BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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nen Jungen und so dauert dieß Schauspiel bis spät am Abend fort. Das gehört denn auch zu den Wintervergnügungen des Pariser Volkes, dem ich freilich wenig Geschmack abgewinnen kann. Desto mehr ergötze ich mich an den herrlichen Blumen, die allenthalben hier zur Schau ausgestellt sind und mitten im Winter einen Frühling en miniature hervorzaubern. Ueberall für ein Paar Sous die schönsten Bouquets von Rosen und Veilchen – und wie geschmackvoll sind sie geordnet! – Uebrigens meldet sich auch jetzt schon der wirkliche Frühling gar lieblich an, – er wird mir die Blüthen wohl noch wohlfeiler zu kaufen geben, als die Pariser Blumenhändlerinnen.

 

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Gestern Abends holte mich meine liebe H… zu einem Besuch ab. Im Nachhausegehen ward mir ein betrübender Anblick. Es war Nacht geworden und durch das Gerassel der Wagen erklang, von einer Straßenecke her, eine wehmüthige Stimme und sang ein ernstes Lied. Nach dieser Stelle blickend, erkenne ich eine Frau, anständig gekleidet, das Gesicht mit einem großen, schwarzen Schleier verdeckt. Die Vorübergehenden warfen ihr einige Gaben zu. Auch ich beklagte sie in meinem Herzen und mich selbst, ihr nicht helfen zu können. – Von der Kammerfrau der Lady N… begleitet, machte ich kürzlich  einige  Besuche  bei  Kranken;  ein  Arzt,  der  die  Winkel des  Elends  kennt,  hatte  mir ihre  Wohnung  aufge­zeich­net. Spät  am  Abend  gelangten  wir  in  ein  enges  Stüb­chen, wo ich  einen sterbenden  Mann, von mittlern Jahren,

 

antraf. Seine kalte Hand erfaßte die meinige und seine bläulichen Lippen bewegten sich. um das Bette her spielten Kinder von vier bis sechs Jahren, unbekümmert um den kranken Vater. Erstaunt fragte ich, ob er Niemanden zu seiner Pflege habe? Die Antwort war, daß die Frau fort sey, um etwas zu verdienen. Als wir nach Hause fuhren, schimmerten bereits die feenartig aufgeputzten Magazine der Boulevards. Geschmückte Damen und Herren drängten sich in bunten Reihen, als sey der Tag zu all den Thorheiten nicht einmal lang genug! Und dies jetzt in dieser ernsten, verhängnißvollen Zeit, wo die fürchterlichste aller Krankheiten von Haus zu Haus; von Straße zu Straße schleicht, wo keiner der fröhlichen, glänzenden Spaziergänger weiß, ob ihn nicht schon der nächste Tag vor dem Richterstuhl Gottes findet, wo er Rechenschaft ablegen muß von seinem Leben, ob er nicht in dem Augenblick des Genußes schon von dem tödtlichen Hauch angeweht wird!! – Im Ganzen hör' ich wenig von der Cholera; man vermeidet davon zu sprechen, weil man sich vor der Furcht fürchtet, und es wahr könnte werden, was Shakespeare sagt: aus Furcht zu sterben ist er gar gestorben! Das Wort Cholera ist wie eine böse Zauberformel, die sogleich Stillschweigen in die lebhafteste Gesellschaft bringt, doch denkt Jeder heimlich daran, und wen sollte nicht der Schauer des Todes fassen, wenn er Tag und Nacht die schwarzen Wägen in größter Eile durch die Strassen rasseln hört. Gute Nacht! Gott nehme uns Alle lebend und sterbend in seinen allmächtigen Schutz!

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Geschmückte Damen und Herren drängten sich in bunten Reihen, als sey der Tag nicht lang genug!