B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Christian Thomasius
1655 - 1728
     
   



F r e y m ü t h i g e   L u s t i g e   u n d
E r n s t h a f f t e   i e d o c h   V e r n u n f f t -   u n d
G e s e t z - m ä ß i g e   G e d a n c k e n   O d e r
M o n a t s - G e s p r ä c h e ,   ü b e r   a l l e r h a n d ,
f ü r n e h m l i c h   a b e r   N e u e   B ü c h e r ,
D u r c h   a l l e   z w ö l f f   M o n a t e
d e s   1 6 8 8 .   u n d   1 6 8 9 .   J a h r e s
d u r c h g e f ü h r e t .


3 .   M o n a t   o d e r   M a r t i u s   1 6 8 8
S e i t e   4 0 1 : 7   -   4 4 4 : 2 8


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  Es antwortet aber auch der Herr Autor
nach diesem unterschiedenen Einwürffen, die
man wider seine Lehre machen könte. Denn
401:10 {I.} könte man vorgeben daß dieses principium,
wenn es gleich gewiß wäre, doch keinen
Nutzen in Erforschung der Wahrheit bringen
werde, weil alles, was man daraus schliessen
könte, vielleicht nur in unserm concept wahr
401:15 wäre, aber an und vor sich selbst sich wohl nicht
also verhielte, sondern vielmehr falsch wäre.
Hierauf antwortet er 1. daß dieses ihm nicht
zuwider sey. Denn wenn gleich nach derer
alten Scepticorum Meinung uns alles nur
401:20 zu seyn scheine, was nicht wäre, so müsten doch
die Leute gestehen, daß unter denen apparentien
uns etliche beständig und unverändert
vorkämen, etliche aber veränderlich wären.
Und also wäre es doch nützlich, wenn man
401:25 philosophirte, daß man die beständigen Apparentien
von denen Unbeständigen entscheidete.
402 2. So gehöre hieher noch nicht, zu beweisen,
daß das, was unser Verstand für wahr
hält, mit derer Sachen wahren Beschaffenheit
übereinkomme; es werde solches zu seiner
402:5 Zeit schon geschehen, ietzo sey es genug, daß des
Autoris principium im philosophiren einen
grossen Nutzen schaffe, {II.} könte angeführet
werden, es sey nicht gläublich, daß dieses der
wahre Grund sey hinter die Wahrheit zu kommen,
402:10 denn sonst würden so viel wackere, kluge
und gelehrte Leute nicht so handgreifliche Irrthümer
begangen haben, da sie doch Zweiffels
ohne ihre Meinung gar wohl begriffen und
verstanden hätten. Aber darauff antwortet
402:15 er 1. daß man viel Sachen für absurd und
irrig hielte, welche nichts weniger wären, welches
sowohl denen Lesenden, als manchmahl denen
Scribenten selbst zu zu schreiben wäre. Dannenhero
muste man vielmehr glauben, daß solcher
402:20 Leute ihre Meinungen nicht absurd wären.
2. Zumahl, wenn solche von verständigen
wackern Leuten, die jedermann vor klug und
gelehrt gehalten, wären verthädiget worden,
diese auch ihre Anfänger und sectatores bekommen
402:25 hätten. da aber gleich 3. solche
gelehrte Leute Fehler begangen hätten, so wäre
403 die Haupt=Ursache hiervon diese gewesen, daß
sie den Verstand mit der Einbildung vermischt
hätten. Da sie doch hätten bedencken
sollen, daß der Verstand in uns Menschen
403:5 tanquam in mente infinita seu DEo sey, der
also ohnmöglich irren könte, die Einbildung
aber wäre bey uns wie in allen andern Creaturis
seu mentibus finitis und litte von denen
Sachen, die ausser uns, wären, seine
403:10 impressiones. {III.} Ob man auch ferner sagen
wolte, es wäre unzehlich viel Sachen, die der
menschliche Verstand nicht begreiffen könte, welche
doch nicht falsch, sondern gantz gewiß wären,
sowohl natürliche Dinge (als die unzehlbare
403:15 Menge der Sternen u. s. w.) als auch über
natürliche, (als so viel Christliche Glaubens=Artickel;)
so sey doch wohl zu mercken, daß
wenn der Autor gesagt habe, daß etliche Sachen
nicht könten begriffen werden, und daß
403:20 dannenhero dieselben falsch wären, er dieses
also habe verstehen wollen, daß, wenn etliche
Sachen, (das ist solche, die man
nicht begreiffen kan) nicht begriffen werden
könten (daß ist nicht zusammen gesetzt werden
403:25 könten) so wären sie falsch. Hieraus folge
nun 1. wenn etliche Sachen nicht auff obige
404 Art von uns begriffen werden könten, so wären
sie nach seiner Meinung nicht falsch, sondern
unerkannt. 2. Daß alle Sachen, die wir
durch Göttliche Offenbahrung gewiß wüsten,
404:5 von unserm Verstande nicht begriffen werden
könten. Nun sey aber nach seiner Meinung nur
in des Menschen Vermögen von denen Sachen,
die man begreiffen könte, zu urtheilen,
was wir von denenselben begreiffen, und was
404:10 wir von ihnen zusammen setzen könten oder
nicht. Aber das könten wir gar nicht wissen,
von welchen wir gantz keinen concept formiren
könten, ob wir es zusammen setzen könten
oder nicht, und folglich wären auch diese Sachen
404:15 nicht falsch, sondern nur unbegreifflich. Und
könne gar wohl seyn, daß es viel Sachen wären,
die gantz gewiß wären, ob man sie gleich
vermittelst des Verstandes alleine nicht begreiffen
könte, ob sie wahr oder falsch wären. Hierzu
404:20 käme, daß die Sachen, die uns von GOTT
offenbahret wurden, der alleine keinen Irrthum
unterworffen wäre, für die allergewissesten
gehalten werden müsten. 3. So müste sein
principium von conceptibus simplicibus
404:25 oder doch von solchen compositis, die in simplices
finitas resolviret werden könnten, verstanden
werden, weil man diese examiniren
405 könte, ob sie könten begriffen werden oder nicht.
Wenn aber ein concept aus unzehlich=andern
zusammen gesetzt wäre, wie die Zahl der Sternen,
so könte dasselbige von keinem endlichen Verstand
405:5 begriffen werden / sondern es gehöre ein unendlicher
Verstand darzu. Endlich {IV.} würde
man zwar vorwenden / daß von andern Philosophis
allbereit bessere und zulänglichere principia
erfunden wären die Wahrheit zu erforschen;
405:10 aber darauf wäre wiederum zu antworten, daß 1.
sein principium viel besser wäre, weil es von
der causa effectrice veritatis hergenommen
wäre, und einen jeden Menschen der Wahrheit
so gewiß versicherte, als gewisser wäre, daß er die
405:15 Hand ausstrecken könte, auch über dieses kein anderer
Philosophus noch ein gewiß Zeichen gegeben
hätte, woher man erkennen könte, ob man eine
Sache vollkommen begriffe, als er 2. Uber
dieses so könte auch kein principium gewisser
405:20 seyn, als seines, weil es allen Zweiffel benehme.
3. So wären auch andere principia nur in
Worten von seinem different, in der That aber
kämen sie mit ihm überein.
Biß hieher gehet des Herrn Tschirnhausens
405:25 erstes Stück des andern Theils. Die andern
beyden Stück des andern Theils, und den
406 dritten Theil darf Monsieur nicht von mir erwarten,
theils weil solches allzulang fallen würde,
theils weil solches die Autores Bibliothecæ
Universalis im dritten Tomo p. 342. seqq.
406:5 allbereit weitläufftig genung erzehlet haben,
theils auch, weil die übrigen Stücken und Theile
auf dasjenige, was ich bißhero mit Fleiß referiret,
sich als ein fundament gründen, und also,
wenn selbiges nicht befestiget ist, die Mühe solche
406:10 zu erzehlen wenig Nutzen schaffen würde. Jedoch
will ich nur das allerwenigste daraus so mir
am notabelsten geschienen, noch extrahiren.
p. 50. sagt er daß ein iede gute definition solte
den Ursprung einer Sachen in sich begreiffen.
406:15 pag. 149. spricht er, daß nur eine
Wahrheit sey, und daß eine Wahrheit der andern
nicht zuwider seyn könne 9.212. recommendiret
er des Andreæ Tacqvets seine Elementa
Geometriæ sehr, als ein so deutlich Buch,
406:20 daß viel daraus ohne Zuthun eines Lehrers
diese Wissenschafft begrieffen hätten. P. 215.
seqq. lobet er die Physic für andern Wissenschafften
und ziehet sie denenselben und unter
denen auch der Ethic vor. Denn alle
406:25 andere Wissenschafften, sagt er, wären
Menschliche Wissenschafften, als in welchen
Gesetze erkläret würden / die von unserm
407 Verstand gemacht würden, so ferne wir von
anderer Sachen Betrachtung abstrahirten,
und alles auf uns alleine referireten. Die
Physic aber wäre alleine eine Göttliche Wissenschafft,
407:5 weil darinnen die Göttlichen Gesetze
erkläret würden, welche von GOTT alleine seinen
Wercken wären eingegeben worden nach
welchen alle Sachen beständig würckten und
die gantz nicht von unserm Verstande, sondern
407:10 à DEo realiter existente dependirten,
u. s. w. Item. Es sey nichts offenbahrers,
als daß wir alle Augenblick von GOtt dependireten,
daß wir auch nicht eine Hand in die
Höhe heben, etwas gedencken und in summa
407:15 weder mit Seel und Leib das geringste verrichten
könten, darzu nicht GOttes würcklicher
concurs alle Augenblick erfordert wurde,
P. 217. sagt er, daß wir durch die Physic bekräfftiget
würden in dem, was ein Hoch=Edler
407:20 Philosophus an einem Orte gesetzet, daß das
nur ein eingebildetes Wesen sey, was man in
gemein Glück nenne, und der Menschen ihre
Gemüther auff wunderliche Weise verunruhige,
da doch hingegen hier alles von der Göttlichen
407:25 Vorsehung dirigiret würde, deren ewiger
Schluß so unbeweglich und unveränderlich
wäre / daß, ausgenommen dasjenige, was
408 besagter Rathschluß GOttes gewolt, daß es
von unserm freyen Willen dependiren solte,
wir gedencken müsten, daß in Ansehen unserer
nichts geschehe, was nicht höchst nothwendig,
408:5 und so zu sagen, fatal wäre, daß wir also ohne
Irrthum nicht begehren tönten, daß es anders
geschehen solte. So würde auch, wenn
man die generalia der Physic wohl absolviret
hätte, nicht alleine unserer Seelen Unsterblichkeit,
408:10 sondern auch GOttes würckliche und
höchst nothwendige existenz und seiner unendlich
vollkommenen attributorum Wissenschafft,
so ferne solche durch das Licht der
Natur erhalten werden kan, uns viel deutlicher
408:15 und leichter werden.
Was nun meine Meinung von dieser
Medicina mentis belanget, so muß ich bekennen,
daß, weil ich längst gerne gewünschet, daß eine
rechte Logic heraus käme, indem die Syllogistica,
408:20 die man auff Schulen und Academien lernet,
zu Erforschung der Wahrheit nicht zulänglich
ist, ich mit grosser Begierde dieses Buch, so
weit ich solches extrahiret, gelesen, und gestehe
gar gerne, daß ich dem Herrn Autori in allem
408:25 beyfalle, weil er alles mit guter Ordnung angefangen,
mit deutlichen demonstrationibus bekräfftiget,
und mit täglichen und unlaugbaren exempeln
409 bestärcket hat. Ja weil er zum öfftern auff
anderer Leute ihren innerlichen Gewissens=Trieb
sich beruffet, und der Wahrheit seiner principiorum
so feste versichert ist, so müste ich wider
409:5 mein Gewissen reden, wenn ich anders sagen
solte, als daß mich gleichfalls mein Gewissen
der Wahrheit dieser Lehre de summo bono &
de principiis veritatis vergewissert und überzeuget,
worinnen mich auch nicht wenig bekräfftiget
409:10 das ungemeine Lob, so durchgehends alle Gelehrten,
die dieses Buchs gedencken, dem Herr Autori
und dem Buch selbst geben. Und obgleich einer
Nahmens Fatio de Duillier wider den Herrn
Tschirnhausen und seine doctrin de lincis
409:15 curvis & tangentibus geschrieben, so gehet
doch dieses nur eine Conclusion, nicht aber
die pcincipia veritatis an, und vernehme ich
auch, daß der Herr Tschirnhausen ihm allbereit
genugsam solle geantwortet haben. Nichts
409:20 destoweniger ist es mir etwas wunderlich ergangen,
denn für etwan acht Tagen, habe ich
einen guten Freund besucht, der auch ein gelehrter
Mann seyn will, dem ich aber mehr
vor einen sophisten, als wahrhafftig gelehrten
409:25 halte, und bin unter andern discoursen auch
auff diese Medicinam mentis zu reden kommen,
und habe ihn umb sein judicium gefragt,
410 auch meinen extract, wie ich solchen
Monsieur ietzo zugesendet, communiciret.
Da hat er mir zur Antwort gegeben, als er
es durchlesen: Er hielte dafür, daß ich des
410:5 Herrn Tschirnhausens mentem ziemlich
deutlich extrahiret hätte, und sehe daraus,
ich müste selbigen wohl innen haben, hat mir aber
dabey erwehnet, daß er von Hertzen lachen
müste, wenn er bisher derer Leute judicia davon
410:10 gehöret, indem er sattsam gespüret, daß
ihrer gar wenig des Herrn Tschirnhausens
intention und Meinung nicht verstanden haben
müssen. Denn etliche wenige hätten gemeinet,
es wäre dieses Buch eben so hoch nicht zu achten,
410:15 denn man sehe daraus, daß er nur die sententiam
und doctrinam Peripateticorum hätte
auslachen, und des Cartesii seine phanthasien,
die doch schon ausgepeitschet wären, behaupten
wollen. Andere aber, und die meisten, hätten einen
410:20 grossen Staat davon gemacht / als wenn
darinnen eine tieffe Gelahrheit verborgen stecke,
und hätten doch nicht gewust zu sagen, worinnen
diese Gelahrheit bestehe; Ja sie hätten ihm Sachen
daraus erzehlet, die dem Herrn Tschirnhausen
410:25 sein Tage nicht im Sinn kommen wären, und
nicht gemercket, daß durch des Herrn Tschirnhausens
Lehr=Sätze ihre Philosophie, die sie der
411 Jugend noch täglich vorsängen, hauptsächlich
herunter gemacht würde. Im übrigen wäre
er versichert, daß, wenn diese Leute wissen solten
worauff der Herr Tschirnhausen sein Absehen
411:5 gehabt hätte, würden sie ihr judicium gerne
mit Gelde wieder an sich lösen. Er seines
Orts hielte dem Herrn Tschirnhausen für einen
wackern gelehrten Mann, der durch die conversation
mit gelehrten Leuten, durch viele
411:10 Erfahrung und fleißiges Nachforschen in natürlichen
und mathematischen Sachen sich
eine solche cognition zuwege gebracht, daß
man ihn billich von der Classe der Pedantischgelehrten
ausnehmen müsse, weil er ohne allen
411:15 Zweiffel unter die gehöre, welche man heutiges
Tages mit Grund und Wahrheit beaux esprits
zu nennen pflege. Die Medicina mentis sey ein
recht subtiles und gelehrtes Buch, in welchem viel
gute und nützliche Sachen enthalten wären.
411:20 Gleichwohl hätte er wider seine Lehre von der höchsten
Glückseligkeit und von dem principio die
Wahrheit zu erforschen etliche schwere Zweiffel,
die ihn verhinderten, des Herrn Tschirnhausens
seiner Meinung beyzupflichten. Ich bezeugte
411:25 hierauff ein grosses Verlangen und bate ihn, daß
er mir diese dubia communiciren möchte,
412 welches er auch gethan, und bestehen selbige
nach Anleitung meines extracts kürtzlich darinnen.
{I.} Bey dem ersten Theile lobet er des
Herrn Tschirnhausens Vorhaben, daß er bezeuget
412:5 dem Leser zu weisen, durch was für eine
Gelegenheit er auff seine Meinung gelanget
sey, weil dieses billich alle Autores thun solten,
indem dadurch der Leser ein grosses Licht
bekäme ihre Meinungen desto besser zu verstehen,
412:10 massen denn auch der Herr Bayle ihn
allbereit deßhalben in seinem Journal gelobet.
Aber er hält zugleich dafür, daß der Herr
Tschirnhausen noch besser gethan hätte, wenn
er gesagt hätte, in was für einer doctrin
412:15 er von Jugend auf sey auferzogen worden / welche
secte derer Philosophen ihm hernach in seinem
erwachsenen Alter für andern angestanden hätte,
und welcher gelehrte Mann ihm zum ersten auff
die Gedancken gebracht, die er in dieser Medicina
412:20 zu behaupten gedencket. Denn ob er gleich wohl
wisse, daß der Herr Tschirnhausen kein Philosophus
Selectarius, sondern ein Electicus sey, so
wäre doch auch nicht zu leugnen, daß die Philosophi
Electici, zumahl wenn sie keine autodidacti
412:25 wären, in dieser und jener disciplin auf
eine secte mehr inclinireten, als auf eine andere,
und wäre ohne dem es so beschaffen, daß
413 auch die heutigen Philosophi, wenn sie gleich
was neues aufbrächten, dennoch in einem und
andern mit denen alten Philosophis, oder auch
mit andern Neotericis überein kämen. Wenn
413:5 nun der Herr Tschirnhausen dieses in dem ersten
Theil zugleich mit etwas weitläufftig berühret
hätte, so würde kein Zweiffel seyn, es
würde der Leser hierdurch ein grosses Licht bekommen
haben. Ja er glaubte, daß hauptsächlich
413:10 um dieser Ursache willen die wenigsten wüsten,
was der Herr Tschirnhausen haben wolte, weil
sie eine falsche Meinung hegten, als wenn er seine
Lehre nach der hypothesi eines Philosophi eingerichtet
hätte, auff den er doch sein fürnehmstes Absehen
413:15 nicht gehabt hätte. Es wäre auch nicht zu
läugnen, daß ein Leser, der ein wenig cogn