B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



O d e n   u n d   E l e g i e n .

E l e g i e .
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Der du zum Tiefsinn und Ernst erhabner Gesänge gewöhnt bist,
      Und die einsame Bahn alter Unsterblichen gehst,
Sing' izt, mein Geist, ein tibullisches Lied: Dich ladet die Liebe
      Deines Freundes zum Scherz und zu Empfindungen ein,
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Die die Seele des Jünglings mit mächtigern Freuden erfüllen,
      Als er in den Armen seiner Gespielen genoß;
Die das Herz des Mädchens mit süß'rer Wollust durchwallen,
      Als sie in dem Umgang ihrer Gespielinnen fand.
Töne mein Lied, wie Liebende, sanft mit gelinderer Stimme,
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      Sey der blühenden Braut jungen Entzükungen gleich.
Sey wie der Thau des erwachenden Tags, der vom Rosengebüsche
      In das lokichte Haar einer Verliebten zerfließt,
Wenn sie schon wach, und freudig, und wild, die schönste der Rosen,
      Ihren noch schlummernden Freund zärtlich zu weken, sich sucht.
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Oder wie Byblis sanfttönender Quell, der nun nicht mehr weinte,
      Und durchleuchtig und hell Ufer voll Myrten durchfloß.
Denn dich höret mein Schmidt, und horcht von der Höhe der Ode
      Lächelnd in Tibullens blumichte Thäler hinab.
Auch die hört dich vielleicht, die mehr als scherzende Lieder,
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      Die im prophetischen Klang tönende Lieder empfind't.
Aber du, glüklicher Freund, mit deiner jungen Geliebten,
      Höret mich an diesem festlichen Abend nur nicht!
Ihr fühlt mehr, als Lieder euch lehren, und laßt es dem Dichter,
      Daß er von Küssen entfernt, anderer Küsse besingt.
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Freund, ein einziger Blik, von einer Seele begeistert,
      Die von der süssen Gewalt ihrer Empfindungen bebt;
Und ein Seufzer, mit vollem Verlangen, mit voller Entzükung,
      Ausgedrükt, auf einen zitternden blühenden Mund,
Ein beseelender Kuß, ist mehr, als hundert Gesänge,
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      Mit ihrer ganzen langen Unsterblichkeit werth.
Wer sein Leben durchliebt, nicht der, der in brauchbarern Stunden,
      Was er sich selber entzieht, Enkeln geniesbarer macht,
Ist ein glüklicher Mann: Sey du es, und liebe, bis einst dich
      Ein ungefürchteter Tod sanften Umarmungen raubt.
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Segne den Stunden izt nach, (die Stunden sind schon entflohen;
      Merk' es, und lerne die Flucht unsrer hineilenden Zeit!)
Segne den Stunden izt nach, da du sie zum erstenmal sahest,
      Da sie sanft erröthend sich und ihr Leben dir gab.
Segne den Stunden izt zu, (die Stunden werden auch fliehen
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      Nimm sie, und lerne die Flucht unsrer hineilenden Zeit!)
Segne den Stunden izt zu, die dich noch glüklicher machen,
      Izo, da sie ganz sich deiner Umarmung vertraut.
Da sie mit nicht mehr bebendem Blik dich zärtlicher ansieht,
      Wieder dich ansieht, und frey, und viel gelehriger küßt.
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O wie glücklich seyd ihr! Mich deucht, als säh' ich euch kommen,
      Wie ihr im freudigen Tanz vor der Versammlung erscheint.
Sie flieht jugendlich leicht, mit schlüpfendem Fusse, vorüber,
      Und sieht, glüklicher Freund, in der Versammlung nur dich.
Dir nur sagt sie etwas, wenn sie bald lächelnd sich umkehrt,
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      Bald mit offenem Arm deiner Umarmung zuflieht,
Izo leicht dir entflieht, izt mit jungfräulichem Stolze,
      Zwar von Zärtlichkeit voll, wie im Triumphe doch geht.
So gieng Aurora daher, als sie von thauenden Bergen,
      Menschlicher ins Thal hin, zu ihrem Cephalus kam.
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Zwar ein himmlischer Glanz floß um die Schultern der Göttin,
      Und das Gebirg erklang unterm unsterblichen Fus:
Doch, da sie näher ihm kam, ließ sie die Gottheit im Haine,
      Warf mit Rosen nach ihm, küßt' ihn, und lokte sein Haar.
So geht De=ahna daher: Nun bleibt sie voll heimlicher Wollust,
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      Daß sie dein Herze besizt, und vor Entzükungen, stehn.
Also bleibt ein besungenes Mädchen, (ein göttlicher Dichter
      Brachte sie der Nachwelt, und den Unsterblichen zu,)
Darum bleibt sie auf einmal entzükt, tiefsinnig, und lächelnd,
      Unter der Versammlung ihrer Gespielinnen stehn;
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Auf die Unsterblichkeit stolz, wenn ihre Schönheit dahin ist,
      Hat sie doch den Nachruhm, ihre Gespielinnen nichts.
Freund, du sahest sie stehn, und flohst mit sehnlichen Bliken,
      Ihrem vor Entzükung thränenden Angesicht zu.
Aber das sahst du wohl nicht, daß izt ihr lokichtes Haupthaar
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      Unbemerkt ihr Silphe leicht und geschäftig umflog.
Mit sanfttönendem Laut des morgenröthlichen Fittigs
      Flog er um ihr Haupthaar, und schnell verwandelt' er sich;
Nahm die weisse Gestalt der anakreontischen Taube,
      Ihren geschwäzigen Ton, ihre Geselligkeit an.
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Und wie vom geistigen Wein des weisen Anakreon trunken,
      Und wie im lyrischen Ton lächelnder Lieder gelehrt,
Fieng er poetisch so an, (ich habe sein Girren vernommen!)
      Rauschte mit den Flügeln, lächelt', und weissagte so:
Euch wird, unterm Geräusch oft wiedergegebener Küsse,
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      Eure genossene Zeit sanft und zufrieden entfliehn!
Wenigen Menschen ertheilt, von wenigern sorgsam genossen,
      Fliessen aus dem goldnen Alter die Stunden euch zu.
Mit den Stunden vereint, eilt eure gesellige Freude,
      Unbereut nach dem Genuß, heiter und lächelnd vorbey.
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Dreymal gesegnet seyd mir! Was alle Thoren verkennen,
      Was zum Reichthum verdammt, Narren unwissend verschmähn,
Tugend, und die Weisheit, das Leben würdig zu brauchen,
      Und den Tod nicht zu scheun, hat euch das Schiksal verliehn.