BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Feuerbach

1804 -1872

 

Das Wesen des Christentums

 

Erster Theil

Die Religion in ihrer Uebereinstimmung

mit dem Wesen des Menschen.

 

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Das Mysterium der Trinität und Mutter Gottes.

 

So wenig ein Gott ohne Empfindung, ohne Leidensvermögen einem empfindenden, leidenden Wesen genügt, so wenig genügt auch wieder ein Wesen nur mit Empfindung, ein Wesen ohne Activität und Spontaneität, als auf welcher allein der Begriff der Intelligenz, der Willenskraft, des Selbstbewußtseins beruht. So sehr es den Menschen drängt, die Empfindung zu vergöttern, d. h. zu bejahen, so sehr drängt es ihn, den Geist, den Verstand, den Willen, das Selbstbewußtsein, die Selbstthätigkeit in ihrer Wesenheit zu vergegenständlichen. Kurz nur ein Wesen, welches den ganzen Menschen in sich trägt, kann auch den ganzen Menschen befriedigen. Das [72] Bewußtsein des Menschen von sich in seiner Totalität ist das Bewußtsein der Trinität. Das Geheimniß dieses Mysteriums ist nichts andres als das Geheimniß des Menschen selbst. Was als Abdruck, Bild, Aehnlichkeit, Gleichniß von der Religion und Theologie bezeichnet wird, dürfen wir nur als die Sache selbst, das Wesen, das Urbild, das Original erfassen, so haben wir das Räthsel gelöst. Die angeblichen Bilder, durch die man die Trinität zu veranschaulichen, begreiflich zu machen suchte, waren vorzüglich: Geist, Verstand, Gedächtniß, Wille, Liebe, mens, intellectus, memoria, voluntas, amor.

Gott denkt und zwar denkt er sich, erkennt er sich, und das Gedachte, das Erkannte ist Gott selbst. Die Vergegenständlichung des Selbstbewußtseins ist das Erste, was in der Trinität uns begegnet. Das Selbstbewußtsein drängt sich nothwendig, unwillkührlich dem Menschen als etwas Absolutes auf. Sein ist für ihn eins mit Selbstbewußtsein, Sein mit Bewußtsein ist für ihn Sein schlechtweg. Der Unterschied von Sein und Nichtsein ist für ihn an das Bewußtsein gebunden. Ob ich gar nicht bin, oder bin, ohne daß ich weiß, daß ich bin, ist gleich. Selbstbewußtsein hat für den Menschen, hat in der That an sich selbst absolute Bedeutung. Ein Gott, der sich nicht weiß, ein Gott ohne Bewußtsein, ist kein Gott. Wie der Mensch sich nicht denken kann ohne Bewußtsein, so auch nicht Gott. Das göttliche Selbstbewußtsein ist nichts andres als das Bewußtsein des Bewußtseins als absoluter Wesenheit.

Uebrigens ist damit keineswegs die Trinität erschöpft. Wir würden vielmehr ganz willkührlich verfahren, wenn wir darauf allein das Geheimniß der Trinität zurückführen und [73] einschränken wollten. Das Bewußtsein in seiner abstracten Bedeutung ist nur Sache der Philosophie. Die Religion aber ist das Bewußtsein des Menschen von sich in seiner empirischen Totalität, in welcher die Identität des Selbstbewußtseins nur als die beziehungsreiche, erfüllte Einheit von Ich und Du existirt.

Die Religion, wenigstens die christliche, abstrahirt von der Welt; sie bezieht sich auf die Dinge in ihrer Erscheinung, nicht in ihrem Wesen, denn dieses ist nur Gegenstand des Denkens, der Wissenschaft; die Welt und Alles, was in der Welt, ist ihr nichtig; nur Gott allein das Wesen. Der religiöse Mensch zieht sich vor der Welt in sich zurück. Innerlichkeit gehört zum Wesen der Religion. Der religiöse Mensch führt ein abgezogenes, in Gott verborgenes, stilles, weltfreudenleeres Leben. Tritt er auch in die Welt, so tritt er doch nur in polemische Verhältnisse zu ihr; er sucht die Welt, die Menschen anders zu machen, als sie sind, der Welt abzugewinnen, Gott zuzuführen. Er bezieht alle Dinge und Wesen nur auf Gott; er liebt die Menschen, aber nicht um ihret- sondern um Gottes willen; er liebt in ihnen nicht sie selbst, sondern ihren Vater, ihren Erlöser. Der religiöse Mensch sondert sich aber nur von der Welt ab, und zwar von der Welt nicht nur im gemeinen Sinne, in jenem Sinne, in welchem die Negation der Welt zum Leben jedes wahren ernsten Menschen gehört, sondern auch in jenem Sinne, in welchem die Wissenschaft dieses Wort nimmt, sich selbst Weltweisheit nennend; er sondert sich nur ab von der Welt, weil Gott selbst ein von der Welt abgesondertes, d. i. ein außer- und überweltliches Wesen ist. Gott als Gott ist ein abgesondertes, unweltliches Wesen – streng, abstract philosophisch ausgedrückt, [74] das Nichtsein der Welt. Um sich mit Gott zu verbinden, löst der Mensch alle Bande mit der Welt. Gott selbst als außerweltliches Wesen ist nichts andres als das von der Welt in sich zurückgezogene, aus allen Banden und Verwicklungen mit der Welt herausgerißne, über die Welt hinweg sich setzende, d. i. weltlose Innere des Menschen, gesetzt als gegenständliches Wesen.

Aber der Mensch kann nur abstrahiren von der menschlichen Individualität, nicht vom menschlichen Wesen, von der Erscheinung der Welt, aber nicht von ihrem Wesen. Er muß also in die Abstraction Das, wovon er abstrahirt oder zu abstrahiren glaubt, wieder aufnehmen. Und so setzt denn auch wirklich die Religion Alles, was sie bewußt negirt, unbewußt wieder in Gott, aber mit dem Merkmale der Absonderung, der Abstraction.

Gott als Gott, Gott der Vater ist der abgesonderte Gott, das a- und antikosmische, anthropomorphismenlose Wesen, Gott in Beziehung nur auf sich; Gott der Sohn die Beziehung Gottes auf uns, aber er erst der wirkliche Gott. In Gott als Gott wird der Mensch beseitigt, im Sohne kehrt er wieder. Der Vater ist die metaphysische Essenz, wie sich an sie die Religion anschließt, weil sie unvollständig wäre, wenn sie nicht auch das metaphysische Element in sich aufnähme; im Sohne ist er erst Gegenstand der Religion; Gott, als Gegenstand der Religion, als religiöser Gott, ist Gott als Sohn. Im Sohne wird der Mensch Gegenstand; in ihm concentriren sich alle menschliche Bedürfnisse.

So sehr der religiöse Mensch vor der Außenwelt sich verbirgt, in sein einsames Innere sich zurückzieht, so ist ihm doch ein wesentliches Bedürfniß das Andre, die Welt, der Mensch. [75] Er ist sich selbst ein abstractes Du; er hat eben deßwegen ein Bedürfniß nach einem wirklichen Du. Verschmäht der religiöse Mensch auch die natürliche Freundschaft und Liebe; so ist ihm doch wenigstens religiöse Gemeinschaft ein Bedürfniß. Gott als Gott, als einfaches Wesen, ist allein, ein einsamer Gott. Gott als Gott ist selbst nichts andres als die absolute, hypostasirte Einsamkeit und Selbstständigkeit, denn einsam kann nur sein, was selbstständig ist. Einsam sein können, ist ein Zeichen von Denk- und Charkaterkraft. Einsamkeit ist das Bedürfniß des Denkens, Gesellschaft das Bedürfniß des Herzens. Denken kann man allein, lieben nur selbander. Einsamkeit ist Autarkie – bedürfnißlos sind wir nur in der Intelligenz, nur im Acte des Denkens.

Gott als Gott ist nichts andres als das Bewußtsein der Denkkraft, der Kraft, von allen Andern zu abstrahiren und für sich allein mit sich sein zu können, wie sie innerhalb der Religion, d. h. als ein vom Menschen unterschiednes, apartes Wesen den Menschen Gegenstand wird. Aber von einem einsamen Gott ist das dem Menschen wesentliche Bedürfniß der Liebe, der Gemeinschaft, des realen, erfüllten Selbstbewußtseins, des Alter Ego im engsten und weitesten Sinne ausgeschlossen  1). Dieses Bedürfniß daher befriedigt; aufgenommen in die stille Einsamkeit des göttlichen Wesens, ist Gott der Sohn – ein anderes, zweites Wesen, [76] unterschieden vom Vater der Persönlichkeit nach, aber dem Wesen nach mit ihm identisch – sein Alter Ego.

Gemeinschaftliches Leben nur ist wahres, in sich befriedigtes, göttliches Leben, Gott ist ein ζῶον πολιτικὸν – dieser einfache Gedanke, diese natürliche Wahrheit ist das Geheimniß des übernatürlichen Mysteriums der Trinität. Aber die Religion spricht auch diese, wie jede andere Wahrheit verkehrt, d. h. indirect aus, indem sie eine allgemeine Wahrheit zu einer besondern und das wahre Subject nur zum Prädicat macht, indem sie sagt: Gott ist ein gemeinschaftliches Leben, ein Leben und Wesen der Liebe und Freundschaft. Die dritte Person in der Trinität drückt ja nichts weiter aus als die Liebe der beiden göttlichen Personen zu einander, ist die Einheit des Vaters und Sohns, der Begriff der Gemeinschaft, widersinnig genug selbst wieder als ein persönliches, besondres Wesen gesetzt  2).

Das Mysterium der Trinität war eben deßwegen für den religiösen Menschen ein Gegenstand der überschwänglichsten [77] Bewunderung, Begeisterung und Entzückung, weil ihm hier die Befriedigung der innersten menschlichen Bedürfnisse, welche er in der Wirklichkeit negirte, des Bedürfnisses der naturgemäßen, der intensivsten Liebe, des wirklichen Selbstbewußtseins, welches nichts andres als die Anschauung oder das Gefühl des Andern als meinen eignen Wesens ist, zur Anschauung kam. Nur ein dreieiniger Gott ist für den religiösen Menschen ein Gegenstand der Liebe, weil ihm in der Trinität selbst die Liebe Gegenstand ist. Daß es im Grunde nicht mehr als zwei Personen sind, denn die dritte Person repräsentirt, wie gesagt, nichts andres als die Liebe, obwohl selbst wieder als ein besondres Wesen vorgestellt, dieß liegt darin, daß dem strengen Begriffe der Liebe das Zwei genügt. Zwei ist das Princip und eben damit der vollkommne Ersatz der Vielheit. Würden mehrere Personen gesetzt, so würde nur die Kraft der Liebe geschmälert; sie würde sich zerstreuen. Aber Liebe und Herz sind identisch. Ohne Liebe kein Herz. Das Herz ist kein besondres Vermögen – das Herz ist der Mensch, der in sofern er liebt. Die zweite Person ist daher die Selbstbejahung des menschlichen Herzens, das Princip des gemeinschaftlichen Lebens, der Liebe – die Wärme, der Vater das Licht, obwohl das Licht hauptsächlich ein Prädicat des Sohns war, weil in ihm die Gottheit erst dem Menschen licht, klar, verständlich wird. Aber dessen ungeachtet können wir dem Vater, als dem Repräsentanten der Gottheit als solcher, des kalten Wesens der Intelligenz, das Licht als hypertellurisches Princip, dem Sohne die tellurische Wärme zuschreiben. Gott als Sohn erwärmt erst den Menschen, hier wird Gott aus dem Object des Auges, des kalten indifferenten Lichtsinnes ein Object des Gefühls, des Affects, der Begeisterung, [78] der Entzückung, aber nur weil der Sohn selbst nichts andres ist als die Glut der Liebe, der Begeisterung  3). Gott als Sohn ist die primitive Incarnation, die primitive Selbstverläugnung Gottes; denn als Sohn ist er endliches Wesen; denn er ist ab alio, von einem Grunde; der Vater dagegen grundlos, a se, von sich selbst. Es wird also in der zweiten Person die wesentliche Bestimmung der Gottheit, die Bestimmung des von sich selbst Seins aufgegeben. Aber Gott der Vater zeugt selbst den Sohn; er resignirt also auf seine rigorose ausschließliche Göttlichkeit; er ist herablassend, erniedrigt sich, setzt das Princip der Endlichkeit, des von einem Grunde Seins in sich; er wird im Sohne Mensch, zwar zuvörderst nicht der Gestalt, doch dem Wesen nach. Aber eben dadurch wird auch Gott erst Gegenstand des Menschen, Gegenstand des Gefühls, des Herzens.

Das Herz ergreift nur, was aus dem Herzen stammt. Aus der Beschaffenheit des subjectiven Verhaltens ist untrüglich der Schluß auf die Beschaffenheit des Objects dieses Verhaltens. Der reine, freie Verstand negirt den Sohn, der durch das Gefühl bestimmte, vom Herzen überschattete Verstand nicht; er findet vielmehr die Tiefe der Gottheit im Sohne, weil er in ihm das Gefühl findet, das Gefühl, das an und für sich etwas Dunkles ist und darum dem Menschen für etwas Mysteriöses gilt. Der Sohn ergreift das Herz, weil der wahre Vater des göttlichen Sohnes das menschliche Herz ist, der Sohn selbst nichts ist als das göttliche Herz, das sich als göttliches Wesen gegenständliche menschliche Herz. [79]

Ein Gott, in dem nicht selbst das Wesen der Endlichkeit, das Wesen des Abhängigkeitsgefühls, das Princip der Empirie, des nicht von sich selbst Seins ist, ein solcher Gott ist kein Gott für ein empirisches, endliches Wesen. So wenig der religiöse Mensch einen Gott lieben kann, der nicht das Wesen der Liebe in sich hat, so wenig kann der Mensch, kann überhaupt ein endliches Wesen Gegenstand eines Gottes sein, der nicht den Grund, das Princip der Endlichkeit in sich hat. Es fehlt einem solchen Gott der Sinn, der Verstand, die Theilnahme für Endliches. Wie kann Gott der Vater der Menschen sein, wie, so zu sagen, seine entfernteren Verwandten lieben, wenn er nicht selbst einen Sohn in sich hat, wenn er nicht aus eigner Erfahrung, nicht in Beziehung auf sich selbst weiß, was Lieben heißt? So nimmt auch der vereinzelte Mensch weit weniger Antheil an den Familienleiden eines Andern, als wer selbst im Familienbande lebt. Gott der Vater liebt daher die Menschen nur im Sohne und um des Sohnes willen. Die Liebe zu den Menschen ist eine von der Liebe zum Sohne abgeleitete Liebe.

Der Vater, der Sohn in der Trinität sind darum auch nicht im bildlichen Sinne, sondern im allereigentlichsten Sinne Vater und Sohn. Der Vater ist wirklicher Vater in Beziehung auf den Sohn; der Sohn wirklicher Sohn in Beziehung auf den Vater. Ihr wesentlicher persönlicher Unterschied besteht nur darin, daß jener der Erzeuger, dieser der Erzeugte ist. Nimmt man diese natürliche empirische Bestimmtheit weg, so hebt man ihre persönliche Existenz und Realität auf. Die Christen, natürlich die alten Christen, welche die heutigen verliebten, galanten, zuckersüßen, geschwätzigen, gesellschaftssüchtigen Christen wohl schwerlich [80] als ihre Brüder in Christo anerkennen würden, setzten an die Stelle der natürlichen Liebe und Einheit eine nur religiöse Liebe und Einheit; sie verwarfen das wirkliche Familienleben, die innigen Bande der natursittlichen Liebe als ungöttliche, unhimmlische, d. h. in Wahrheit nichtige Dinge. Aber dafür hatten sie zum Ersatz in Gott einen Vater und Sohn, die sich mit innigster Liebe umfingen, mit jener intensiven Liebe, welche nur die Naturverwandtschaft einflößt.

Ganz in der Ordnung war es daher auch, daß um die göttliche Familie, den Liebesbund zwischen Vater und Sohn zu ergänzen, noch eine dritte und zwar weibliche Person in den Himmel aufgenommen wurde; denn die Persönlichkeit des heiligen Geistes ist eine zu vage und precäre, eine zu sichtliche blos poetische Personification der gegenseitigen Liebe des Vaters und Sohns, als daß sie dieses dritte ergänzende Wesen hätte sein können. Die Maria wurde zwar nicht so zwischen den Vater und Sohn hingestellt, als hätte der Vater den Sohn vermittelst derselben erzeugt, weil die Vermischung des Mannes und Weibes den Christen etwas Unheiliges, Sündhaftes war; aber es ist genug, daß das mütterliche Princip neben Vater und Sohn hingestellt wurde.

Es ist in der That auch nicht abzusehen, warum die Mutter etwas Unheiliges, d. i. Gottes Unwürdiges sein soll, wenn einmal Gott Vater, Gott Sohn ist. Wenn gleich der Vater nicht Vater im Sinne der natürlichen Zeugung, die Zeugung Gottes vielmehr eine andere sein soll, als die natürliche, menschliche und daher aus sehr begreiflichen Gründen eine unbegreifliche, übernatürliche, mysteriöse Zeugung ist; so ist er doch immerhin wirklicher, nicht nomineller oder bildlicher Vater in Bezug auf den Sohn. Und die uns jetzt so befremdliche [81] Composition der Mutter Gottes ist daher nicht mehr befremdlich oder paradox als der Sohn Gottes, widerspricht nicht mehr den allgemeinen metaphysischen Bestimmungen der Gottheit, als die Vater- und Sohnschaft. Die Maria paßt vielmehr ganz in die Kategorie der Dreieinigkeitsverhältnisse, weil sie ohne männliche Befruchtung den Sohn gebar, wie Gott Vater ohne weiblichen Schooß den Sohn erzeugte, so daß also die Maria eine nothwendige, innerlich herausgeforderte, ergänzende Antithese zum Vater im Schooße der Dreieinigkeit bildet. Auch haben wir ja schon, wenn auch nicht in concreto und explicite, doch in abstracto und implicite das weibliche Princip im Sohne. Der Sohn Gottes ist das milde sanfte Wesen, das weibliche Gemüth Gottes; im Sohn gibt Gott sein rigoroses, ausschließliches Selbstbewußtsein auf. Gott als Vater ist nur Zeuger, das Activum, das Princip der männlichen Spontaneität; aber der Sohn ist gezeugt, ohne selbst zu zeugen, Deus genitus, das Passivum, das leidende empfangende Wesen: der Sohn empfängt vom Vater sein Sein. Der Sohn ist als Sohn, natürlich nicht als Gott, abhängig vom Vater, der väterlichen Autorität unterworfen  5). Der Sohn ist also das weibliche Abhängigkeitsgefühl in Gott; der Sohn dringt uns daher auch unwillkührlich das Bedürfniß nach einem wirklichen weiblichen Wesen auf  6). [82]

Der Sohn, auch der natürliche menschliche Sohn, ist an und für sich ein Mittelwesen zwischen dem männlichen Wesen des Vaters und dem weiblichen der Mutter; er ist gleichsam noch halb Mann, halb Weib, indem er noch nicht das volle rigorose Selbstständigkeitsbewußtsein hat, welches den Mann charakterisirt, und mehr zur Mutter als zum Vater sich hingezogen fühlt. Die Liebe des Sohnes zur Mutter ist die erste Liebe des männlichen Wesens zum weiblichen. Die Liebe des Mannes zum Weibe, des Jünglings zur Jungfrau empfängt ihre religiöse – ihre einzig wahre religiöse – Weihe in der Liebe des Sohns zur Mutter. Die Mutterliebe des Sohnes ist die erste Sehnsucht, die erste Demuth des Mannes vor dem Weibe.

Nothwendig ist daher auch mit dem Gedanken an den Sohn Gottes der Gedanke an die Mutter Gottes verbunden – dasselbe Herz das eines Sohnes Gottes, bedarf auch einer Mutter Gottes. Wo der Sohn ist, da kann auch die Mutter nicht fehlen. Dem Vater ist der Sohn eingeboren, aber dem Sohne die Mutter. Dem Vater ersetzt der Sohn das Bedürfniß der Mutter, aber nicht der Vater dem Sohne. Dem Sohne ist die Mutter unentbehrlich; das Herz des Sohnes ist das Herz der Mutter. Warum wurde denn Gott der Sohn nur im Weibe Mensch? Hätte der Allmächtige nicht auf andere Weise, nicht unmittelbar als Mensch unter den Menschen erscheinen können? Warum begab sich also der Sohn in einen weiblichen Schooß? Warum anders, als weil der Sohn die [83] Sehnsucht nach der Mutter ist, weil sein weibliches, liebevolles Herz nur in einem weiblichen Leibe den entsprechenden Ausdruck fand? Zwar weilt der Sohn nur neun Monden lang unter dem Obdach des weiblichen Herzens, aber die Eindrücke, die er hier empfängt, sind unauslöschlich. Die Mutter kommt dem Sohne nimmer aus dem Sinne und Herzen. Wenn daher die Anbetung des Sohnes Gottes kein Götzendienst, so ist auch die Anbetung der Mutter Gottes kein Götzendienst. Schämt sich Gott nicht einen Sohn zu haben, so braucht er sich auch nicht einer Mutter zu schämen. Wenn wir daraus die Liebe Gottes zu uns erkennen sollen, daß er seinen eingebornen Sohn, d. h. das einzige Kind, das Liebste und Theuerste, was er hatte, für uns zum Heile dahin gab; so können wir diese Liebe noch weit besser erkennen, wenn uns in Gott ein Mutterherz entgegenschlägt. Die höchste und tiefste Liebe ist die Mutterliebe. Der Vater tröstet sich über den Verlust des Sohnes; er hat ein stoisches Princip in sich. Die Mutter dagegen ist untröstlich; die Mutter ist die Schmerzenreiche, aber die Trostlosigkeit die Wahrheit der Liebe.

Wo der Glaube an die Mutter Gottes sinkt, da sinkt auch der Glaube an den Sohn Gottes und den Gott Vater. Der Vater ist nur da eine Wahrheit, wo die Mutter eine Wahrheit ist. Die Liebe ist an und für sich weiblichen Geschlechts und Wesens. Der Glaube an die Liebe Gottes ist der Glaube an das weibliche als ein göttliches Princip. Liebe ohne Natur ist ein Unding, ein Phantom. An der Liebe erkennt die heilige Nothwendigkeit und Tiefe der Natur!

Der Protestantismus  7) hat die Mutter Gottes auf die [84] Seite gesetzt  8); aber das zurückgesetzte Weib hat sich dafür schwer an ihm gerochen. Die Waffen, die er gegen die Mutter Gottes gebraucht, haben sich gegen ihn selbst, gegen den Sohn Gottes, gegen die gesammte Dreieinigkeit gekehrt. Wer einmal die Mutter Gottes dem Verstande aufopfert, hat nicht mehr weit hin, auch das Mysterium des Sohnes Gottes als einen Anthropomorphismus aufzuopfern. Der Anthropomorphismus wird allerdings versteckt, indem das weibliche Wesen ausgeschlossen wird, aber nur versteckt, nicht aufgehoben. Freilich hatte der Protestantismus auch kein Bedürfniß nach einem himmlischen Weibe, weil er das irdische Weib mit offnen Armen in sein Herz aufnahm. Aber eben deßwegen hätte er auch so ehrlich und consequent sein sollen, mit der Mutter auch den Vater und Sohn dahin zu geben. Nur wer keine irdischen Eltern hat, braucht himmlische Eltern. Der dreieinige Gott ist der Gott des Katholicismus; er hat eine innige, inbrünstige, nothwendige, wahrhaft religiöse Bedeutung nur im Gegen­satze zur Negation aller substanziellen  9) Bande, im Gegensatze zum Anachoreten-, Mönchs- und Nonnenwesen. Der dreieinige Gott ist ein inhaltsvoller Gott, deßwegen da ein Bedürfniß, wo von dem Inhalt des wirklichen Lebens abstrahirt wird. Je leerer das Leben, desto [85] voller, desto concreter, wie man zu reden beliebt, desto reicher ist Gott. Die Entleerung der wirklichen Welt und die Erfüllung der Gottheit ist ein Act. Gott entspringt aus dem Gefühl eines Mangels; was der Mensch vermißt – sei dieses nun ein bestimmtes, bewußtes oder unbestimmtes Vermissen – das ist Gott. So bedarf das trostlose Gefühl der Leere und Einsamkeit einen Gott, in dem Gesellschaft, ein Verein sich innigst liebender Wesen ist.

Hier haben wir den wahren Erklärungsgrund, warum die Trinität in der neuern Zeit zuerst ihre praktische und endlich auch ihre theoretische Bedeutung verlor.

 

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1) Gott ohne Sohn ist Ich, Gott mit Sohn ist Du. Ich ist Verstand, Du ist Liebe. Liebe aber mit Verstand und Verstand mit Liebe ist Geist; Geist aber die Totalität des Menschen als solchen, der totale Mensch 

2) Der heil. Geist verdankt seine persönliche Existenz nur einem Namen, einem Worte. Selbst die ältesten Kirchenväter identificirten bekanntlich noch den Geist mit dem Sohne. Auch seiner spätern dogmatischen Persönlichkeit fehlt die Consistenz. Er ist die Liebe, mit der Gott sich und die Menschen und hinwiederum die Liebe, mit welcher der Mensch Gott und den Menschen liebt. Also die Identität Gottes und des Menschen, wie sie innerhalb der Religion dem religiösen Menschen, d. i. als ein selbst besonderes Wesen, Gegenstand wird. Aber für uns liegt diese Einheit schon im Vater, noch mehr im Sohne. Wir brauchen daher den heil. Geist nicht zu einem besondern Gegenstande unserer Untersuchung zu machen. Nur diese Bemerkung noch. Inwiefern der heil. Geist die subjective Seite repräsentirt, so ist er eigentlich die Repräsentation des religiösen Gemüths vor sich selbst, der religiösen Begeisterung, des religiösen Affects, oder die Personification, die Bejahung, die Vergegenständlichung der Religion in der Religion. Der heil. Geist ist daher die seufzende Creatur, die Sehnsucht der Creatur. 

3) Quando enim illi (Deo) appropinquare auderemus in sua impassibilitate manenti. Bernardus (Tract. de XII grad. hum. et sup.) 

4) Exigit ergo Deus timeri ut Dominus, honorari ut pater, ut sponsus amari. Quid in his praestat, quid eminet? Amor. Bernardus (Sup. Cant. Ser. 83.) 

5) In der strengen Orthodoxie wird allerdings jede Subordination des Sohnes aufs sorgfältigste vermieden, aber eben dadurch, wie überhaupt durch die völlige Einheit und Gleichheit, geht auch die Realität der Unterschiede und Personen, hiemit der mystische Reiz der Trinität verloren. Uebrigens ist diese Bemerkung überflüssig. Alle Einwendungen, die man gegen die Auffassungsweise im ersten Theil dieser Schrift vorbringen kann, kommen im zweiten Theil zwar nicht ausdrücklich, was zu langweilig wäre, aber dem Princip nach zur Sprache. 

6) In der jüdischen Mystik ist Gott nach einer Partei ein männliches, der heilige Geist ein weibliches Urwesen, aus deren geschlechtlicher Vermischung der Sohn und mit ihm die Welt entstanden. Gfrörer Jahrh. d. H. I. Abth. p. 332–34. Auch die Herrnhuter nannten den heil. Geist die Mutter des Heilands. 

7) Es ist hier wie anderwärts natürlich immer nur der religiöse oder theologische Protestantismus gemeint. 

8) Im Concordienbuch Erklär. Art. 8. heißt es jedoch noch von ihr: „Darum sie wahrhaftig Gottes Mutter und gleichwohl eine Jungfrau geblieben ist.“ 

9) Sit monachus quasi Melchisedech sine patre, sine matre, sine genealogia: neque patrem sibi vocet super terram. Imo sic se existemet, quasi ipse sit solus et Deus. (Speculum Monach. unter den unächten Schriften des heil. Bernh.) Melchisedech .... refertur ad exemplum, ut tanquam sine patre et sine matre sacerdos esse debeat. Ambrosius (irgendwo.)