leibeigenen Bauern und sonstigen ländlichen Proletarier und gingen daran, direkt durch die neue Landaufteilung den „Zukunftsstaat“ zu schaffen. Sie nannten ihn den „Sonnenstaat“, nach dem Titel eines berühmten griechischen kommunistischen Zukunftsromans, dessen Gedanken also unter den Massen Wurzel geschlagen hatten. Das römische Militär beendete nach schweren Kämpfen diesen Bauernkrieg und stellte die alte „Ordnung“ wieder her. Wie die römische Herrschaft den Griechen die Möglichkeit einer selbständigen Politik und eines unabhängigen Wirtschaftslebens nahm, so verloren die Griechen auch das Recht, ihre Klassenkämpfe allein auszufechten.

 

Fragen im Anschluß an Kapitel 17.

 

1. Welche Klassengegensätze bestanden im grichischen Kolonialland seit 330?

2. Welche Berufe hatten damals im Orient vorwiegend die Griechen, und welche die Eingeborenen?

3. Haben die Griechen den eroberten Orient behauptet?

4. Wie war die Verfassung von Rhodos?

5. Welche Forderungen stellte das griechische Proletariat, um sich billiges Brot zu sichern?

6. Welche Ziele hatte die arme Landbevölkerung?

7. Wer forderte die allgemeine Schuldentilgung und welchen wirtschaftlichen Hintergrund hatte dieses Verlangen?

8. Wie verlief die Revolution in Sparta?

9. Welche Ziele hatte die Revolution in Kleinasien im Jahre 133?

10. Warum nannten die aufständischen Bauern ihr Gemeinwesen „Sonnenstaat“?

11. Wer hat die Revolution in Kleinasien unterdrückt?

12. Wodurch verloren die Griechen die Möglichkeit, ihre Klassenkämpfe selbständig auszufechten?