BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Ludwig von Knebel

1744 - 1834

 

Schweizer Wanderungen

An den Großherzog Carl August

 

1780

 

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[125]

Urseler Thal, den 22. Juli 1780.

 

Seit zwei Tagen war es mir unmöglich, ein Wort zu schreiben. Die Größe der Gegenstände, Fatiguen und Unordnung der Lebensart bei der Reise, hatten meinen Geist vielleicht zu sehr erschöpft. Von Wasen ging ich Morgens sieben Uhr weg, etwas unzufrieden mit dem Quartier und der diesem disproportionirten Zeche.

Ich war nicht lange gegangen, so begegnete mir ein Geistlicher, mit dem ich mich, wegen seines guten Aussehens, in Unterredung einließ. Er brachte mich bis an sein Pfarrdorf, welches Geschmen heißt, und daselbst bat er mich, in sein Haus zu kommen, und ein kleines Frühstück bei ihm einzunehmen, Dieß war sehr reinlich und artig. Es bestand aus frischem gebratenen Ziegenkäse, Milch, Butter, Honig – den man daselbst immer zur Butter ißt – trockenen Früchten, gutem rothen Wein, Alles reinlich und wohl servirt. Er führte mich in seinen Garten, und beschenkte mich mit allerlei Sämereien, italienischem Kohl, wie auch mit ein paar Gemshörnern. Von Geburt war er ein Spanier, und hatte noch einen Bruder, der Capitain in spanischen Diensten ist.

Ich bat ihn, wenn es ihm nicht beschwerlich, mich bis Ursern zu begleiten, denn ich hatte meinen Bedienten mit dem Führer vorausgeschickt. Dieß that er mit Freuden.

Er erheiterte unsern Weg mit allerlei Geschichten aus der Gegend, welches in der That nothig war, denn der Weg wird immer schroffer, oder und fürchterlicher, je näher man zu der berühmten Teufelsbrücke kommt. Man glaubt endlich, dieß sei der Zugang zu der Hölle selbst. Nichts als nackter, brauner, zersplitterter Fels, in ungeheuern Massen, in deren tiefen Löchern und Klüften, nur Drachen und Greife zu berbergen scheinen. Kein anderes Thier, kein lebender Vogel ist da, auch gewahrt man weder Gras noch Staude.

Der Geistliche erzählte mir, daß gemeine Leute, die der Wallfahrt halber nach Maria Einsiedeln vorbeireisen, öfters hier [126] aus Angst auf die Kniee niederfielen, um zu beten, daß sie doch aus diesen Gegenden möchten erlöst werden!

 

Teufelsbrücke

 

Immer engen sich die beiden hohen Felswände genauer und tiefer, bis man endlich auf dem glatten Felsen einen schmalen Weg herumkommt, und die Teufelsbrücke vor sich hat. Hier gehen die Felsen ganz dicht zusammen, und lassen nur so viel Platz, daß sich die Reuß durch sie fürchterlich herunterstürzt, über welche dann die aus Einem Schwibbogen erbaute Brücke über einen ungeheuern Felsenabgrund geht. Die Reuß braust hier mit solcher Wuth, daß es bei etwas starker Luft gefährlich wird, über die Brücke zu gehen, indem der heftige Wind schon Männer und bepackte Thiere hinuntergeworfen, und man sehr leicht Hut und Mantel verlieren kann.

Sonst ging der Durchgang hier auf einer auf Ketten erbauten Brücke über die Reuß. Seitdem hat man das berühmte Urseler Loch, eine Passage von achzig Schritten, mitten durch den Felsen gesprengt. Man kommt sogleich, wenn man über den Felsen von der Brücke heraufgestiegen ist, hindurch, und es nimmt sich von außen und innen wunderbar aus.

Aber welch ein neuer Anblick nun! Sobald man durch das nasse träufelnde Loch durch ist, sieht man eine weite ebene grüne Matte vor sich. Am Ende derselben ein liebliches Dorf, mit mäßigen Bergen umschienet, rechts einen hellen Silberstrom, der sich auf wahrem Silbersande durch die heitere Matte ruhig hinschlängelt. Dieser Anblick entzückt durch das ganz Seltsame und Unerwartete, zumal nach dem beschwerlichen Steigen. Doch endlich, wenn sich das Auge einigermaßen gesättigt und befriedigt hat, und es zu untersuchen anfängt, findet man, daß es nicht ganz so da liegt, wie auf unsrer Welt. Die Höhen sind ganz kahl von Gesträuchen, nur über dem Dorfe hängen einige tausendjährige Fichten. Alles darüber ist leer, nur die

Alprose blüht noch. Man findet sich näher an den höchsten Spitzen den Berge und den Wolken, selbst durch die Heitre und [127] Kühle der Luft, und man glaubt sicher, man sei hier durch irgend einen Zauber zu den Manen gelangt. –