BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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hatte, ein Stückchen Biscuit. Aber nun waren auch die Herzen mein. Ein Betteljunge umplärrte unsren Wagen oder eigentlich sang er vom Ruhm „de l'homme des Pyramides“, vom großen Mann mit kleinem Hütchem was mir herzlich wohl gefiel. Ich fing an mir Vorwürfe zu machen. So! dachte ich, den Nationalsänger Béranger magst du leiden, weil er sich des armen Volkes annimmt, und du kleines Ding willst gleich das Näschen rümpfen, wenn so eine schlechte Hülle nicht deine Sinne bestechen kann? Pfui doch! Wie mußte ich mich schämen! Ein Marquis, englischen, französischen oder deutschen Geschlechts, gleichviel, hätte vielleicht durch seine Albernheiten mich umpestet – hier hörte ich harmlose Scherze, und ich gedachte jener Worte des Sängers:

„Qu'un peuple est grand qui, pauvre, gai, modeste

Seul maître, après tant de sang et d'efforts,

Chasse en riant des princes qu'il deteste,

Et de l'état garde à jeun les trésors!“

 

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Um Mitternacht öffnete der Conducteur den Wagen, mit dem Vorschlag, ob ich den Berg ersteigen wollte? Leichtfüßig wie ein Reh, sprang ich hinaus. Bald war der Berg zu Ende. Ach! die Wagenschlucht erschloß sich mir von Neuem, und tiefseufzend sagte ich: „Hélas! j'aimerais être conducteur, pour jouir du grand air!“ Sein Franzosenherz   war   bald   erweicht.   Eh   bien,   Ma­dame!   Donnez   vous   la   peine   de monter,   je vous ferai   place.   Ich   schwebte  vor  Freude.  Er  deutete nach

 

Oben, nach seinem zwei Etagen hohen Thurm, und kaum hörte ich die gute Lehre: nicht zu fallen, denn wie das niedlichste Kätzchen kletterte ich hinan. Man bewunderte meine gymnastische Fertigkeit, ich aber gab Bescheid Ach! seufzte ich, 's war aus Verzweiflung, denn wär' ich doch bald erstickt in dem Kasten da. Das Wort Verzweiflung: désespoir! machte meinen Retter so herzlich lachen und guten Muthes, daß er mir meine Herberge so bequem als möglich machte. Rings um mich her, nämlich hinter einem Vorhange, schnarchte es in vollem Chor – ich wagte nicht umzublicken. Die Angst mir zu vertreiben, studirte ich etwas Astronomie. Ich fand den Gürtel des Orion heraus und den Jupiter und endlich sogar die Milchstraße. Dann sang ich, mezza voce, in die kühle Nachtluft hinaus manches heimathliche Liedchen. Der Morgen brach an, und nun wollte jede von den Frauen meinen lustigen Thron theilen. „Da wird nichts daraus!“ meinte mein großmüthiger Retter, „die Dame da hat den Muth gehabt, die Nachtluft einzuathmen, nun soll sie auch die Morgenluft haben!“ Und dabei blieb's. Als die Sonne immer höher stieg, sah ich von Ferne den mir bezeichneten Kirchthurm als Wahrzeichen, und nun war ich an Ort und Stelle. Ich verließ den Wagen, und bog rechts in eine Allee von Nußbäumen. Dort ein schwarzes Gitter und friedliches Gebäude. Hinter den grünen Jalousieen rechts stand eine weibliche Gestalt in Morgenkleidung. Rasch hör' ich das Fenster  schließen,  und  bald  die  Stimme  meiner  gelieb­ten   Josephine,   welche   ruft:   „viens,   ma   petite,   que je    t'embrasse!“    Bald    fielen   wir   uns   um   den   Hals,

 

 


 

«Qu'un peuple est grand qui, pauvre, gai, modeste», eine Strophe aus Bérangers Les Tombeaux de Juillet.

 

 

Pierre-Jean de Béranger

(1780 - 1857),

ein seinerzeit gefeierter

französischer Lyriker

 

 

Diligence mit «Turm»