16.12.2021

Prof. Dr. Manfred Uhl ist Professor für Marketing-Management an der Hochschule Augsburg. Durch die Corona-Pandemie war er mit der Frage konfrontiert, wie er die intensiven Kontakte mit internationalen Partnerhochschulen, die er in den letzten Jahren aufgebaut hat, auch in ortsunabhängigen digitalen Formaten weiterhin pflegen kann. Im Interview mit Elisabeth Hutter berichtet er über seine Erfahrungen damit, auch in der Online-Lehre internationale Kooperationen aufrechtzuerhalten und was es für ein Gelingen aus seiner Sicht zu beachten gilt.

 

Elisabeth Hutter: Welche Formen der international ausgerichteten digitalen Lehre haben Sie in den letzten Semestern durchgeführt?

Manfred Uhl: Zum einen waren das Gastvorträge unserer internationalen Partner in unseren Online-Vorlesungen, zum anderen aber auch gemeinsame Projekte, die wir in Hybrid-Learning-Form, also in einer Mischung aus Präsenz vor Ort im Ausland und digitaler Kommunikation über Zoom, stattfinden ließen.

 

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, auch in der digitalen Lehre mit Ihren internationalen Kontakten zu kooperieren? Und haben Sie dafür auf bestehende Kontakte zurückgegriffen?

Als die Pandemie begann, stand eigentlich unmittelbar ein Besuch von unserem Kooperationspartner am Presbyterian College in Clinton/South Carolina bevor. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und kurzerhand beschlossen, das Projekt in Form von Gastvorträgen online umzusetzen. Die Pandemie hat uns gezwungen, etwas Neues umzusetzen, das wir sonst nicht in Erwägung gezogen hätten. Geholfen hat aber, dass wir in der Fakultät für Wirtschaft und gerade auch Marketing-Management von Haus aus international ausgerichtet sind. Das liegt allein daran, dass die meisten Unternehmen internationales Geschäft haben. Internationale Kooperationen und vor allem interkulturelle Kompetenzen sind uns in der Lehre seit vielen Jahren sehr wichtig. Schon vor der Pandemie bestanden Kooperationen. Ich selbst habe, seit ich an der Hochschule bin, stets versucht, Austauschmöglichkeiten zu knüpfen, etwa über das Teaching Exchange-Programm im Rahmen von Erasmus.

 

Können Sie schildern, welche verschiedenen Formen der internationalen Zusammenarbeit Sie in Ihrer digitalen Lehre umgesetzt haben?

Zum einen waren das Vorträge von Gastdozentinnen und Gastdozenten unserer Partnerhochschulen, zum anderen aber auch einzelne Blöcke in meinen regulären Veranstaltungen, zu denen ich Lehrende aus dem Ausland eingeladen habe. Zum Beispiel habe ich letzte Woche eine finnische Kollegin von der Lapland University eingeladen, eine Vorlesung in unserem Studiengang International Management mitzugestalten. Wir hatten uns zunächst über die inhaltliche Ausrichtung abgestimmt. Dann schickte sie vorab pre-assignments, also vorbereitende Hausaufgaben für die Studierenden im Kurs. Die eigentliche Vorlesung war dann ein Mix aus Präsentation der Kollegin und einem gemeinsamen Workshop-Teil auf Basis der vorzubereitenden Aufgaben.

Ein anderes Thema sind gemeinsame Projekte. Da habe ich in den letzten Semestern sehr intensiv mit einem Kollegen an der Haaga-Helia Hochschule in Helsinki zusammengearbeitet. In der Vergangenheit hatten wir das mit physischer Anwesenheit von Studierendengruppen in Helsinki und umgekehrt gemacht. In diesem Winter war es anders als sonst. Bereits das Briefing des finnischen Auftraggebers fand online statt; wir gemeinsam in einem Raum an der Hochschule und unser Projektpartner aus Finnland über Videokonferenz zugeschaltet. Das gemeinsame Projekt hat einen Partner aus Südwestfinnland, einen Projektbetreuer in Helsinki und ein Projektteam in Augsburg. Anfangs hatten wir noch Arbeitsphasen in Präsenz, aber dann fand alles wieder online statt. Wir werden die Konzeption jetzt auch online weiter verfeinern. Geplant war, dass wir am Ende des Projekts gemeinsam nach Finnland reisen und dort die Ergebnisse präsentieren werden, also insgesamt hybrid arbeiten. In Sachen Internationalität kommt in diesen Projekten meist noch etwas anderes hinzu: Es sind immer Gaststudierende dabei. Die Studierenden kommen also aus unterschiedlichen Ländern, sodass wir in deutscher und englischer Sprache arbeiten. Wir arbeiten also nicht nur an internationalen Themen mit Partnern im Ausland, sondern sind selbst schon ein interkulturelles Team.

 

Welche Tools werden zur Durchführung dieser Formate genutzt?

Videokonferenztools wie Zoom sind natürlich sehr wichtig, ebenso wie Moodle, um beispielsweise auf gemeinsame Materialien zugreifen zu können oder die Projektkommunikation zu unterstützen. Dazu kommen kleine Tools zu Abstimmungen oder Fragerunden. Ich probiere auch gerne verschiedene Werkzeuge aus. Die einen verwerfe ich wieder, andere verwende ich wieder. Die Studierenden selbst nutzen untereinander Messengerdienste und diverse andere Plattformen, um direkt in der Gruppe miteinander in Kontakt zu bleiben.

 

Wie wird das von den Studierenden angenommen?

Für die Studierenden ist es fantastisch, dass sie über technische Hilfsmittel wie Zoom in den einzelnen Lehrveranstaltungen auch Perspektiven von Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland kennenlernen können. Man lernt da viel über interkulturelle Unterschiede in den Herangehensweisen und Perspektiven, erkennt aber auch überraschende Gemeinsamkeiten. Mein Eindruck ist, dass sie diese Chance sehr genießen. Dadurch, dass bei uns sehr viele Lehrveranstaltungen und auch ganze Studiengänge komplett in englischer Sprache sind, ist es sicher so, dass die Studierenden an der Fakultät für Wirtschaft vergleichsweise wenig Scheu haben, in der Kommunikation auf Englisch umzuschalten. Allerdings unterstützen wir unsere Studierenden auch sehr intensiv dabei, sich mit Wirtschaftsfremdsprachen zu beschäftigen. Diese Offenheit für interkulturelle Kommunikation ist für alle, die zukünftig in einer international vernetzten Wirtschaft tätig sein wollen, kaum zu überschätzen. Gleichzeitig möchte ich auch betonen, dass all diese Online-Veranstaltungen den konkreten Auslandsaufenthalt, auf den sich die Studierenden ja freuen, nicht ersetzten können. Wenn man tatsächlich vor Ort ist, lernt man die Menschen und ihre Kultur viel besser kennen, macht viel intensivere Erfahrungen. Das ist mindestens genauso wichtig wie der fachliche Austausch. Es kann nicht unser Ziel sein, diese tatsächlichen Austauschformate in Zukunft einzuschränken zu Gunsten von digitalen Formaten. Wer Kulturen kennenlernen will, braucht den realen Kontakt zu den Menschen.

 

Haben Sie Unterschiede in der Motivation der Studierenden wahrgenommen?

In unseren regulären Lehrveranstaltungen muss ich feststellen, dass sich mittlerweile eine große Online-Müdigkeit abzeichnet. Während zu Beginn der Pandemie Kameras angeschaltet waren, blicken Sie heute meist auf eine Kachelwand mit Profilbildern. Es ist immer zudem schwieriger, die Studierenden zu motivieren. Das liegt aber weniger an der Online-Lehre an sich, sondern eher an der Dauer der Pandemie. Was aber unsere internationalen Online-Veranstaltungen angeht, kann ich das nicht feststellen. Internationale Projekte erleben die Studierenden ja nicht jeden Tag und das bleibt ihnen sicherlich auch im Gedächtnis. Gleichzeitig wird in einem Projekt mit einem externen Partner auch eine besonders große Verbindlichkeit eingefordert. Man muss sich aktiv beteiligen und aufeinander verlassen können. Nur so wird das Ergebnis gut.

 

Worin liegt für Sie der Mehrwert einer solchen international ausgerichteten Online-Lehrveranstaltung? Wie konnten insbesondere die Studierenden davon profitieren?

Wir haben erst durch die pandemiebedingt erzwungene Umstellung auf die Online-Lehre damit angefangen, uns über zusätzliche Formen des internationalen Austauschs Gedanken zu machen. Ich muss zugeben, dass ich vor der Pandemie nicht überlegt habe, eine Kollegin oder einen Kollegen aus dem Ausland in einer meiner Lehrveranstaltungen per Videocall dazuzuschalten. Das ist heute anders. Wir sind nun allein technisch in der Lage, unseren Studierenden einen schnellen Zugang zu Perspektive aus einem anderen Land zu verschaffen. Gerade diese kleineren Formate sehe ich als eine große Bereicherung unserer Lehre, weil sie ohne viel Aufwand und Kosten umgesetzt werden können. Sie sind auch attraktiv für diejenigen, die nicht so einfach für einen längeren Zeitraum oder ein ganzes Semester ins Ausland gehen können. Ich denke beispielsweise an Studierende, die ein Kind haben, Angehörige pflegen, nebenher berufstätig sind oder nicht über die entsprechenden finanziellen Ressourcen verfügen.  Dasselbe gilt übrigens auch für die Lehrenden, die meist in einem sehr komplexen System von Beruf und Familie stehen. Da kann man nicht einfach sagen „Ich bin mal weg“.

Von dieser organisatorischen Seite abgesehen ist jede Form der internationalen Zusammenarbeit natürlich immer eine große fachliche und persönliche Bereicherung. In meinem Fachbereich Marketing- und Kommunikationsmanagement ist es immer wieder schön zu sehen, wie groß die internationalen Überschneidungen sind. Der Mehrwert einer solchen international ausgerichteten Veranstaltung liegt also im Erkennen der Unterschiede ebenso wie der Gemeinsamkeiten.

 

Was war für Sie die größte Herausforderung und wie sind Sie damit umgegangen?

Wenn man sich nicht physisch vor Ort treffen kann, ist es erheblich schwieriger, überhaupt neue Kontakte mit internationalen Partnern zu knüpfen oder bestehende Kontakte zu pflegen. Dafür ist es essenziell, dass man sich persönlich trifft, dass man auch informell miteinander spricht, abseits von Vorlesungszeiten und Tagesordnungen. So war es vor kurzem noch möglich, dass eine Kollegin von der Haaga-Helia-University in Helsinki uns in Augsburg besucht hat und wir über die bestehende Kooperation reden konnten. Beim Abendessen konnte noch einmal so viel mehr besprochen werden als im vorangegangenen Meeting, sodass wir letztlich sogar beschlossen haben, die Kooperation noch einmal neu auszurichten. So etwas wird durch die Pandemie deutlich erschwert. Manche Kooperationen können an der sozialen Distanz auch kaputt gehen.

 

Welche Form der Lehrveranstaltung eignet sich aus Ihrer Sicht besonders gut dafür, welche vielleicht weniger?

Eine zusammen mit Partnern durchgeführte Online-Lehrveranstaltung eignet sich meiner Meinung nach gut für Ergänzungen bestehender Formate. Eine gemeinsame Veranstaltung über das gesamte Semester zu ziehen ist aus meiner Erfahrung heraus wirklich schwierig. Unterschiedliche Veranstaltungsformen, Zeitblöcke, Semesterzeiträume und vor allem Zeitzonen behindern gemeinsame Kurse enorm. Was aber funktioniert, sind gegenseitige Gastvorlesungen oder auch Online-Workshops. Beides möchte ich auch in Zukunft umsetzen.

 

Wie schätzen Sie den Aufwand für die Organisation einer digital ablaufenden internationaler Kooperation für Sie als Dozent ein?

Der Planungsaufwand ist hoch. Das fängt schon bei der Terminplanung an: Die Zeitverschiebung erschwert den Austausch mit den außereuropäischen Kooperationen enorm. Dazu kommt, dass in anderen Ländern auch die Semesterzeiten andere sind. Das ist aber auch ohne die digitale Ausrichtung ein generelles Problem im internationalen Austausch. Auch die Länge der einzelnen Vorlesungen differiert erheblich. Wenn man eine Kooperation plant, kommen dann auch noch Budgetierungsfragen auf: In Nordamerika sind viele Lehrenden in der vorlesungsfreien Zeit vertragslos. Die kann man dann zwar für eine Kooperation gewinnen, aber ein Lehrauftrag ist dann ein großer Kostenfaktor, der im Kontext des europäischen Erasmus-Programms so nicht aufschlägt.

 

Was ist Ihr Fazit zu Ihren bisherigen Erfahrungen mit der international ausgerichteten digitalen Lehre? Können Sie sich vorstellen, das auch in Zukunft noch einmal anzubieten?

Ausschließliche Online-Lehre in den internationalen Beziehungen erscheint mir nicht sinnvoll. Was sich allerdings bewährt hat, ist eine Mischung aus Treffen in Präsenz und digitalen Kooperationsformen. Hybride oder auch Blended-Learning Formate können durchaus funktionieren. Ich denke, es geht darum, die Vorteile der Präsenzlehre und des digitalen Raums geschickt miteinander zu kombinieren, also einerseits die Stärke der persönlichen Begegnung nicht zu verlieren und gleichzeitig die Stärke der räumlichen Unabhängigkeit zu nutzen. Wenn das gelingt, erfährt auch eine internationale Kooperation noch einmal eine neue Qualität. Die digitalen Formen stellen ein niedrigschwelliges Angebot der Internationalisierung dar. Das ist ein riesiger Vorteil.

Ich kann mir vorstellen, in Zukunft, auch wenn die Pandemie vorbei ist, mehr digital gestützte internationale Projekte anzubieten. Momentan ist es noch so, dass viele Studierende und Lehrende online-müde sind. Aber wenn sich der Lehrbetrieb wieder normalisiert, steigt sicherlich auch die Bereitschaft zu digitalen Projekten wieder und man kann das als Zuckerl anbieten, als bereichernde Ergänzung zur normalen Lehre.

 

Wo sehen Sie noch Optimierungsbedarf? Welche Hilfestellung (z.B. technischer oder administrativer Art) würden Sie sich wünschen?

Für die digitalen Formen bräuchte ich keine Unterstützung, denn da geht es im Wesentlichen um den direkten Kontakt und den kann ich als Dozent selbst am besten herstellen und erhalten. Auch was das Technische angeht, sollten wir mittlerweile nach zwei Jahren der Pandemie eigentlich alle in der Lage sein, relativ sicher mit den Tools umzugehen. Sehr zeitraubend bei internationalen Projekten ist hingegen der organisatorische Aufwand. Ich weiß von manchen Kolleginnen und Kollegen, die wegen des hohen Aufwands der Finanzierung, der Antragsstellung, der Organisation usw. zerknirscht sind und gar keine internationalen Kooperationsprojekte mehr durchführen. Entlastungspotenzial sehe ich daher in der finanziellen, administrativen und bürokratischen Begleitung dieses Austauschprozesses. Natürlich haben wir das International Office, das uns mit großem Engagement unterstützt, wo es geht. Aber auch das IO kann sich nicht von bürokratischen Zwängen lösen. Ein Beispiel dazu: Wenn wir einen Gast aus Nordamerika für ein Semester zu uns holen wollen, sprechen wir über einen fünfstelligen Budgetrahmen. Den könnte man zwar theoretisch über ein DAAD-Programm bezuschussen, muss das aber ein Jahr im Voraus beantragen. Das ist aber in vielen Fällen unrealistisch und geht in einer Pandemie schon gleich gar nicht. Umgekehrt kann ich ohne Finanzierung niemanden einladen. Das sind organisatorische Hürden, die die Internationalisierung an einer Hochschule, im Gegensatz zu einem Unternehmen, schwer machen. Wenn man aus bildungspolitischer Sicht sagt, dass Internationalisierung sehr wichtig ist, dann müsste man dem dazu zuständigen Serviceapparat ermöglichen, kurzfristig und relativ unbürokratisch solche Projekte zu finanzieren und umzusetzen. Das wäre mein Wunsch an dieser Stelle.

 

Welchen Rat haben Sie für Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls internationale Kooperationen in ihre digitale Lehre einbinden möchten?

Eine erste Empfehlung hinsichtlich Internationalisierung im Allgemeinen ist: unbedingt machen! Ein internationaler Austausch ist extrem bereichernd, und zwar fachlich wie persönlich – für die Studierenden ebenso wie für die Lehrenden. Und was die Digitalisierung der internationalen Austauschformen angeht, kann ich nur raten, beides miteinander zu verbinden. Es gibt also nicht nur entweder Auslandsaufenthalt oder digitale Kooperation. Beides zu kombinieren ist sinnvoll. Man sollte einerseits die physische Präsenz nutzen, um Kontakte zu vertiefen. Andererseits können diese Kontakte durch digitale Dialog- und Kollaborationsformen gehalten und erweitert werden. Das bildet auch die unternehmerische Realität und damit auch die Anforderungen des Arbeitsmarktes ab. Wirtschaftlich betrachtet ist Deutschland zwar stark, aber die Firmen sind auf internationale Kundenbeziehungen angewiesen. Was man aber nicht vergessen darf: Bevor es zu einer Geschäftsbeziehung oder generell zu einer Zusammenarbeit kommt, muss es zu einer Verständigung und zum Aufbau von Vertrauen über kulturelle Grenzen hinweg kommen. Und genau deshalb ist die internationale Ausrichtung auch an unserer Hochschule so wichtig.

Vielen Dank für das Gespräch und die spannenden Einblicke in Ihre Arbeit!