BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Paul Rebhun

um 1500 - 1546

 

Klag des armenn Manns und Sorgenvol,

ynn theurung und hungers not,

Und warmit er sich darinn zu trösten,

aus schönen Historien der heyligen

schrifft, der lieben Armut inn dieser

theurung zu trost, reymenweis gestellet

(Auszug)

 

1540

 

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Die folgenden Auszüge aus Rebhuns «Klag des armen Manns» sind dem IV. Teil von Johann Christoph Gottscheds «Grundlegung der deutschen Sprachkunst» entnommen:

 

Klag des armen Manns und Sorgenuol

ynn theurung vnd hungersnot,

vnd warmit er sich darinn zu trösten,

aus schönen Historien der heyligen schrift,

der lieben Armut inn dieser theurung zu trost

reymweis gestellet durch Paulum Rebhun,

Prediger zu Plauen.

 

Dieses kleine poetische Werkchen ist etwa acht Bogen stark, und in Octav ohne Zahlen auf den Blättern gedruckt. Am Ende findet man, daß es in der Churfürstlichen Stadt Zwickaw, durch Wolffgang Meyerpeck 1540, und also fast vor zwey hundert Jahren heraus gekommen. Auf dem Titelblatte steht ein Holzschnitt, der einen armen Hausvater am Tische sizend, und in einem Buche lesend, seine Frau am Spinnrocken, und vier Kinder auf der Erde kriechend vorstellet. Diese sind halb nackend, halb mit Lumpen bedeckt, und bemühen sich theils etliche Brosamen aufzulesen, theils streiten sie um ein Gefässe, darinn etwa eine Speise enthalten ist.

Die Ursache, warum man von diesem dem Ansehen nach, geringen Werklein einige Nachricht zu geben vor gut befunden, ist diese, daß der Verfasser, unsers Erachtens, der erste ist, der deutsche Verse mit Fleiß und ausdrücklich nach dem jambischen und trochaischen Sylbenmasse nach der Art der Griechen und Lateiner gemachet. Denn ob wohl schon in der Critischen Dichtkunst angemerket worden, daß man auch in den ältesten deutschen Dichtern einige Spuren der beobachteten Länge und Kürze deutscher Sylben antreffe; [623] wie sonderlich aus einer Stelle der Winsbeckischen Ermahnungsschrift an dessen Sohn, und D. Luthers Liedern erwiesen wird: So kan man es doch bey diesem allen so deutlich nicht darthun, daß auch ihre Verfasser den ausdrücklichen Vorsatz gehabt, jambische und trochäische Verse zu machen. Aber bey unserm Plauenschen Poeten ist die Sache theils aus seiner eignen Zueignungsschrift, theils aus den Versen selbst so klar, daß nicht der geringste Zweifel übrig bleibet.

Seine Worte aber hievon lauten in der Zuschrift

 

An den Ersamen und Fürsichtigen

Hansen Widman, Burger zu Zwickaw,

seinen freundlichen lieben

Schweher und Vater

 

etwa in der Helfte also:

 

Was die reym belanget ist zu wissen, das so offt in diesem gesprech die Person, also offt in reymen die zal vnd der accent sich verendert, vnd welcherley art der erst reym ist, also seind auch alle andere biss zum Wechsel der Person, auff das es nicht ein vnordentlich gemeng langer und kurzer reym durch einander sey, sonder sein gewiss zyl vnd anfang. Wo es aber anders denn itzt gemelt, etwo befunden, ist es on mein schuld, das nicht einerley reym von acht silben durchaus gemacht, hat die vrsach, das, meins achtens nicht vnbeqvem ist, inn solchen langen getichten ein veranderung zu halten, vnd mancherley vers zu gebrauchen, nach der Lateiner art, die sie halten inn Metris Trochaicis vnd Jambicis, welchen die Deudschen reym etzlicher maß gemeß seynd. [624]

 

Um dieses durch die Proben seiner Verse selbst zu bestätigen, wollen wir von allen Gattungen seiner jambischen und trochäischen Verse etliche Zeilen an führen, und, so wie er gethan, das Sylbenmaaß allemal darüber setzen. Er fängt mit den damals fast allein gewöhnlichen achtsylbigten, oder vierfüßigen Jamben mit lauter männlichen Reimen an, indem der arme Sorgenvoll seine Klage so anhebt:

 

v – v – v – v –

Sorgenvoll:

Ach GOtt was soll ich fahen an

Ich bin ein arm verdorben man

Zu all mein thun hab ich kein Glück

Mein hendel gehn itzt gar zurück

Mein Handwerk will nicht gelten mehr

Daher mir bleibt mein beutel lehr.

...

 

Diese Klage nun ist neun volle Seiten lang, und da der arme Mann sich zu trösten die Bibel vornimmt, und da im Anfange gleich den Adam antrifft: So wird dieser ihn zu trösten so redend eingeführet; und zwar in trochäischen Versen mit lauter weiblichen Reimen:

 

– v – v – v – v

Adam:

Lieber Mensch weil du mir klagest

Und von deiner Armut sagest

Wollst auch gern von mir erfahren

Was ich in neun hundert iaren

Hie für armut hab erlitten

Und was vnglück mich geritten.

...

 

So redet Adam zwey Seiten fort, bis ihm der arme Sorgenvoll folgender gestalt antwortet; und zwar in ordentlich abgewechselten zwey und vierfüssigten. Jamben: [625]

 

v – v –

Sorgenvoll:

Weshalben dann

Mir armen Mann

Geht so viel ab

v – v – v – v –

Daß ich nicht wohl mein Nahrung hab

Was ist die Schuld

Das ich itzt duld

Vnd leid solch Not

Dieweil du sagst es nehr uns GOtt.

...

 

Hierauf antwortet Adam ihm in fünffüssigen oder zehnsylbigten trochäischen Versen mit weiblichen Reimen:

 

– v – v – v – v – v

Adam:

Lieber Mensch weil du mich ferner fragest

Und dein not mit vngedult noch klagest

Meinst auch gleich, als hab ich dir gelogen

Oder mit ertichter red betrogen

Wil ich doch noch ferner unterrichten,

Das du nicht gedenckst ich wöll was tichten.

...

 

Diese Rede Adams ist fünf ganzer Seiten lang in einerley Versen: Und darauf antwortet ihm der arme Sorgenvoll in fünffüssigen Jambischen mit weiblichen Reimen, doch ohne einen in der Mitte beobachteten Abschnitt folgender massen:

 

v – v – v – v – v – v

Sorgenvoll:

Je lieber Adam, weil du mir bezeugest

Wie du mich hye inn keinem weg betreugest

Vnd sagest, wenn wir nur in arbeit leben

So werd uns GOtt wol vnser nahrung geben [626]

Nu arbeit ich doch trawen alle tage

Mt weib und gsind, so sehr ich immer mage.

...

 

Adam bleibt in seiner Antwort hierauf bey den trochäischen, nur daß er sie um eine Sylbe länger, und also in männlichen Reimen, doch ohne Abschnitt macht.

 

– v – v – v – v – v –

Adam:

Mensch ich sag dir nach wie vor denck nur nicht

Daß erlogen sey und falsch was ich bericht

Denn die wort, so ich dir hab gesaget hie

Haben keinen menschen noch betrogen ye.

Werden auch kein mensch betriegen noch hinfort

Denn es ja nicht sind eins falschen Lügners wort.

...

 

Dieses währet fast fünf Seiten lang also; und hierauf hebt Sorgenvoll an sechsfüssige Jamben mit lauter männlichen Reimen zu machen, doch abermal ohne Abschnitt:

 

v – v – v – v – v – v –

Sorgenvoll:

Ja lieber Adam, so die meinung also steht

Wie ich itzund vernumen hab aus deiner red

So muß ichs auch erkennen frey und offenbar

Das unser keiner GOtt dem HErren zeichen thar

Das es an seiner sorge oder rewe feil

So einem an der nahrung mangelt ye zuweil

...

 

In solchen Versen fähret er acht Seiten lang fort; [627] worauf ihm Adam wieder in fünffüsssigen aber männlich gereimten Trochäischen Versen antwortet:

 

– v – v – v – v –

Sorgenvoll:

Lieber Mensch, so du noch dechst der red

Welch ich dir von meiner sünde thet

Hettstu mich nicht weiter dörffen fragen

Dennoch aber will ichs dir noch sagen

Oben hast gehört, wie mirs ergieng

Da ich mich an GOtts Gepot verfieng.

...

 

Adam antwortet ihm hierauf in vierfüssigen Jamben, nur mit weiblichen Reimen, so daß diese so wohl als die vorhergehenden Verse Sorgenvolls neunsylbigt sind.

 

v – v – v – v – v

Sorgenvoll:

O Adam so ich recht betrachte

Dein Red, zimpts nicht, das ichs verachte

Obs mein vernunfft wohl nicht verstehet

Vnd der natur sehr schwer eingehet

Dß ich nicht sol im sause leben

So ill ichmich doch drein ergeben.

...

 

In dieser Rede wendet sich der Arme von Adam zum Isaac, der ihm bald darauf in trochäischen siebensylbigten männlich gereimten Versen antwortet:

 

– v – v – v –

Isaac:

Lieber Mensch dein frag ich hör

Und vernimm wol dein begehr,

Daß du gern getröst wolst sein,

Inn der großen armut dein

Und dazu in theurungs not

Welche euch itzt sendet GOtt.

...

 

So redet er fast zehn Seiten lang, und der arme [628] Mann antwortet ihm gleichfalls in siebensylbigten aber jambischen weiblich gereimten Versen:

 

v – v – v – v

Sorgenvoll:

O lieber Isac deine

Vertröstung ist nicht kleine

Drum kan ichs nicht verachten

Noch weiter anders trachten

Denn das uns GOtt wöll nehren

Vnd alle Notturft bscheren.

...

 

Am Ende dieser Rede wendet er sich zum Jacob, der ihm in zehnsylbigten Trochäischen Versen mit weiblichen Reimen antwortet, dergleichen wir schon oben gehabt: weswegen wir keine Probe davon anführen wollen. Eben so antwortet der Arme hernach in achtsylbigten jambischen, womit er sich zu Mose wendet. Dieser brauchet die neunsylbigten Trochäischen wieder in einer neunzehn Seiten langen Rede, die wir auch schon oben gehabt. Auf eben die Art kommen die Gespräche mit dem Elias, Elisa, der Wittwe, und endlich mit dem HErrn Christo, in lauter solchen Arten, als wir schon oben gesehen haben, bis an das Ende des ganzen Buches.

Nun überlassen wir es unsern Lesern selbst zu erwegen, wie zart das Gehör, und wie groß die Kunst und Geduld unsers alten Plauenschen Dichters gewesen, der bereits vor zweyen Jahrhunderten auf zwölferley Arten deutsche Verse zu machen gewust. Dieses ist in der That etwas, womit wir Italiäner und Franzosen völlig beschämen können.

Denn vors erste siehet man hieraus klärlich, daß unsre Sprache, schon in ihrer damaligen rauhen Beschaffenheit, desjenigen kunstrichtigen Sylbenmaasses [629] fähig gewesen, welches die Griechischen und Lateinischen Gedichte so wohlklingend gemacht, daß sie auch ohne die Reime den höchsten Grad ihrer Schönheit und Vollkommen­heit haben erlangen können. Diese Fähigkeit aber sprechen ja obgedachte beyde Nationen ihren Sprachen selber ab, wie man in des Lami Art de parler, und in des Herrn Rollin Maniere d'etudier les belles Lettres etc. nachsehen kan. Sie müssen also unsrer Sprache, auch wieder ihren Willen, einen grossen Vorzug hierinn einräumen, wo es anders wahr ist, was der Verfasser der Sevarambischen Geschicht von dem majestätischen Wohlklange der Griechischen und Lateinischen Gedichte urtheilet. Diesen spricht er aus Unwissenheit der deutschen Sprache, allen heutigen Sprachen ab, und nennt sie deswegen barbarisch. Eben dergleichen Urtheil hat auch der gelehrte Ritter Temple in seinen vermischten Werken von dem Sylbenmaasse der Alten gefället. Aber dieser hat auch, aus Unwissenheit unsrer Sprache, davor gehalten, daß die Poesie der heutigen Völker nur in einem barbarischen Reime bestünde, den die alten Griechen und Römer so sorgfältig vermieden hätten.

Vors andre aber können wir diesen unsern so trotzigen Nachbarn dadurch zeigen, daß die ersten unter ihren guten Dichtern, Dantes und Petrarcha, Ronsard und Marot, kein so zärtliches Gehör gehabt als die unsrigen: Indem sie sonst unfehlbar auch in den Italienischen und Französischen Wörtern wohl einen Unterscheid in der Länge und Kürze der Sylben gefunden haben würden. Denn von diesen ersten Mustern kommt es her, daß auch ihre Nachfolger sich an einem unbestimmten Wohlklange vergnüget, der sich in keine [830] Regeln bringen läßt, und ein ewiges je ne sai, quoi? bleiben wird. Denn wenn sie gleich noch so viel von dem Nombre und Accent, der Cadance und Harmonie reden: So wissen sie sich doch niemals zu erklären, was sie durch diese schönen Wörter recht sagen wollen. Sie haben auch nicht Ursache, dieses genaue Sylbenmaaß in der Dichtkunst vor eine Kleinigkeit zu halten. Denn warum wollten sie an der deutschen Poesie dasjenige verachten, was sie an der Griechischen und Lateinischen als eine Vollkommenheit ansehen und bewundern müssen? Das würde ja gar zu partheyisch seyn! Und wenn sie die Natur des Gehöres nur ein wenig kennen: So kan ihnen ja nicht unbekannt seyn, daß in demselben die geringsten Kleinigkeiten etwas zum Wohlklange oder Ubelklange beytragen. Die Music, so sie auf den höchsten Gipfel der Vollkommenheit getrieben haben wollen, hätte sie längst davon überführen können. Gleichwohl ist es nicht geschehen, und ihre Verskunst ist also wirklich einer lahmen Tänzerin ähnlich geblieben, die in allen ihren Tacten hinket, und fast keinen regelmässigen Schritt thun kan.

Endlich merken wir unsern Deutschen zu gut an, daß dieser ehrliche Rebhun ohne sein Verschulden in der rechten metrischen Verskunst keine Nachfolger unter seinen Landesleuten gefunden. Hans Sachse, der Nürnbergische Poet, hat sich nemlich so viel Mühe nicht gegeben, die Zahl und das Maaß der Sylben in seinen Versen so genau zu beobachten. Man findet freylich wohl auch in seinen Werken hie und da etliche jambische oder trochäische Zeilen, allein ohne Ordnung und Gleichförmigkeit, gleichsam als von ungefehr. [631] Und da dieser sich damals weit und breit berühmt machte, so hat sein Exempel dem Fortgange der Poesie bey uns Deutschen viel geschadet. Denn daher ist es eben gekommen, daß bis an Opitzens Zeiten die Barbarey in den unförmlichen Reimen noch geherrschet, und daß es dazumal geschienen, als ob er der erste wäre, der das Sylbenmaaß in deutschen Versen eingeführet hätte. Wir streiten deswegen diesem grossen Manne seinen Ruhm nicht ab. Es kan leicht seyn, daß ihm dieses kleine Werkchen nicht zu Gesichte gekommen. Und gesetzt, daß er es gesehen hätte: So hat er doch ausser dem Sylbenmaasse auch die ordentliche Vermischung männlicher und weiblicher Reime, den Abschnitt in den fünf und sechsfüssigen Jamben, und andre solche Dinge mehr eingeführet, die einen Vers angenehmer machen: Der innerlichen Schönheit seiner Gedichte itzo nicht zu gedenken.

Wir nehmen uns aber hier abermal eine Gelegenheit zu erinnern, wie sehr uns einige heutige Poeten wieder zu der Barbaren unserer Voreltern zurücke führen, die so wohl Sylbenmaaß und Abschnitt, als auch die gleiche Länge der Zeilen in Versen, oder doch die gleiche Abwechselung derselben, in allen Strophen ganz aus den Augen setzen. Sie machen nemlich dadurch, daß die gebundene Rede vor der ungebundenen weiter nichts, als einen hier und da klappenden Reim zum Voraus behält; der aber auch zuweilen so weit verworfen wird, daß man ihn mit vieler Mühe suchen muß. Wir wollen also solche faule Dichter zu dem alten Plauenschen Rebhun in die Schule schicken. Dieser wird ihnen die Nachahmung der alten Griechen und Römer anpreisen, nicht aber die Nachlässigkeit der Italiäner und Franzosen blindlings nachzuäffen Anleitung geben.