BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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Würde nur meine Aufmerksamkeit nicht so oft nach Aussen hingelenkt! Aber Paris! Der vielen zerstreuenden Dinge kann ich nun nicht besser los werden, ich banne sie denn; aus dem Kopf auf das Papier, das heißt: ich schreibe sie nieder.

Heute ging ich längs dem Boulevard Montmartre, oder lief vielmehr, denn dieses tolle Geschwirre, dieses sich einander Angaffen wird mir stets widerlich seyn. Da überfällt mich oft eine Angst, eine unbeschreibliche Angst, und der Seufzer: wird denn nicht einmal Ruhe werden? ist mein Stoßgebetlein! –

Da die Familie G… eine Stunde von meiner Wohnung entfernt lebt, und ich mich wohl in ihrer Nähe fühle, so benütze ich oft eine Ecoßaise. Ein großer Vorteil für Paris sind diese öffentlichen Wagen. Hier giebt es Citadines, Omnibus, Favorites, Trisicles, Dame blanche etc. Jeder mit zwanzig Personen beladen, fährt alle fünf Minuten von seinem Quartier ab. Die Conducteurs stehen unter der Thür des Noahkastens, umher spähend, weshalb auch meistens ihre Augen schielen; es ist wirklich so. – Welch ein buntes Leben, das der Boulevards! da kniet mitten im Wege ein Blinder und deklamirt: «quelle triste vie que d'être aveugle!» Neben ihm dampft ein Kochherd, es prasseln Waffeln  in  der  Pfanne,  und  wieder  dicht  bei  dieser  schreit  eine  gellende  Stimme:  «la  pièce  à  dix  sous!  rien de meilleur! nouvelle invention!» Dort  schreitet  feierlich,  in  zerrissenen  Mantel  malerisch  gehüllt,  ein  armer  Grieche,  mit  schönem  langen  Barte.  Hier  duften  so  eben  ein  Duzend  Elegants  an  mir  vorüber,  und  ein

 

rußiger Savojardenjunge, der die Straße kehrt, klappert in seinen Holzschuhen auf mich los, wirft mir ein Küßchen zu, und ruft: «un sou! un sou! ma belle Dame, ça vous portera bonheur!» Dann verfehle ich nicht, das Verlangte ihm zu geben, denn sonst weh mir! ein freundschaftlicher Staucher mit dem Besen wäre mein Abschiedsgruß! Links zu meiner Seite seh' ich sogar, o Wunder! den Sklaven Afrika's zu einem allerliebsten Stutzerchen formirt. Das Mohrenantlitz ist in artigen Vatermördern eingezwängt. Die mit Manchetten garnirte Hand hält nachläßig eine zierliche Reitgerte, und selbst das krause Haupthaar mußte unter den Zauberhänden eines Pariser Künstlers der künstlichen Haarausbildung sich schmiegen und biegen. Das muß man aber den Franzosen lassen – was das reformiren, projectiren, revoltiren und frisiren anbetrifft, da sind sie einzig in ihrer Art. Aus nichts wird doch noch Etwas heraus raffinirt, und dabei die Tendenz: «nous ne voulons pas le beau, mais le nouveau!» –

So interessant ich die Boulevards finde, so langweilig die Tuilerien. Hier sind die Rendez-vous der Coquet­ten-Welt und der Sammelplatz für Müssiggänger. Du erinnerst Dich vielleicht der zwei großen Bassins in dem Garten? Nun! sobald diese nur mit einer dünnen Eisrinde bedeckt sind, treiben Gassenjungen hier ihr Gewerbe. Sie retten sich nämlich bald auf dieses, bald auf jenes sich los­gerissene Stück Eis, und das größte Fest für die vielen hun­dert Menschen, die in vierfachen Reihen die Bassins um­stehen,  ist,  wenn  einer  von diesen Vauriens unter­taucht. Da  regnet  es  Sous  von  allen  Seiten  auf  die  halb erfror-

 

 


 

Ecossaise-Kutsche

Savojardenjunge

 

Paris um 1830. Im Vordergrund die beiden Bassins