BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adolf von Düring

1880

 

Die Canterbury-Erzählungen

 

Fragment III

 

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Erzählung des Büttels.

Vers 1412 - 1997

 

 

Es liegt – ihr Herr'n! – ein marschenreiches Land

In Yorkshire – denk' ich – Holderneß genannt.

In diesem trieb ein Bruder kreuz und quer

Stets predigend und schnurrend sich umher.

Und es geschah, daß er auf seiner Fahrt

In einer Kirche nach gewohnter Art

Dem Volke predigte: nicht zu vergessen,

Für ihre Todten dreißig Seelenmessen

1420

Singen zu lassen und vor allen Dingen

Für heil'ge Bauten Gaben darzubringen,

In denen Gott man diene, man verehre,

Nicht wo man nur verschwende, nur verzehre

Und wo nicht Noth vorhanden, was zu geben,

Wie reichdotirten Mönchen, die zu leben

– Gedankt sei Gott! – mehr als genug schon hätten.

„Seht! dreißig Seelenmessen“ – sprach er – „retten

Aus aller Pein die alten wie die jungen

Von Euren Freunden, sind sie rasch gesungen;

1430

Für leicht und lustig haltet keinen Priester,

Falls täglich mehr als eine Messe liest er.

Um Christi Willen! eilt Euch zu befrei'n

Die Seelen“ – rief er – „aus der Höllenpein!

Es ist zu hart, auf Gabeln und auf Zacken

Dort aufgespießt zu brennen und zu backen!“

Und hatte dieser Bruder nach der Predigt

Die Kirchengänger ihres Gelds entledigt,

So blieb er auch nicht länger an dem Ort;

Sprach: „qui cum patre“ und zog weiter fort,

1440

Hochaufgeschürzt, mit Stab und Bettelsack. –

In jedes Haus er seine Nase stak

Und bat um etwas Käse, Mehl und Korn.

An einem Stab mit einem Griff von Horn,

Zog sein Kumpan mit, der von Elfenbein

Schreibtafeln trug, in die er nur zum Schein

Mit blankem Stift der Geber Namen schrieb,

Als ob er sagen wollte: Euch zu Lieb'

Will ich gewiß nicht mit Gebeten geizen.

„Gebt etwas Gerste, Korn uns oder Weizen!

1450

Ein Gottesprezlein, einen Käseschnitt!

Gebt, was Ihr wollt! Wir nehmen Alles mit,

Den Gottesheller und den Messepfennig!

Ein Stückchen Leinen, etwas Schinken – wenn ich

Darum ersuchen dürfte – liebe Dame

Und theure Schwester! – Hier steht Euer Name!

Speck oder Rindfleisch, jedes Ding ist recht!“

Ein dicker, rüpelhafter Herbergsknecht

Ging hinterdrein, den Schnappsack auf dem Nacken,

Um alle Gaben darin einzupacken.

1460

Doch kaum war er zum Thore noch hinaus,

So wischt' er schon die Namen wieder aus,

Die er soeben in die Tafeln schrieb;

Denn Trug und Lug war Alles, was er trieb.

„Das lügst Du, Büttel!“ – fiel der Bruder ein.

„Um Christi Willen! wollt Ihr ruhig sein!“

– Rief unser Wirth – „Verschweige nichts, erzähle!“

Der Büttel rief: „Das will ich, meiner Seele!“

Lang' zog er so von Haus zu Haus, bis er

An eine Wohnung kam, wo man zeither

1470

Ihn stets willkommen hieß und gern erfrischte,

Wenn er den Mund bei hundert Andern wischte.

Doch krank darnieder lag der Herr vom Haus.

„O, Deus hic! Freund Thomas! wie sieht's aus?“

So sprach mit Höflichkeit in sanftem Tone

Der Bettelmönch. – „Thomas! daß Gott Euch's lohne;

Oft hab' ich hier auf dieser Bank gesessen

Und manchesmal vergnügten Sinns gegessen.“

Und damit trieb er von der Bank die Katze,

Stock, Hut und Ranzen gleich an ihrem Platze

1480

Dort niederlegend, setzt' er dann sich hin.

– Sein Mitgeselle war vom Hausknecht in

Die Stadt zu einer Herberge gebracht,

Wo er zu bleiben dachte für die Nacht. –

„O, theurer Meister!“ – sprach der kranke Mann –

„Wie ging es Euch, seitdem der März begann?

Ich sah Euch nicht zwei Wochen lang und mehr!“

„Gott weiß!“ – sprach er – „mich drückte Arbeit schwer!

Besonders aber sagte für Dein Heil

Ich manches köstliche Gebet derweil

1490

Und für die Freunde – schütz' sie Gott! – daneben.

In Eurer Kirche las ich Messen eben

Und predigte dort einfältig und schlicht.

Ganz nach dem Text der heil'gen Schrift war's nicht;

Denn die versteht Ihr – wie ich denke – schwerlich,

Und drum mach' ich durch Glossen Euch's erklärlich.

Glossiren ist von unschätzbarem Werthe;

Der Buchstab' tödtet! sagen wir Gelehrte;

Und darauf hab' ich Unterricht gegeben

Im Wohlthun und vernunftgemäßen Geben,

1500

Und sah auch unsre Frau. – Wo steckt sie nur?“

„Im Hofe draußen – denk' ich – vor der Flur.

Sie kommt sofort“ – erwiderte der Mann.

„Willkommen, Meister! Nun, bei St. Johann!“

– Sprach dieses Weib – „wie ging es Euch bislang?“

Und höflich sprang der Bruder von der Bank,

Um, zwitschernd, wie ein Sperling vor Entzücken

Sie abzuküssen und ans Herz zu drücken,

Und sprach: „Madam! es geht nicht allzu schlecht

Mit Eurem Diener und ergebnen Knecht.

1510

Dank sei dem Herrn! der Seele, sowie Leib

Geschenkt Euch hat. – Bei Gott! solch schönes Weib

Sah ich heut' in der ganzen Kirche nicht.“

„Ja,“ – sprach sie – „bess're Gott, was mir gebricht!

Doch, meiner Treue! mir willkommen seid Ihr!“

„Grand mercy, Frau! so fand ich's jeder Zeit hier!

Doch bitt' ich Euch, erlaubt aus Gütigkeit,

Daß ich mit Thomas eine kurze Zeit

Mich unterrede; nehmt es mir nicht krumm.

Die Pfarrer sind so nachlässig und dumm,

1520

Mit Zartheit die Gewissen zu traktiren.

Mein Müh'n ist Beichte, Predigt und Studiren,

Was Petrus und was Paulus uns erzählen.

Ich geh' und fische stets nach Christenseelen,

Um Jesus Christus seinen Zoll zu geben;

Sein Wort zu lehren, ist mein ganzes Streben!“

„Bei Eurem Glauben“ – sprach sie – „führt aus Güte

Ihm, lieber Herr, es tüchtig zu Gemüthe!

Er ist so wüthig, wie die Seichameise,

Geht es nach Wunsch ihm auch in jeder Weise.

1530

Ich decke Nachts ihn zu und halt' ihn warm

Und über ihn leg' ich selbst Bein und Arm,

Und dennoch grunzt er, wie ein Schwein im Stalle,

Denn ihm zu Dank mach' ich's in keinem Falle,

Und andre Kurzweil find' ich bei ihm nie!“

„O, Thomas! – Thomas! – Thomas! je vous dis,

Das schafft der Böse! Dir thut Bessrung Noth!

Wer zornig ist, verletzt des Herrn Gebot!

Wir reden später noch ein Wort darüber.“

„Nun, eh' ich gehe,“ – sprach das Weib – „mein Lieber,

1540

Was wollt Ihr essen? daß ich's kochen kann.“

„Frau, je vous dis sans doute“ – fing er an –

„Hab' ich von Eurem Weißbrod eine Schnitte

Und vom Capaun die Leber, so erbitte

Ich hinterher nur einen Schweinskopf mir.

– Um meinetwillen schlachte man kein Thier. –

Ich bin mit Euch bei Hausmannskost vergnügt,

Ich bin ein Mann, dem Weniges genügt,

Die Bibel giebt mir Nahrung fürs Gemüth,

Mein Körper aber ist stets so bemüht,

1550

Zu wachen, und das macht den Magen schwach.

Madam, ich bitte, tragt es mir nicht nach,

Daß ich Euch meinen Rathschlag nicht verhehle!

Da ich's, bei Gott! nur Wenigen erzähle!“

„Nun,“ – sprach sie – „eh' ich gehe, laßt Euch sagen,

Mir starb mein Kind in diesen vierzehn Tagen,

Ganz kurz nachdem Ihr aus der Stadt gereist.“

„Des Kindes Tod“ – sprach er – „sah ich im Geist

Zu Haus im Dormitorium, und darf sagen,

Es nach dem Tode himmelwärts getragen,

1560

Eh' eine halbe Stunde war entflohn.

Gott ist mein Zeuge! so war die Vision!

Auch unser Krankenwärter nahm es wahr

Und unser Glöckner, die schon funfzig Jahr'

Jetzt Brüder sind und die durch Gottes Walten

In Rüstigkeit bald Jubiläum halten.

Gleich stand ich auf mit allen Klosterleuten,

Und ohne Lärm und ohne Glockenläuten,

Mit vielen Thränen netzend unsre Wangen,

Wir ein Tedeum und nichts weiter sangen.

1570

Nur daß zu Christo ein Gebet ich schickte

Zum Dank für das, was ich im Traum erblickte.

Ja, Herr und Frau! Ihr mögt mir beide traun:

Unser Gebet ist kräft'ger und wir schaun

Von den Mysterien Jesu Christi mehr

Als jeder Lai', und ob er König wär'.

In Mäßigkeit und Armuth leben wir;

Im Ueberfluß die Laien, die mit Gier

Nach Speis' und Trank und nach Vergnügen trachten,

Indessen wir die Lust der Welt verachten.

1580

Wie Lazarus und Dives einst hienieden

Verschieden lebten, war ihr Lohn verschieden.

Wer beten will, der faste, der sei keusch,

Mäste den Geist und halte knapp sein Fleisch.

Wir fahren – sagt die Schrift – und grobes Tuch

Und karge Kost sind für uns gut genug.

Wir Brüder fasten und sind rein; deßwegen

Nimmt Christus gnädig unser Fleh'n entgegen.

Ja, vierzig Tage lang und Nächte, sieh'!

Hielt Moses Fasten, eh' auf Sinai

1590

Zu ihm der Herr in seiner Allmacht sprach;

Durch langes Hungern leer im Leib und schwach,

Empfing er das Gesetz, das Gottes Hand

Geschrieben hatte. Eli – wie bekannt –

Fastete lange und hielt mit sich Rath'

Eh' sich auf Horebs Höhen ihm genaht

Gott, unser Arzt für alle Noth im Leben.

Und Aron, dem der Tempel untergeben,

Und alle andern Priester, Mann für Mann,

Sie durften, wenn der Gottesdienst begann

1600

Und sie zu beten und zu opfern hatten,

Aus keinem Grunde sich Getränk verstatten

Von solcher Art, um trunken sie zu machen;

Sie mußten beten, fasten dort und wachen

Bei Todesstrafe. – Lern' es wohl verstehn!

Sie hatten nüchtern für das Volk zu flehn.

Das halte fest! – und nun genug davon!

Im Fasten und im Beten gab uns schon

Der Herr ein Beispiel, wie die Schrift erzählt;

Weßhalb wir Bettelbrüder auch vermählt

1610

Der Armuth sind und der Enthaltsamkeit,

Der Liebe, Demuth und der Mäßigkeit.

Wir müssen jede Fleischeslust vermeiden,

Verfolgung um der Wahrheit willen leiden

Und flehn und weinen. Darum – wie Ihr seht –

Hört von uns Bettelbrüdern das Gebet

Auch Jesus Christ mit größerem Behagen

Als Euer Fleh'n bei Tisch- und Festgelagen.

Nicht lügen will ich! Aus dem Paradies

Des Fressens wegen Gott den Menschen stieß,

1620

Denn zweifellos war keusch noch sein Betragen.

Nun, Thomas, horche, was ich Dir will sagen!

Ich habe keinen Text – soviel ich weiß –,

Doch mittelst Glossen führ' ich den Beweis,

Daß ohne Zweifel Christ, der Seligmacher,

Uns Brüder meinte, als die Worte sprach er:

Wer arm an Geist ist, der wird selig sein!

Die heil'ge Schrift zeigt Dir ganz allgemein,

Daß unser Stand bei weitem vorzuziehn

Jedwedem ist, dem Erdengut verliehn.

1630

Pfui ihrem Pompe! ihrem Fressen, pfui!

Pfui ihrem Stumpfsinn! ich verachte sie!

Sie gleichen – wie mich dünket – Jovinian,

Fett wie ein Wallfisch, taumelnd wie ein Schwan,

Voll Wein, wie Flaschen in den Vorrathskammern!“

Wie gottgefällig muß ihr Fleh'n und Jammern

Zum Himmel dringen, heißt der Psalm von David

Bei ihnen: „Buff! – Cor meum eructavit!“

„Wer folgt dem Wort und Beispiel Christi hier

In Demuth, Keuschheit, Armuth, mehr, als wir,

1640

Die Gottes Worte thun und darnach leben,

Nicht hören bloß? – Wie sich die Falken heben

Hoch in die Luft auf mächtigen Gefiedern,

Nimmt von uns keuschen, liebethät'gen Brüdern

Zu Gottes Ohren das Gebet den Flug!

Beim heil'gen Ivo! wahrlich schlimm genug,

O, Thomas! Thomas! würd' es um Dich stehn,

Wenn wir als Bruder Dich nicht angesehn.

Wir beteten im Kloster Tag und Nacht:

Es möge Christus Deines Leibes Macht

1650

Dir wiedergeben und die Glieder stärken.“

„Bei Gott!“ – rief er – „davon ist nichts zu merken!

Bei Christi Heil! an alle Bettelorden

Ist manches Pfund von mir verschwendet worden

In kurzer Zeit, und Alles schlägt nicht an!

Was ich besaß, hab' ich beinah' verthan;

Fahr' hin mein Gut; Nichts ist mehr mein geblieben!“

„O, Thomas!“ – rief er – „hast Du's so getrieben?

Was läufst Du hinter andern Brüdern her?

Wer einen guten Arzt besitzt, braucht der

1660

Sich in der Stadt nach andern umzusehn?

Dein Unbestand kommt Dir noch schlimm zu stehn!

Wie? das Gebet von mir und dem Kapitel

Hältst Du für ein so unwirksames Mittel?

Bleib', Thomas, mir mit solchen Flausen fern!

Du kargst mit uns – da sitzt der Krankheit Kern.

Doch, diesem Kloster etwas Korn zu schenken,

Mit zwanzig Groschen jenes zu bedenken,

Und jeden Bettelmönch zu unterstützen,

Nein, Thomas, nein! das kann zu nichts Dir nützen!

1670

Wenn erst ein Heller in zwölf Theile geht,

Wo bleibt sein Werth? – Ein Ding, das ganz besteht,

Ist stärker, als was man in Stücke bricht.

Nein, Thomas! schmeicheln kann und will ich nicht:

Du möchtest unsre Arbeit ohne Geld! –

Jedoch sagt Gott, der Schöpfer aller Welt:

Der Arbeitsmann sei seines Lohnes werth!

Thomas! ich habe Nichts für mich begehrt.

Nein! Alles kommt dem Kloster nur zu gut,

Das im Gebete für Dich nimmer ruht,

1680

Sowie dem Kirchenbau zu Gottes Ehren;

Und über diesen kannst Du Dich belehren

Aus einem Werke, wo vom heil'gen Leben

Thomas von Indiens ist Bericht gegeben.

Sieh'! Du liegst hier voll Aerger und voll Wuth,

Durch die der Teufel setzt Dein Herz in Gluth,

Und schiltst Dein Weib, die ohne jede Schuld,

Voll Güte ist und heiliger Geduld.

Drum, Thomas! schenke treulich mir Gehör:

Das Beste ist, du zankst mit ihr nicht mehr.“

1690

Und im Gedächtniß trag' Du immerfort

In dieser Hinsicht eines Weisen Wort:

„Kein Löwe sei in Deinem eignen Haus,

Jag' Deine Freunde nicht zur Thür hinaus,

Und unterlaß, Dein Hausgesind' zu drücken!“

Thomas! wie oft hatt' ich Dir's vorzurücken:

Sei vor dem Zorn, der Dir im Busen ruht,

Sei vor der Schlange stets auf Deiner Hut,

Die schlau im Grase kriecht und plötzlich sticht!

Mein Sohn, beherzige, vergiß es nicht,

1700

Daß Zwanzigtausend schon den Tod erlitten,

Weil sie mit Kebsen und mit Weibern stritten!

Du hast ein sanftes frommes Weib gefreit;

Weßwegen suchst Du, Thomas, mit ihr Streit?

Denn sicherlich so falsch ist keine Schlange,

Die auf den Schwanz getreten wird, und lange

So grausam nicht, als wie ein Frauenzimmer

In ihrem Zorn; auf Rache sinnt es immer!

Der Zorn ist eine von den sieben Sünden,

Die Gnade nie vor Gott im Himmel finden,

1710

Und ins Verderben reißt er Dich fürwahr!

Ein jeder schlichte Pfarrer und Vikar

Sagt Dir, daß Zorn, als Sohn vom Uebermuth,

Der Vater wird von viel vergoss'nem Blut.

Wollt' ich erzählen von den manchen Sorgen,

Die Zorn uns bringt, so währt' es wohl bis morgen.

Und deßhalb bitt' ich Gott bei Tag und Nacht:

Dem zorn'gen Manne geb' er wenig Macht.

Es ist ein Jammer und ein großes Leiden,

Wenn zorn'ge Männer hohen Rang bekleiden.

1720

Ein Richter lebte – sagt uns Seneka –

Der zornig war. Und eines Tags geschah,

Daß von zwei Rittern, die durch Zufall grade

Zusammen zogen auf demselben Pfade,

Der eine heimkam und der andre nicht.

Gleich schleppte man den Ritter vor Gericht,

Und der erwähnte Richter sprach sodann:

„Du tödtetest den andern Rittersmann!

Drum mußt Du sterben!“ – Und darauf gebot

Er einem andern Ritter, ihn zum Tod

1730

Zu führen. – Doch, vom Richtplatz nicht mehr fern,

Sah auf dem Wege man denselben Herrn,

Den man für todt gehalten, noch lebendig.

Und mithin dachten sie, es sei verständig,

Sie abermals dem Richter vorzustellen,

Und sprachen: „Herr! er hat den Mitgesellen

Nicht umgebracht. Hier steht er lebend noch!“

„Bei Gott!“ – rief er – „des Todes seid ihr doch!

Eins, zwei und drei, ihr alle, Mann für Mann!

Du bist“ – fuhr er den ersten Ritter an –

1740

„Des Todes, weil Dein Urtheil schon gefällt!

Du aber wirst ihm gleichfalls beigesellt,

Denn jenes Ersten Tod liegt Dir zur Last.“

Und zu dem Dritten sprach er: „Und Du hast

Nicht ausgeführt, wozu Befehl gegeben!“

Und so verloren alle drei ihr Leben.

Der zornige Cambyses zechte gern

Und hielt sich selber für den klügsten Herrn.

Und im Vertrauen sprach zu ihm einmal

Ein Kammerjunker, welcher die Moral,

1750

Sowie die Tugend immerdar geliebt:

„Weh'! einem Herrn, der Lastern sich ergiebt!

Die Trunkenheit, die keinen Menschen ziert,

Verunziert den besonders, der regiert.

Es blickt manch Auge, und es lauscht manch Ohr

Ganz im Geheimen zu dem Herrn empor.

Ach, Gott zu Liebe, halt' mit Trinken ein!

Nur gar zu elend kann Genuß von Wein

Die Kraft des Geistes und der Glieder lähmen.“

„Im Gegentheil!“ – ließ jener sich vernehmen –

1760

„Ich werde Dir beweisen durch die That,

Daß Wein nicht immer diese Wirkung hat.

Es ist auf dieser Welt kein Rebensaft

So stark, mich zu berauben meiner Kraft!

Mir lähmt er weder Auge, Hand, noch Fuß!“

Und immer toller soff er aus Verdruß,

Wohl hundertfach, was er zuvor genossen.

Und darauf ließ des Ritters Sohn und Sprossen

Der Wüthrich holen, der kaum vor ihm stand,

Als er zum Bogen griff und mit der Hand

1770

Straff bis ans Ohr hinan die Sehne spannte

Und auf den Knaben seinen Pfeil entsandte.

„Nun“ – sprach er – „sieh'! ob ich noch sicher bin

Mit meiner Hand? Ist mein Verstand dahin?

Hat mir der Wein benommen das Gesicht?“

Des Ritters Antwort meld' ich weiter nicht.

Sein Sohn war todt – Was braucht's der Worte viel?

Mit großen Herr'n treibt man gefährlich Spiel!

Da singt: Placebo; und die Wahrheit sprecht

Bei Armen nur. Denn es ist gut und recht,

1780

Der Armuth Laster frei zu offenbaren,

Doch große Herr'n – die laßt zur Hölle fahren!

„Hast Du vom Zorn des Cyrus schon gehört,

Des Persers, der den Gyndes hat zerstört,

Weil ihm sein Pferd in diesem Strom ertrank,

Als er im Kriege Babylon bezwang?

So klein und winzig macht er diesen Fluß,

Daß Weiber ihn durchwateten zu Fuß.

Horch! was sagt Er, der so viel lehren kann?

Schließ' keine Freundschaft mit dem zorn'gen Mann

1790

Und zieh' nicht eines Weges mit dem Tollen!

Sonst wird Dich's reun. – Und damit, Thomas, wollen

Wir schließen. – Bruder, thu' den Zorn von Dir!

Du findest stets Gerechtigkeit bei mir.

Setz' auf die Brust Dir nicht des Teufels Messer!

Der Aerger macht die Schmerzen Dir nicht besser.

Komm', beichte! – Doch aufrichtig mußt Du sein!“

„Beim heil'gen Simon!“ – rief der Kranke – „nein!

Gebeichtet hab' ich heute beim Vikar,

Ihm machte meinen Zustand ich ganz klar,

1800

Und mehr zu sprechen – sagt' er – sei nicht nöthig,

Wär' ich dazu aus Demuth nicht erbötig.“

„Dann mußt Du Geld für unser Kloster geben!“

– Rief jener – „Um es auszubauen, leben

Wir nur von Muscheln und von Austern jetzt,

Während die Welt am Ueberfluß sich letzt.

Weiß Gott! vollendet ist noch kaum der Grund,

Wir schulden noch für Steine vierzig Pfund,

Es fehlen Ziegel, noch steht keine Wand!

Beim Heiland, der die Hölle überwand!

1810

Willst Du uns, Thomas, keine Hülfe spenden,

So müssen unsre Bücher wir verpfänden;

Und fehlt Euch unsre Predigt, so verfällt

Dem Untergange schließlich alle Welt.

Und wer uns kann der ganzen Welt berauben,

Kann, Thomas, auch – auf Ehre und auf Glauben –

Das Sonnenlicht in finstre Nacht verkehren.

Wer war wohl je im Schaffen und im Lehren

So treu wie wir und seit so langer Frist?

Denn Brüder gab es – wie berichtet ist –

1820

Zur Zeit Elias und Elisas schon.

– Gedankt in Demuth sei der Gottessohn! –

Ach, Thomas, denke liebend an uns Brüder!“

Und damit sank er auf die Kniee nieder,

Indeß der Kranke, beinah' toll vor Wuth,

Sich wünschte, daß die rothe Feuersgluth

Den heuchlerischen Bettelmönch verzehre.

„Ja! was ich habe,“ – sprach er – „das verehre

Ich keinem Andern sicherlich wie Dir;

Denn – wie Du sagtest – sind ja Brüder wir.“

1830

„So ist es, meiner Treu'!“ – der Bruder rief –

„Ich zeigte Siegel Deiner Frau und Brief!“

„Nun gut,“ – sprach er – „dieweil ich noch am Leben,

Will Eurem heil'gen Kloster ich was geben

Und in die Hand bekommst Du's unverweilt;

Doch vorbehalten, daß es so vertheilt

Unter Euch Brüdern wird, daß von der Gabe

Gleich viel der eine wie der andere habe.

Das schwör' mir auf Dein heiliges Bekenntniß

Ganz ohne Rückhalt oder Mißverständniß!“

1840

„Das schwör' ich!“ – rief der Bruder – „meiner Treue!

An mir fehlt's nicht! das schwör' ich Dir aufs Neue!“

Und Wort und Handschlag gab er ihm zum Pfand.

„Nun,“ – sprach der Kranke – „wenn Du Deine Hand

In meinen Rücken bis zum H[intern] steckst

Und bei der Kerbe zufühlst, so entdeckst

Du eine Kleinigkeit daselbst verborgen.“

Der Bruder dachte: das kann ich besorgen!

Und langte, daß er sein Geschenk erhalte

Mit seiner Hand hinunter bis zur Spalte.

1850

Und als der kranke Mann am Arsche fühlte,

Wie dort der Bruder fingerte und wühlte,

Da f[urzt] er rasch ihm mitten in die Hand.

Kein Gaul, den man vor einem Karren spannt,

Riß solchen mächtig lauten F[urz] zuvor.

Und wie ein grimmer Löwe sprang empor

Der Bettelmönch und schrie: „Du Schuft! bei Gott!

Das thatest Du zum Aerger mir und Spott!

Doch übel soll Dir dieser F{urz] bekommen!“

Das Hausgesinde, das den Lärm vernommen,

1860

Kam angestürzt und schmiß ihn aus dem Haus.

Und voller Aerger zog der Bruder aus

Und holte seinen Burschen und sein Gut;

Worauf er, wie ein Eber voller Wuth

Die Zähne knirschend, wild von dannen rann,

Bis er den Hof von einem Edelmann,

Dem Gutsbesitzer von dem Dorf, erreichte,

Der ihm bekannt war, weil er in die Beichte

Den würd'gen Mann seit langer Zeit schon nahm.

Zu ihm der zornerfüllte Bruder kam

1870

Und fand den Herrn bei seinem Mittagsessen.

Fast sprachlos war der Bettelmönch; indessen

Sein: „Gott sei mit Euch!“ stieß er noch hervor.

„Willkommen!“ – sprach der Herr und sah empor –

„Um alle Welt, was fehlt Dir nur, Johann?

Etwas ging schief, das merkt' ich Dir gleich an!

Hast einen Wald voll Räuber Du erblickt?

Komm', setze Dich! und sage, was Dich drückt.

Ich helfe Dir, so gut ich es vermag.“

„Ich hatte“ – sprach er – „einen schlimmen Tag

1880

Im Dorfe heute. – Daß sich Gott erbarm'!

Kein Knecht ist wohl in dieser Welt so arm,

Der vor dem Schimpf, den ich in Eurer Stadt

Empfangen habe, nicht Verachtung hat.

Jedoch mein größter Aerger dabei war,

Daß dieser alte Kerl mit grauem Haar

Beschimpft hat unsre ganze heil'ge Zunft!“

Der Herr sprach: „Lieber Meister, habt Vernunft!“

„Nicht Meister!“ – rief er – „sondern Euer Knecht!

Zwar in der Schule hieß ich so mit Recht;

1890

Doch liebt es Gott nicht, daß wir auf den Gassen

Und auf dem Markt uns ›Rabbi‹ nennen lassen.“

„Schon gut!“ – sprach er – „zur Sache komm' zurück!“

„Herr!“ – rief der Bruder – ein „Schandbubenstück

Ist heute hier an mir begangen worden

Und so per consequens am ganzen Orden

Und an der ganzen heil'gen Clerisei!“

„Nun,“ – sprach der Herr – „was Du zu thun dabei,

Das wird von Dir, als Salz und Wurz der Erden,

Und mein Confessor, schon gefunden werden.

1900

Um Gottes Willen! sieh' es ruhig an;

Erzähle mir Dein Leid!“ – Und so begann

Er vorzutragen, was Euch schon bekannt.

Des Hauses Dame lauschte unverwandt

Dem Bruder zu, bis er sich ausgeklagt.

„Ei, Mutter Gottes!“ – rief sie – „heil'ge Magd!

Wie geht es weiter? Ei, vertrau' es mir!“

„Madam!“ – sprach er – „was denkt, was redet Ihr?“

„Was soll ich denken?“ – sprach sie – „Gott im Himmel!

Dir spielte diesen Lümmelstreich ein Lümmel!

1910

Was soll ich sagen? – Gottvermaledeit

Sei dieser Schuft! Ihm steckt voll Eitelkeit

Der kranke Kopf. – Mir scheint, der Mann ist toll.“

„Madam!“ – sprach er – „wenn ich nicht lügen soll,

So denk' ich, daß ich mich am Besten räche,

Wenn ich beständig von ihm Schlechtes spreche.

Aus Bosheit sann dies Lästermaul mir an,

Was sich nicht theilen läßt, für Jedermann

Dennoch in gleiche Theile zu zerlegen!“ –

Doch träumend saß und ohne sich zu regen,

1920

Der Herr, und hin und wieder sann er: „Wie

Hat dieser Kerl nur soviel Phantasie,

Solch ein Problem dem Bruder aufzugeben?

Derartiges vernahm ich nie im Leben!

Der Teufel hat's ihm in den Kopf gesetzt!

Wo hat wohl die ars metrica bis jetzt

Je eine solche Frage aufgestellt:

Wie Jedermann den gleichen Theil erhält

Von einem F[urze] oder einem Ton?

Wer kann das zeigen durch Demonstration?

1930

Du Teufelskerl! Du unverschämtes Thier!“

Und brummig frug der Edelmann: „Habt Ihr

Schon je zuvor ein solches Ding vernommen?

Ein Jeder soll den gleichen Theil bekommen!

Das ist unmöglich! das kann nimmer sein!

Ei, Teufelskerl! das Wetter schlage drein!

Wie jeder Klang und Ton, gehört ein F[urz]

Nur zu den Schwingungen der Luft, die kurz

Von Dauer sind und nach und nach vergehen.

Nun, meiner Treu'! den Menschen möcht' ich sehen,

1940

Der das zu theilen wüßte mit Genauheit!

Was für ein Kerl? – Seht an! mit welcher Schlauheit

Hat er heut' meinen Beichtiger geneckt!

Ich glaube, daß der Teufel in ihm steckt! –

Doch nun ans Essen! – Laßt den Schurken ziehn,

Und an den Galgen bring' der Satan ihn!“

Nun aber schnitt ein Junker von dem Lord

Am Tische Fleisch und hörte Wort für Wort

Alles mit an, was ich Euch vorgetragen.

„Herr! Nichts für ungut!“ – hub er an zu sagen –

1950

„Wenn Ihr mir Stoff zu einem Rock versprecht,

Und ist dem würd'gen Bruder solches recht,

Erzähl' ich Euch, wie unter dem Konvent

Ihr diesen F[urz] gleichmäßig theilen könnt.“

„Frisch von der Leber!“ – rief der Edelmann –

„Der Rock ist Dein, bei Gott und St. Johann!“

„Mein Herr!“ – sprach er – „wenn sich kein Wind bewegt,

Das Wetter schön ist, sich kein Lüftchen regt,

So schafft in diese Halle hier ein Rad,

Das – wohlverstanden – alle Speichen hat.

1960

– Zumeist dreht es auf zwölfen sich herum. –

Bringt dann zwölf Brüder. – Und fragt Ihr, warum?

Nun, ein Convent besteht aus dreizehn Mann,

Und mit dem würd'gen Herrn Confessor kann

Die richt'ge Anzahl grade man erreichen.

Dann laßt sie niederknieen vor den Speichen,

So daß auf jeden Bruder eine fällt,

An deren End' er seine Nase hält.

Nur der Confessor – schenke Gott ihm Gnade! –

Hält seine vor die Nabe von dem Rade.

1970

Und jenen Kerl mit steifem, strammem Bauch,

Wie ein gespanntes Trommelfell, bringt auch

Und setzt ihn nieder mitten auf das Rad,

Wo er zu f[urzen] durch die Nabe hat.

Und Euch zu Pfande setz' ich Leib und Leben,

Hab' ich nicht praktisch den Beweis gegeben,

Daß Schall und Stank das Ende der zwölf Speichen

Ganz mathematisch gleichgetheilt erreichen.

Nur der Confessor steht als würd'ger Mann

Mit Fug und Recht auch hierbei oben an;

1980

Weßhalb auch ihm die Erstlingsfrucht gebührt.

Bei Brüdern ist die Sitte eingeführt,

Daß man den Würdigsten zuerst bedient.

Und er hat's ohne Zweifel wohl verdient!

Wie vieles Gute lernten alle Leute

Aus seiner Predigt von der Kanzel heute!

Was mich betrifft, so gönn' ich diesem Herrn

Den Vorgeruch selbst von drei F[ürzen] gern,

Und jeder Bruder wird dasselbe sagen;

Ist doch so fromm und heilig sein Betragen!“

1990

Der Herr, die Dame, wie der ganze Kreis,

Bis auf den Bruder, fanden den Beweis

Des Ptolemäus würdig und Euclid;

Und sagten: „Was den Kerl betrifft, so sieht

An seinen witz'gen Worten man ganz klar,

Daß er kein Toller und Besess'ner war.“

Genug davon! – Die Stadt ist nicht mehr weit!

Seht! so gewann der Junker Hans sein Kleid.