BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kurt Tucholsky

1890 - 1935

 

Das Lächeln der Mona Lisa

 

Seite 367-368 der Erstausgabe

 

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Apage, Josephine, apage –!

 

 

In Wien zuckte neulich die Baker mit ihrem Popo,

denn es zieren die Kugeln ihrer Brüste manch schönes Revue-Tableau.

Auch tanzt sie bald auf dem rechten, bald auf dem linken Bein –

und schielen kann sie, daß das Weiße nur so erglänzt in ihren Äugelein.

 

Dies haben die Zentrums-Schwarzen, die jungen und die alten,

leider für eine Anspielung auf ihre Kirche gehalten.

Auch fühlten sie sich bedroht in ihrer Sittlichkeit,

und sie ließen die Glocken läuten, ganz wie in schwerer Zeit.

Drei Sühnegottesdienste stiegen auf zum österreichischen Himmel,

und die Bußglocke gefiel sich in einem moralischen Gebimmel.

 

Denn:

Wenn eine Tänzerin gut gewachsen ist

und einen Venus-Körper hat, der nicht aus Sachsen ist;

und wenn sie tanzt, daß nur der Rhythmus so knackt,

und wenn sie ein ganzes Theater bei allen Sinnen packt;

und wenn das Leben bunt ist hierzulande –:

das ist eine Schande.

 

Wenn aber Christus, der gesagt hat: «Du sollst nicht töten!»,

an seinem Kreuz sehen muß, wie sich die Felder blutig röten;

wenn die Pfaffen Kanonen und Flugzeuge segnen

und in den Feldgottesdiensten beten, daß es Blut möge regnen;

und wenn die Vertreter Gottes auf Erden

Soldaten-Hämmel treiben, auf daß sie geschlachtet werden;

und wenn die Glocken läuten: «Mord!» und die Choräle hallen:

«Mord! Ihr sollt eure Feinde niederknallen!»

Und wenn jemand so verrät den Gottessohn –:

Das ist keine Schande.

Das ist Religion.

 

 

Zuerst erschienen in: Die Weltbühne, 27.03.1928, Nr. 13, S. 486

unter dem Pseudonym Theobald Tiger