BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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„deutsche Räuber ihr!“ „Du Schneider aus England, du!“ tönte es ihm aus vielen Kehlen nach. Man muß aber diese ästhetische Theefigur selbst sehen, und dieß in gebrochenem Deutsch vortragen hören. Ja, je mehr ich über England nachdenke, je mehr finde ich in allen Stücken, daß es das Land der Extreme ist. Der Himmel hat z. B. das Extreme der Traurigkeit und so fort. Man ist entweder überreich oder erbärmlich arm, regelmäßig schön, oder ein Ausbund von Häßlichkeit, unbegreiflich vernünftig oder herzlich albern, kurz ich vermisse hier den Mittelweg meines sinnigen, nüchternen und doch poe­tischen Deutschlands. Ein Jeder hat so seinen spleen à part. Am meisten leiden sie an hohen Gedanken von sich selbst. Neulich erzählte mir ein Gentleman: er spiele meisterhaft Klavier, ein Zweiter: er sey geistreich. – Was die Lebensweise der noblen Engländer betrifft, so vergleich' ich sie stets mit der türkischen. Erstens ihr Bedürfniß nach starken Getränken, was selbst die Frauen theilen, die Malaga wie Wasser trinken; dann ihre gewöhnliche Geistes- und Körper-Trägheit, ihr Gleich­muth, ihre Gefühllosigkeit, ihr uncultivirter Sinn für die Musik, mancher ihrer Gebräuche, wie z. B. daß nach jedem Diner, und selbst dann, wenn Frau und Mann allein speisen, die Frau nach dem Dessert sogleich davon schleichen muß, um den Gemahl in seiner weitern Flaschen-Philosophie nicht zu stören. Ist es nicht sogar begreiflich, daß der Engländer durch steten innigen Verkehr mit dem Orient etwas Orientale werde, nämlich im Wohlleben?

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Da ich so wenig Zeit für mich habe, so mußte ich, diesen Brief fortzusetzen, bis heute warten. Seitdem machte ich einen Ausflug nach I., der Besitzung des Lords S ..., und auch das große Dejeuner hatte statt gefunden. Wir fuhren in sechs Wagen, Damen und Gentlemans zierlich geschmückt, einen Weg von drei Stunden. Der Park, durch den wir zuerst kamen ist nicht großartig, aber gleichwohl reich an schönen Parthieen. Das House im gothischen Styl, gleicht einem Kloster und ist dicht mit Epheu bewachsen; im Innern allerliebst, hier ein großer Salon, dort eine schöne Bibliothek. Die erste Quadrille tanzte ich, da half kein Widerstreben, mit dem Bruder des Hausherrn und dann mit letzterem mehrere Male. Sein Pfarrer war besonders freundlich gegen mich, wahrscheinlich, da ich mich heute, wie sonst, seines Deutsch erbarmte. Aber demohngeachtet hatte ich oft Zeit, mich ernsteren Betrachtungen zu überlassen. Die Nach­richt, daß die Herrschaft des Schlosses Dungannon durch diese Gegend komme, hatte die meisten unterirdischen Hütten-Bewohner hervorgelockt. Ach! welche Jammer­gestalten! Selbst jene jugendliche Gestalt ist zusammen­gedrückt. Da wundere ich mich nicht, so viele zerstörte Schlösser zu sehen. Aber was hilft es. Die Reichen prassen fort und ein Volk muß für sie darben. Das Herz möchte einem vor Wehmuth brechen. Ich verließ den Saal, um den Park zu durchwandeln. Auf einer Wiese lagen fünfzig zerlumpte  Arbeiter  (Vasallen),  denen  eben  das  Abend­brod  zugetheilt  war.  Diesmal  bekamen  sie  Wein  und  Bier,  und  schrieen  wilde  Vivats in ihrer Art und Sprache.

 

 


 

Aber was hilft es. Die Reichen prassen fort und ein Volk muß für sie darben.