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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Reinhard Sorge
Der Bettler
 


 






 



D e r   e r s t e
A u f z u g


___________________________________


Vor einem Vorhang.

Der Dichter und der ältere Freund einander gegenüber. Der Raum hinter dem Vorhang ist erhellt. Sehr gedämpfter Stimmenschall von dort.


DER DICHTER.
Im Auge steht dir noch die Freude und haftet noch die Erinnerung des Beifalls . . .

DER ÄLTERE FREUND.
Ja, es war ein großer Erfolg. Zum Schluß rief man ihn siebenmal. Schon nach dem dritten Akt klatschten die Leute stürmisch.

DER DICHTER.
Nach solchem Erlebnis kannst du kaum noch Gedanken für meine Sache haben -

DER FREUND.
Rede nicht so! Aber wir konnten die Besprechung auf keine andere Stunde legen, das weißt du; ich muß heute Nacht wieder abreisen, und dein Mäzen - so nenne ich ihn schon - er war übrigens auch im Theater . . .

DER DICHTER.
Sprachst du ihn?

DER FREUND.
Ich war am Nachmittag bei ihm. Er scheint wirklich Eindruck von deinen Dichtungen zu haben; wenigstens sagte er nur Lob. Ich glaube, daß es gut wird. Selbstverständlich darfst du ihm die Forderungen nicht nennen, von denen du neulich sprachst; ich versuchte ihm gegenüber heute eine Andeutung; aber er lehnte sofort ab.

DER DICHTER.
Du sprachst ihm davon, und er lehnte ab?

DER FREUND.
Natürlich lehnte er ab. Ich tat es auch nur, um dich von der Unmöglichkeit recht zu überzeugen. Ich habe dir genug zugeredet; - und du scheinst es auch einzusehen, nicht wahr?

DER DICHTER.
Sicherlich, ich verstehe deinen Rat.

DER FREUND.
Endlich also! Ich bitte dich! ein eigenes Theater! und in deinen Jahren! Das hat dir die Verzweiflung eingegeben, aber gerade die Verzweiflung sollte dich bescheiden machen; in solcher Lage muß man schließlich für jeden Pfennig dankbar sein.

DER DICHTER.
Gewiß, die Lage ist verzweifelt.

DER FREUND.
Wenn er den Druck deiner letzten Dramen ermöglichte, wäre dir schon geholfen; du hättest ein kleines Auskommen, es ließe sich leben. Zu Aufführungen kommt es doch sobald nicht, die Stücke sind zu fremd und neuartig. Noch schöner wäre es, wenn er dir eine dauernde Sicherheit gibt, dann bist du von Geldsorgen für alle Mal frei und kannst dich in Ruhe weiterbringen.

DER DICHTER.
Es wäre sehr gütig von ihm . . .

DER FREUND.
Ich merke, du bist vernünftig geworden und hast auf mich gehört.

DER DICHTER.
Wann wirst du mir nicht mehr raten wollen?

DER FREUND.
Das klingt wieder eigensinnig, mein Lieber. Aber ich hoffe, dir mein ganzes Leben lang raten zu können, und hoffe auch, daß du davon Gutes hast; schließlich bleibe ich doch immer einige zwanzig Jahre älter als du.

DER DICHTER.
Da hast du recht.

DER FREUND.
Wie geht es eigentlich zu Haus?

DER DICHTER.
Mit jedem Tag umdüstert es sich dort.
Auf jeden Flecken Sonne speit die Not.
Der Vater schreckt uns mit der furchtbaren Krankheit.

DER FREUND.
Was sagen die Ärzte?

DER DICHTER.
Sie reden von des Vaters fester Natur und daß man nicht wissen könne, wie lange es noch dauert. Es könne jeden Augenblick der Tod eintreten, aber auch noch dauern. Ihr Gerede besagt nichts; doch diese Unentschiedenheit liegt wohl im Wesen der Krankheit . . .

DER FREUND.
Soviel ich weiß, ist es so. - Und deine Mutter?

DER DICHTER.
Sie siecht.
Meist starrt sie ängstlich auf die Tür und lauscht
Auf Vaters Schritte. Schleifen sie heran,
Dann zwingt sie für den Irren sich ein Lächeln
Auf ihre Lippen, hilflos und tief rührend,
Daß mir die Tränen kommen. Sie weint viel
Und spricht von Sterben.
Armut tut das Letzte.

DER FREUND.
Es ist furchtbar. - Nein, in dieser Umgebung kannst du nicht gedeihen.

(Kurze Stille.)

Komm jetzt, wir wollen ihn im Vestibül erwarten; es ist Zeit. - Deine Hände zittern. Sei ruhig, es wird gut für dich.

DER DICHTER
(indem beide langsam nach rechts abgehen).
Zittern die Hände . . . ?! Sieh, es gilt doch etwas!

*

Jetzt teilt sich der Vorhang und man blickt in den Saal eines Kaffeehauses. Er ist gegen den Hintergrund hin erhöht, Stufen führen durch die Mitte. Rechts: im Vorder- und Mittelgrund: Tische in der üblichen Art, zahlreiche Gäste, Kellner auf und ab. Links: freier Raum, an der Wand Zeitungen, vorn Kleiderständer, im Mittelgrund ein langes, an den Enden umgebogenes Ledersofa. Auf diesem dicht gedrängt die Zeitunglesenden. Augenblicklich liest der erste Vorlesende, er sitzt auf einer zweiten kleineren und etwas über der ersten erhöhten Lederbank, neben ihm noch zwei andere: der zweite und der dritte Vorlesende, die zuhörend ihre Zeitungen gesenkt in Händen halten. Ebenso die Zuhörer der unteren Bank, von diesen sind einige auch ohne Zeitung. Im (erhöhten) Hintergrund stehen zum Nachtessen gedeckte Tische, selten besetzt. Die Hinterwand hat einige Fenster; weiße Vorhänge. Rechts im Hintergrund eine Art Erker, achteckige Vertiefung in die Wand, durch Vorhang geschlossen. Wieder rechts davon und auf den Erker zuführend das Ende einer Treppe, die aus dem (unsichtbaren, rechts hinter der Bühne gedachten) Vestibül heraufführt. Elektrisches Licht. Die Lichtquellen für den Hintergrund sind unsichtbar. Die Gruppe der Lesenden hat die volle Aufmerksamkeit, das übrige Publikum spricht daher gedämpft, es ist Dekoration.
Gedämpftes Geräusch der Geschirre.


DER ERSTE VORLESENDE.
. . . und es ist sehr wohl möglich, daß der italienische Geschäftsträger in Konstantinopel den Auftrag erhalten hat, umgehend an die Pforte . . .

ERSTER ZUHÖRER.
Bitte Schluß! Das wurde schon einmal gelesen! Soll man vor Langerweile krepieren?

ZWEITER ZUHÖRER.
Wir sind zu Ende.

DRITTER ZUHÖRER.
Kann man die neuen Zeitungen denn noch nicht bekommen?

VIERTER ZUHÖRER.
Also, meine Herren, fangen wir ruhig noch einmal von vorne an.

(Gelächter.)

FÜNFTER ZUHÖRER.
Von hinten, meine Herren! das ist wie neu . . .

SECHSTER ZUHÖRER.
Lest doch die Annoncen, die sind voller Schweinereien!

ERSTER ZUHÖRER.
(gähnt).
Ach . . . langweilig! . . .

(Sie sitzen zusammengesunken, stieren vor sich, gähnen und blicken trübe.)

DRITTER ZUHÖRER.
Wo bleiben denn die Herren Kritiker?

ZWEITER ZUHÖRER.
Wenn es so lange dauert, bedeutet's Erfolg.

SECHSTER ZUHÖRER.
So . . . Fräulein Gudrun hat also Erfolg gehabt -
(gähnt)
oder ist sie Frau, wie ist das eigentlich . . . ?

VIERTER ZUHÖRER.
Na, wir werden ja sehen . . .

SECHSTER ZUHÖRER.
Höchstens doch hören, nicht wahr . . .?

VIERTER ZUHÖRER.
Also: wir werden hören, wir werden hören . . .

ALLE
(durcheinander, gähnend, sich räkelnd).
Ja, wir werden hören.

ZWEITER VORLESENDER
(ruft).
Da kommen die Zeitungen!

(Von links kommen zwei Kellner mit Zeitungen.)

STIMMEN
(lebendig hin und her).
Her damit! Mir!
      Mir! Mir!
Nein, die Vossische!
      Erlauben Sie - -
Was denn . . . ?
Teufel, so geben Sie doch!!
      Hier! Hier!
Dreck . . .!

(Die Zeitungen sind den Kellnern aus den Händen gerissen, man liest gierig, die keine Zeitung bekommen haben, spähen dem Nächsten mit hinein.)

SIEBENTER ZUHÖRER.
Donnerwetter . . .

ACHTER ZUHÖRER
(ohne Zeitung).
Vorlesen! Vorlesen!

SECHSTER ZUHÖRER.
Na, Kinder, was sagte ich . . . ?

ACHTER ZUHÖRER.
Los doch! Lesen Sie endlich!

ZWEITER VORLESENDER.
Hören Sie: Erdbeben in Mittelamerika!

STIMMEN.
Halloh! Wieviel Tote?

ZWEITER VORLESENDER.
Fünftausend.

DRITTER ZUHÖRER.
Puh Teufel!

(Bewegung.)

ZWEITER VORLESENDER.
Gefecht bei Tripolis.

STIMMEN.
Wieviel Tote?

ZWEITER VORLESENDER.
Etwa zweihundert Tote. Dreihundertfünfzig Verwundete.

(Raunen.)

ZWEITER VORLESENDER
(blätternd).
Absturz eines französischen Fliegers.

NEUNTER ZUHÖRER.
Immer Frankreich . . .

VIERTER ZUHÖRER.
Wieviel Tote?

(Gelächter.)

DRITTER VORLESENDER.
Massenaufstand . . . Spanien . . .

ERSTER VORLESENDER.
Grubenkatastrophe . . .

ZWEITER VORLESENDER
(immer blätternd). Fabrikbrand . . . Sturmflut . . .

ERSTER VORLESENDER.
Eisenbahnunglück . . .

ZEHNTER ZUHÖRER.
Aufhören! Mich friert! Brr . . .

STIMMEN.
Aufhören!!

FÜNFTER ZUHÖRER.
Mich friert auch. Wahrhaftig.

SECHSTER ZUHÖRER.
Immer weiter! Immer weiter!

SIEBENTER ZUHÖRER.
Nein! Nein! Das Positive!

DRITTER VORLESENDER.
Positives. Gut . . . Ein neues deutsches Kriegsschiff.

STIMMEN.
Ah! . . . Hört! Hört!

DRITTER VORLESENDER.
Zwei neue englische Kriegsschiffe.

(Bewegung.)

ACHTER ZUHÖRER.
Potztausend!

SECHSTER ZUHÖRER.
Das ist negativ.

STIMMEN.
Was? Wieso?

SECHSTER ZUHÖRER.
Drei Kriegsschiffe, das bedeutet: drei Hungerjahre.

STIMMEN.
Quatsch! Bravo! Volksfeind! Bravo! Was, Volksfeind!? . . . Verrückt!

SIEBENTER ZUHÖRER.
Ruhe doch! Mehr Positives!

ZWEITER VORLESENDER.
Die Geburt eines kräftigen Jungen!

STIMMEN.
Bravo! Bravo!
Positiver Junge! Positiver Junge!

DRITTER VORLESENDER.
Neue erfolgreiche Versuche mit Ehrlich-Hata!

STIMMEN.
Ah! Bravo! Himmlisch!

(Großer Beifall, Händeklatschen.)

*

Die drei Kritiker kommen von links.

STIMMEN.
Ah! Aha!
(Laute Begrüßung.)
Erzählen! Erzählen!

SECHSTER ZUHÖRER
(die anderen überschreiend).
Nun?! Nun!? War Fräulein Gudrun gut gebaut? Hatte sie ihre anständigen Höhepunkte, heh!? Gings auch zum Schluß hübsch abwärts mit ihr?!

(Gelächter und Lärm. Der zweite und dritte Kritiker setzen sich zu den übrigen.)

ERSTER KRITIKER
(mehr im Vordergrund, summt ingrimmig, wie als Antwort auf die Frage des Sechsten).
Ihr «sprang ein Dolch ans Herz»! Wie herb, Herr Dichter!
Haben Sie die Güte, uns damit nicht zu behelligen -
Moderne Damen, die sich vor Eitelkeit schrauben;
Die lassen Sie zu Hause - bitte ich - gefälligst!

SECHSTER ZUHÖRER.
Was brummt man da?

(Der erste Kritiker setzt sich auf die rechte Lehne des Sofas, da kein Platz mehr frei ist. Es wird allmählich ruhiger.)

ERSTER ZUHÖRER.
Also nun bitte vernünftig berichten! Los!
(Zum ersten Kritiker.)
Fangen Sie an!

ERSTER KRITIKER.
Meine Herren, ein Erfolg ohne Widerspruch. Alles Mittelmäßige hat nämlich ohne Widerspruch Erfolg.
(Zustimmung.)
Das Stück taugt gar nichts.

ZWEITER KRITIKER.
Hören Sie - nein, da muß ich doch sagen das ist eine ganz verrannte Ansicht! . . . Es ist im Gegenteil ein sehr gutes Stück. Ganz prachtvoll. Aber der Dichter ist eben kein solch fahriges Genie und kein Kraftmeier, wie's ja der Pöbel gewöhnlich liebt, sondern ein ernster, gewissenhafter Arbeiter -

ERSTER KRITIKER.
Sie mißverstehen mich, Bester. Ich schätze den Handwerker, aber dieser ist beschränkt im Gelobten Geist, denn er versteht sich nur auf Umpflanzung; nehmen Sie ihm die Sage, und er wird Hunger leiden.

ZWEITER KRITIKER.
Aber die schöne Sprache - !

ERSTER KRITIKER.
Schön krähen kann jeder Hahn.

ZWEITER KRITIKER.
Herrgott, auf diese Weise können Sie auch Goethe verulken!

DRITTER KRITIKER.
Erlauben Sie mal, daß auch ich rede! Ich finde nämlich das Stück im allgemeinen recht annehmbar. Es hat Geschmack, ist taktvoll, es verstößt nicht; überhaupt: es ist die Arbeit eines Gentleman. Aber gerade dieses - meine ich - wird ihm zum Verhängnis: da fehlt irgendwie ein Mutwille, der sich eigen Land zu erobern sucht; da sitzt irgendwo eine Schwäche, die er durch alles Blut und Schwert und Herbheit nicht verhüllen kann - im Gegenteil, er deckt sie dadurch erst recht auf; - dieser Dichter hat einen Mangel tief in seiner Tiefe, der ihn richtet.

ERSTER KRITIKER.
Bravo! Ich will Ihnen auch sagen, was da im Grunde fehlt: das große Herz fehlt, das sich hingibt bis zur Demut, die große Weltgüte, die sich hingibt bis zur Torheit, die göttliche Blindheit, die so tief sieht in alles Geheimnis - ja! es fehlt der Seher - - !

ZWEITER KRITIKER
(unterbricht lachend).
Na! Na! Na! Nur nicht pathetisch! Das große Herz hat mit seinem Stil gar nichts zu tun und mit dem Stoff, den er nimmt, auch nicht.

ERSTER KRITIKER.
Das tut es doch! Sie sehen eben verkehrt! Ja, dieser Mangel verwirft ihn ein für allemal unter die Fruchtlosen. Dichter sind Liebende, Weltliebende und ihrer Liebe endlos verfallen; der aber ist im Herzen verkümmert und dichtet aus Enge und Eitelkeit sich eitle Frauen.

DRITTER KRITIKER
(ohne Pause auf die Worte des ersten).
Und es fehlt ihm der Dämon, die große Bestätigung seines Selbst von jenseits. Er ist nur immer sein Schatten, niemals sein besseres Teil. Vor dem Geist wird er zur Spreu.

ZWEITER KRITIKER.
Ach, das ist ja alles -

SECHSTER ZUHÖRER.
Nur nicht tragisch werden, bitte! Nur nicht ereifern!

DRITTER KRITIKER.
Bei dieser Mittelmäßigkeit heute! wer könnte sich da ereifern!

ZWEITER KRITIKER.
Sie machen etwas fix reinen Tisch! Wirklich! Da haben wir unter den Neuesten jetzt den Artusdichter!

ERSTER KRITIKER.
Er soll uns gestohlen bleiben! Artus und Gudrun - aber unsere Zeit schaut aus - blickt fern und späht - und ihr brennt die Seele! - -
Oder wollen Sie etwa noch jenen Dichter nennen, der, als er leergeschrieben war, mit seiner Armut sich noch brüstete und nun mit Pantomimen, Weib und Pomp mirakelt?! Das kann einen ja zum Heulen bringen!

DRITTER KRITIKER.
Ruhig! Ruhig! Bester.

ZWEITER KRITIKER
(zum ersten).
Ach, Sie! Wenn Sie nicht schimpfen können, ist Ihnen nicht wohl.

SECHSTER ZUHÖRER.
Gehen wir noch ins Viktoria, meine Herren?

VIELE STIMMEN.
Natürlich. Los. Ins Viktoria. Sofort.

(Lärm und Aufbruch.)

DRITTER KRITIKER
(der mit dem ersten unterdessen im Gespräch nach vorn gekommen ist, im Abgehen).
Da haben Sie recht. Wir warten auf einen, der uns unser Schicksal neu deutet, den nenne ich dann Dramatiker und stark. Unser Haupt-Mann, sehen Sie, ist groß als Künstler, aber als Deuter befangen. Es ist sehr an der Zeit: einer muß einmal wieder für uns alle nachsinnen.

(Der Vorhang schließt sich wieder.)

*

Der ältere Freund, der Mäzen und der Dichter treten von rechts auf und gehen bis vor die Mitte des Vorhangs.

DER MÄZEN
(im Auftreten zum Älteren).
Darf ich Ihnen meinen Glückwunsch zu dem schönen Erfolg Ihres Freundes aussprechen . . .

DER FREUND.
Ich danke ihnen, ich bin in der Tat sehr glücklich . . .

DER MÄZEN.
Dazu haben Sie alle Ursache. Es war ein ganz ungewöhnlicher Erfolg, ein literarisches Ereignis.
(Er wendet sich zum Dichter.)
Aber ich muß auch noch einen zweiten Glückwunsch aussprechen, Ihnen, mein Herr. Ich habe Ihre Dichtungen nun alle gelesen und finde darin sehr reiches und ernstes Talent und viel Zukunft und neue Möglichkeiten. Ich würde gern zu Ihrer Ausbildung beitragen.

DER DICHTER.
Haben Sie Dank! Ich fürchte leider, es möchten sich noch Schwierigkeiten zwischen uns stellen.

DER MÄZEN.
Bis jetzt, mein Herr, haben Sie nicht im geringsten Grund zu solcher Furcht.

DER FREUND
(zum Dichter).
Du machst dir ganz unnütze Gedanken . . . !

DER DICHTER.
Ich möchte über dieses alles nicht so in Eile reden. Nachher - meine ich - wird sich bessere Gelegenheit finden . . .

DER MÄZEN.
Gewiß. Ich wollte Sie nur nicht lange über meinen allgemeinsten Eindruck im Unklaren lassen. Ich habe Ihnen natürlich zum einzelnen noch viel zu bemerken, auch manches anders zu wünschen, das versteht sich von selbst. - Kommen Sie, bitte, ein Platz ist bestellt.
(Er geht nach links ab.)

DER FREUND
(zum Dichter).
Warum die Bemerkung über deine Furcht und die Schwierigkeiten? Sie war unnötig. Sie scheint ihn auch verstimmt zu haben.

DER DICHTER.
Ja, sie ist wohl unnötig gewesen.

DER FREUND.
Rede recht bedachtsam, ein Wort kann viel verderben. Komm jetzt, er wartet.

(Er geht nach links ab, der Dichter folgt.)

*

Der Vorhang schlägt abermals zurück. Der rechte Teil der Bühne ist jetzt dunkel und menschenverlassen. Irgendwo aus der Höhe links fällt schräg über die linke Seite der Bühne das Licht eines Scheinwerfers, in dessen Strahl man die Kokotten lachend und schwatzend auf der unteren Lederbank sitzen sieht. Sie sind noch atemlos von einem raschen Lauf und ordnen ihren verwirrten Anzug. Ihre Stimmen kommen dem grellen und nackten Eindruck des Scheinwerfers zu Hilfe. Drei Kokotten kommen eben von links und setzen sich flink zu den übrigen.

DIE ERSTE.
Schnell nur! Sie kommen gleich! Wer fehlt denn noch?

EINE DER ANGEKOMMENEN.
Die Rote und die Lange putzen sich
Noch unten.

EINE ZWEITE DER ANGEKOMMENEN.
            Oder warten auf die Kerle,
Weil sie die ersten Küsse schmatzen möchten!

DIE ZWEITE
(zu einer Nachbarin).
Wieviele waren sie?

DIE NACHBARIN.
            Ein Dutzend etwa!

DIE ZWEITE.
Ha, guter Fang!

DIE VIERTE
(sich vorbeugend, zur Ersten).
            Die Rote ist jetzt reich,
Sie trägt nur Echtes.

DIE ERSTE.
            Ach, du junge Pute!
Du glaubst den Schwindel noch?

(Drei Kokotten auf der rechten Seite der Bank, die bisher miteinander getuschelt haben, lachen laut auf.)

DIE DRITTE.
            Jawohl die Rote
Hat einen Engländer, ganz hart vor Geld.
Und rote Augen hat er und Pferdekiefer!

DIE VIERTE.
Haha! den sah ich auch; ich glaube, er
Ist ein Amerikaner.

DIE ERSTE.
            Sie ist dumm;
Was geht sie dann mit uns?

DIE DRITTE.
            Sie wird nie satt.

(Sie lachen.)

EINE DER DREI KOKOTTEN RECHTS
(kreischend).
Und gab ihm einfach etwas auf den Hintern? Hihi!

(Lachen. Eine Kokotte kommt von links.)

DIE DRITTE
(zur Eintretenden).
Du bleiche Lange mit der Todessehnsucht -
Wo bleibt die Rote? Geht sie schon zu Bett?
Da unten?

DIE LANGE.
Nein, sie schminkt sich erst. Die andern
Sind noch nicht da.

DIE ZWEITE
(gähnt).
            Das rote Luder wird noch
An seiner Schminke sticken.

DIE LANGE.
            Feine Schminke
Hat sie, Pariser Schminke . . .

DIE ERSTE.
            Äh, da kommt sie!

(Die Rote kommt von links.)

DIE ZWEITE.
Wo steckst du, du Schmink-Affe!

DIE DRITTE UND DIE VIERTE
(kreischend).
            Hi, Schmink-Affe . . . !

DIE ROTE
(schlägt die Zweite).
Da hast du was . . . ich werd dir . . . da!

DIE ANDEREN
(lachend durcheinander).
He, sie ist wütend.

DIE ROTE
(sich balgend).
Freche Unke - Freche . . .

(Der Roten entfällt im Streit aus ihrem Handtäschchen eine Büchse Puder, die öffnet sich und der Puder stäubt.)

DIE ZWEITE
(wälzt sich vor Lachen).
Der Puder! ho! Pariser Puder! ho!

DIE DREI RECHTS
(jetzt auch aufmerksam).
Hi, seht! der Puder . . . !

STIMMEN.
            Puder . . . Puder . . . hi!!

(Lärmen und Lachen.)

DIE DRITTE.
Paß auf, daß dir dein Kind nicht so entwischt!

EINE DER DREI KOKOTTEN RECHTS.
Setz dich hinein, so hast du was davon!

DIE ROTE
(keifend).
Ihr Schneppen! . . . äh!

(Sie rafft die Büchse auf und tilgt das Verschüttete.)

DIE DRITTE.
St . . . st . . . Jetzt kommen sie!

(Die drei Kokotten lachen wieder laut.)

DIE VIERTE.
Still doch!

(Sie lauschen.)

DIE ZWEITE.
            Ach Unsinn, 's ist ja alles still -
Sie sind's noch nicht.

DIE DRITTE
(zur Vierten).
            Du, sag mal, sitzt mein Haar?

DIE VIERTE.
Ja doch, sitzt meins denn?

DIE ZWEITE
(zur Vierten, indem sie in einen Taschenspiegel blickt).
Leih mir deine Schminke!
Ich bin am Auge schwarz.

DIE VIERTE
(reicht ihr).
            Da hast du sie.

DIE ROTE
(zur Zweiten).
Du schielst ja! Da nutzt keine Schminke, hi!
Ne Glaskugel stände dir besser als
Dein Schielauge!

(Schritte und Stimmen links. Es wird rasch stille.)

DIE ZWEITE.
Du Ekel!!
(Bleckt die Zunge.)

STIMMEN.
            St . . . st . . .

(Es wird ganz still. Die Kokotten starren mit grinsenden Gesichtern nach links. Einheit in Ausdruck und Haltung. Von links kommen die [acht oder neun] Liebhaber. Sie halten beim Anblick der Kokotten einen Augenblick inne. Sie treffen die Auswahl, handeln unter sich, weisen mit den Fingern auf die einzelnen Dirnen. Sehr rasch hintereinander und durcheinander.)

ERSTER.
Da sitzen sie. Ho! Auswahl! da ist Auswahl!

ZWEITER.
Los! Vorwärts! Hoi - das Fleisch! Zum Teufel!

EINIGE
(halten ihn zurück).
            Halt du!

DRITTER.
Ich nehme mir die Rote!

ERSTER.
            Ich die neben . . .

VIERTER.
Du nimmst die Rote nicht!

DRITTER.
            Sie gab mir Blicke . . .

STIMMEN.
Laßt mich! Noch nicht! Erst wählen! Was? Erst wählen!!

FÜNFTER.
Die Schwarze da . . .

SECHSTER.
            Und ich die Lange. Gut.

SIEBENTER.
Nein, Mensch . . . die ist zu klein, die Andere -

ACHTER.
Die sieht gefährlich aus. Sie schielt.

VIERTER.
            Ich die dort.

ZWEITER
(wütend).
Was! Laßt mich los! Soll ich denn sticken!? Ihr!

VIELE STIMMEN.
Vorwärts! Los jetzt!

(Sie eilen zu den Mädchen. Lärm, Kreischen, Drängen, Umarmungen, gelle Lachen. Große Bewegung der Gruppe hin und her im weißen Licht des Scheinwerfers.)

STIMMEN DER DIRNEN UND LIEBHABER
(hin und her).
Nimm mich! Nicht den! Ich habe Bärenkraft!
Es ist nicht wahr! Er ist ein Schwächling! Mich!
Du weißt zu küssen, Mädel! Küß mich, Mädel!
Was zierst du dich, was läßt du dich nicht packen?
Fort, du! du glatziges Scheusal! Fort, du Ekel!
Nimm doch uns zwei! Du wirst daran nicht sterben!
Du bist todweiß! hu! stichst du mit den Küssen!
Ihr Busen, du?! Schlag drauf und er zerplatzt!
Du nimmst mir die Besinnung . . . Ai, du beißt!
Dort oben, ja! Komm schnell, du schwarze Hexe!

(Ein Paar setzt sich auf die höhere Lederbank, die drei Personen Platz bietet.)

Du willst was Süßes, wie? was Süßes? Schön!
Schlag ihn in seine Fratze! Schlage zu!
Laß los, du Kerl! Willst du Ohrfeigen?
Du sollst Eis haben . . . Was du willst. Vanille?
Ins Bett. Nach Haus! Schnell doch! Los! Hui, du Diebin!

(Die Gruppe wird zum Schluß Monument. Die Stimmen hallen im Rhythmus wie Gesang. Nacheinander.)

Du speist mir Flammen und verkohlst mich, Wilde!
Du preßt wie Eisen und erwürgst mich, Mann!
Ich weiß dir eine Lust, die weißt du nicht!
Ich weiß dir einen Schlaf, den schliefst du nie!
Du bist die Hölle und bist schwarz vor Lust!
Du bist wie Satan und sollst mich beschlafen!

*

Das Licht erlischt. Dunkelheit. Der Lärm erstirbt. Kurze Stille. Dann wird der Raum vor dem Erker hell. Das Mädchen und die Krankenschwester sind eben die Treppe (ganz rechts) aus dem Vestibül heraufgekommen und stehen nun vor dem Vorhang, der den Erker verschließt.

DAS MÄDCHEN.
Bitte hier, Schwester! Hier oben ist es leer. Die Menschen starren so.

DIE KRANKENSCHWESTER.
Warum wollen Sie nicht unter Menschen sitzen? Sie sollen sich doch keine Gedanken machen! Der Arzt hat es Ihnen oft genug gesagt. Sie sollen sich noch soviel wie möglich schonen und Sie sahen doch eben, wie sehr das nötig ist. Wir hätten überhaupt noch nicht ins Theater gehen sollen. Wir sind kaum zehn Minuten gegangen, da werden Sie schon schwindlig! Quälen Sie sich nicht unnütz! Ihr Schicksal ist nicht mehr zu ändern, und Gott wird Ihnen Ihr Kindchen gewiß verzeihen.

DAS MÄDCHEN.
Kommt keine Bedienung? Ich säße gern.

EIN KELLNER
(kommt die Treppe herauf).

DIE KRANKENSCHWESTER.
Wir wollen einen Platz hier oben, recht ruhig.

DER KELLNER.
Bitte sehr!

(Der Kellner zieht den Vorhang zurück, so daß der [achteckige] Erker sichtbar wird. Drinnen Tisch, Stühle. Durch die Fenster sieht man den Nachthimmel. Hell flimmert ein Stern. Wolken treiben. Der Erker ist erhellt, Lichtquelle unsichtbar.)

DAS MÄDCHEN.
Ja, hier wollen wir sitzen.
(Wie der Kellner die Vorhänge zuziehen will.)
Bitte, lassen Sie den Ausblick, ziehen Sie die Vorhänge nicht zu!

DIE KRANKENSCHWESTER.
Warum nicht? Es zieht immer ein wenig durch die Ritzen, man erkältet sich so leicht. Ziehen Sie nur vor!

(Der Kellner tut es.
Mädchen und Krankenschwester setzen sich am Tisch einander gegenüber [Profil]. Jetzt erlischt das Licht in und vor dem Erker, und man sieht während des folgenden nur schattenhaft die beiden Gestalten. Der Kellner entfernt sich bald und bringt nach einiger Zeit das Gewünschte.)


*

In dem Augenblick der Verdunkelung ward der übrige Hintergrund erhellt; etwa in dessen Mitte sitzen der Mäzen, der ältere Freund und der Dichter und speisen. Ein Kellner geht ab und zu.

DER DICHTER
(fast gleichzeitig mit der Helligkeit).
Sie haben die Ziele, die ich mir vorgesetzt habe, so sicher aus meinen Dichtungen gedeutet, daß ich jetzt mit mehr Zutrauen auf guten Ausgang zu Ihnen rede, als vorher. Es ist nur schwer, sich hierin verständlich zu machen, es wirkt alles leicht unreif und verfehlt - - Sie verstehen mich wohl?
(Kurze Stille.)
Mein Freund hat Ihnen von meiner Lage gesprochen, Sie wissen, in welcher Umgebung ich arbeiten muß - - Und die Bühnen weisen meine Dramen ab, es ist an ihnen vieles so neu, daß man sich scheut, das Experiment der Aufführung zu wagen.

DER MÄZEN.
Ich stimme Ihnen bei. Sie sind unglücklich daran, denn ihre Stücke werden nur seltsamer und fremder, und Sie haben eigentlich - wenn ich offen reden soll - immer weniger Aussicht auf Annahme. Natürlich kann man das nicht so bestimmt sagen . . .

DER DICHTER.
Es freut mich, daß Sie Gleiches wie ich voraussehen, um so mehr werden Sie mich weiter verstehen. Diese Unmöglichkeit, aufgeführt zu werden, ist meine größte Hemmung. Denn für mich ist die Aufführung Notwendigkeit und erst Erfüllung der Schöpfung und Pflicht der Schöpfung gegenüber.

DER ÄLTERE FREUND.
Nimm bitte Rücksicht auf das, was ich dir sagte!

(Kurze Stille.)

DER DICHTER.
Sie werden begreifen, daß die Veröffentlichung der Dramen im Druck mir nicht viel sein kann, immer nur eine Halbheit, niemals Endzweck, der ist die Aufführung. So bleibt mir nur diese Bitte an Sie übrig: mir eine eigene Bühne gründen zu helfen.

DER ÄLTERE.
Nimm Vernunft an, bitte! das ist unsinnig!

DER DICHTER.
Laß mich ausreden. Ich spreche dies mit Überlegung.

DER MÄZEN.
Ja, mein Herr, lassen Sie ihn sich aussprechen . . .

DER ÄLTERE.
Ich will nur das Beste für dich. Dies wird dir nie zum Besten.

DER DICHTER.
Ich habe alles sehr bei mir überdacht und oft geprüft, ich habe alle Möglichkeiten erwogen, die mir sonst blieben, aber ich kam immer auf dieses Einzige zurück. - Aufführung muß mir werden; ich sehe meine Dichtungen als Grundlage und Anfang eines erneuerten Dramas an; Sie äußerten sich selbst vorhin in ähnlichem Sinne. Aber dieses neue Drama kann nur durch seine Aufführung wirksam werden und recht befruchtend; mir bleibt nur die eigene Bühne.

DER MÄZEN.
Sie sprechen von einem neuen Drama, ich halte das bei unserer modernen dramatischen Dichtung in gewisser Weise für berechtigt. Und Ihre Stücke scheinen auch so vielen Keim zu tragen, daß man Ihre Selbsteinschätzung versteht. Überhaupt versichere ich Sie, daß ich Ihre Überlegungen und Ihren Entschluß wohl begreife. Wenn ich Ihnen trotzdem anderes vorschlage, geschieht es also nicht aus Unverständnis, sondern aus guter Einsicht. Ich glaube, daß Ihre nächste Zukunft auch anders möglich ist - so sehr ich Ihnen ihre Bitte nachfühlen kann - ich sehe doch soviel Wagnis und Schwierigkeiten in der Verwirklichung, daß ein anderer Ausweg notwendig scheint, und den habe ich gefunden, wie ich glaube.

DER DICHTER.
Reden Sie bitte!

DER MÄZEN.
Ich halte meinen Vorschlag für gut und fördernd. Ich setze Ihnen eine Rente aus, hoch genug, um in den nächsten Jahren ganz nach Wunsch leben zu können. Vor allem - meine ich - müssen Sie jetzt reisen. Ihnen droht Unfruchtbarkeit, wenn Sie nicht neues Erlebnis aus der Umwelt finden. Lassen Sie auf diese Art etwa zehn Jahre hingehen und wir können weiter über alles reden. Sie werden viel zugeschaffen haben, das Wagnis wird nicht mehr so groß sein, was sagen Sie?

DER ÄLTERE.
Du hast dein Schicksal in Händen.

(Kurze Stille.)

DER DICHTER.
Mein Herr, auch diese Möglichkeit habe ich lange beraten, aber verworfen. Nicht Umwelt brauche ich zu neuem Schaffen, sondern mir muß Erfahrung in dramatischer Technik durch Aufführung der alten Werke werden. Ich muß die Grenzen der Darstellung, ich muß alle dramatischen Grenzen praktisch erproben können, hier fehlt es meinen Dichtungen, nur aus der Beherrschung dieser Dinge kann ich reifere Frucht aus diesen Dingen treiben. Die Welt des Außen ist erst zum zweiten not, und Unfruchtbarkeit wird mir niemals drohen! Meine Berufung befiehlt einzig diese Bahn, darum muß ich ablehnen.

DER MÄZEN.
Sie reden unbedacht, mein Herr! Sie übersehen den überwiegenden Vorteil meines Vorschlages: eine Ausbildung in wirklicher Ruhe. Dies ist Ihnen not. Die Aufführungen würden eher nachteilig für Sie sein, denn Ihre ganze Persönlichkeit wäre so davon in Anspruch genommen, daß Sie nicht mehr rechte Ruhe zur Arbeit hätten; und Ihre Arbeit kann nur in Ruhe gedeihen.

DER DICHTER.
Ich werde Arbeit und Verwirklichung einen können. Ich bin berufen, also dazu fähig.

DER MÄZEN.
Erlauben Sie, damit fängt das Phantastische an, wir wollen hier nur Wirklichkeiten denken.

(Kurze Stille.)

DER DICHTER
(jäh auf).
Nicht wahr, Sie wollen mir dies nie erfüllen?!
Ich weiß es doch, Sie halten meine Bitte
Nur für Phantasterei, wie die Gedanken
Über Berufung!? . . . Wie soll ich nur reden?!
Soll ich erzählen, wie dies aus mir sah,
Schon als ich Kind war, und dann mählich reifte
Und mächtig wuchs und zwang und fort mich trieb
In manche Einsamkeit und manche Qual -
Wie's mir Gesetze gab, die mich losrissen
Aus innigen Banden lieber Menschen und
Zu Grausamkeiten mich verurteilten
Gegen das nächste anverwandte Blut?!
Das Werk! das Werk! und nur das Werk war Herr!
Wie soll ich reden . . . Ich will Ihnen Bilder
Der Zukünfte erzählen, die in mir
Mit Pracht sich aufgerichtet haben, die
Mich führen, wo ich bin, und keine Liebe
Und keine Wollust hat bisher sie stürzen
Können
Oder nur einen Augenblick verhüllen!
Sie werden sehen, welch ein Reichtum auf
Sie wartet, welche Summen, wirklich dies
Wird eine Goldgrube für Sie! Und gar kein Wagnis!
Hören Sie doch: es wird
Das Herz der Kunst: aus allen Ländern strömen
Die Menschen alle an die heilende Stätte
Zur Heiligung, nicht nur ein kleines Häuflein
Erlesener! . . . Massen der Arbeiter
Schwemmt an die Ahnung ihres höheren Lebens
In großen Wogen, denn sie sehen dort
Aus Rauch und Ragen der Gerüste, aus
Sausenden Fährnissen der Räder ihre
Seelen aufsteigen, schön und ganz geläutert
Vom Schwarm der Zufälle, in herrlicher
Erhabenheit Siegerin der eisernen Nöte,
Lebendig Stahl und Turm, der seine Sehnsucht
Auftrotzet königlich . . . Hungernde Mädchen,
Die um ihr unrecht Kind sich mager mühen,
Sollen dort Brot finden und ihre Kleinen
Mit Macht zum Himmel stemmen, wenn sie auch
Verreckt schon sind in ihren Armen! Krüppel,
Denen das wimmelnde Elend dieser Zeit,
Der Gram und Harm ihrer Mißratenheit
Schielt aus verbogenen Gelenken, werden
Mit Mut und großer Liebe zum aufrechten
Leben die Herzen hemmen und den dürren
Rumpel dem Tod hinwerfen. Männer aber
Sollen die Stirnen härten an Leid und Lust,
Die Herzen heben zu Sehnsucht und Verzicht!
Das Weib sei vor dem Mann in großer Treue!
Er lerne, in Adel vor ihr die Stirn zu neigen!

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Zur Hochgeburt soll eine hochgeborne
Vielfach verderbte Zeit hin vor mich treten,
Ja, diese Zeit soll wahrhaft sich im Spiegel
Der Allmacht schauen und verstummen, wenn
Aus tiefen Himmeln wächst
Das gnädige Bild des Ankers, der uns alle
Unerbittlich erzgeschwungen
Hält an dem Grund der Gottheit.

(Bei des Dichters Versen hat sich das Mädchen erhoben und ist leise nähergetreten, sie steht links am Eingang des Erkers. Zuletzt ist auch die Krankenschwester herzugekommen, jetzt sieht sie, auf den Zehen emporgerichtet, neugierig dem Mädchen über die Schulter.)

DER MÄZEN.
Ich bitte Sie, mein Herr, bewahren Sie Ihre Ruhe! - Was Sie als Zukunft sehen, ist Dichtung und ein nie erfüllbarer Traum. Deshalb fühle ich mich sozusagen berechtigt, Ihnen zunächst die Bitte abzuschlagen, weil Sie nach ein paar Jahren mit mehr Reife über Ihre Pläne denken werden. Dann haben Sie vielleicht die Grenzen der Möglichkeit ernster kennen und achten gelernt, Ihre Ideen haben sich danach gerichtet, und wir werden es beide leichter haben.

DER DICHTER.
Sie sprachen deutlich, und wir sind zu Ende!

(Die Krankenschwester ist inzwischen wieder auf ihren Platz zurückgekehrt, aber das Mädchen steht nach wie vor vornübergebeugt lauschend.)

*

Das Licht im Hintergrund erlischt sogleich nach dem letzten Wort des Dichters. Der linke untere Teil der Bühne wird schwach erhellt. Im Dämmerlicht sieht man auf der unteren Bank die fünf Flieger sitzen. Einheit in starrer Haltung. Einheit in den harten und furchtbaren Gesichtszügen.

ERSTER FLIEGER
(ganz im Rhythmus).
Du rätst wohl zur Freudigkeit, aber mein Sinn
Kann die Fessel nicht brechen: die klammernde Angst.

ZWEITER FLIEGER.
Mir geht es wie ihm, trüb überschwemmt
Mein Puls gewaltsam das Lachen.

DRITTER FLIEGER.
Trauer deutet die Feier der Stunde nicht,
Selbst dem schlimmsten Schicksal ziemt höhere Antwort . . .

VIERTER FLIEGER.
Wie strahlte sein Auge zur Sonne froh in
Schwesternschaft, froh in heiligem Willen . . .

FÜNFTER FLIEGER.
Wie band seinen Handdruck ein sicherer Mut, wie
War jedes Wort ein Mal des Gelingens . . .

ERSTER FLIEGER.
All zu sehr preßte der Mut seine Hand,
Übermütig zerschellte schon mancher -

ZWEITER FLIEGER.
All zu sonnig strahlte sein Auge, der
Sonne zu nah, fiel schon mancher in Asche -

DRITTER FLIEGER.
Trauer deutet die Feier der Stunde nicht,
Selbst dem schlimmsten Schicksal ziemt höhere Antwort.

VIERTER FLIEGER.
Laßt uns warten, schenkt der Ahnung nicht Wert -

FÜNFTER FLIEGER.
Oft täuschte sie, bald wird uns Gewißheit.

SECHSTER FLIEGER
(kommt von links, tritt vor die andern, das Antlitz ihnen zugekehrt, und verharrt so während des Folgenden).

ERSTER FLIEGER.
Weh . . . Dein Auge schaut aus nach lockerem Grabe . . .

ZWEITER FLIEGER.
Deine Stirn malt uns trostloses Sargholz.

SECHSTER FLIEGER.
Weh: die Stürme des Himmels zerbrachen das Flugzeug.
Er zerbarst an felsiger Erde . . .

ALLE AUSSER DEM DRITTEN UND SECHSTEN.
Wehe . . .

ERSTER FLIEGER.
Nicht trog meine Ahnung,
Zu Recht schlug mich Furcht in die Reifen!

ZWEITER FLIEGER.
Zu Recht meiner Schwermut
Schwemmflut ertränkte das Lachen!

SECHSTER FLIEGER.
Weh: tot liegt er mit offenem Hirne,
Noch umklammert er Flügel und Steuer.

ALLE AUSSER DEM DRITTEN UND SECHSTEN.
Wehe . . .

VIERTER FLIEGER.
Sein Mut hob sich hoch in die Stürme -
Wütende achten den Mutigen nicht!

FÜNFTER FLIEGER.
Warm hob sich sein Auge zur Sonne -
Die Glühende achtet den Kuß nicht!

ALLE AUSSER DEM DRITTEN.
Einstimmig töne, klagende Seele,
Psalm du und Orgel dem Toten.

DRITTER FLIEGER.
Trauer deutet die Feier der Stunde nicht,
Schlimmstem Schicksal ziemt höhere Orgel.

ERSTER FLIEGER.
Welchem Gotte sind deine Worte die Fahnen?

ZWEITER FLIEGER.
Welcher Freiheit die tiefe Posaune?

DRITTER FLIEGER.
Aus tilgenden Stürmen hebt sich mein Gott,
Saugt sich Atem aus feindlicher Sonne.

VIERTER FLIEGER.
Von der Gruft wälzt dein Mutspruch den lastenden Block,
Und ich ahne des Todes Verdammung . . .

FÜNFTER FLIEGER.
Deine Hoffnung entsiegelt verborgenen Klang,
Ja . . . es tönt schon das ewige Leben.

SECHSTER FLIEGER.
Spende die Weisheit, spende die Allmacht!

DRITTER FLIEGER.
Wo zerstob seine Glut, wo zerknickte sein Mut?
Er fuhr flammender nur in uns nieder!

ERSTER FLIEGER.
Ja, du brichst meine Wolken mit himmlischem Strahl -!

ZWEITER FLIEGER.
Schmückst mit innigem Lächeln die Trübsal!

DRITTER FLIEGER.
Sinnet ganz! Steiget tief! Starb er hin? Stand er auf?
Unser Auge wird voll seiner Seele -

VIERTER FLIEGER
(mit Geste).
Seine Sehnsucht reckt auf unsre Hände.

FÜNFTER FLIEGER.
Sein Tod ward dem Bunde die Mehrung:
Band sich ein uns als Faser und Herrschaft . . .

(Stille.)

DRITTER FLIEGER
(leiser, doch mehr eindringlich - und seine Stimme kommt wie von fern her).
Über suchenden Worten die Ahnung -!

ALLE
(Wie tastend).
Über suchenden Worten die Ahnung -

DRITTER FLIEGER.
Über schwankendem Troste der Glaube.

ALLE
(die Häupter geneigt).
Über schwankendem Troste der Glaube!

*

Verdunkelung der unteren Bühne, der mittlere Hintergrund wird hell. Am Tische nur noch der ältere Freund und der Dichter.

DER ÄLTERE FREUND.
Du hast dir diese letzte Möglichkeit zerschlagen. Weißt du, was das ist? Ich habe dich soviel gewarnt, du schienst mir auch zuzustimmen, aber es war Verstellung. Solche Heimlichkeit ist mir im Tiefsten zuwider. Was vorging, ist nicht zu fassen! Ich kann dir so bald nicht vergeben. Was soll werden? Wie willst du dich weiterbringen?

DER DICHTER.
Ich war ungern vor dir heimlich. Ich brachte dir manchen Einwand vor, aber du stießest alle um und wiederholtest dich sehr bestimmt. So ließ ich's denn sein. Du hieltest meinen Wunsch in Händen und betrachtetest ihn wie ein lebloses Ding, wie ein Stein oder ein Stück Holz. Hier war aber lebendiges Werden, wechselnd und unergründlich, soviel Seele und Heimlichkeit, daß weder du noch ich fest darüber wissen konnten. Doch dies ist dein Wesen, deine herbe Sitte, stets bandest du mich in eine Zahl und suchtest zu dieser Zahl die Regel. Aber ich selber hatte meine Ziffer und Gesetz noch nicht gefunden. Jetzt sei mir gut!

DER FREUND.
Ich bin verstimmt über das Geschehnis. Diese Beharrlichkeit und Blindheit von dir ist bedenklich. Du bist zu jung, um schon so abweisen zu dürfen.
(Stille. Er sieht auf die Uhr.)
Es ist nun Zeit, ich muß zum Zug. Auf Wiedersehen, suche mich bald zu Hause auf; jedenfalls zürnen wir nicht.

(Sie reichen sich die Hände.)

DER DICHTER.
Ich danke dir. Leb wohl!

(Der Freund geht nach rechts ab, am Erker vorbei die Treppe hinunter.)

DER DICHTER
(blickt schweigend vor sich).

*

Verdunkelung, dann wird der Erker hell.

Das Mädchen steht noch wie vorher, die Schwester sitzt und trinkt ihre Schokolade.


DIE SCHWESTER.
So kommen Sie endlich! Ihre Tasse ist längst kalt geworden. Es ist auch höchste Zeit für Sie, Sie müssen nach Hause.

DAS MÄDCHEN
(wendet sich plötzlich und geht rasch zur Treppe rechts).
Verzeihen Sie, Schwester!
(Rechts ab.)

*

Verdunkelung, die untere Bühne wird hell. Sie ist menschenverlassen. Der Dichter steigt langsam in den Vordergrund hinab und spricht das folgende. Gleich nach den ersten Worten erscheint das Mädchen rechts unten, dort steht sie, starrt zum Dichter und hört seine Worte.

DER DICHTER.
Du warfst mir einen himmelhohen Fels
In meine Straße -
Mit Felsen auch beschlugest du mein Hirn und,
Kaum kann ich denken.
Doch deine Widermacht stählt meine Pulse,
Schicksal!
Einst trotze ich mich himmelauf in blaue Sonne . . .,
Adler
Spreite ich Schwingen aus
Feuern der Sonne.
Kralle und Adler! und dein Block wird Staubkorn.

(Er geht die Stufen weiter hinunter und will dann nach rechts abbiegen. Da tritt ihm

DAS MÄDCHEN
entgegen, hebt den Arm, als wollte sie den Schreitenden hindern, und sagt:)
Ich will noch reden, wundervoller Fremder . . .
 
 
 
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