BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Feuerbach

1804 -1872

 

Das Wesen des Christentums

 

Erster Theil

Die Religion in ihrer Uebereinstimmung

mit dem Wesen des Menschen.

 

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Das Geheimniß des Logos und göttlichen Ebenbildes.

 

Die wesentliche Bedeutung der Trinität für die Religion concentrirt sich in dem Begriffe der zweiten Person. Das warme Interesse der christlichen Menschheit an der Trinität war hauptsächlich nur das Interesse an dem Sohne Gottes. Der heftige Streit über das Homousios und Homoiousios war kein leerer, obwohl nur ein Buchstabe den Unterschied ausmacht. Es handelte sich hier um die Gottebenbürtigkeit, um die göttliche Würde der zweiten Person, hiemit um die Ehre der christlichen Religion selbst  1); denn ihr wesentlicher charakteristi­scher Gegenstand ist eben die zweite Person; was aber der wesentliche Gegenstand einer Religion, das ist auch [86] ihr wesentlicher, wahrer Gott. Der wahre, reale Gott einer Religion ist überhaupt erst der sogenannte Mittler, weil dieser nur der unmittelbare Gegenstand der Religion ist. Wer sich statt an Gott, an den Heiligen wendet, der wendet sich an den Heiligen nur in der Voraussetzung, daß dieser Alles über Gott vermag, daß, was er bittet, d. h. wünscht und will, Gott gutwillig vollstreckt, d. h. daß Gott in den Händen des Heiligen ist. Die Bitte ist das Mittel, unter dem Scheine der Demuth und Unterwürfigkeit, seine Herrschaft und Superiorität über ein andres Wesen auszuüben. Der König herrscht, aber regiert nicht – dieser Grundsatz gilt auch von dem Regiment der Heiligen. Woran ich mich zuerst in meinem Geiste wende, das ist mir auch in Wahrheit das erste Wesen. Ich wende mich an den Heiligen, nicht weil der Heilige von Gott, sondern weil Gott von dem Heiligen abhängig ist, Gott von den Bitten, d. h. von dem Willen und Herzen des Heiligen bestimmt und beherrscht wird. Die Unterschiede, welche die katholischen Theologen zwischen Latria, Dulia, Hyperdulia machen, sind abgeschmackte, grundlose Sophismen. Kurz, der Gott hinter dem Mittler ist nur eine abstracte müßige Vorstellung, die Vorstellung oder Idee der Gottheit; und nicht, um sich mit dieser Idee zu versöhnen, sondern um sie zu entfernen, zu negiren  2), um [87] einzugestehen, daß sie kein Gegenstand für die Religion ist, tritt der Mittler dazwischen. Der Gott über dem Mittler ist nichts andres als der kalte Verstand über dem Herzen – ähnlich dem Fatum über den olympischen Göttern.

Gott als Vater, d. i. Gott als Gott – denn der Vater ist das Princip der ganzen Dreieinigkeit, principium totius trinitatis – ist, um diesen Gegenstand noch einmal aufzunehmen, nur Gegenstand des Denkens. Er ist das unsinnliche, gestaltlose, unfaßbare, bildlose Wesen, das abstracte, negative Wesen; er wird nur durch Abstraction und Negation (via negationis) erkannt, d. i. Gegenstand. Warum? weil er nichts ist als das gegenständliche Wesen der Denkkraft, überhaupt der Kraft oder Thätigkeit, wodurch sich der Mensch der Vernunft, des Geistes, der Intelligenz bewußt wird  3). Der Mensch kann keinen andern Geist, d. h. – denn der Begriff des Geistes ist lediglich der Begriff der Erkenntniß, der Vernunft, jeder andre Geist ein Gespenst der Phantasie – keine andre Intelligenz oder Vernunft ahnden, vorstellen, glauben, denken als die Vernunft, die ihn erleuchtet. Er kann nichts weiter als die Intelligenz absondern von den Schranken seiner Individualität. Gott als Gott ist daher nichts andres als die von den Schranken der Individualität, der Leiblichkeit – denn Individualität und Leiblichkeit sind untrennbar – abgesonderte Intelligenz. Gott, sagten die Scholastiker, die Kirchenväter und lange vor ihnen schon die heidnischen Philosophen: Gott ist [88] Geist, reiner Geist, immaterielles Wesen, Intelligenz. Von Gott als Gott kann man sich kein Bild machen; aber kannst Du Dir von der Vernunft, von der Intelligenz ein Bild machen? Hat sie eine Gestalt? Ist ihre Thätigkeit nicht die unfaßbarste, die undarstellbarste? Gott ist unbegreiflich; aber kennst Du das Wesen der Intelligenz? Hast Du die geheimnißvolle Operation des Denkens, das geheime Wesen des Selbstbewußtseins erforscht? Ist nicht das Selbstbewußtsein, die Intelligenz das Räthsel der Räthsel? Haben nicht schon die alten Mystiker, Scholastiker und Kirchenväter die Unfaßlichkeit und Undarstellbarkeit Gottes mit der Unfaßlichkeit und Unbegreiflichkeit der menschlichen Seele verglichen, erläutert? nicht also in Wahrheit das Wesen Gottes mit dem Wesen der Seele identificirt?

Der Unterschied zwischen dem „unendlichen und endlichen Geist,“ welcher so sehr die hyperphysischen Speculanten torquirt, ist nichts als der Unterschied zwischen dem Geiste an sich, der Intelligenz an sich, abgesondert von den Schranken der Individualität, und dem seiner Schranken sich bewußten Individuum. Der religiöse Mensch faßt alle Dinge, weil er sich nicht in ihr Wesen vertieft, nur auf den überweltlichen Gott sich bezieht, nur im Scheine auf; der Schein ist ihm das Wesen; das wirkliche Wesen der Dinge an sich daher ein andres Wesen, ein von ihnen unterschiednes WesenGott. Die Intelligenz, der Verstand oder die Vernunft, wie der Religiöse sie mit Bewußtsein faßt, ist ihm, weil nur in ihrem Scheine Gegenstand, nicht Gott, sondern vielmehr etwas Endliches, Menschliches; aber das ihm unbekannte Wesen der Intelligenz, die Intelligenz, wie sie nicht Gegenstand seines Bewußtseines ist, als ein andres [89] gegenständliches Wesen gesetzt, das ist ihm Gott überhaupt, Gott im Allgemeinen, Gott der Vater, d. i. die Idee der Gottheit oder der abstracte Gott.

Aber die Intelligenz als solche entspricht, als eine abgezogne unsinnliche Thätigkeit und Wesenheit, nicht dem sinnlichen und gemüthlichen Menschen. Den sinnlichen und gemüthlichen Menschen beherrscht und beseligt nur das Bild. Die bildliche, die gemüthliche, die sinnliche Vernunft ist die Phantasie. Das zweite Wesen in Gott, in Wahrheit das erste Wesen der Religion, ist das gegenständliche Wesen der Phantasie. Die Bestimmungen der zweiten Person sind vorzüglich Bilder. Und diese Bilder kommen nicht her von dem Unvermögen des Menschen, den Gegenstand nicht anders denken zu können als bildlich – was eine ganz falsche Interpretation ist – sondern die Sache selbst kann gar nicht anders gedacht werden, denn bildlich, weil die Sache selbst Bild ist. Der Sohn heißt daher auch expreß das Ebenbild Gottes  4). Sein Wesen ist, daß er Bild ist. Der Sohn ist das befriedigte Bedürfniß der Bilderschau; das vergegenständlichte Wesen der Bilderthätigkeit als einer absoluten, göttlichen Thätigkeit. Der Mensch macht sich ein Bild von Gott, d. h. er verwandelt das abstracte Vernunftwesen, das Wesen der Denkkraft in ein Phantasiewesen. Er setzt aber dieses Bild in Gott selbst, weil es natürlich nicht seinem Bedürfniß entsprechen würde, wenn er dieses Bild nicht als objective Realität wüßte, wenn dieses Bild für ihn nur ein [90] subjectives, von Gott unterschiednes, von ihm gemachtes wäre. In der That ist es auch kein gemachtes, kein willkührliches; denn es drückt die Nothwendigkeit der Phantasie aus, die Nothwendigkeit, die Phantasie als eine göttliche Macht zu bejahen. Der Sohn ist der Abglanz der Phantasie, das Lieblingsbild des Herzens; aber eben deßwegen, weil er nur der Phantasie Gegenstand, ist er nur das gegenständliche Wesen der Phantasie.

Es erhellt hieraus, wie befangen die dogmatische Speculation ist, wenn sie, völlig übersehend die innere Genesis des Sohnes als des Gottesbildes, den Sohn als ein metaphysisches Ens, als eine Gedankenwesenheit demonstrirt, da eben der Sohn das Bedürfniß nach einem andern Wesen, als das metaphysische Wesen ist, ausdrückt, gewisser Maaßen ein Absprung, ein Abfall von der Idee der Gottheit ist – ein Abfall, den aber natürlich der religiöse Mensch in Gott selbst setzt, um den Abfall zu rechtfertigen, nicht als Abfall zu empfinden. Der Sohn ist das oberste und letzte Princip des Bilderdienstes; denn er ist das Bild Gottes; das Bild tritt aber nothwendig an die Stelle der Sache. Die Verehrung des Heiligen im Bilde ist die Verehrung des Bildes als des Heiligen. Das Bild ist das Wesen der Religion, wo das Bild der wesentliche Ausdruck, das Organ der Religion ist.

Das Concilium zu Nicäa führte unter andern Gründen für den religiösen Gebrauch der Bilder als Autorität auch den Gregor von Nyssa an, welcher sagt, daß er ein gewisses Bild, welches Isaaks Opferung darstellte, nie habe ansehen können, ohne darüber bis zu Thränen gerührt zu werden, weil es ihm so lebendig diese heilige Geschichte vergegenwärtigt habe. Aber die Wirkung des abgebildeten Gegenstandes ist nicht die Wirkung [91]des Gegenstandes als solche, sondern die Wirkung des Bildes. Der heilige Gegenstand ist nur der Heiligenschein, in welchen das Bild seine geheimnißvolle Macht verhüllt. Der religiöse Gegenstand ist nur ein Vorwand der Phantasie, um ihre Herrschaft über den Menschen ungehindert ausüben zu können. Für das religiöse Bewußtsein knüpft sich freilich und zwar nothwendig die Heiligkeit des Bildes nur an die Heiligkeit des Gegenstandes. Aber das religiöse Bewußtsein ist nicht der Maaßstab der Wahrheit. So sehr übrigens auch die Kirche zwischen dem Bilde und dem Gegenstand des Bildes unterschieden, geläugnet hat, daß dem Bilde die Verehrung gelte, so hat sie doch zugleich nolens volens die Wahrheit indirect wenigstens eingestanden und die Heiligkeit des Bildes ausgesprochen  5).

Aber das letzte, höchste Princip der Bilderverehrung ist die Verehrung des Gottesbildes in Gott. Der „Abglanz Gottes“ ist der entzückende Glanz der Phantasie, der in den sichtbaren Bildern nur zur äußern Erscheinung gekommen. Wie innerlich, so war auch äußerlich das Bild des Gottesbildes das Bild der Bilder. Die Bilder der Heiligen sind nur optische Vervielfältigungen des einen und selben Bildes. Die speculative Deduction des Gottesbildes ist daher nichts als eine unbewußte Deduction und Begründung des Bilderdienstes, denn die Sanction des Princips ist nothwendig auch die Sanction seiner nothwendigen Consequenzen; aber die Sanction [92] des Urbildes ist die Sanction des Abbildes. Wenn Gott ein Bild von sich hat, warum soll ich kein Bild von Gott haben? Wenn Gott sein Ebenbild wie sich selbst liebt, warum soll auch ich das Bild Gottes nicht wie Gott selbst lieben? Wenn das Bild Gottes Gott selbst ist, warum soll das Bild des Heiligen nicht der Heilige selbst sein? Wenn es keine Superstition ist, daß das Bild, welches sich Gott von sich macht, kein Bild, kein Gedanke, sondern Substanz, Person ist, warum soll es denn Superstition sein, daß das Bild des Heiligen die empfindende Substanz des Heiligen selbst ist? Das Bild Gottes ist lebendig; warum soll denn das Bild des Heiligen todt sein? Das Bild Gottes thränt und blutet; warum soll denn das Bild des Heiligen nicht auch thränen und bluten? Soll der Unterschied daher kommen, daß das Heiligenbild ein Product der Hände? Ei; die Hände haben dieses Bild nicht gemacht, sondern der Geist, der diese Hände beseelte, die Phantasie, und wenn Gott sich ein Bild von sich macht, so ist dieses Bild auch nur ein Product der Einbildungskraft. Oder soll der Unterschied daher kommen, daß das Gottesbild ein von Gott selbst producirtes, das Heiligenbild aber ein von einem andern Wesen gemachtes ist? Ei; das Heiligenbild ist auch eine Selbstbethätigung des Heiligen; denn der Heilige erscheint dem Künstler; der Künstler stellt ihn nur dar, wie er sich selbst ihm dargestellt.

 

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Eine andere mit dem Wesen des Bildes zusammenhängende Bestimmung der zweiten Person ist, daß sie das Wort Gottes ist  6). [93]

Das Wort ist ein abstractes Bild, die imaginäre Sache, oder inwiefern jede Sache immer zuletzt auch ein Object der Denkkraft ist, der eingebildete Gedanke, daher die Menschen, wenn sie das Wort, den Namen einer Sache kennen, sich einbilden, auch die Sache selbst zu kennen. Das Wort ist eine Sache der Einbildungskraft. Schlafende, die lebhaft träumen, Kranke, die phantasiren, sprechen. Was die Phantasie erregt, macht redselig, was begeistert, beredt. Sprachfähigkeit ist ein poetisches Talent. Die Thiere sprechen nicht, weil es ihnen an Poesie fehlt. Der Gedanke äußert sich nur bildlich; die Aeußerungskraft des Gedankens ist die Einbildungskraft; die sich äußernde Einbildungskraft aber die Sprache. Wer spricht, bannt, fascinirt den, zu dem er spricht; aber die Macht des Worts ist die Macht der Einbildungskraft. Ein Wesen, ein geheimnißvolles, magisch wirkendes Wesen war nur den alten Völkern, als Kindern der Einbildungskraft, das Wort. Selbst die Christen noch und nicht nur die gemeinen, sondern auch die gelehrten, die Kirchenväter, knüpften an den bloßen Namen: Christus geheimnißvolle Heilkräfte  7). Und noch heute glaubt das gemeine Volk, daß man durch bloße Worte den Menschen bezaubern [94] könne. Woher dieser Glaube an eingebildete Kräfte des Wortes? nur daher, weil das Wort selbst nur ein Wesen der Einbildungskraft ist, aber eben deßwegen narkotische Wirkungen auf den Menschen äußert, ihn unter die Herrschaft der Phantasie gefangen nimmt. Worte besitzen Revolutionskräfte, Worte beherrschen die Menschheit. Heilig ist die Sage; aber verrufen die Sache der Vernunft und Wahrheit.

Die Bejahung oder Vergegenständlichung des Wesens der Phantasie ist daher zugleich verbunden mit der Bejahung oder Vergegenständlichung des Wesens der Sprache: des Wortes. Der Mensch hat nicht nur einen Trieb, eine Nothwendigkeit, zu denken, zu sinnen, zu phantasiren; er hat auch den Trieb zu sprechen, seine Gedanken zu äußern, mitzutheilen. Göttlich ist dieser Trieb, göttlich die Macht des Wortes. Das Wort ist der bildliche, der offenbare, der ausstrahlende, der glänzende, der erleuchtende Gedanke. Das Wort ist das Licht der Welt. Das Wort leitet in alle Wahrheit, erschließt alle Geheimnisse, veranschaulicht das Unsichtbare, vergegenwärtigt das Vergangne und Entfernte, verendlicht das Unendliche, verewigt das Zeitliche. Die Menschen vergehen, das Wort besteht; das Wort ist Leben und Wahrheit. Dem Wort ist alle Macht übergeben: das Wort macht Blinde sehend, Lahme gehend, Kranke gesund, Todte lebendig – das Wort wirkt Wunder und zwar die allein vernünftigen Wunder. Das Wort ist das Evangelium, der Paraklet der Menschheit. Denke Dich, um Dich von der göttlichen Wesenheit der Sprache zu überzeugen, einsam und verlassen, aber der Sprache kundig und Du hörtest zum ersten Male das Wort eines Menschen: würde Dir nicht dieses Wort als ein Engel erscheinen, nicht als die Stimme Gottes selbst, als die himmlischste Musik erklingen? [95] Das Wort ist in der That nicht ärmer, nicht seelenloser als der musikalische Ton, obwohl der Ton unendlich mehr zu sagen scheint, als das Wort, und deßwegen, weil ihn dieser Schein, diese Illusion umgibt, tiefer und reicher als das Wort erscheint.

Das Wort hat erlösende, versöhnende, beglückende Kraft. Die Sünden, die wir bekennen, sind uns vergeben kraft der göttlichen Macht des Wortes. Versöhnt scheidet der Sterbende, der noch die längst verschwiegene Sünde bekannt. Die Vergebung der Sünde liegt im Eingeständniß der Sünde. Die Schmerzen, die wir dem Freunde offenbaren, sind schon halb geheilt. Worüber wir sprechen, darüber mildern sich unsre Leidenschaften; es wird helle in uns; der Gegenstand des Zornes, des Aergers, des Kummers erscheint uns in einem Lichte, in welchem wir die Unwürdigkeit der Leidenschaft erkennen. Worüber wir im Dunkel und Zweifel sind, wir dürfen nur darüber sprechen – oft in dem Augenblick schon, wo wir den Mund aufthun, um den Freund zu fragen, schwinden die Zweifel und Dunkelheiten. Das Wort macht endlich den Menschen frei. Wer sich nicht äußern kann, ist ein Sklav. Sprachlos ist darum die übermäßige Leidenschaft, die übermäßige Freude, der übermäßige Schmerz. Sprechen ist ein Freiheitsact; das Wort ist selbst Freiheit. Mit Recht gilt deßwegen die Sprachbildung für die Wurzel der Bildung. Wo das Wort cultivirt wird, da wird die Menschheit cultivirt. Die Barbarei des Mittelalters schwand mit der Bildung der Sprache.

Wie wir nichts Andres als göttliches Wesen ahnden, vorstellen, denken können, denn das Vernünftige, welches wir denken, denn das Gute, welches wir lieben, das Schöne, welches wir empfinden; so kennen wir auch keine höhere, geistige, [96] wirkende Macht und Kraftäußerung, als die Macht des Wortes. Gott ist der Inbegriff aller Realität. Alles, was der Mensch als Realität empfindet oder erkennt, muß er in Gott setzen. Die Religion muß sich daher auch der Macht des Wortes als einer göttlichen Macht bewußt werden. Das Wort Gottes ist die Göttlichkeit des Wortes, wie sie innerhalb der Religion dem Menschen Gegenstand wird; denn es gehört, wie bereits gezeigt, zur differentia specifica der Religion, daß sie überall das eigentliche Subject zum Prädicat und eine allgemeine Wahrheit zu einer particulären macht – so hier das allgemeine Wesen des Wortes zu einem besondern, persönlichen Wesen – aber zugleich so, daß doch immer die allgemeine Wahrheit, die Natur der Sache, durch die particuläre Wahrheit hindurch schimmert.

 

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1) Aus demselben Grunde bestand auch die lateinische Kirche so fest auf dem Dogma, daß der heil. Geist nicht vom Vater allein, wie die griechische Kirche behauptete, sondern zugleich auch vom Sohne ausgehe. S. hierüber J. G. Walchii Hist. Contr. Gr. et Lat. de proc. Spiritus s. Jenae 1751. 

2) Dieß ist besonders deutlich in der Menschwerdung ausgesprochen. Gott gibt auch, negirt seine Majestät und überweltliche Macht, d. i. seine Unendlichkeit, um Mensch zu werden, d. h. der Mensch negirt den Gott, der nicht selbst Mensch ist, bejaht nur den Gott, welcher den Menschen bejaht. Exinanivit, sagt der heil. Bernhard, majestate et potentia, non bonitate et misericordia. Das Unveräußerliche, das nicht zu Negirende ist die göttliche Güte und Barmherzigkeit, d. i. die Selbstbejahung des menschlichen Herzens. 

3) Wer sich daher an die Denkmacht stößt, der setze dafür irgend eine andre geistige Macht, etwa die Willensmacht oder was ihm sonst beliebt. So schrieben einige Theologen dem heil. Geist vorzugsweise die Liebe, dem Sohne die Weisheit, dem Vater die Macht potentia zu. 

4) Proprium est filio esseimaginem, quia illi convenit secundum proprietatem originis. .... Filius ex eo, quod ab alio est, habet quem imitetur ..... ideo dicit Augustinus, quod eo imago est quo filius. Albertus M. de mir. sci. Dei. P. I. Tr. VIII. Qu. 35. m. 2. 

5) Sacram imaginem Domini nostri Jesu Christi et omnium salvatoris aequo honore cum libro sanctorum evangeliorum adorari decernimus. ... Dignum est enim ut ... propter honorem qui ad principalia refertur, etiam derivative imagines honorentur et adorentur. Gener. Const. Conc. VIII. Act. 10. can. 3. 

6) Ueber die Bedeutung des Wortes: Logos im N. T. ist viel geschrieben worden. Wir halten uns hier an das Wort Gottes als die im Christenthum geheiligte Bedeutung. Ueber den Logos bei Philo s. Gfrörer. Philo setzt statt Logos auch ῥῆμα θεοῦ. S. auch Tertullian. adv. Praxeam c. 5, wo er zeigt, daß es auf Eins hinauskommt, ob man Logos mit Sermo oder Ratio übersetzt. Daß übrigens das Wort der richtige Sinn des Logos ist, geht schon daraus hervor, daß die Schöpfung im A. T. von einem ausdrücklichen Befehl abhängig gemacht wird und daß man von jeher in diesem schöpferischen Worte den Logos erblickt hat. Freilich hat der Logos auch den Sinn von Virtus, Spiritus, Kraft, Verstand u. s. w., denn was ist das Wort ohne Sinn, ohne Verstand, d. i. ohne Kraft? 

7) Tanta certe vis nomini Jesu inest contra daemones, ut nonnunquam etiam a malisnominatum sit efficax. Origenes adv. Celsum. I. I. S. auch I. III.