BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Sechzehntes Abenteuer

 

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Wie Siegfried erschlagen ward.

 

944

Gunther und Hagen, | die Recken wohlgethan

Gelobten mit Untreuen | ein Birschen in den Tann.

Mit ihren scharfen Spießen | wollten sie jagen Schwein'

Und Bären und Wisende: | was mochte Kühneres sein?

945

Da ritt auch mit ihnen | Siegfried mit stolzem Sinn.

Man bracht ihnen Speise | aller Art dahin.

An einem kühlen Brunnen | ließ er da das Leben:

Den Rath hatte Brunhild, | König Gunthers Weib, gegeben.

946

Da gieng der kühne Degen | hin, wo er Kriemhild fand.

Schon war aufgeladen | das edle Birschgewand

Ihm und den Gefährten: | sie wollten über Rhein.

Da konnte Kriemhilden | nicht leider zu Muthe sein.

947

Seine liebe Traute | küsst' er auf den Mund:

«Gott laße mich dich, Liebe, | noch wiedersehn gesund

Und deine Augen mich auch; | mit holden Freunden dein

Kürze dir die Stunden: | ich kann nun nicht bei dir sein.»

948

Da gedachte sie der Märe, | sie durft es ihm nicht sagen,

Nach der sie Hagen fragte: | da begann zu klagen

Die edle Königstochter, | daß ihr das Leben ward:

Ohne Maßen weinte | die wunderschöne Fraue zart.

949

Sie sprach zu dem Recken: | «Laßt euer Jagen sein:

Mir träumte heunt von Leide, | wie euch zwei wilde Schwein

Ueber die Haide jagten: | da wurden Blumen roth.

Daß ich so bitter weine, | das thut mir armem Weibe Noth.

950

«Wohl muß ich fürchten | Etlicher Verrath,

Wenn man den und jenen | vielleicht beleidigt hat,

Die uns verfolgen könnten | mit feindlichem Haß.

Bleibt hier, lieber Herre, | mit Treuen rath ich euch das.»

951

Er sprach: «Liebe Traute, | ich kehr in kurzer Zeit;

Ich weiß nicht, daß hier Jemand | mir Haß trüg oder Neid.

Alle deine Freunde | sind insgemein mir hold;

Auch verdient' ich von den Degen | wohl nicht anderlei Sold.»

952

«Ach nein, lieber Siegfried: | wohl fürcht ich deinen Fall.

Mir träumte heunt von Leide, | wie über dir zu Thal

Fielen zwei Berge, | daß ich dich nie mehr sah:

Und willst du von mir scheiden, | das geht mir inniglich nah.»

953

Er umfieng mit Armen | das zuchtreiche Weib,

Mit holden Küssen herzt' er | ihr den schönen Leib.

Da nahm er Urlaub | und schied in kurzer Stund:

Sie ersah ihn leider | darnach nicht wieder gesund.

954

Da ritten sie von dannen | in einen tiefen Tann

Der Kurzweile willen; | manch kühner Rittersmann

Ritt mit dem König; | hinaus gesendet ward

Auch viel der edeln Speise, | die sie brauchten zu der Fahrt.

955

Manch Saumross zog beladen | vor ihnen überrhein,

Das den Jagdgesellen | das Brot trug und den Wein,

Das Fleisch mit den Fischen | und Vorrath aller Art,

Wie sie ein reicher König | wohl haben mag auf der Fahrt.

956

Da ließ man herbergen | bei dem Walde grün

Vor des Wildes Wechsel | die stolzen Jäger kühn,

Wo sie da jagen wollten, | auf breitem Angergrund.

Auch Siegfried war gekommen: | das ward dem Könige kund.

957

Von den Jagdgesellen | ward umhergestellt

Die Wart an allen Enden: | da sprach der kühne Held,

Siegfried der starke: | «Wer soll uns in den Wald

Nach dem Wilde weisen, | ihr Degen kühn und wohlgestalt?»

958

«Wollen wir uns scheiden,» | hub da Hagen an,

«Eh wir beginnen | zu jagen hier im Tann:

So mögen wir erkennen, | ich und der Herre mein,

Wer die besten Jäger | bei dieser Waldreise sei'n.

959

«Leute so wie Hunde, | wir theilen uns darein:

Dann fährt, wohin ihm lüstet, | Jeglicher allein»

Und wer das Beste jagte, | dem sagen wir den Dank.»

Da weilten die Jäger | bei einander nicht mehr lang.

960

Da sprach der edle Siegfried: | «Der Hunde hab ich Rath

Bis auf einen Bracken, | der so genoßen hat,

Daß er die Fährte spüre | der Thiere durch den Tann.

Wir kommen wohl zum Jagen!» | sprach der Kriemhilde Mann.

961

Da nahm ein alter Jäger | einen Spürhund hinter sich

Und brachte den Herren, | eh lange Zeit verstrich,

Wo sie viel Wildes fanden: | was des erstöbert ward,

Das erjagten die Gesellen, | wie heut noch guter Jäger Art.

962

Was da der Brack ersprengte, | das schlug mit seiner Hand

Siegfried der kühne, | der Held von Niederland.

Sein Ross lief so geschwinde, | daß ihm nicht viel entrann:

Das Lob er bei dem Jagen | vor ihnen allen gewann.

963

Er war in allen Dingen | mannhaft genug.

Das erste der Thiere, | die er zu Tode schlug,

War ein starker Büffel, | den traf des Helden Hand:

Nicht lang darauf der Degen | einen grimmen Leuen fand.

964

Als den der Hund ersprengte, | schoß er ihn mit dem Bogen

Und dem scharfen Pfeile, | den er darauf gezogen;

Der Leu lief nach dem Schuße | nur dreier Sprünge lang.

Seine Jagdgesellen, | die sagten Siegfrieden Dank.

965

Einen Wisend schlug er wieder | darnach und einen Elk,

Vier starker Auer nieder | und einen grimmen Schelk,

So schnell trug ihn die Mähre, | daß ihm nichts entsprang:

Hinden und Hirsche | wurden viele sein Fang.

966

Einen großen Eber | trieb der Spürhund auf.

Als der flüchtig wurde, | da kam in schnellem Lauf

Alles Jagens Meister | und nahm zum Ziel ihn gleich.

Anlief das Schwein im Zorne | diesen Helden tugendreich.

967

Da schlug es mit dem Schwerte | der Kriemhilde Mann:

Das hätt ein andrer Jäger | nicht so leicht gethan.

Als er nun gefällt lag, | fieng man den Spürhund.

Seine reiche Beute wurde | den Burgunden allen kund.

968

Da sprachen seine Jäger: | «Kann es füglich sein,

So laßt uns, Herr Siegfried, | des Wilds ein Theil gedeihn:

Ihr wollt uns heute leeren | den Berg und auch den Tann.»

Darob begann zu lächeln | der Degen kühn und wohlgethan.

969

Da vernahm man allenthalben | Lärmen und Getos.

Von Leuten und von Hunden | ward der Schall so groß,

Man hörte widerhallen | den Berg und auch den Tann.

Vierundzwanzig Meuten | hatten die Jäger losgethan.

970

Da wurde viel des Wildes | vom grimmen Tod ereilt.

Sie wähnten es zu fügen, | daß ihnen zugetheilt

Der Preis des Jagens würde: | das konnte nicht geschehn,

Als bei der Feuerstätte | der starke Siegfried ward gesehn.

971

Die Jagd war zu Ende, | doch nicht so ganz und gar,

Zu der Feuerstelle | brachte der Jäger Schar

Häute mancher Thiere | und des Wilds genug.

Hei! was des zur Küche | des Königs Ingesinde trug!

972

Da ließ der König künden | den Jägern wohlgeborn,

Daß er zum Imbiß wolle; | da wurde laut ins Horn

Einmal gestoßen: | so machten sie bekannt,

Daß man den edeln Fürsten | nun bei den Herbergen fand.

973

Da sprach ein Jäger Siegfrieds: | «Mit eines Hornes Schall

Ward uns kund gegeben, | Herr, daß wir nun all

Zur Herberge sollen: | erwiedre ichs, das behagt.»

Da ward nach den Gesellen | mit Blasen lange gefragt.

974

Da sprach der edle Siegfried: | «Nun räumen wir den Wald.»

Sein Ross trug ihn eben; | die Andern folgten bald.

Sie ersprengten mit dem Schalle | ein Waldthier fürchterlich,

Einen wilden Bären; | da sprach der Degen hinter sich:

975

«Ich schaff uns Jagdgesellen | eine Kurzweil.

Da seh ich einen Bären: | den Bracken löst vom Seil.

Zu den Herbergen | soll mit uns der Bär:

Er kann uns nicht entrinnen, | und flöh er auch noch so sehr.»

976

Da lös'ten sie den Bracken: | der Bär sprang hindann.

Da wollt ihn erreiten | der Kriemhilde Mann.

Er kam in eine Bergschlucht: | da konnt er ihm nicht bei:

Das starke Thier wähnte | von den Jägern schon sich frei.

977

Da sprang von seinem Rosse | der stolze Ritter gut

Und begann ihm nachzulaufen. | Das Thier war ohne Hut,

ES konnt ihm nicht entrinnen: | er fieng es allzuhand;

Ohn es zu verwunden, | der Degen eilig es band.

978

Kratzen oder beißen | konnt es nicht den Mann.

Er band es an den Sattel; | auf saß der Schnelle dann

Und bracht es an die Feuerstatt | in seinem hohen Muth

Zu einer Kurzweile, | dieser Degen kühn und gut.

979

Er ritt zur Herberge | in welcher Herrlichkeit!

Sein Sper war gewaltig, | stark dazu und breit;

Eine schmucke Waffe hieng ihm | herab bis auf den Sporn;

Von rothem Golde führte | der Held ein herrliches Horn.

980

Von beßerm Birschgewande | hört ich niemals sagen.

Einen Rock von schwarzem Zeuge | sah man ihn tragen

Und einen Hut von Zobel, | der reich war genug.

Hei! was edler Borten | an seinem Köcher er trug!

981

Ein Vlies von einem Panther | war darauf gezogen

Des Wohlgeruches wegen. | Auch trug er einen Bogen:

Mit einer Winde | must ihn ziehen an,

Wer ihn spannen wollte, | er hätt es selbst denn gethan.

982

Von fremden Tierhäuten | war all sein Gewand,

Das man von Kopf zu Füßen | bunt überhangen fand.

Aus dem lichten Rauchwerk | zu beiden Seiten hold

An dem kühnen Jägermeister | schien manche Flitter von Gold.

983

Auch führt' er Balmungen, | das breite schmucke Schwert: |

Das war solcher Schärfe, | nichts blieb unversehrt,

Wenn man es schlug auf Helme: | seine Schneiden waren gut.

Der herrliche Jäger | trug gar hoch seinen Muth.

984

Wenn ich euch der Märe | ganz bescheiden soll,

So war sein edler Köcher | guter Pfeile voll,

Mit goldenen Röhren, | die Eisen händebreit.

Was er traf mit Schießen, | dem war das Ende nicht weit.

985

Da ritt der edle Ritter | stattlich aus dem Tann.

Gunthers Leute sahen, | wie er ritt heran.

Sie liefen ihm entgegen | und hielten ihm das Ross:

Da trug er an dem Sattel | einen Bären stark und groß.

986

Als er vom Ross gestiegen, | löst' er ihm das Band

Vom Mund und von den Füßen: | die Hunde gleich zur Hand

Begannen laut zu heulen, | als sie den Bären sahn.

Das Thier zu Walde wollte: | das erschreckte manchen Mann.

987

Der Bär durch die Küche | von dem Lärm gerieth:

Hei! was er Küchenknechte | da vom Feuer schied!

Gestürzt ward mancher Keßel, | verschleudert mancher Brand;

Hei! was man guter Speisen | in der Asche liegen fand!

988

Da sprang von den Sitzen | Herr und Knecht zumal.

Der Bär begann zu zürnen; | der König gleich befahl

Der Hunde Schar zu lösen, | die an den Seilen lag;

Und war es Wohl geendet, | sie hätten fröhlichen Tag.

989

Mit Bogen und mit Spießen, | man säumte sich nicht mehr, |

Liefen hin die Schnellen, | wo da gieng der Bär;

Doch wollte Niemand schießen, | von Hunden wars zu voll.

So laut war das Getöse, | daß rings der Bergwald erscholl.

990

Der Bär begann zu fliehen | vor der Hunde Zahl;

Ihm konnte Niemand folgen | als Kriemhilds Gemahl.

Er erlief ihn mit dem Schwerte, | zu Tod er ihn da schlug.

Wieder zu dem Feuer | das Gesind den Bären trug.

991

Da sprachen, die es sahen, | er wär ein starker Mann.

Die stolzen Jagdgesellen | rief man zu Tisch heran.

Auf schönem Anger saßen | der Helden da genug.

Hei! was man Ritterspeise | vor die stolzen Jäger trug!

992

Die Schenken waren säumig, | sie brachten nicht den Wein;

So gut bewirthet mochten | sonst Helden nimmer sein.

Wären manche drunter | nicht so falsch dabei,

So wären wohl die Degen | aller Schanden los und frei.

993

Des wurde da nicht inne | der verrathne kühne Mann,

Daß man solche Tücke | wider sein Leben spann.

Er war in höfschen Züchten | alles Truges bar;

Seines Todes must entgelten, | dem es nie ein Frommen war.

994

Da sprach der edle Siegfried: | «Mich verwundert sehr,

Man trägt uns aus der Küche | doch so viel daher,

Was bringen uns die Schenken | nicht dazu den Wein?

Pflegt man so der Jäger, | will ich nicht Jagdgeselle sein.

995

«Ich möcht es doch verdienen, | bedächte man mich gut.»

Von seinem Tisch der König | sprach mit falschem Muth:

«Wir büßen euch ein andermal, | was heut uns muß entgehn;

Die Schuld liegt an Hagen, | der will uns verdursten sehn.»

996

Da sprach von Tronje Hagen: | «Lieber Herre mein,

Ich wähnte, das Birschen | sollte heute sein

Fern im Spechtsharte: | den Wein hin sandt ich dort.

Heute giebt es nichts zu trinken, | doch vermeid ich es hinfort.»

997

Da sprach der edle Siegfried: | «Dem weiß ich wenig Dank:

Man sollte sieben Lasten | mit Meth und Lautertrank

Mir hergesendet haben; | konnte das nicht sein,

So sollte man uns näher | gesiedelt haben dem Rhein.»

998

Da sprach von Tronje Hagen: | «Ihr edeln Ritter schnell, |

Ich weiß hier in der Nähe | einen kühlen Quell:

Daß ihr mir nicht zürnet, | da rath, ich hinzugehn.»

Der Rath war manchem Degen | zu großem Leide geschehn.

999

Siegfried den Recken | zwang des Durstes Noth;

Den Tisch hinwegzurücken | der Held alsbald gebot:

Er wollte vor die Berge | zu dem Brunnen gehn.

Da war der Rath aus Arglist | von den Degen geschehn.

1000

Man hieß das Wild auf Wagen | führen in das Land,

Das da verhauen hatte | Siegfriedens Hand.

Wer es auch sehen mochte, | sprach großen Ruhm ihm nach.

Hagen seine Treue | sehr an Siegfrieden brach.

1001

Als sie von dannen wollten | zu der Linde breit,

Da sprach von Tronje Hagen: | «Ich hörte jederzeit,

Es könne Niemand folgen | Kriemhilds Gemahl,

Wenn er rennen wolle; | hei! schauten wir das einmal!»

1002

Da sprach von Niederlanden | der Degen kühn und gut:

«Das mögt ihr wohl versuchen: | wenn ihr mit mir thut

Einen Wettlauf nach dem Brunnen? | Soll das geschehn,

So habe der gewonnen, | den wir den vordersten sehn.»

1003

«Wohl, laßt es uns versuchen,» | sprach Hagen der Degen.

Da sprach der starke Siegfried: | «So will ich mich legen,

Verlier ich, euch zu Füßen | nieder in das Gras.»

Als er das erhörte, | wie lieb war König Gunthern das!

1004

Da sprach der kühne Degen: | «Noch mehr will ich euch sagen:

Gewand und Gewaffen | will ich bei mir tragen,

Den Wurfspieß samt dem Schilde | und all mein Birschgewand.»

Das Schwert und den Köcher | um die Glieder schnell er band.

1005

Die Kleider vom Leibe | zogen die Andern da:

In zwei weißen Hemden | man beide stehen sah.

Wie zwei wilde Panther | liefen sie durch den Klee;

Man sah bei dem Brunnen | den schnellen Siegfried doch eh.

1006

Den Preis in allen Dingen | vor Manchem man ihm gab.

Da löst' er schnell die Waffe, | den Köcher legt' er ab,

Den starken Spieß lehnt' er | an den Lindenast.

Bei des Brunnens Fluße | stand der herrliche Gast.

1007

Die höfsche Zucht erwies da | Siegfried daran;

Den Schild legt' er nieder, | wo der Brunnen rann;

Wie sehr ihn auch dürstete, | der Held nicht eher trank

Bis der König getrunken; | dafür gewann er übeln Dank.

1008

Der Brunnen war lauter, | kühl und auch gut;

Da neigte sich Gunther | hernieder zu der Flut.

Als er getrunken hatte, | erhob er sich hindann:

Also hätt auch gerne | der kühne Siegfried gethan.

1009

Da entgalt er seiner höfschen Zucht; | den Bogen und das Schwert |

Trug beiseite Hagen | von dem Degen werth.

Dann sprang er zurücke, | wo er den Wurfspieß fand,

Und sah nach einem Zeichen | an des Kühnen Gewand.

1010

Als der edle Siegfried | aus dem Brunnen trank,

Er schoß ihn durch das Kreuze, | daß aus der Wunde sprang

Das Blut von seinem Herzen | an Hagens Gewand.

Kein Held begeht wohl wieder | solche Unthat nach der Hand.

1011

Den Gerschaft im Herzen | ließ er ihm stecken tief.

Wie im Fliehen Hagen | da so grimmig lief,

So lief er wohl auf Erden | nie vor einem Mann!

Als da Siegfried Kunde | der schweren Wunde gewann,

1012

Der Degen mit Toben | von dem Brunnen sprang;

Ihm ragte von der Achsel | eine Gerstange lang.

Nun wähnt' er da zu finden | Bogen oder Schwert,

Gewiß, so hätt er Hagnen | den verdienten Lohn gewährt.

1013

Als der Todwunde | da sein Schwert nicht fand,

Da blieb ihm nichts weiter | als der Schildesrand.

Den rafft' er von dem Brunnen | und rannte Hagen an:

Da konnt ihm nicht entrinnen | König Gunthers Unterthan.

1014

Wie wund er war zum Tode, | so kräftig doch er schlug,

Daß von dem Schilde nieder | wirbelte genug

Des edeln Gesteines; | der Schild zerbrach auch fast:

So gern gerochen hätte | sich der herrliche Gast.

1015

Da muste Hagen fallen | von seiner Hand zu Thal;

Der Anger von den Schlägen | erscholl im Wiederhall.

Hätt er sein Schwert in Händen, | so wär er Hagens Tod.

Sehr zürnte der Wunde, | es zwang ihn wahrhafte Noth.

1016

Seine Farbe war erblichen; | er konnte nicht mehr stehn.

Seines Leibes Stärke | muste ganz zergehn,

Da er des Todes Zeichen | in lichter Farbe trug.

Er ward hernach betrauert | von schönen Frauen genug.

1017

Da fiel in die Blumen | der Kriemhilde Mann.

Das Blut von seiner Wunde | stromweis nieder rann.

Da begann er die zu schelten, | ihn zwang die große Noth

Die da gerathen hatten | mit Untreue seinen Tod.

1018

Da sprach der Todwunde: | «Weh, ihr bösen Zagen,

Was helfen meine Dienste, | da ihr mich habt erschlagen?

Ich war euch stäts gewogen | und sterbe nun daran.

Ihr habt an euern Freunden | leider übel gethan.

1019

«Die sind davon bescholten, | so viele noch geborn

Werden nach diesem Tage: | ihr habt euern Zorn

Allzusehr gerochen | an dem Leben mein.

Mit Schanden geschieden | sollt ihr von guten Recken sein.»

1020

Hinliefen all die Ritter, | wo er erschlagen lag.

Es war ihrer Vielen | ein freudeloser Tag.

Wer Treue kannt und Ehre, | der hat ihn beklagt:

Das verdient' auch wohl um Alle | dieser Degen unverzagt.

1021

Der König der Burgunden | klagt' auch seinen Tod.

Da sprach der Todwunde: | «Das thut nimmer Noth,

Daß der um Schaden weine, | von dem man ihn gewann:

Er verdient groß Schelten, | er hätt es beßer nicht gethan.»

1022

Da sprach der grimme Hagen: | «Ich weiß nicht, was euch reut:

Nun hat doch gar ein Ende, | was uns je gedräut.

Es gibt nun nicht manchen, | der uns darf bestehn;

Wohl mir, daß seiner Herrschaft | durch mich ein End ist geschehn.»

1023

«Ihr mögt euch leichtlich rühmen,» | sprach Der von Niederland. |

«Hätt ich die mörderische | Weis an euch erkannt,

Vor euch behütet hätt ich | Leben wohl und Leib.

Mich dauert nichts auf Erden | als Frau Kriemhild mein Weib.

1024

«Nun mög es Gott erbarmen, | daß ich gewann den Sohn,

Der jetzt auf alle Zeiten | den Vorwurf hat davon,

Daß seine Freunde Jemand | meuchlerisch erschlagen:

Hätt ich Zeit und Weile, | das müst ich billig beklagen.

1025

«Wohl nimmer hat begangen | so großen Mord ein Mann,»

Sprach er zu dem König, | «als ihr an mir gethan.

Ich erhielt euch unbescholten | in großer Angst und Noth;

Ihr habt mir schlimm vergolten, | daß ich so wohl es euch bot.»

1026

Da sprach im Jammer weiter | der todwunde Held:

«Wollt ihr, edler König, | noch auf dieser Welt

An Jemand Treue pflegen, | so laßt befohlen sein

Doch auf eure Gnade | euch die liebe Traute mein.

1027

«Es komm ihr zu Gute, | daß sie eure Schwester ist:

Sei aller Fürsten Tugend | helft ihr zu jeder Frist.

Mein mögen lange harren | mein Vater und mein Lehn:

Nie ist an liebem Freunde | einem Weibe so leid geschehn.»

1028

Er krümmte sich in Schmerzen, | wie ihm die Noth gebot, |

Und sprach aus jammerndem Herzen: | «Mein mordlicher Tod

Mag euch noch gereuen | in der Zukunft Tagen:

Glaubt mir in rechten Treuen, | daß ihr euch selber habt erschlagen.

1029

Die Blumen allenthalben | waren vom Blute naß.

Da rang er mit dem Tode, | nicht lange that er das,

Denn des Todes Waffe | schnitt ihn allzusehr.

Da konnte nicht mehr reden | dieser Degen kühn und hehr.

1030

Als die Herren sahen | den edlen Helden todt,

Sie legten ihn auf einen Schild, | der war von Golde roth.

Da giengen sie zu Rathe, | wie sie es stellten an,

Daß es verhohlen bliebe, | Hagen hab es gethan.

1031

Da sprachen ihrer Viele: | «Ein Unfall ist geschehn;

Ihr sollt es alle hehlen | und Einer Rede stehn:

Als er allein ritt jagen, | der Kriemhilde Mann,

Erschlugen ihn Schächer, | als er fuhr durch den Tann.»

1032

Da sprach von Tronje Hagen: | «Ich bring ihn in das Land.

Mich soll es nicht kümmern, | wird es ihr auch bekannt,

Die so betrüben konnte | der Königin hohen Muth;

Ich werde wenig fragen, | wie sie nun weinet und thut.»

1033

Von denselben Brunnen, | wo Siegfried ward erschlagen,

Sollt ihr die rechte Wahrheit | von mir hören sagen.

Vor dem Odenwalde | ein Dorf liegt Odenheim.

Da fließt noch der Brunnen, | kein Zweifel kann daran sein.