BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jakob van Hoddis

1887 - 1942

 

Doktor Hackers Ende

 

1913

 

Erstausgabe:

in: Die Neue Kunst

Jahrgang 1, H. 1 (1913)

 

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Doktor Hackers Ende

 

Der Doktor Hacker träumte ungeheure Hallen aus schwarzem Stein, Standbilder der Könige und geflügelte Tiere. Er träumte eine Treppe für Giganten und stolperte sie hinunter. Er dachte: „Ich gehe zu einem großen Geheimnis.“ Dann blieb er stehen und schämte sich dieser Romanphrase.

Ein junger Mann saß im blassen Lichte einer Fackel. Ist es ein Engel? „Sie denken also“, fragte der ihn, „Sie kommen zu Gott?“ Der Doktor markierte Entschlossenheit. „Woher wissen Sie, daß alles das hier wirklich ist?“ „Gott ist überall!“ sagte der Doktor, „und ich habe die Kraft ihn hier zu sehen.“ Der junge Mann wackelte höhnisch mit den Augen, ihn zu verwirren; ein quengliger Kobold, der wußte, daß er im Unrecht war.

„Die Welt ist nur meine Ausdeutung des Unerforschlichen“, meinte Hacker zweifelnd. Er fiel hin.

Halb angezogen, auf seinem Bette liegend, fand er sich wieder. Das häßliche Licht des Tages schlug schon in das Zimmer. Auf einem Stuhl stand eine halb gefüllte Tasse Tee. Die Lampe brannte noch. Der viehische Dunst der Nacht umgab ihn.

„Wie die Dinge an und für sich sind, kann man nicht wissen.“ – Er dachte mit gequälter Wut. – „Irgend etwas, das sich Erscheinung nennt, wird mir gegeben. Das ordne ich. Jede Ordnung ist richtig, die ich durchführen kann.“

Er suchte zurück nach seiner Vision. „Vielleicht bin ich verrückt“, dachte er, „aber –“ Er sah ein Schneefeld in klarer Luft. „Aber“, vollendete er seinen Gedanken, „es lohnt sich.“ Er nahm einen Hammer und rannte über das Feld. Aus der Erde ragte der blonde Kopf eines Riesen. Der starrte ihn mit stahlblauen Augen an. Hacker wollte von dem Kopf ein Stückchen abklopfen. Ein junger Jude hatte einen Cylinder auf und rief: „He! Sie!“ Hacker rannte weiter. Der Jude packte ihn am Rockzipfel: „Sie, Herr Doktor! Hören Sie! Sind Sie verrückt?“ Doktor Hacker hatte die Antwort: es lohne sich, vergessen.

Plötzlich merkte er, daß er seine langen Glieder im Zimmer umherwarf und den kahlen Kopf an die Wand stieß. „Eine andere, neue Welt! Die Welt meiner Träume!“ flehte er.

Und er packte eine alte Decke und wollte, daß sie ein assyrischer Götze sei. Er war betrunken vor Angst. Er zog seinen Mantel an und stürzte aus dem Haus. Die Straßen waren leer.

Ein Milchwagen rasselte. Die Stühle streckten ihre Beine aus den Caféfenstern. Ein kleiner weißer Hund lief über den Damm und fraß ihn auf.

 

 

Erstausgabe in „Die Neue Kunst“ 1913