BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Schubartgymnasium Aalen

gegründet 1912

 

Abiturjahrgang 1921

 

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Annalise Stützel

geb. Knapp, Aalen

Abiturjahrgang 1921

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Schulerinnerungen einer der ersten

Abiturientinnen der Schule

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Das Gebäude der Lateinschule im 19. Jahrhundert (die spätere Gewerbeschule)

 

Die alte Gewerbeschule in den fünfziger Jahren

 

Ziemlich beklommen ging ich im September 1918 nach den großen Ferien die Treppe in der alten Gewerbeschule hinauf. Ich kam aus der Mädchen-Realschule in Heidenheim. Mein Vater war von Königsbronn nach Wasseralfingen versetzt worden, und nach einer kurzen Unter­brechung wollte ich in die 7. Klasse der Aalener Oberrealschule ein­treten und, wenn ich einigermaßen in Latein würde mitmachen können, im damaligen Reformrealgymnasium die Reifeprüfung ablegen.

Wie würde es mir gehen unter so viel Buben, und würde ich mitkommen in all den Fächern? Aber bald lösten sich meine Besorgnisse auf. Wir waren 5 Mädchen, es ging also nicht so ganz rein männlich zu, und dazu nahmen uns unsere Mitschüler mit selbstverständlicher Kameradschaftlichkeit auf. Von Anfang an konnten wir einander aushelfen. Ein großer Teil der Kameraden war in den mathematischen Fächern weit überlegen, während ich in den neueren Sprachen manchmal Hilfestellung geben konnte.

Woran ich heute noch gern zurückdenke, das ist - vielleicht auch durch die Erinnerung ein wenig vergoldet - die heitere Fantasie und die harmlose Unbekümmertheit, mit der die Kameraden ihre Streiche ausdachten und ausführten. Dabei denke ich besonders an den „Abba“ (Karl Weber) und den Fritz Ostertag, die leider beide schon lange nicht mehr leben. Freilich gab's bei uns wahrscheinlich genau so viel Klassenarbeiten wie heute und auch Hausaufsätze und ähnliche teils aufregende, teils lästige Dinge. Aber es scheint mir doch, daß das ganze Schulleben unbeschwerter war und dem einzelnen mehr Zeit ließ, irgendwelchen Liebhabereien nachzugehen.

Diese Jahre unserer Schulzeit fielen in eine bewegte Zeit. Es war das Ende des ersten Weltkrieges, der Zusammenbruch des Kaiserreichs und das Aufleben vieler neuer Gedanken, so auch der Jugendbewegung. Alle diese Ereignisse fanden ihren Niederschlag in unserer Klasse. Viele von uns nahmen regen Anteil am Zeitgeschehen. Als es dann zur Wahl für eine neue Regierung ging und die Wahlversammlungen abgehalten wurden, waren wir Abend für Abend unterwegs, um die Wahlredner der verschiedensten Richtungen zu hören. In unserer Klasse wurden eifrige Debatten geführt, denn wir hatten unter uns ebenfalls Vertreter von ganz links bis ganz rechts. Diese Zeit brachte uns auch die Anfänge der Schülermitverwaltung. Jede Klasse wählte einen Vertreter in den Schülerrat, und die „Bubemädle“ aus den Oberklassen, wie man uns hieß, eine Vertreterin. Es gab dann von Zeit zu Zeit Schulversamm­lungen, bei denen die Vertreter vorbringen konnten, was sie auf dem Herzen hatten. Nun, ich glaube, so sehr viel ist dabei nicht herausgekommen.

 

Die Schule als Lazarett während des 1. Weltkriegs

 

Im Frühjahr 1919 sind wir dann in unser schönes, von Prof. Bonatz erbautes Schulhaus, das im Krieg Lazarett war, umgezogen. Von der 8. Klasse ab waren wir nur 2 Mädchen in der Klasse, Ruth Häberle (heute Frau Dr. Müßig) und ich. Von jugendlichem Idealismus getrieben und das Vorbild meiner Heidenheimer Schule im Auge, faßten wir eines Tages den Entschluß, das Verhältnis unserer Kameraden zu den Lehrern zu bessern. Wir versuchten das auf mancherlei Weise, wir redeten ihnen einzeln zu, sich mehr am Unterricht zu beteiligen. Wir veranstalteten im Spritzenhaussaal ein Schulfest mit verschiedenen Darbietungen, einem Theaterstück und einem Schattenspiel und viel Kuchen und Kaffee, das Letztere von den Müttern gestiftet. Wir stellten Blumen auf in unserem Klassenzimmer. Die Bestrebungen fanden unterschiedliche Aufnahme bei unseren Kameraden. Ein Teil fand das alles ausgesprochen blöd und war der Meinung, man müsse sich energisch dagegen wehren, ein Teil ließ es über sich ergehen, und der übrige Teil unterstützte uns. Als wir unseren Blumenstock und einen Strauß auf das Pult gestellt hatten, stand am nächsten Morgen an der Wandtafel „Handelsgärtnerei von Happ und Knäberle“!

Ganz besonders freute es uns, daß unser Herr Rektor Fleischmann, Prof. Mahler und Studienassessor Müller uns nicht nur gewähren ließen, sondern uns auch berieten und halfen. Der Erlös aus dem Schulfest wurde für die Erinnerungstafel der im ersten Weltkrieg gefallenen Schüler verwendet.

Die Reifeprüfung nahte allmählich heran. Freilich sahen wir ihr auch mit einiger Besorgnis entgegen und fingen an zu „schanzen“, namentlich in den Fächern, in denen wir schwach waren. Aber diese Aufregung, von der heute jede Familie erfaßt wird, in der ein Abiturient ist, gab es bei uns nicht. Wir waren nur ein halbes Jahr in der 9. Klasse, weil im Jahr 1921 der Schuljahrwechsel vom Herbst aufs Frühjahr verlegt wurde. So mußten wir schon tüchtig arbeiten. Vielleicht hat man auch gerade deshalb ein wenig Nachsicht mit uns gehabt. Während der Kohlenferien im vorausgegangenen Winter hatten wir in den verschiedenen Fächern nur täglich Aufgaben gestellt bekommen.

Im März ging es dann los mit Aufsatz. Das Thema war ein Vers von Theodor Storm:

 

Der eine fragt; „Was kommt danach?“ Der andre fragt nur: „Ist es recht?“ Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.

 

Als wir unsere Aufsätze abgegeben hatten und darüber sprachen, stellten wir fest, daß unsere Auffassungen ganz verschieden waren. Wer war nun der Freie und wer war Knecht? Unser Rektor Fleischmann, darüber befragt, sagte ganz besorgt in seinem hohenlohischen Dialekt: „ein furchtbares Thema, ich bin mir bis heute noch nicht im Klaren, wie es aufzufassen ist.“

Wir hatten dann noch schriftliche Prüfung in Englisch, Latein, Analysis, und analyt. und darstellender Geometrie, mathem. Erdkunde und Physik. Ob die Aufgaben leichter oder schwieriger waren als heute, kann ich nicht beurteilen. Sie waren nicht zentral gestellt. Nach einigen Wochen folgte dann das Mündliche, bei dem Regierungsrat Knöll anwesend war. Ehe wir nacheinander dran kamen, wurden wir in ein Klassenzimmer eingeschlossen, da wurde es einem schon schwum­merig. Aber es ging dann glimpflich vorüber. Ich persönlich habe mich in meinen beiden Fächern Latein und analytische Geometrie bestimmt nicht mit Ruhm bedeckt und war sehr erleichtert, als Regierungsrat Knöll sagt: „Ich glaube, es genügt“. Bis auf 2 Kameraden sind wir alle durchgekommen.

Unser Reifezeugnis ist auf ein großes Formular geschrieben. Auf der Titelseite steht unter dem württembergischen Wappen „Königreich Württemberg“. Das Wort „Königreich“ ist durchgestrichen und darüber steht von der Hand unseres Klassenlehrers Prof. Grunsky: „Volksstaat“. Wenn ich die Unterschriften unserer 10 Lehrer im Reifezeugnis betrachte und sie alle, jeder in seiner Eigenart, vor mir stehen, so erfüllt mich große Dankbarkeit. Sie alle haben sich bemüht, uns mit den geistigen Grundlagen für unser Leben auszurüsten.

 

[aus: 50 Jahre Schubart-Gymnasium, Aalen: 1914 – 1964,

Hrsg.: Friedrich Heintzeler, Aalen: Schubart-Gymnasium, 1964, S. 130-132]