BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kurt Tucholsky

1890 - 1935

 

Träumereien

an preußischen Kaminen

 

Seite 5-20 der Erstausgabe

 

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Walpurgisnacht

 

 

Der Dovre-Alte:

«Du meinst, wir hätten nicht auch unsre Zeitung?

Hier, bitte, hier schwärmt von dir, rot auf schwarz,

die ‹Blocksbergpost›, ein Blatt von Verbreitung –»

Peer Gynt

 

Der Hexenweibel Sengespeck schnaufte alle Luft ein, die um ihn war. «Antreten!» brüllte er. Die Schwadron trat an.

Hundertundsechzig Hexen, in zwei Reihen sauber ausgerichtet. Am rechten Flügel die Oberhexe Feodorowna Hippenkranz, danach Frau Hexe Deppe, danach Fräulein Mohrchen (aus Sachsen) und alle die andern. «Stillstann!» dröhnte Herr Sengespeck. Sie standen wie die Mauern. Der Weibel verlas den Dienst:

«Heute abend steht die Eskadron geschlossen vor dem Blocksberg am Südhang. Abrücken dazu um 10 Uhr. 11.40 Besichtigung durch Seine Exzellenz den †††. (Ein ganz unmilitärischer Schauer ging durch die Reihen.) 12 Uhr bis 4.30 Orgie, mit anschließender Parade vor Höchstebendemselben. 5 Uhr Abreiten. Es tritt alles ein.» Sengespeck ließ das Blatt sinken. «Also heute ist der große Tag. Daß mir der Anzug in Ordnung ist! Der Donner holt euch! Die Besenstiele gut gestriegelt, die Lumpen vorschriftmäßig, Haare in die Stirn gekämmt. Stiefel: keine. Weggetreten!» Hurr – weg waren sie. Und putzten.

Die Zweite Schwadron des Zehnten Teuflischen Hexenregiments war zur Zeit in einer kleinen Häusergruppe im Thüringischen, in der Nähe von Elend, einquartiert. Der Flecken galt für verlassen und unbewohnt, war es aber nicht. Der Flecken war belegt, völlig belegt, nicht ein Plätzchen mehr war frei. Hier wurden für das große Blocksbergmanöver alle Hexen der Umgegend ausgebildet; nur wenige waren abkommandiert, weiter ihren friedlichen Beschäftigungen nachzugehen, das Vieh zu behexen, böse Winde zu bannen und den Kindern Angst und Schrecken einzujagen. Hier aber herrschte der rauhe Ernst des Lebens. Hier wurde gearbeitet und exerziert, gedrillt und gewettert, daß es eine Lust war. Wochen und Wochen und Monate – und das alles für den einen Freitag, den dreizehnten November, für diese eine Nacht . . .

Frau Oberhexe Hippenkranz gab den grünen Likör aus. «Trinkt, Kinder, trinkt!» sagte sie zu den Novizen, die noch keinen Blocksberg mitgemacht hatten, «ihr werdets brauchen, die Nacht ist lang!» Das wimmelte und krabbelte in der Stube des Achten Beritts: die Carmagnac (eine Emigrantenhexe) legte Rouge und Hexenfett auf; die Schulzen, ein ausgekochter, alter Jahrgang, versteckte ihre riesigen grünen Ballschuhe an ihrer Büste; das rothaarige Fräulein Mohrchen aus Sachsen band die Korsettschnüre ans Bett und ging mit zusammengepreßten Lippen ein Stück ins Zimmer hinein, bis sie schlank war wie eine Stopfnadel; die kleine mollige ‹Perle› hingegen (eigentlich hieß sie Lieschen Peiermann und war die entartete Tochter einer sonst feinen Familie) hatte schon einen kleinen Schwips und kitzelte unaufhörlich lachend ihren schwarzen Kater, der auf ihren weißen Schultern buckelte. Und sie putzten und lärmten und stießen sich von den Spiegeln fort, alte und junge, braune und schwarze, schlanke und fette und verhutzelte.

Der Novemberregen klatschte gegen die Scheiben – in bösen Stößen rannte der Wind gegen das Haus an. Oben die Schuhus – alte kastilianische Fledermäuse – klappten mit den großen Flügeln und sahen mit ihren glühenden Augen in die Schornsteine, wann die Madamen fertig wären. Es war heute Freitag – die klugen Tiere ahnten, was in der kalten Luft lag. Nur der alte Wach-Uhu war in seinem Verschlage und hatte sich ganz dick aufgeblasen. Er saß, satt und faul, auf einem toten Eichhörnchen, seinem Abendbrot – fressen mochte er noch nicht, aber er saß zunächst einmal drauf. –

Aus der Weibelstube erklang gewichtiges Räuspern. Herr Sengespeck trank den letzten Schluck Burgunderpunsch aus seinem kugeligen Glase und setzte es seufzend auf den Tisch. «Buah!» sagte er, «das ist ein Wetterchen! Dienst ist Dienst, aber es wäre doch ein gemütlicher Abend gewesen, sozusagen, bei den warmen Kacheln da und dem Knaster hier . . . Pfui, Rudolf, wer wird so etwas denken! Heute, am Ehrentage deines Herrn! Na, dann los!» Auf dem Tisch lag aufgeschlagen der Malleus maleficarum, eine Prachtausgabe des altehrwürdigen ‹Hexenhammers›, aufgeschlagen bei Kapitul XXVII: «So die widerspänstige Hexe im casu incubi beim Inquirieren leugnet und was darauff zu geschehen», und daneben stand die dunkelgrün bauchige Flasche mit Stobbes Machandel oo. Ach –! Und mit einem wehmütigen Blick auf alle diese Herrlichkeiten machte er sich ans Umkleiden und tat die Galauniform an: dunkelgrüner Rock mit gelben Aufschlägen und goldenem Kragen. Auf den Achselstücken brodelten die kleinen Fegefeuer mit gekreuzten Ofengabeln darüber: die Weibelabzeichen. Stöhnend zog der beleibte Mann das Koller fester. 's war nicht der erste Blocksbergdienst, den er machte; wer seit 1897 Jahr für Jahr die kalt-heißen Nächte durchbraust hat, der weiß, was das heißt. Wie die Zeit vergangen war! Wo waren alle die andern –? Der rote Ignaz und Sergeant Presel (genannt der Kreuz-Junge) und der alte Wachtmeister Herrmann von der Zweiten Reitenden Wilden-Jäger-Brigade – wo waren sie alle? Dahin, dahin! Tot oder pensioniert oder Lotteriekollekteure – dahin, dahin! Noch einmal sah Sengespeck auf den braven Ofen in der warmen Ecke – dann riß er entschlossen die Tür auf. «Antreten!» donnerte er.

Ein wildes Getrappel und Gelaufe entstand in der Hütte, in den Häusern, draußen auf dem Platz. Hier saß einer der Gürtel noch nicht, der war das samtene Halstuch verrutscht und der das Strumpfband gerissen – die eine vermißte ihren Besenstiel, die andre goß ihr Riechfläschchen über den Tisch – hallo! Aber dann standen sie doch.

Durch die rissigen Wolken schien der Mond. Der Weibel musterte grimmig seine Garde. «Achtung! Stillgestanden! – Hexe Fellinger, etwas zurück! – Der linke Flügel weiter nach vorn! – Die kleine Hexe da den Kopf nicht so hoch! – Also: immer, wenn was nicht klappt, mir ansehen! – Wenn Seine Exzellenz fragt, klipp und klare Antworten! – Und bei der Orgie muß das gehen wie das Donnerwetter!» Er holte Atem. «Zum Aufsitzen fertig! Aufgesessen! Eskadron – Terrrab!» Hui! Durch den Hausflur, durch die Esse brauste es hinaus in die kalte, kalte Nacht!

Die Schuhus hielten die Spitze. Dann hoch zu Besen, Sengespeck und die Schwadron. Es ging über schweigende Dörfer, über rauschende, schäumende Wälder, Laub wirbelte in der Luft, und wenn der Mond einmal durch die Wolkenfetzen strahlte, fiel sein verschleiertes Licht auf den hastig galoppierenden Zug. Ein Besenstiel scheute – fluchend riß ihn die Reiterin zurecht. Mit hellem Pfeifen flog ihnen der Wind an den Ohren vorbei. Einmal spähte Sengespeck scharf nach unten – was gab es da? Der Mond leuchtete grade auf; ein Bauernweib kämpfte sich, die Röcke über den Kopf geschlagen, ihren Weg nach Hause . . . man sah mehr von ihr, als gut war. Jetzt wurden auch die Hexen aufmerksam – ein kreischendes Geschrei durchtönte die ziehende Luft. Erschrocken rannte unten das Weib, von Grauen gepackt – hohnlachend sauste oben die Schar weiter, hinein in das windige Dunkel.

«Tete links!» kommandierte Herr Sengespeck mit mächtiger Stimme. Da schwenkten sie ab, die Schuhus gaben Laut, andre antworteten aus der Ferne –und schwer atmend hielt die ganze Schwadron im Windschutz eines hohen Hügels. «Parole!» rief eine Stimme aus der Nacht. «Hie gut Luzifer allewege!» sagte der Weibel würdevoll. Da hielt das Regiment.

Sie ordneten sich. Keine einfache Sache in der jetzt stockdunkeln Nacht, aber das war oft geübt, und es klappte. Mit halblauter Stimme gab Hexe auf Hexe die Befehle weiter – sie schaukelten, sie stießen einander an und bewegten sich hin und her: da standen sie, ein geschlossenes Ganzes. Fahl leuchteten die weißen Nachtjacken der Oberhexen durch das Halbdunkel. Der Mond flackte, dunkel und hell, wie der Wind die Wolken über ihn trieb . . . Pause. Und dann kam es.

Ein Pfiff durchschnitt die Luft, es sauste, ein roter Schein leuchtete auf, eine geborstene Glocke klang, und vier Wölfe heulten lange. Die Hexen zitterten. Das war ER! Der Weibel riß das Kinn an die Binde – es gab ihm doch immer wieder einen Ruck, alle Jahre: es war ein großer Augenblick! Er trat vor.

Da dampfte dunkelrot der ewige, unvergeßliche Wagen, da klang die Glocke, da saß der alte höllische Kutscher auf dem Bock, der die purpurne Leine fest in der Faust hielt. Die Wölfe ließen die langen Zungen hängen und jappten nach Luft. Ihre Flanken flogen. Sie strömten vor Schweiß. Im Fond, hinter dem schwefelgelben Schlage: die Exzellenz.

Der Weibel war stolz auf seinen Herrn, wie alle Jahre. Bei den drei Kreuzen! welch ein Mann! Gar nicht der geschniegelte Spanier, wie ihn sich die Büchermacher abbildeten, die ihn nie gesehen hatten: ein einziger Wille, eine einzige Energie, ein Block von Stahl! Der Unterkiefer schob sich weiter vor, die Backenknochen strebten auseinander, die schrägliegenden Augen funkelten. Der ††† sah den Weibel an.

Sengespeck zog die Luft ein. Er war der älteste Weibel im Regiment – er kannte das Handwerk: jetzt galts! «Stillgesessen! Die Augen – licks!» Und, mit der Hand an der Mütze: «Zehntes Teuflisches Hexen-regiment zur Orgie angetreten!»

Der Satanas zuckte mit keiner Muskel. Ein kurzes Kopfnicken – dann stieg er massig und schwer aus. Er war beleibt, aber nicht zu sehr – er meisterte seinen Körper, das sah man. Heute abend trug er die sparsam mit Gold abgesetzte, nachtblaue Uniform des Höchstkommandierenden. Auf dem Kopf saß ihm ein schwerer funkelnder Goldhelm mit getriebener Arbeit. Er klappte den Mund auf, ein riesiges Gebiß wurde sichtbar. «Augen – gerrradeee – haus!» bellte seine tiefe, metallene Stimme. Er reckte den rechten Arm in die Höhe – in seiner Faust flatterte die Flamme einer Fackel. (Es war Könnemanns Höllenfackel ‹Lux›, ein altbewährtes Fabrikat.) Vor ihm die Hexengesichter strahlten grünlich, sein Auge fiel auf eine Rothaarige in der zweiten Reihe, die regungslos saß, die Schenkel fest an den Stiel geklemmt, ihre Nasenflügel bebten. Sein Flammenblick überlief sie alle.

«Hexen!» sagte er. «Ich freue mich, euch hier begrüßen zu können. Ich hoffe, daß die zwölfhundertachtundachtzigste Walpurgisnacht so verläuft wie alle andern! Das Zehnte Regiment hat eine ruhmreiche Vergangenheit: die Bernsteinhexe hat ihm angehört; Maria Schwandnerin, die Mutter meiner Mutter, Unsre allverehrte Großmutter, hat dem Regiment jahrelang vorgestanden! Hexen! Machts gut heute nacht! Und nun auf zum Blocksberg! Hoi-ho-to-ho!» Und: «Hoi-ho-to-ho!» antwortete ihm der jauchzende Chorus. Der Weibel riß den Schlag auf, die Wölfe zogen an, und das ganze Regiment folgte der Fackel des Führers, durch die Luft, über ein Tal, hinauf, hinab – zum Blocksberg.

Da zeigte sichs, was es mit alter Tradition auf sich hat: da stand das Hexenheer, die Fackel zog einen Strahl durch das Dunkel, und nun gab es kein Halten mehr. Das strudelte und raste durcheinander, scheinbar wirr und wild tobten die Formationen darauflos, kopfüber, kopfunter, rund um den Galgen auf der Kuppe, durch die Wolken, durch die Täler – aber keiner rutschte der Leitung aus der Hand, da war alles auf seinem Platz: Mann, Führer und Unterführer. Die Arbeit eines langen Jahres war nicht umsonst gewesen.

Unter dem Galgen auf der Höhe stand der Herr der Hölle und sah gefalteten Mundes auf das Gewühl. Da waren die ruhmreichen Bataillone, da waren sie alle, alle: das Siebente Preußische und das Erste Kurhessische und die Thurn- und Taxis-Hexen und die Schwyzer Mahre und, auf Eisenstangen reitend, die Essener Feuerhexen; sogar holsteinische Nixen schwebten dahin. Kobolde waren da, an ihrer Spitze der Geheime Oberstaatskobold des Innern und die Wilden Jäger und die Freischützen; Gespenster fremder Höfe – das Kaiserlich Türkische Hofgespenst war persönlich anwesend und schnitt der Weißen Frau die Kur – und dazwischen immer wieder Hexen, Hexen! Alte verschrumpelte und junge schwellende, fliegende und kriechende, Ginsterhexen, Moorhexen und die Fliegerhexen. Der Fürst wandte sich jäh. «Wo ist die Verehrungswürdige aus Hänsel und Gretel?» fragte er seinen Adjutanten. Der Graf schnellte verbindlich nach vorn: «Sie ist schon zu gebrechlich, Exzellenz – man hat den lächerlichen Triumph der Kinder so oft beklatscht und die alte Dame dabei ausgelacht . . . !» – «Das Pack», knirschte der Fürst. «Ich danke.» Oben auf dem Gestänge des Galgens sangen die fünf Vokalvögel ihr schauerliches Lied: Der Aha, Ehé, Ihi, Oho, Uhu! Dahinter fiel der Fels steil ab. Unten kochte der rauschende Wildbach. Der Sturm hatte nachgelassen; man konnte es fast lind nennen, was da wehte; und auch der Mond traute sich nun ganz heraus, Vollmond, der er war, bleich und bläulich-hell. Da spielten die Kobolde zum Tanz auf, ihre ungefügen Dudelsäcke wackelten im Luftzuge – da kletterten kleine Marketenderteufel total betrunken aus rollenden Spritfässern, etwelche schoben Kegel – welche Kegel! welche Kugeln! – und die Hexen schrien und ritten und küßten sich satt für ein ganzes Jahr. Manche äfften ein Hexengericht, mit den peinlichen Fragen. «Willtu leugnen, daß dir der Teufel beigewohnet? – Willtu – hast du – willtu –», und jeder neue Unflat wurde mit unauslöschlichem Gelächter begrüßt. Dann schleppten sie die fröhliche arme Sünderin zu einem künstlichen Feuer, und jauchzend tanzten sie in den lohenden Flammen.

Ah – die schlanke Rothaarige! Eine Gefreitin von den Zehner Hexen! Der Fürst machte einen Schritt nach vorn. Sie hatte ihn gesehen und erbleichte. Diskret wandte sich der Adjutant ab. –

– – –

Der Weidenbusch schwankte, vom Wind geschüttelt. Was schweigt sie? dachte die Exzellenz. Wenn sie doch spräche. Da sprach sie. «Sei brudal, du sießer Schdirmer!» sagte die junge Hexe und schloß die Augen. Mein Leipzig lob ich mir –! und gerührt schloß sie der Teufel in seine Arme.

– – –

Die Orgie nahm ihren Verlauf; und immer lockender und weicher spielten und klangen die Aeolsharfen der Tübinger Hexenkapelle unter Herrn Musikleiter Justinus Kerner, und immer schmelzender sang der Sirenenchor.

 

«Sie spielt auf ihrem Tingelingeling

Von sieben bis um eins –

Und hat mit ihrem Tingelingeling . . . »

 

«Aber Adolf!» flüsterte seine Frau und zupfte ihn am Ärmel. «Was sollen die Leute dazu sagen!»

Draußen rast das Fest. Schneller und schneller wirbeln die Massen durcheinander. Ein bacchantischer Zug tobt durch die Luft, voran ein alter Hexenmeister auf einem grauhaarigen Ziegenbock, hinter sich schleift er, einem Kometenschweife gleich, die Hexen von Harvestehude. Sie liegen lässig auf den Besenstielen, ihren Kopf haben sie hintenübergelegt, die Haare flattern . . . Und sie singen! Das Hexenlied – horch!

 

«Soon . . . Topp . . .

Voll Snuten und Poten,

Gefüllt bis an den Rand.

Swattsur mit Klüten,

Das schmeckt uns ganz charmant!

Erbsen und Bohnen

Mit Swinfleesch nicht so knapp . . . »

 

Das Gewühl schließt sich hinter ihnen, sie müssen schon weit fort sein, denn nur im Hall des Windes tönt es noch:

 

«Nach son Gericht

Da leckt man sich

Bestimmt die Finger ab!»

 

Und zuckend umschlingen die Landhexen die Nickelmänner, die Kobolde, die Freischützen – ihre Lippen sind durstig, denn es ist nur einmal dreizehnter November im Jahr –!

Der Fürst stand wieder unter dem Galgen; der Adjutant, unmerklich lächelnd (eine besondere Kunst aller Adjutanten) hinter ihm. Regungslos verharrte der Teufel, den Blick starr auf den Horizont gerichtet. War das ein heller Schein–? Er sah auf den prachtvollen Chronometer, das Geschenk eines bekannten berliner Blumenmediums. Fünf Minuten vor halb fünf. «Lassen Sie abblasen, Graf!» sagte er.

Ein grauenhafter Ton übertönte das Ganze. Der Hornistenkobold setzte, zitternd vor Anstrengung, das mißgestaltete Instrument ab – da stand alles. Wieder hob er es, wieder hallte das Horn, als ob ein Ochse abgestochen würde – da ordnete sich das Heer. Gleich trat zu Gleich, Zug zu Zug, Bataillon zu Bataillon – die Feuer erloschen, das Getümmel nahm ab.

Und das Horn erklang zum dritten Mal! Einen nie geahnten, fürchterlich gequetschten Ton gab es von sich – und da zog durch die Luft noch einmal alles am Galgen vorbei: die Gäste, die Führer, die Hexen – alle! In zwei Gliedern, stramm ausgerichtet, im glei-chen Trab, die Besenköpfe in einer Reihe – ein Wunder der Disziplin! Und dann erst hielten sie, machten Front und standen fest. Das Ganze halt! Stille.

«Hexen!» rief der Fürst mit weithinhallender Stimme. «Ich war mit euch zufrieden! Ihr habt – jede für sich – Ehre eingelegt! Ganz besonders von den Zehnern nehme ich die besten Eindrücke mit nach Haus! Ich verleihe dem Führer der Zweiten Eskadron, Hexenweibel Sengespeck, den silbernen Hexenhammer am Bande zu tragen! Mich sehr gefreut, mein lieber Sengespeck! Und auch ihr andern, lebt wohl! Bis zum nächsten Mal!» – «Bis zum nächsten Mal, Exzellenz!» donnerte das Heer. Die Glocke klang, die Wölfe heulten, durch seinen roten Dampf fuhr Satan davon. Und davon raste das Heer, in alle Richtungen der Windrose. Die Dorfkirchtürme sandten den Davonziehenden fünf zitternde Glockenschläge nach. Sieh – im Osten der erste graue Streif! Katrig zog der Tag auf. Der Blocksberg war leer.

 

Da lagen die Hexen der Zweiten Zehner-Schwadron wieder in der Hütte auf ihren Betten, kaum entkleidet – da lagen sie und schliefen einen totenähnlichen Schlaf. Nur die schlanke Rothaarige saß noch wach (ihr Schnürpanzer hing über einem Stuhl), dehnte sich befreit und lächelte satt. «Weeß Gneppchen», flüsterte sie, «weeß Gneppchen!»

Drin aber in seinem Stübchen stand Weibel Sengespeck und betrachtete wieder und immer wieder in dem großen blanken Spiegel den blitzenden Hammer, der ihm so herrlich die Brust zierte. Er räusperte sich befriedigt. «Die wahre Tüchtigkeit», sagte er zu seinem Konterfei, «wird doch stets anerkannt. Wie habe ich sie aber auch ausgebildet, ich, der Hexenweibel Sengespeck!» Er trat ganz nahe an das Glas heran. «Rudolf, das mußt du selbst zugeben: den Hammer hast du dir ehrlich verdient! Aber ich hab es ja immer gesagt: Es geht nichts über einen alten tüchtigen Korporal! Du Ritter des silbernen Hammers! Gute Nacht –!»

 

 

Erstveröffentlichung in: Die Schaubühne, 24.01.1918, Nr. 4, S. 87

unter eigenem Namen